Hamburger Selbsthilfepreis: Interview mit Weiß-Braunen Kaffeetrinker*innen

Hamburger Selbsthilfepreis: Interview mit Weiß-Braunen Kaffeetrinker*innen

Am Donnerstag um 14.00h wird dem FC St.Pauli Fanclub „Weiß-Braune Kaffeetrinker*innen“ der Hamburger Selbsthilfepreis verliehen. Anlässlich dieser Ehrung sprach Maik mit Fanclub-Mitglied Michael über den Fanclub und seine Besonderheiten und unter anderem auch über die auf der vorletzten Mitgliederversammlung gestellten Anträge und was aus ihnen geworden ist.
(Titelbild: VDEK Selbsthilfepreis)

Die Preisverleihung findet online statt, was sicher auf der einen Seite sehr schade ist, auf der anderen Seite aber auch für alle die Gelegenheit bietet, daran teilzunehmen. Am morgigen Donnerstag, 10.Juni um 14.00h startet das Online Fachforum „Gesundheitskompetenz und Selbsthilfe: Chancen und Herausforderungen in Zeiten der Digitalisierung“, in dessen Rahmen auch die Ehrung vorgenommen wird. Alle Details zur Veranstaltung findet Ihr hier (pdf), den Livestream findet ihr am Veranstaltungstag dann hier.

MillernTon: Hallo Michael, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zum Hamburger Selbsthilfepreis. Bevor wir darauf zu sprechen kommen, erzähle doch erst mal, was Euren Fanclub so besonders macht.

Weiß-Braune Kaffeetrinker*innen (Michael): Wir sind ein „alkoholfreier“ Fanclub des FC St.Pauli. Ich selbst bin kein Gründungsmitglied, aber die beiden Gründungsväter unseres Fanclubs lernten sich 1996 in einer Nachsorgeeinrichtung nach einem Alkoholentzug kennen, waren beide schon lange Dauerkartenbesitzer in der Nordkurve und wollten danach sich selbst (und andere) dabei unterstützen, das Stadionerlebnis Millerntor auch weiterhin möglich zu machen, auch ohne Alkohol. Es gab daraufhin einen Aufruf sich dem Fanclub anzuschließen und es waren sehr schnell etwa zehn Betroffene und Angehörige zusammen.
Inzwischen feiern wir im November unseren 25.Geburtstag und haben etwa 25 Fanclub-Mitglieder bzw. eine etwas breiter gefasste Bezugsgruppe von insgesamt etwa 40 Personen. Zu dieser gehören dann auch Fördermitglieder, die selbst vielleicht kein Suchtproblem haben, aber unsere Arbeit gerne unterstützen.

MT: Ich kann mir vorstellen, dass es für Menschen mit der Krankheit der Alkoholabhängigkeit sehr schwer ist, direkt nach einem Entzug bzw. einer Entgiftung ein Spiel am Millerntor zu verfolgen, weil Alkohol allgegenwärtig ist. Wie könnt Ihr da unterstützen?

WBK: Wir sind als Fanclub ja im Vereins- und Fanumfeld präsent, haben einen Facebook– und Twitter-Account und bieten (wenn es nicht gerade wegen der Pandemie unmöglich ist) jeden Monat den „Weiß-Braunen Kaffeeklatsch“ im Fanladen an, so dass wir da schon mal niedrigschwellig einen Anlaufpunkt bieten. An Auswärts-Spieltagen treffen wir uns meist im Clubheim des SC Sternschanze, wo auch aufgrund der vielen Kinder- und Jugendmannschaften insgesamt wenig Alkohol konsumiert wird. Auch an den Fanclubturnieren des FCSR nehmen wir immer sehr gerne teil und knüpfen auch dort viele Kontakte.
Aber klar, mit all der Bier- und Alkoholwerbung im Stadion und natürlich erst recht dem teilweise extremen Konsum bei den Spielen ist das für jemanden, die/der gerade eine Entgiftung durchgemacht hat, natürlich ein sehr schwieriger Weg zu einem Spiel. Jede*r Therapeut*in würde da erst mal die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, weil natürlich immer die erste Empfehlung ist, sich von alten Trinkstätten und dem dazugehörenden sozialen Umfeld fernzuhalten. Andererseits wissen wir, dass das Stadion und erst recht das Millerntor auch für viele einen emotional sehr wichtigen Bezugspunkt darstellt, auf den viele nicht verzichten wollen – und da versuchen wir dann, dabei zu helfen, dieses auch risikominimierend umzusetzen. Dadurch, dass wir als Fanclub auf allen Tribünen verteilt sind, findet sich da auch immer irgendwie eine Lösung, dass wir da zu den ersten 1-2 Spielen auch eine Begleitung anbieten können.

