Das dritte Auswärtsspiel der Saison führt den FC St. Pauli nach Augsburg und Thees Uhlmann nimmt uns mit in Gedanken über die Vergangenheit und die Gegenwart.
(Titelfoto: Stefan Groenveld)
Liebe St. Pauli Fans, die nach Augsburg fahren!
Ihr seid der Hammäh! (Monchi-Stimme in Deinem Kopf!)
Aber Obacht, ihr seid in Schwaben. Wenn ihr im Biergarten bei 12 Grad Nieselregen zu einem Netten am Nebentisch sagt: „Schön habt ihr’s hier in Bayern!“ Dann machen die unter dem Tisch ihre WhatsApp-Gruppe „Einer hat uns Bayern genannt“ an mit Standort und dann kommen sie mit Mistforken und mit Knüppeln und mit Fackeln und vor allen Dingen werden sie gerannt gekommen sein, womit wir die Kettcarhaftigkeit der Dinge schon am Anfang der Kolumne als erledigt ansehen können.
Mein Bassist Hubbi kommt aus Augsburg, womit sich Augsburg als Hauptstadt des deutschen Post-Prog -Stoner-Rocks fühlen darf. Wenn ihr Euch für diesen beliebten Musikstil begeistert, hört doch in seine Bands „Carpet“ und „Instrument“ rein.
Zu Fußball und Augsburg habe ich nur folgende Anekdote!
Am besten war es früher beim Touren, wenn man auf Stadtfeste gebucht wurde. Es gab ordentlich Geld, 800 Euro oder sowas, und die Konzerte waren umsonst. Das heißt, dass sich vor der Bühne das örtlichen Subkultur- und Randvolk einfand, nach Onkelz-Songs verlangten, den Weinbrand kreisen ließen und wir mit unserer schwachbrüstigen Version von Rock´n‘Roll auf Deutsch versuchten, zehn neue Fans zu gewinnen. So landeten wir in Augsburg und schafften das aufgrund unseres völlig hysterischen Auftretens, gepaart mit norddeutscher Melancholie, da man heute Abend nicht an der Deichwacht teilnehmen konnte.
Herrliche Zeiten waren das, denn wir spielten meistens schon zur mittleren Nachmittagszeit und danach spielten dann eine Coverband und eine lokale Rockgröße und es gab immer einen Kühlschrank randvoll mit eiskaltem Bier einer lokalen Brauerei neben dem wir standen und wir fühlten uns cool, weil wir in Augsburg auf Tour waren.
Augsburger Prophezeiung
Wir standen also noch so rum und ich weiß, dass es wunderschönes Wetter war und dann kam einer zu mir und meinte: „Du bist’s doch, der Thees Uhlmann und St. Pauli-Fan?“ und da habe ich natürlich stolz und froh „Ja!“ ausgerufen. „I bin der Walter Sianos und der FC Augsburg spielt in ein paar Jahren in der ersten Liga und ihr noch in der dritten!“ und dann habe ich geschaut, als ob mir jemand gesagt hätte, dass eine schwarze Frau mal Präsidentin der USA wird mit dem schönen Ergebnis, dass der Walter Sianos einfach recht hatte, denn der mächtige FCA marschierte durch und wir bimmelten uns noch recht lange durch die Tabellenplätze 32 bis 54 von zwei der drei deutschen Bundesligen.
Walter, wenn du das hier liest, ganz liebe Grüße. Buch uns mal wieder. Im Endeffekt hat sich auch gar nix groß verändert.
Und natürlich noch eine Slogan-T-Shirt-Idee für das Fremdenverkehrsbüro von Augsburg.
Wade…Wade… Wade… JETZT:
AUGSBURG – FUGG OFF
Ich würd´s kaufen.
Hier noch die Ausgehtipps vom Hubbi:
- Kneipen: 11er (FCA-Kneipe), City Club – Café, Haifischbar, Prager Stüberl
- Restaurants: Kappeneck, Jenny vom Block, Viktor
- Biergärten: Provino, Kulperhütte, Parkhäusl
Und jetzt alle mit Foto an mich, wenn ihr da seid:
„Daaaaaanke, Hubbi!“ Ich leite das dann weiter.
Okay, ich wühle mich jetzt seit acht Tagen durch den Halbschlaf, ob man das ansprechen soll oder es einfach schulterzuckend hinnehmen muss. Ich gehe davon aus, dass es mir echt viele krumm nehmen, was ich schreibe, aber vielleicht wird mir das auch einfach immer ein wenig egaler, was in der Liebe natürlich eines der schlimmsten Gefühle ist.
