Vertragssituationen beim FC St. Pauli: Angriff

Vertragssituationen beim FC St. Pauli: Angriff

Der FC St. Pauli ist gut, sogar sehr gut drauf. Das liegt auch daran, dass viele der Transfers, die unter der Leitung von Sportchef Andreas Bornemann in den letzten zwei Jahren eingetütet wurden, voll eingeschlagen haben. Nun steht eine neue Phase des 2019 eingeleiteten Umbruchs an: Der FC St. Pauli muss entscheiden, ob und wie mit den Spielern weitergearbeitet wird – oder ob die Zusammenarbeit endet. Die jetzige Länderspielpause dürfte dazu genutzt werden, dass einige Gespräche Vertragsgespräche geführt werden. Wir haben uns daher die Vertragssituationen mal genauer angeschaut.
(Titelbild: Peter Böhmer)

So sicher, wie die Tatsache, dass in dieser Länderspielpause die ersten Vertragsgespräche geführt werden, ist auch, dass dieses Thema ein üppiges ist. Wir haben uns daher aufgrund der Lesbarkeit dazu entschieden die Vertragssituationen beim FC St. Pauli in gleich vier Teilen zu veröffentlichen (Torhüter, Abwehr, Mittelfeld, Angriff). Sicher ist aber auch, dass die Gedanken über Verträge von Spielern immer mit Vorsicht betrachtet werden müssen. Allein schon deshalb, da der Verein zu Vertragsdetails und überhaupt Vertragslaufzeiten keine Angaben mehr macht (das machen übrigens inzwischen auch andere Klubs, wir sollten uns also daran gewöhnen) und auch keine Fragen mehr zu Vertragsgesprächen beantwortet.

Runderneuerung seit 2020

Besonders im Angriff hat sich der Kader des FC St. Pauli in den letzten zwei Jahren erheblich verändert. Kein einziger, der jetzt zum Kader zählenden Spieler war vor der Saison 20/21 bereits im Lizenz-Kader des FC St. Pauli. Nur Igor Matanović war schon beim FCSP, damals aber noch in der U17. Ganze sechs Spieler sind neu hinzugekommen. Und einige davon könnten bereits nach Saisonende wieder weg sein.

Das jüngste Mitglied der FCSP-Offensive ist Etienne Amenyido. Der 23-jährige trat die Nachfolge von Omar Marmoush an, musste aber aufgrund einer Verletzung in der Sommer-Vorbereitung bis in den Herbst warten, um seine ersten Pflichtspielminuten für den FC St. Pauli zu sammeln. Die ersten Eindrücke waren vielversprechend, Amenyido könnte mit seinen Skills ein weiteres radikales Element in der FCSP-Offensive werden. Über seine Vertragslaufzeit ist nichts bekannt (von einer Laufzeit bis mindestens 2023 ist aber definitiv auszugehen).
Prognose: Puuh, gar keine Ahnung. Erst einmal ist es wichtig, dass Amenyido regelmäßig spielt, also verletzungsfrei bleibt. Das war ja schon in Osnabrück ein Problem. Ob er das Level in der Offensive dann wirklich anhebt (oder eben nicht), dürfte darüber entscheiden, wie lange er beim FC St. Pauli spielt.

Etienne Amenyido hatte beim FC St. Pauli bisher noch nicht die Möglichkeit sein Können zu zeigen. Er dürfte es aber in den nächsten Jahren versuchen.
(c) Peter Böhmer

Ebenfalls nur sehr wenig Spielzeit hat Igor Matanović bisher in dieser Saison gesammelt. Erst kürzlich im Spiel gegen Werder Bremen konnte er das erste Mal wieder in der 2. Liga spielen. Wie auch Etienne Amenyido ist Igor Matanović ein Versprechen für die Zukunft. Ich hatte eigentlich gehofft, dass er bereits in dieser Saison eine Art dauerhaften Durchbruch feiern würde. Das kann sicher noch kommen. Die Zukunft liegt für Matanović jedoch nicht beim FC St. Pauli: Im Sommer verpflichtete ihn Eintracht Frankfurt, verlieh ihn aber sofort wieder für zwei Jahre an den FCSP. So richtig nachvollziehen konnte ich diesen Move nicht. Sicher ist damit, dass eines der wohl größten Talente den Verein nach der Saison 22/23 verlassen wird.
Prognose: Igor Matanović wird seinen Weg im Profi-Fußball gehen. Und er wird auch noch in seiner Zeit beim FCSP eine gewichtige Rolle spielen.