MT: Alkoholkrank zu sein ist ein sehr ernstes Thema, welches oft auch Familien zerstören kann. Ist man da als Fanclub mehr als nur ein soziales Umfeld, seht Ihr Euch auch als Selbsthilfegruppe?

WBK: Wir sehen uns ganz klar auch als SHG. In dem Fall, dass jemand sich der Krankheit bewusst wird oder auch rückfällig wird, ist der wichtigste und vielleicht auch schwierigste Punkt immer, dass die Person sich erst mal selbst gegenüber dies eingestehen muss. Anschließend offenbart man sich seinem sozialen Umfeld, die größte Hürde ist oft aber das Eingeständnis gegenüber der Familie, weil man dort eben auch das Gefühl hat, am meisten die Menschen enttäuscht zu haben.
Und wir als Fanclub sind da sicher irgendwo zwischen sozialer Bezugsgruppe und Selbsthilfegruppe. Wir sind in Hamburg inzwischen durch all die Jahre natürlich auch gut vernetzt (u.a. zu KISS, dem STZ , VIVA Wandsbek oder dem Evangelischen Krankenhaus Alsterdorf) und können so auch schnell und unkompliziert Hilfestellung geben. Vielleicht offenbart man sich da uns gegenüber auch etwas leichter, als dem ganz direkten eigenem Umfeld.

MT: Schauen wir mal auf die Mitgliederversammlung 2019, Ihr hattet dort zwei Anträge gestellt. Beim ersten ging es um den langfristigen Ausstieg aus der Suchtmittelwerbung, wohl gemerkt ohne irgendwelche Verträge zu brechen und durchaus mit dem realistischen Blick auf die Suche nach Alternativen. Das Präsidium bot damals an, stattdessen mit Euch in den Dialog zu treten, da man aktuell diesen Antrag nicht unterstützen könne, da er wirtschaftlich den Fortbestand des Vereins gefährde. Der Antrag wurde daraufhin von der Mitgliederversammlung ziemlich eindeutig abgelehnt. Wie gestaltet sich denn der Dialog?

WBK: Ehrlich gesagt gibt es den Dialog zu diesem Thema nicht. Es gibt ja bundesweite Initiativen, Suchtmittelwerbung im Sport generell zu beschränken oder zu verbieten, aber mit dem Verein sind wir diesbezüglich nicht mehr in Gesprächen, die drehten sich eher um den zweiten Antrag.

MT: Der beschäftigte sich damit, dass es doch sinnvoll wäre, in allen Versorgungsbereichen des Stadions einen Getränkestand zu schaffen, der ausschließlich alkoholfreie Getränke verkauft. Das Präsidium bot daraufhin ebenfalls an in einen Dialog zu treten und die Umsetzbarkeit zu prüfen, woraufhin der Antrag in einen Prüfantrag umgewandelt wurde. Besonderes Augenmerk hattet Ihr zusätzlich auf die mobilen Rucksackverkäufe gelegt, die für Alkoholkranke einen großen Trigger darstellen. Was ist denn dabei herausgekommen?

