Suchtprävention – was dagegen?

Suchtprävention – was dagegen?

Der Biersponsor des FC St. Pauli will beim Leverkusen-Spiel kostenlos Getränke verteilen, daran gibt es massive Kritik. Nun äußert sich der Verein dazu.
Titelfoto: Stefan Groenveld

Fußball und Bier. Für viele immer noch eine Kombination, die untrennbar zusammengehört. Beim FC St. Pauli gibt es seit vielen Jahren den Fanclub Weiß-braune Kaffeetrinker*innen (WBK). In diesem fanden sich anfangs alkoholkranke Fans des FCSP zusammen, inzwischen aber umfasst man ein sehr viel größeres Spektrum an Suchtkrankheiten. Die Hilfe untereinander steht an oberster Stelle, auch in der Suchtprävention ist man aktiv.

Im Jahr 2021 wurde der Fanclub mit dem Hamburger Selbsthilfepreis ausgezeichnet. Das „Trockendock“ auf der Gegengerade, maßgeblich auf Initiative der WBK eröffnet worden, war der erste alkoholfreie Getränkestand am Millerntor. Inzwischen ist mit der „Kiezklappe“ auf der Haupttribüne ein weiterer Stand hinzugekommen. Bis es so weit war, waren aber seitens des Fanclubs auch viele Widerstände zu bekämpfen. Mit Astrid und Marion waren im Oktober zwei Mitglieder des Fanclubs im Podcast bei Debbie zu Gast. Hört da gerne mal rein.

Es ist kein Geheimnis, dass der Alkoholkonsum in den Fußball-Fanszenen Deutschlands allgemein und auch beim FC St. Pauli ein Ausmaß hat, welches für viele Personen nicht gesund sein dürfte – und diese Formulierung ist noch sehr vorsichtig gewählt.
Der FC St. Pauli rühmte sich im vergangenen Jahr für sein Suchtpräventionskonzept, die dort über allem stehende Vision: „Beim FC St. Pauli sind Fußballemotionen auch ohne Suchtmittelkonsum möglich.“

Kritik an Werbeaktion

Rund um das Spiel am Sonntag gegen Leverkusen wird es eine Werbeaktion des Bierpartners des FC St. Pauli geben, der ein Biermischgetränk (mit Cola und Orange) bewerben möchte. Hierfür wird es auf dem Südkurvenvorplatz einen Stand geben, an dem das Getränk kostenfrei angeboten wird. Der Verein teilte uns auf Nachfrage mit, dass es keine fliegenden Verteiler geben wird und zudem auch eine alkoholfreie Variante angeboten werden soll. Letzteres ist dahingehend interessant, dass der Biersponsor in der eigenen Produktpalette bisher gar kein alkoholfreies Bier führt – sehr wohl aber gibt es andere alkoholfreie Marken im Konzern.

Michael Krause, Mitglied bei den Weiß-braunen Kaffeetrinker*innen, äußert deutliche Kritik an dieser Aktion: „Es ist noch kein Jahr her, dass der FC St. Pauli ein umfassendes Suchtpräventionskonzept veröffentlicht hat. Jetzt die Genehmigung zu erteilen, dass die Hauptdroge Alkohol kostenlos verteilt wird, führt das Konzept ad absurdum und ist in hohem Maße verantwortungslos. Diese Aktion ist nicht nur für Menschen mit einer Suchtproblematik ein Schlag ins Gesicht; sie verfestigt vor allem den Glauben, dass Alkohol und Fußball wie eine Symbiose zusammengehören und fördert die Verharmlosung von Alkohol.“

Gleichzeitig räumt Krause mit einer gängigen Fehlannahme auf: Es gehe dem Fanclub nicht darum, den Fans das Bier zu verbieten. „Dieses Gerücht hält sich, ist aber nicht wahr. Uns geht es um Verantwortung, Sensibilisierung und um Suchtprävention, denn kritischer Konsum ist auch beim FC St. Pauli immer wieder ein Problem.“

Auf unsere Nachfrage, welche Vorhaben des Suchtpräventionskonzeptes bereits konkret umgesetzt wurden, führt der FC St. Pauli die in der Haupttribüne eröffnete „Kiezklappe“ an, die auch einen rauchfreien Raum bietet. Außerdem ist alkoholfreies Bier flächendeckend ins Sortiment am Millerntor aufgenommen worden. Weitere Schritte sollen folgen, so der Verein.