Wie gewichtig die Rolle von Maximilian Dittgen beim FC St. Pauli sein würde, war lange Zeit unklar. Denn schaut man sich mal die Fakten der Verpflichtung an, so müsste Dittgen als große Fehlinvestion bezeichnet werden. Er wurde für die linke Außenbahn verpflichtet, kann dort offensiv spielen oder aber auf der Position des Flügelverteidigers in einer Fünferkette. Nur gibt es diese Positionen beim FC St. Pauli gar nicht. Mit der Umstellung auf die Mittelfeldraute wurde, ganz hart geschrieben, Dittgen eigentlich überflüssig. Doch bereits in der Rückrunde 20/21 zeigte er, dass sein enormes Tempo auch auf einer anderen Position hilfreich sein kann: Maximilian Dittgen ist seit dieser Saison Stürmer. Mit vier Toren und überzeugenden Leistungen sogar ein sehr guter.
Diese Umstellung hatte ich persönlich nicht unbedingt erwartet. Ich hätte nicht gedacht, dass Maximilian Dittgen auf der Position neben Guido Burgstaller solche Leistungen abrufen kann. Aber wird er diese Leistungen auch noch in der nächsten Saison zeigen können? Sein Vertrag läuft am Saisonende aus.
Prognose: Eine ganz schwierige Entscheidung. Ein Spieler mit so hohem Tempo ist selten. Dittgen profitierte aber auch davon, dass Daschner, Matanović und Amenyido langfristig ausgefallen sind. Nur wenn er auch noch auf dem Platz steht, wenn diese Spieler voll einsatzfähig sind, dürfte es auf eine Vertragsverlängerung hinauslaufen, auch weil Dittgen selbst sicher den Anspruch auf Spielzeit hat.

Interesse aus der 1. Liga? – Selbstverständlich.

Auch etwas anders als bei seinem Ex-Klub agiert Daniel-Kofi Kyereh. Gekommen als Stürmer, hat er sich inzwischen zu einem richtig guten Spieler auf der Zehner-Position entwickelt. Wobei „richtig gut“ hier leicht untertrieben ist. Denn Daniel-Kofi Kyereh ist das Maß der Dinge auf dieser Position in der 2. Liga. Durch seine enorme Dribbelstärke gepaart mit gutem Raumverhalten ist er an einigen Tagen schlicht nicht zu verteidigen.
Das ist natürlich auch anderen Klubs nicht entgangen, was Kyereh, der inzwischen auch ghanaischer Nationalspieler ist, da immer wieder für Leistungen zeigt. Sein Vertrag läuft bis 2023, ohne Ausstiegsklausel. Die Rufe aus höheren Ligen, sie werden zweifelsohne kommen, vermutlich sind sie bereits da. Die Frage ist nur, aus welchem Regal sie kommen und ob der FC St. Pauli da mithalten kann.
Prognose: Daniel-Kofi Kyereh wird nächste Saison in einer höheren Liga spielen. Fragt sich nur, ob mit oder ohne den FC St. Pauli.

Keine allzu gewagte Prognose: Daniel-Kofi Kyereh wird nächste Saison in einer höheren Liga spielen.
(c) Peter Böhmer

In einer höheren Liga hat Guido Burgstaller lange Zeit gespielt. Zufrieden war er dort am Ende nicht mehr. Der Wechsel in die 2. Liga war, nach anfänglichen Schwierigkeiten aufgrund von Burgstallers Verletzung, die beste Entscheidung, die alle Seiten treffen konnten. Burgstaller trifft in einer Regelmäßigkeit, wie es lange Zeit vor ihm niemand mehr beim FC St. Pauli gemacht hat. Doch nicht nur das: Guido Burgstaller scheint auch eine wichtige Führungsrolle im Kader übernommen zu haben.
Burgstallers Vertrag läuft bis 2023. Dann ist er 34 Jahre alt. Sicher nicht alt genug, um ans Aufhören zu denken, aber aus Vereinssicht bereits alt genug, um ihm leistungsbezogene Verträge mit kurzer Laufzeit anzubieten? Will GB9 das überhaupt? Das könnte irgendwie alles uncool enden.
Prognose: „Ja, klar, der soll verlängern bis er 100 ist“ schreit das Herz! Die Vernunft aber sagt, dass man sich im Laufe der nächsten Saison mal ganz in Ruhe zusammensetzen sollte.