WBK: Leider gar nichts. Wir standen hierzu sehr wohl im Dialog mit dem Verein, u.a. waren Reyk Sonnenschein, Christiane Hollander und Bernd von Geldern beteiligt. Am Ende steht das für uns unbefriedigende Ergebnis, dass dies zu teuer sei und deswegen und aus logistischen Gründen nicht umgesetzt wird. Der Verein war im Austausch mit dem Caterer und der bezifferte die Kosten auf über 10.000€ für die vier Tribünen. Hierbei geht es um zusätzliche Getränkestände, die Nutzung der festen Getränkestände war hierbei nie eine realistische Option. Die Argumentation des Vereins liegt uns seit Juni 2020 vor, es wird in erster Linie mit dem Geld argumentiert, besonders in der Pandemie. Außerdem würde ja auch jemand die/der ein Getränk ohne Alkohol will vielleicht zusätzlich noch ein Bier wollen. Das überzeugt mich ehrlich gesagt eher nicht so, sehr schade. Man hält sich die Option für die Zukunft zwar offen, aber momentan sieht es nicht nach einer Umsetzung aus.
Als einziges kleines Entgegenkommen versicherte man uns, dass die mobilen Rucksackverkäufer:innen nun konsequenter eine Altersüberprüfung durchführen würden.

Wir hätten es für wichtig gehalten, mit zumindest einem alkoholfreien Getränkestand ein imageförderndes und vermarktungsfähiges Zeichen zu setzen. Der Verein hätte eine Vorreiterrolle einnehmen können – wie bei anderen gesellschaftspolitisch relevanten Themenbereichen auch…
Grundsätzlich fühlen wir uns vom Verein schon ernstgenommen und wertgeschätzt – die grundsätzliche Dialogbereitschaft ist aus unser Sicht auch anerkennenswert. Wenn dann beim Thema Geld aber immer wieder die Sackgasse droht, ist das aber schon auf Dauer frustrierend.

MT: Nun ist es generell ja so, dass gerade im Bereich Werbung Alkohol im Fußball kaum wegzudenken ist. Der Verein hat einen Sponsor aus der Bier- und einen aus der stärkeren Alkoholbranche. Aber auch Seiten im Internet wie unsere werden teilweise von Partnern aus diesen Bereichen unterstützt, wir arbeiten ja auch in unseren Podcasts sehr gerne mit einer Brauerei zusammen, die wir seit Jahren kennen. Generell würden wahrscheinlich nur wenige Menschen widersprechen, wenn man der Fanszene des FC St.Pauli allgemein unterstellt, in vielen Fällen ein Alkoholproblem zu haben. Wie seht Ihr das Thema allgemein?

WBK: Ich kann das natürlich nur für mich beantworten: Ich bin suchtkrank. Mit Alkohol aufzuhören war und ist für mich alternativlos.
Ich will aber auf keinen Fall ein Abstinenzapostel sein, niemandem sein Bier wegnehmen und habe dementsprechend kein Problem mit Menschen, die einen bewussten und verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol pflegen. Ich würde mir hier nur eine kritischere Reflektion des eigenen Verhaltens wünschen. Man hat oft das Gefühl, dass für viele Menschen Fußball nur dann so richtig toll ist, wenn man mindestens fünf Bier trinkt und sich im besten Fall am nächsten Tag kaum noch an das Spiel erinnern kann.
In Bezug auf den Verein wäre aus meiner Sicht schon viel gewonnen, wenn man sich in Sachen Alkohol zumindest auf eine Brauerei beschränken würde und nicht auch noch einen Partner aus der hochprozentigeren Kategorie hätte.

Trauerbanner vor der Südkurve für den im März 2020 verstorbenen Sven-Carlos Blankenburg.

MT: Apropos Werbepartner: Auch wenn dem nicht Euer Hauptaugenmerk gilt, so gibt es doch auch Menschen mit Spielsucht in Eurem Umfeld. Wie seht Ihr dieses Thema?