Und wie meinte Mutter immer sagt: „Scheiß der Hund drauf. Ich habe Dich nicht erzogen, damit Du gemocht wirst. Ich mag Dich. Das muss reichen!“
Wenn es der 1. April gewesen wäre und es geheißen hätte, dass der FC St. Pauli eine neue, eigene Schrift erfunden hat, deren Fonts links geneigt ist, um die Werte des Vereins und sein Alleinstellungsmerkmal zu unterstreichen, hätte ich gesagt: „Hut up! Das geht ja gut up!“und hätte mir die durchgeballerten Kommentare im Internet gegeben. Immer halb witzig, wenn der politische Gegner auf eine Finte reinfällt. Im besten Falle kann man sowas dann Realsatire nennen.
Problem ist: Die meinen das ernst.
Als erstes frage ich mich, wer so einen Ankündigungstext für eine Schrift überhaupt durchwinkt und beschließt und sagt: “TOP IDEE! Super geschrieben. Machen wir so.“ und ich dann so: „Äh… !“
Und die dann zu mir so: „Ja, Thees. Das verstehst Du nicht. Das ist wichtig für die Positionierung des Vereins nach außen!“
Und ich dann so: „Ja, das ist aber Marketing und keine Politik. Und sowas sollte man nicht so mischen!“
Und die dann so: „Häh?“
(Kein) Wahlkampf in Brandenburg
Ich wurde zum Beispiel neulich gefragt, ob ich mich noch im Wahlkampf in Brandenburg engagieren möchte, denn ein sehr berühmter Sänger würde das auch machen.
Da sagte ich: „Aber der kommt doch aus Berlin und nicht aus Brandenburg!?“
Die so: „Das ist doch egal!“
Und ich sagte dann: „Wenn ich mich da engagieren würde, dann würde ich da auf irgendeinem Marktplatz stehen und die da vor der Bühne würden sagen: ‚Wer ist er denn? Ein lokaler Eisverkäufer, oder was?‘“
Die Leute kennen mich schlicht nicht und das macht auch nichts, aber dann ist das eben nicht politisch, sondern nichts anderes als Eigenwerbung, Stärkung der Marke und Positionierung am Markt.
Und vor allen Dingen setzt es auch zwei Prämissen voraus. Meine Meinung ist richtig und die Brandenburger brauchen meine Tipps, weil sie alleine zu dumm sind.
Und sowas lehne ich ab.
Das ist paternalistisch und es ist auch einfach autoritär.
Und sowas lehne ich noch mehr ab.
Schlauis aus der Hauptstadt
Ferner noch glaube ich auch, dass jemand, der sich eh schon – aus sinnvollen oder sinnlosen Gründen – an den Rand gedrängt fühlt, eher dazu tendiert „FUCK OFF!“ zu sagen, wenn da die Schlauis aus der Hauptstadt mit ihren quadratmeterstarken Altbauwohnungen und der Abwesenheit von finanziellen Sorgen ankommen, um Leuten zu erzählen, was sie wählen sollen.
Und für mich ist da noch eine andere Sache, die im Hintergrund der St. Pauli-Schrift unangenehm rumort.
Wer denkt, dass eine Schrift eine Haltung ist, der muss schon einfach sehr von sich und seiner Welt (und seiner Schrift) überzeugt sein und ich finde das fast schon besorgniserregend, weil jemand davon ausgeht, dass durch sein Tun die Welt besser wird.
Und da muss ich jetzt mal eine Sache sagen: Ich möchte mir von Firmen, Marketingabteilungen und an Gewinnmaximierung orientierten Konzernen nicht die Welt und Politik erklären lassen.
Ich finde das übergriffig.
- „Ich wollte Dich gerade wegen Deiner Hautfarbe hauen, aber mein örtlicher Supermarkt hat mir gesagt, dass das falsch ist!“
- „Mobilfunk gegen Rechts!“
- „Cola gegen Schwulenhass!“
- „Jeans – Die Hose der revolutionären Klasse!“
Aber vielleicht können wir uns auch ein wenig beruhigen.
Denn vielleicht wollen die auch gar nicht die Welt verändern.
Vielleicht tarnen sie ihr wirtschaftliches Interesse nur durch Werbekampagnen, die auf die anwesende Käuferschicht im Stadion zugeschnitten ist.
Ist auch kein Problem für mich. Man nennt das Kapitalismus.
Natürlich finde ich das nach wie vor einfach super und auch wichtig, dass sich der Verein klar positioniert und ich kenne wirklich auch viele, die ganz, ganz stolz sein können auf sich, weil sie die „gegen Rechts!“-Haltung in der deutschen Fußballszene implementiert haben. Nicht ohne Grund gibt es aus fast jeder Fanszene Abwandlungen des („unseren“) Aufklebers.