In dieser Saison bisher noch unterm Radar läuft Lukas Daschner. Das liegt selbstverständlich an seiner schweren Verletzung, die er sich zu Saisonbeginn zugezogen hat. Es war damit zu rechnen, dass Daschner in dieser Saison, ähnlich wie Afeez Aremu, seinen Durchbruch im FCSP-Trikot feiern würde. Hierfür bringt er alle, wirklich alle Anlagen mit. Lukas Daschner ist ein Versprechen für die Zukunft. Ihm ist zuzutrauen, dass er in die großen Fußstapfen auf der Zehner-Position treten kann, wenn es da zu Veränderungen kommt. Sein bis 2023 gültiger Vertrag sollte schleunigst verlängert werden.
Prognose: Wenn Daschner, Amenyido und Kyereh zeitgleich fit sind, dann wird der Konkurrenzkampf auf der Zehner-Position enorm hoch sein. Möglich, dass dann der ein oder andere den Klub mangels Spielzeit verlässt. Ich persönlich hoffe sehr, dass der Verein zeitnah mit Lukas Daschner verlängert.

Es war alles andere als ein leichtes erstes Jahr für Simon Makienok beim FC St. Pauli. Das Tief in der ersten Halbserie nahm der 30-jährige voll mit. Und im Gegensatz zum restlichen Team befand er sich auch in der erfolgreichen Rückserie in einem Tief. Makienok war ein wenig Opfer des erfolgreichen Sturm-Duos Burgstaller/Marmoush, schien von außen betrachtet aber auch wenig dagegen zu unternehmen. Dann kam die Sommer-Vorbereitung, die Verantwortlichen hoben Makienoks Leistungen hervor und zu Saisonbeginn stand er dann, auch aufgrund verletzungsbedingter Ausfälle, in der Startelf. Spätestens nach dem Derbysieg war es dann Zeit für eine Liebeserklärung. Denn so schwer das Zusammenfinden auf dem Platz auch war, neben dem Platz passen Simon Makienok und der FC St. Pauli perfekt zusammen.
Nun läuft sein Vertrag am Saisonende aus. Und meine Ansicht darüber, ob dieser Vertrag verlängert werden sollte, hat sich komplett geändert. Nicht nur aufgrund von Derby-Toren. Sein Auftritt zuletzt in Bremen zeigte sein Wert für das Team noch viel mehr.
Prognose: Wie auch Dittgen besitzt Simon Makienok Skills, die für den FC St. Pauli enorm wertvoll sind, weil sie niemand anderes im Kader mitbringt. Ob er aber über die Rolle eines Bankspielers hinauskommen wird, wenn alle anderen Offensivkräfte fit sind und ob er sich dauerhaft mit so einer Rolle zufriedengeben würde? Ich sehe dunkle Wolken am Horizont. Aber aus dunkeln Wolken kann sich ja auch ein Regenbogen entwickeln…

Klopft Simon Makienok auch in der nächsten Saison noch auf das FCSP-Wappen?
(c) Peter Böhmer

Keine Frage, der FC St. Pauli hat in der Offensive ein Überangebot an talentierten und guten Zweitliga-Spielern. Diese Qualitätsdichte wird nur ganz schwer zusammenzuhalten sein. Es wird zu Veränderungen kommen, sei es aufgrund nicht verlängerter Verträge oder der Rufe anderer Klubs. Die jetzige Konstellation sollte also bestmöglichst, mit größtmöglichem Erfolg, genutzt werden. Das würde auch die Chancen erhöhen, dass sie länger bestehen bleibt.