Profifußball und die Suchtproblematik – kein neues Thema

Für den FC St. Pauli ist die Beschäftigung mit Sucht und entsprechenden Sponsoren kein neues Thema. Neben dem sehr präsenten Bierpartner hatte man viele Jahre auch Partner aus der hochprozentigeren Alkoholsparte. Auf Partner aus diesem Segment verzichtet man seitdem bewusst.

Auch auf einen Partner aus dem im Profifußball sonst allgegenwärtigen Sportwettenmarkt verzichtet man seit dem Ausstieg des letzten Sponsors und kommunizierte dies auch selbstbewusst. Als es kurze Zeit später den Sponsoreneinstieg der Spielbank Hamburg gab, entzündete sich daran verständlicherweise Kritik. Auch wir berichteten: „Glücksspiel, Glaubwürdigkeit und der FC St. Pauli“.

Der Fanclub wurde laut Verein vorab über die Promoaktion informiert. Beim Treffen des Inklusionsbeirats diese Woche äußerten Vertreter*innen des Fanclubs dann ihre Kritik an der Aktion zunächst intern.
Das kostenlose Verteilen von alkoholischen Getränken ist sicherlich nichts, was man sich bei der Erstellung des Suchtpräventionskonzeptes erhofft hatte. Der Satz „Wir unterstützen keine Praktiken zur Förderung missbräuchlichen Konsums oder suchtbegünstigenden Verhaltens im Verein und im Fußball“ steht im Konzept – und man kann das Verteilen von Gratis-Alkohol sehr gut im Widerspruch dazu sehen.

„Ein anderer Fußball ist möglich“ ist ein weiterer gern genutzter Satz, den der FC St. Pauli mantraartig wiederholt. Oder, um auf das Suchtpräventionskonzept zurückzukommen: „Beim FC St. Pauli sind Fußballemotionen auch ohne Suchtmittelkonsum möglich.“ Die Erstellung des Konzeptes war ein guter Schritt der Andersartigkeit, das Verteilen von Freibier (durch den Bierpartner) ist nun wieder einer zurück.
Bleibt zu hoffen, dass der Verein die Kritik des Fanclubs ernst nimmt und in zukünftige Überlegungen und Planungen von Werbeaktionen einbezieht.
// Maik

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20 thoughts on “Suchtprävention – was dagegen?

  1. Ein wenig Gin ins Wasser geschüttet: Knud Hansen ist schon sehr präsent im Stadion. Dass es dabei die alkoholfreie Variante ist, die beworben macht letztlich keinen Unterschied.

    Danke für den wichtigen Artikel, Maik!

    1. Ich hatte mich schon mal drüber gewundert, dass Knut Hansen stets für seinen alkoholfreien Gin im Stadion wirkt. War mir nicht klar, dass dies den Hintergrund hat, dass nicht für hochprozentigen Alkohol geworben werden soll.

      Wirkt jetzt aber doch auch eher wie ein Feigenblatt auf mich, dass hier „nur“ für den alkoholfreien Gin geworben wird.

      1. Hmm, das Bewerben eines alkoholfreien Gins sei also ein „Feigenblatt“; wäre dann das Werben für die alkoholhaltige Variante besser?
        Das sehe ich nicht so. Tatsächlich haben alkoholfreie Longdrinks ne Daseinsberechtigung und das Bewerben eben jenes halte ich schon für mehr als passend.
        Welcher andere Klub, der in ähnlich ambitionierten Sphären bewegt, macht es denn besser?
        Wo ist genau der Kritikpunkt, dass für einen alkoholfreien Gin geworben wird?
        Kritik ohne realistische konstruktive Anregung wie es denn besser gehen soll steht sehr, sehr häufig unter Verdacht einfach nur unreflektiertes und plumpes Rumgemotze zu sein.

        1. Moin Jens,
          aus meinen Augen betrachtet:
          Im Stadion wird alkoholfreier Gin beworben. Damit wird immer wieder eine Marke gezeigt, die vor allem ein alkoholhaltiges Getränk vertreibt. Wenn Du Knut Hansen alkoholfrei durch Deine Suchmaschine schickst, wird Dir auch Knut Hansen 42% angezeigt, hübsch mit Bildchen. Es gibt also keine Möglichkeit, dem Alkohol zu entgehen.
          Deswegen ist es auch für mich ein Feigenblatt.