Das damit nicht „gegen Rechts“ gemeint ist, sondern ein „gegen undemokratische, gewaltbereite, faschistische, rückwärtsgewandte, übergriffige Menschen“ ist wohl auch ersichtlich.
Aber ich glaube nicht daran, dass eine Schrift aktivistisch sein kann. Ich glaube nicht daran, dass Politik in Werbung von Firmen mehr bringt als ein gutes Gefühl. Und ein gutes Gefühl hat mit Politik nichts zu tun.
Und es ist mir auch einfach zu viel Imperativ. Sei so! Sei das! Tu dies! Tu das!
Ich hasse den Imperativ!
„RÄUM DEIN ZIMMER AUF!“
Hab ich nie drauf gehört.
Vor allen Dingen habe ich dann das Gegenteil gemacht.
Meiner Meinung nach geht es bei dem Verein, bei mir, bei vielen, die ich kenne und mit denen ich mich unterhalte um folgende Frage: Ich glaube, dass, so lange ich mich erinnern kann die (politische) Situation in unserer Gesellschaft noch nie so ernst war.
Ich glaube, es sind ganz schön viele „St. Pauli-Fans gegen Rechts!“-Aufkleber verklebt worden in den letzten zehn Jahren und trotzdem haben die Blauen enormen Zulauf.
Die Frage ist (überspitzt gefragt):
Sind es noch nicht genug „St. Pauli gegen Rechts“-Aufkleber gewesen, die verklebt wurden? Also, wird das besser, wenn wir noch mehr davon verkleben und wird dann alles gut, auch weil mein Wasser linksdrehend ist und unsere Schrift eine Haltung hat?
Wasted in Jarmen
Ich war am letzten Wochenende beim „Wasted in Jarmen“-Festival von Feine Sahne Fischfilet.
War eine wunderschöne Sache mit ordentlich Pyro, ganz vielen tollen Gesprächen und Punk. Dazu Bootsfahrt auf der Peene mit Axel und ich habe einen Seeadler gesehen. Junge, wenn du einen Seeadler siehst, dann wird plötzlich die Welt um Dich ganz still. Schwör ich Dir.
Und es war, wie man so schön sagt: HANSAZONE!!!
Das künstlerisch-kulturell aktionistisch (nicht aktivistisch) Interessante an der ganzen Sache ist natürlich, dass man da St. Pauli-Klamotten ohne Gefahr für die körperliche Unversehrtheit tragen konnte und auch könnte.
Die Sache ist aber… das macht kaum noch einer.
Es kommt mir so vor, dass es da bei diesem Festival überhaupt keinen Mehrwert für jemanden ergibt, sich da im St. Pauli-Shirt darzustellen, weil der Verein als kulturelles Symbol, das im Gegensatz zum kapitalistischen Symbol sehr wohl eine politische Kraft besitzt, einen Teil seiner Wirkmächtigkeit eingebüßt hat.
(Junge, was war das für ein Satz. Muss ich selber nochmal lesen.)
Wie schön es wäre, wieder von einer Blaskapelle in Burghausen abgeholt zu werden, weil da welche aus St. Pauli kommen, „Sehen komisch aus, sind aber sehr nett.“
Aber wahrscheinlich müsste man heute erstmal ein Seminar machen mit dem Titel „Sind Blaskapellen ein rechtes Narrativ?“
Oder Motto zum Heimspiel: „Alle in bunt und Klamotten falsch rum anziehen!“ Also nicht Bomberjacke auf orange ziehen, sondern wirklich Jeanstaschen vorne.
Oder: „Das vornehme Abendspiel.“ Alle in Kleid oder Anzug und es läuft nur klassische Musik.
Die Anbietung einer Verwirrung, bei der dann andere sagen: „Raff ich nicht! Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll.“ Wie so moderne Kunst eben einfach, als das noch modern war.
Und dann könnten noch andere mal wieder sagen: „Raff ich auch nicht! Aber ich wundere mich und will ich unbedingt mitmachen.“
// Thees
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Raff ich nicht. Stört mich. Und das gefällt mir.
Leider hast Du recht. Aber das auf den FCSP zu reduzieren, halte ich für zu kurz gedacht.
Man spürt selbst immer öfter, dass man müde wird gegen diese rechte Dauerbeschallung anzugehen. Und mit Aufklebern und Demos alleine wird man nicht gegen die rechte tiktok-bubble und telegram-agitatoren ankommen. Was bringen Demonstrationen ausser, dass man den Zusammenhalt spürt? Ähnlich sehe ich es mit einer Typo Sans Pauli. Das hilft um Zusammenhalt zu symbolisieren, aber reicht das heutzutage? Damit transportiere ich nichts über die eigene Gemeinschaft hinaus in die Gesellschaft. Und das Problem ist leider, dass ein Großteil der älteren Generation leider auch eine gewisse Antipathie gegen die neuen Medien haben und auch nicht gerade zu einer Selbstdarstellung neigen.