WBK: In unserem Antrag haben wir auch auf die Bereiche Tabakwerbung und Werbung für Wettanbieter hingewiesen.
Ich finde es in diesem Zusammenhang schon paradox, wenn im Nachwuchsleistungszentrum Seminare für die Spieler zum Thema Spielsucht, Glücksspiel und Wettmanipulationen durchgeführt werden, der Verein dann aber einen der größten Wettanbieter als einen der wichtigsten Partner führt. Insbesondere jetzt in der Pandemie, wo viele Menschen sich notgedrungen deutlich mehr Zeit zuhause aufhalten mussten, dürfte die Spiel-/Wettsucht eine sehr unterschätzte Gefahr sein.

MT: Schauen wir zum Abschluss noch auf den Donnerstag, auf die Preisverleihung. Musste man sich dafür bewerben oder wie fiel die Wahl auf Euch?

WBK: Der VDEK (Verband der Ersatzkassen) in Hamburg hat den Selbsthilfepreis zum insgesamt vierten Mal ausgelobt. Wir sind darüber gestolpert, und als ich die Ausschreibung las, hab ich unseren Hut da mal in den Ring geworfen – wenn auch ohne wirklich daran zu glauben, gewinnen zu können.
Und mit Beginn des ersten Lockdowns kam dann der Anruf, in dem uns zum Gewinn gratuliert wurde, das hat uns natürlich riesig gefreut, weil dies ja auch für unser Thema Aufmerksamkeit schafft.

MT: Aufmerksamkeit schafft man ja oftmals auch gemeinsam – wie sieht denn die Verbindung zu anderen Vereinen aus, wie viele Fanclubs wie Euch gibt es dort?

WBK: Tja, nach unserem Wissen sind wir weltweit nach wie vor die Einzigen. Wir versuchen öfter mal, dies auch zu hinterfragen und bei anderen Vereinen nachzuhaken, letztmals recherchiert wurde dies in meiner Erinnerung vor knapp fünf Jahren vom Hamburger Abendblatt, die da einen Artikel über uns anlässlich des 20.Geburtstags brachten.
Vor einiger Zeit fragte jemand aus dem Fanprojekt von Union Berlin mal nach unseren Erfahrungen, weil man dort etwas ähnliches gründen wollte, da habe ich aber leider nichts mehr von gehört.

MT: Michael, vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg für Euch und Eure Arbeit. Und natürlich am Donnerstag dann viel Spaß bei der Preisverleihung.
// Maik

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4 thoughts on “Hamburger Selbsthilfepreis: Interview mit Weiß-Braunen Kaffeetrinker*innen

  1. Ja, Aufmerksamkeit schafft man auch gemeinsam. Insofern zumindest mal ein erster Schritt, dass hier sowohl Fanclub als auch Problematik thematisiert wurde.

    Sensibilisieren ist das Stichwort. Wenn man (mit Statistiken ist man hier ja durchaus willkommen) sich mal vor Augen führt, dass bei jedem Heimspiel etwa 2000 bis 2500 Betroffene im Stadion befinden, dann kann man die 40 Weiß-Braunen eigentlich nicht einfach mal so ‚ignorieren‘.

    Lieb doch wen du willst, trink doch was du willst.

    Toiletten für Diverse sind drin, Getränkestände ohne Alkohol nicht?

    Und nein, es geht nicht darum der sich hackedichtsaufenden Klientel beim Fußball in irgendeiner Art und Weise den Spaß zu nehmen. (Euer Ding!)
    Es geht um Rücksichtnahme, Verständnis und Solidarität. Um Inseln, um Zeichen.

    In diesem Sinne Michael, danke, weiter dran bleiben und stay sober.

    P. S. Danke Maik fürs thematisieren und Prost üNN und Road Runner Coffee Stout. Cheers.

  2. I love that this group exists. Like another reader said, love who you want, drink what you want. Thanks for highlighting this.

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