          Mir ist bewusst, dass auch der FCSP Sponsoren benötigt. Auch, dass dabei gerne zwischen Pest und Cholera entschieden werden muss und der Verein auch nicht so viel Auswahl hat, wie andere Vereine, die auf viel mehr Dinge scheißen als unser Verein.
          Scheinheilig wirds dann übers Verhalten. Ich kann mich nicht hinstellen und mein Suchtpräventionskonzept loben, 0,0% im Stadion über die Werbebanden scheuchen und draußen 2,5% kostenlos an alle über 16 ausschenken lassen. Das ist nicht konsistent und nicht suchtpräventiv, das ist Murks.

  2. Unabhängig wie genau man zu diesem Thema steht, es zeichnet doch wieder unseren Verein aus, dass dies überhaupt thematisiert werden kann und der Verein auch zum Austausch bereit ist. „Nebeinbei“ wird Mensch auch immer wieder füt Themen sensibilisiert, die einen selbst nicht betreffen. Für mich ist dies immer wieder ein Lichtblick in herausfordenen Zeiten

  3. Und wieder einmal merke ich, wie sehr die eigene Blase andere Blasen überlagert. Ich habe von massiver Kritik rein gar nichts mitbekommen, in meinem Umfeld wurde eher die Kritik kritisiert.

    Trotzdem ist es immer gut und wichtig Probleme, die andere mit etwas haben, in die eigene Sicht mit einfließen zu lassen oder zumindest davon Kenntnis erhalten.

  4. Moin,
    einfach nur ein Statement:
    „Ich mag mein Bier im Stadion und trinke es gerne mit meinen Stehpartnern, auch gerne in der alkoholfreien Variante. Dazu rauchen wir auch mal eine Zigarette. Aber missbräuchlicher Konsum ist das noch lange nicht.“
    Die Werbeaktion des Hauptsponsors wird mich/uns sicher nicht zum Missbrauch verführen!
    Unserer Verein bewegt sich in einer kapitalistischen Welt und dort gehört die Werbung für allerlei Dinge dazu.

    Brodi

    1. Moin Brodi,
      Ich hoffe für Dich und Euch, dass das Statement so stimmt und bin da auch sehr zuversichtlich.
      Umgekehrt gilt aber auch, dass das Stadion für Suchtkranke sehr viele Herausforderungen / Triggerpunkte bietet und hier ein weiterer geschaffen wird.
      Darauf weisen die WBK (aus meiner Sicht: zurecht) hin.

    2. Weil es Menschen gibt, die mit Alkohol oder anderen Suchtmitteln keine Probleme haben, sind also sämtliche kritischen Anmerkungen zu dem Thema oder gar Präventionsmaßnahmen hinfällig und überflüssig.
      Hab ich das korrekt zusammengefasst?

      Scheint mir ein wenig unterkomplex …

  5. Wo ist denn das „Nun äußert sich der Verein dazu.“ aus eurer Einleitung zu finden?
    Oder bezieht sich dieser Satz wirklich nur auf das erwähnen, dass es auf der Haupttribüne einen alkohol- und rauchfreien Raum geschaffen habe und sich bemühen würde, das Anti-Sucht-Programm zukünftig noch umsetzen zu wollen.

    Das hat ja nun aber eher nichts mit der Kritik zu tun, dass man das Suchtmittel Nummer 1 nun gratis vorm Stadion verteilt?!

    1. Es steht ja u.a. auch drin, dass man keine aktiven Verteiler nutzt, es nur in einem Stand auf dem Südkurvenvorplatz erhältlich ist und das man die WBK vorab informiert hatte.

  6. „Letzteres ist dahingehend interessant, dass der Biersponsor in der eigenen Produktpalette bisher gar kein alkoholfreies Bier führt“ Sage mal Maik ist das nicht falsch? Verkaufen sie nicht seit einigen Jahren „Astra Granate Energy“ welches mit 0,0 Beworben wird.

    Ansonsten ist dies ne Aktion welche keinen wirkliche richtige Art und Weise gibt. Wenn sie als Werbeaktion nen Stand aufbauen an dem nur die Mixplörre verkauft wird gibt’s nur Stress, wo denn das Normale bleibt, man habe doch jetzt solange angestanden. Beim Verschenken sehen wir was Passiert. Und gar keine Aktion hätte ihre Werbewirkung verfehlt. Wir sollten vielleicht ganz Froh sein das es nur ein Mischgetränk ist mit 2,5% und kein Starkbier wie Rotlicht mit 6,0% oder mehr. Grundsätzlich solltet ihr Werbung für Alkoholische Getränke nicht zu laut Kritisieren schließlich gabs hier auch schon Podcast Gäste die ihren eigenen hochprozentigen Alkohol beworben haben.