Die wichtigsten auslaufenden Verträge, die es beim FC St. Pauli gibt, sind nicht die von Ziereis, Lawrence, Buchtmann, Dittgen oder Makienok. Sowohl Timo Schultz, als auch die beiden Co-Trainer, Fabian Hürzeler und Loïc Favé, besitzen einen Vertrag bis Saisonende. Eine Verlängerung dieser Verträge sollte die deutlich höchste Priorität haben. Momentan freuen wir uns darüber, wenn Spieler langfristige Verträge haben. Das war vor wenigen Jahren noch anders, als wir wussten, dass Spieler mit gut dotierten Verträgen beim FC St. Pauli aktiv sind, aber der Verein nicht vorankommt.
Der Wert von Fußball-Trainern wird immer noch unterschätzt. Du kannst die schönste Ackerfläche, den tollsten Mähdrescher und das beste Saatgut haben – wenn der Bauer nicht weiß, wie er das Feld bestellen muss, dann wird das nichts. Klar wird Qualität auch eingekauft, aber die Weiterentwicklung von Spielern, so wie wir sie momentan sehen, sie geht vom Trainer-Team aus. Es gibt eigentlich keinen Spieler im Kader, der Rückschritte gemacht hat in der spielerischen Entwicklung. Das Niveau aller Spieler, auch derer, die schon länger im Team sind, wurde in den letzten Monaten enorm angehoben. Diese Leistung ist gar nicht hoch genug einzuschätzen.
Prognose: Es ist völlig utopisch, dass das Trainer-Team in dieser Konstellation noch Jahrzehnte zusammenarbeitet. Loïc Favé und Fabian Hürzeler sind jung und gelten als große Trainer-Talente. Beide werden ihren Fußball-Lehrer machen und dann selbst als Chef-Trainer arbeiten. Auch die Rufe, die Timo Schultz ereilen, werden nicht weniger, wenn es weiter so erfolgreich läuft. Gespräche über Vertragsverlängerungen werden sicher bereits geführt. Vielleicht male ich zu schwarz, aber: Wir können uns glücklich schätzen, wenn dieses Trio auch nächste Saison noch gemeinsam beim FC St. Pauli arbeitet.

//Tim

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4 thoughts on “Vertragssituationen beim FC St. Pauli: Angriff

  1. Danke für die interessanten Analysen.

    Ich kann mir nicht vorstellen, dass Bornemann aktuell offensiv das Thema Vertragsverlängerungen angehen wird. Für die wichtigsten Leistungsträger bestehen über die Saison hinaus laufende Verträge. Alle anderen müssen sich hintenanstellen. Und zwar so lange, bis man abschätzen kann, ob man für 1. oder 2. Liga planen muss. Machen wir uns nichts vor: Um in der 1. Liga zu überleben bräuchte man (noch) mehr Qualität.

  2. Rundherum eine gute, nachvollziehbare Einschätzung. Dank dafür!
    Es ist zur Zeit eine Freude, mit diesen Jungs in der Zweiten Liga zu sein. Kein Hamburger will bekanntlich Vierter werden. Aber ob’s für uns „oben“ reicht? Die Position der SpVgg Fürth im nächsten Jahr auszufüllen, ist kein erstrebenswertes Ziel.
    Ich hoffe, dass ich nach dem 18. Januar 22 etwas klüger darin bin, wo wir uns denn einordnen können. Und drei Tage später, nach dem 21. Januar, ist das mit der „Mentalität“ auch klarer.

  3. Trainerteam plus AB möglichst langfristig mit durchaus zukunftsfähigen Verträgen zu binden, sollte oberstes Ziel des Vereins sein. Das dieses Team Spieler aufbauen und weiterentwickeln kann ist spätestens seit 2021 zweifelsfrei erwiesen. Zufriedene Spieler, die dies wertschätzen werden bleiben und solche die sich zu anderen Vereinen hingezogen fühlen werden gehen. Daran können wir wenig ändern. Aber jeder leistungsgerecht verlängerte Vertrag eines sog. „Schlüsselspielers“ wird dem Verein dann eine attraktive Summe zuführen, die zur Weiterentwicklung der Mannschaft genutzt werden kann (und ich hoffe auch wird). Für diese Aufgabe wiederum vertraue ich dem aktuellen sportlichen Leitungsteam auf ganzer Linie.

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