Da heißt es umdenken und selbst die sozialen Medien stärker mit politischen Aussagen beschallen (auch wenn man „Freunde“ verliert).
Danke, Thees, für den Anstoß. Nach meinem Gefühl müssen wir als FCSP-Fanszene mal reden. Es gibt viele offene Fragen: Macht der Verein zu wenig Politik? Oder zu viel? Könnte er seine Politik besser nach außen darstellen? Dezenter? Stärker? Humorvoller? Weniger humorvoll? Was sollte der Club machen, was lieber lassen? Ist der Verein bereits da, wo wir ihn uns wünschen? Oder ist er umgekehrt bereits so übertrieben „fortgeschritten“, dass er sich so weit vom Großteil der Bevölkerung entfernt hat, dass er überhaupt nicht mehr verstanden wird? Erreichen unsere Botschaften überhaupt diejenigen, die es betrifft? Sollen sie das überhaupt? Fragen über Fragen…
Aaalsooo, tolle Gedanken sprechen mir total aus der Seele!
Es verändert sich Vieles zur Zeit in unserem Verein – und leider nicht alles zum Besseren!
Und ja, es wird mir auch zunehmend egal. Gar nicht gut für die Liebe 🥰!
Und danke Thees für diesen Beitrag!
Aaalsoo, ich kann nur sagen, danke für diese wichtigen – wenn auch für einige unbequeme – Gedanken, Thees!
Es verändert sich Vieles in unserem Verein und nicht alles zum Besseren. Die Liste ist mittlerweile lang. Und ja, Wandel und Kontroverses sind normal, aber man sollte doch bestrebt sein, die meisten der derzeitigen Fans aller Altersstufen mitzunehmen.
Und ja, ich meine, dass wir zunehmend immer weniger Menschen mit unseren Botschaften mitnehmen. Das muss im Verein und mit den Fans diskutiert werden. Aber vielleicht ist diese Art von Exklusivität ja auch gewünscht?
In Anlehnung an Thees muss ich leider sagen, dass mir Vieles im und um unseren Verein zunehmend egal wird. Das ist ein schleichender Prozess. Und ja, Gleichgültigkeit ist überhaupt nicht gut für die Liebe! 🫶🏼
Danke, danke. Und wo du schon dabei bist aufzuräumen und gerade zu rücken, vielleicht kannst du dich beim nächsten mal um das B-Wort kümmern, weil ich weiß nicht wie ich das in den Verein tragen soll. Also feinster Rassismus oder zumindest mal Klassismus, der mir bei jedem Heimspiel mit aller Inbrunst zu Ehren der Stellinger gesungen in die Ohren dröhnt und mich am Verstand großer Teile des Stadions zweifeln lässt. Vielleicht in Zukunft dann mal das N-Wort stattdessen, dann wird vielleicht ein paar mehr Leuten klar was wir da tun, bestes Rostockniveau….
Yves, wie hältst du das nur aus?
Weil es wohl nicht klar ist für alle: ich rede von „Volkspark Bastards“
Ja, das B-Wort. Immer wieder! Leider nicht nur wenn es gegen die Stellinger geht!
Und eine andere Sache, vielleicht nicht ganz so schädlich, aber dennoch für mich unverständlich, wenn große Teile der Gegengeraden “Fußballgott“ skandieren, und dies bei Spielern, die bis dato zwei, drei Jahre lang unser Trikot tragen. Dies war bislang Spielern wie Kalla und Boller etc. vorbehalten. Spieler, die viele Jahre unserem Verein die Treue gehalten haben und stets das Herz auf dem Platz ließen. Auch da müssen wir uns fragen, was wir da eigentlich tun. Diese durchaus kreative, auch etwas selbstironische, aber äußerst wertschätzende Namensgebung wird auf diese Weise inflatorisch entwertet.
Mir scheint den (neuen?) Fans im Stadion geht allmählich das Feingefühl abhanden. Dieses Feingefühl war immer etwas, was bislang wirklich einzigartig war in unserem Stadion … und um dessen Verbleib mache ich mir gerade Sorgen.
Dies sind nur zwei weitere kleine Beispiele, die m.E. zeigen, dass unsere Fankultur nicht so einzigartig gut ist wie viele glauben.
Wir Fans dürfen nicht müde werden, uns stets mit allen (!) Aspekten auf allen Ebenen in und um unseren Verein (selbst-) kritisch (!) auseinander zu setzen. Und auf keinen Fall gleichgültig zu werden …
Und deshalb nochmals Danke, Thees!
Dein Meckern hat aber schon so ein wenig „Die Jugend heutzutage …“-Vibes.