    1. Also lt Website gibt es dieses Getränk nicht mehr, es wurde lt kurzer Suchmaschinenrecherche schnell wieder eingestellt.

      Das von Dir genannte Beispiel ist dann Fin Bartels? Der hat einen Gin in der Sendung nebenbei erwähnt, ja. Aber nicht kostenlos verteilt, der Vergleich hinkt schon sehr.
      Passender wäre sicher, dass auch wir mit Kehrwieder einen Biersponsor haben. Es geht ja aber, siehe auch Artikel-Text, nicht darum, Alkohol komplett zu verbannen.

  7. So lange die Frage ‚Was stimmt denn nicht mit Dir?‘ gestellt wird, wenn mensch ein alkoholisches Getränk im Stadion ablehnt, sind solche Werbeaktionen großer Mist. Ganz großer Mist. Ich empfinde die Aussagen, dass keine Verteilung über mobilen Ausschank und nur an einem Standort stattfindet, außerdem als ziemlich zynisch. Die WBK vorab zu informieren, damit diese nicht unvorbereitet auf das Szenario treffen? Geschenkt. Könnt ihr euch vorstellen, wie sehr das alles Menschen mit einer Suchterkrankung in Alarmbereitschaft versetzt? Stress hervorruft? Augenscheinlich nicht. Schade.

    1. Zeigt auch einmal mehr den gesellschaftlichen „Stellenwert“ von Alkohol. Das ist so verankert, teilweise lässt mich das ungläubig zurück. Wenn ein Familienmitglied mich fragt, ob ich noch Spaß hätte, wenn ich (kein Fleisch mehr esse und) keinen Alkohol (bzw. nur die alkoholfreien Alternativen, ja ich weiß, auch dort minimaler Alkoholanteil) mehr trinke, aus persönlichen Gründen (u. a. Kopfschmerz-geplagt, dazu Sport + Alkohol verträgt sich nicht, kein Bock mehr auf nen Kater, außer den vierbeinigen zu Hause), dann sagt das mehr über die andere Person aus als über mich. Aber das ist ok. Nur hier torpediert es Präventionsbemühungen, welche die einzelne Person evtl. nicht selbstständig umgesetzt bekommt.

  8. Es zeigt leider mal wieder zum x-ten Mal dass auch beim FCSP immer noch Geld vor Moral kommt. Und die Aktion reiht sich ein in eine lange Liste unmöglicher und untragbarer Werbe- und Marketingaktionen!
    Und mal wieder fragt man sich wie eine Abteilung im Konzern FCSP so gar kein Gefühl hat, was als Werbeaktion im Umfeld funktionieren könnte und was mal wieder eine Empörungswelle auslösen wird. Und ich habe den Eindruck dass diese Abteilung unsere Sponsoren damit wohl alleine lässt und nicht entsprechend berät. Und dann macht da jemand seine Arbeit richtig schlecht und vergrault im schlimmsten Fall Sponsoren.

    Tolle Vereinskampagnen und Leitlinien funktionieren genauso lange gut, bis sie Sponsoren- oder Merch-Ideen im Wege stehen. Und hier haben wir wieder ein bestes Beispiel für diesen Mechanismus im FCSP. Was ein Affront den WBK gegenüber.

  9. Ich lese mir hier gerade die Kommentare durch und muss mich doch ein wenig wundern, wie der Furor derjenigen über den Verein hinwegfegt, die immer genau wissen, wie sich die Planeten im St. Pauli Kosmos zu drehen haben.
    Vielleicht fangen wir bei dem Thema aber mal an, vor der eigenen Haustür zu kehren, bevor man anderen Belehrungen erteilt – und da meine ich speziell die Klingel, die man zwei Mal in einer Spieltagswoche vernimmt:

    Darüber hat sich seltsamerweise hier noch keiner echauffiert. Und wenn jetzt einer mit ‚nur Werbung für alkoholfreies Bier‘ kommt – siehe Äußerungen zu Knut Hansen Gin.

    Mahlzeit.

    1. ja moment, du vergleichst hier die werbung für eine brauerei auf dieser seite nicht etwa mit der brauerei-werbung im stadion, welche dort auch noch sehr viel präsenter ist, sondern mit einer gratis-freibier-für-alle-aktion? da schlägt der implizit mitschwingende doppelmoral-vorwurf aber ins leere, denn werbung als solche wird ja weder vom millernton noch von den wbk kritisiert. sondern das zusätzliche anfachen durch gratis-verteilung trotz suchtpräventionskonzept.

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