Buchrezension: „Konfetti im Bier“

Buchrezension: „Konfetti im Bier“

Ihr kennt das: Ein Roman / eine Geschichtensammlung über Fußball und am Ende steht in der Rezension: „Auch für Nicht-Fußballfans empfehlenswert!“
Ich glaube, dies kann ich hier ausschließen. Vielleicht mit der kleinen Klammer, dass es für Interessierte an politisch linker Subkultur noch empfehlenswert sein könnte, aber alle „normalen“ Menschen werden mit dem Werk im Zweifel nicht so viel anfangen können.
Und was soll ich sagen? Macht auch nichts. Denn die, für die es geschrieben wurde, werden sich sehr wahrscheinlich bestens unterhalten fühlen.

Und bevor wir mit dem Inhalt anfangen, schnell noch ein Veranstaltungstipp:
Lesung am Samstag, 13.April 2019 im Jolly, ab 19.00h.

„Konfetti im Bier“ ist ein Roman von Toni Gottschalk, seines Zeichens Ultrá beim FC St.Pauli und in der Vergangenheit u.a. als Comiczeichner der BASCH in Erscheinung getreten.
Wie man im Interview beim Magischen FC-Blog erfährt, begann die Arbeit am Roman (mit vielen Unterbrechungen) um und bei 2011 und brauchte dann halt diverse Schubser, um fertiggestellt zu werden.

Herausgekommen ist eine Geschichte, die vielleicht gerade in diesen Tagen, mit all den Vorfällen rund ums Derby, die „(M)ein Verein“-Diskussion über Werte und Fankultur, so passend ist wie noch nie.

Erzählt wird eine fiktive Geschichte, eingebettet in die reale Szenerie des FC St.Pauli – also mit Verein, Profifußball, Fans, Fanszene, Ultrá, USP, Gewalt, Politik, Nazis, Drogen.
Mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Gewichtung, sicher an der ein oder anderen Stelle bewusst überzeichnet.

Hauptprotagonisten sind drei Personen (Jette, Subbe und Merks), aus deren Perspektive drei größere Geschichten erzählt werden.

Die Kapitel
  • Ein Derbytag am Millerntor (der U23-Teams wohlgemerkt, weil ein Profiderby während des Entstehungsprozesses eher unrealistisch erschien), an dem zusätzlich auch noch eine Nazidemo in Harburg stattfindet.
  • Ein Auswärtsspiel bei Dynamo Dresden, mit all den dort möglichen Randerscheinungen.
  • Eine Besuch beim Derby in Genua – auch dort nimmt der Fußball als solcher natürlich nur eine Nebenrolle ein.
Die Protagonisten
  • Jette ist die „Grande Dame“ der Ultras. Schon ewig dabei, allseits akzeptiert, verkörpert gleichzeitig auch die moralische Instanz der Gruppe und hält den Laden zusammen. Oder besser „hielt“, denn aktuell beschäftigt sie sich mit dem Gedanken, ob man irgendwann zu alt für den ganzen Kram ist und vielleicht etwas kürzer treten sollte.
  • Subbe ist ebenfalls schon lange dabei, verschönert die Stadt konsequent mit Streetart und versteht sich bestens mit Jette. Er ist zwar noch absolut dabei, schaut aber teilweise auch schon mit dem Blick des Älteren auf die Jüngeren und fragt sich, wie lange er das wohl so noch machen wird.
  • Merks. Merkste selbst, welche Rolle da noch fehlt, gell? Jung, dynamisch, voller Tatendrang, probiert noch vieles aus, inklusive Erzeugnissen die unter das Rauschmittelgesetz fallen.

Darüberhinaus gibt es viele weitere Personen, die mehr oder weniger häufig dabei sind und verschiedene Rollen innerhalb von USP ausfüllen. Auch andere Fanclubs (Skinheads, Chaoticker) werden benannt, Fanzines (namentlich verfremdet) erwähnt, Lokalitäten und Straßennamen dürften dem geneigten St.Pauli-Fan allseits geläufig sein.

Die Handlung

Im Endeffekt beschreiben die drei Protagonisten die jeweiligen Erlebnisse der Gruppe jeweils aus ihrer Sicht. Dies springt oft wild umher, folgt zeitlich nicht immer strikt der chronologischen Ordnung und entfacht so wahrscheinlich bewusst eine gewisse Form des organisierten Chaos.
Die Dynamik eines Spieltags mit all seinen Wirrungen wird hier am Derbytag durch die Aktivitäten gegen die Nazidemo nochmals verstärkt, Gewalt ist ein ebenso selbstverständlicher Bestandteil des Alltags wie Repression und die Rivalität zweier Vereine in einer Stadt.
Planung von Choreos, Aufteilen von Verantwortlichkeiten, Überwinden von Lethargie in der Gruppe, überschrittene Grenzen, Solidarität untereinander und auch Fangruppen übergreifend, austragen von internen und externen Konflikten – all das ist Teil der Geschichte und bietet insbesondere mit dem Blick des heutigen Tages und den oben erwähnten Vorfällen der jüngeren realen Zeit einen sehr intensiven Einblick in diesen „Mythos Ultrá“ im Allgemeinen und die Gruppe USP im Besonderen.

Im Detail werden dabei ganz alltägliche Auseinandersetzungen ebenso beschrieben, wie geplante Angriffe auf die Nazidemo oder ein mehr oder weniger geglücktes Versteckspiel mit Aha-Effekt in des Gegners Heimat.

Fazit

Wie eingangs erwähnt: Wer noch ein Geburtstagsgeschenk für Mamas 60. sucht, müsste schon eine sehr Fankultur-Affine Mutter haben, um sie mit diesem Buch begeistern zu können.
Ich halte mich für einigermaßen Ultrá-Affin und war auch jüngst auf einem USP-Treffen, trotzdem habe ich nicht alle Anspielungen und Gags verstanden. Musste ich aber auch nicht. Einiges wird eh im Buch erklärt, anderes erschloss sich dann (zumindest für mich) aus den Zusammenhängen.

Wer sich in der Fanszene des FC St.Pauli auskennt, wer sich für einigermaßen aufgeschlossen gegenüber der Ultrá-Szene und USP hält, wer generell ein Interesse an (linker) Subkultur hat: Absolute Kaufempfehlung!
Man findet sich selbst und diverse Personen des Vereins oder der Fanszene in den beschriebenen Szenen wieder und kann an der ein oder anderen Stelle auch herzhaft lachen oder zumindest wissend nicken.
Auswärtsfahrt-Busromantik, beispielsweise.

Was das Buch hingegen nicht liefert und sicher auch nicht will:
Eine Erklärung für Außenstehende, wie „diese Ultras“ denn ticken. Es gibt sicher viele Szenen im Buch, die den Sky-Sofa-Gucker völlig befremdet zurücklassen, insbesondere bei den Themen Gewalt und innerstädtischer Rivalität.
Wer es nicht fühlt, kann es nicht verstehen“ ist hier wohl der entscheidende Satz, denn natürlich (siehe auch das oben verlinkte Interview) ist der Roman für eine schon sehr genau zugeschnittene Zielgruppe geschrieben.

Also, geht zum Fanladen und holt Euch das Ding, wenn Ihr Euch im Beschriebenen wiederfindet, bestellt das Buch direkt beim Verlag oder kommt am Samstag ins Jolly. // Maik

„Konfetti im Bier“, Toni Gottschalk, Liesmich-Verlag, 328 Seiten, 14,95€ (e-book: 9,99€)

Links:
Onlineshop Liesmich-Verlag (kostenloser Versand)
Buchrezension MagischerFC

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