Buchrezension: VfB Lübeck

Buchrezension: VfB Lübeck

Fußball hinterm Holstentor – St.Paulis Pokalgegner wird 100 – Nicht nur eine Buchrezension

Es ist ja nicht so, dass die sportliche Bilanz des FC St. Pauli gegen den VfB Lübeck einzig und allein aus dem blamablen und für viele FC-Anhänger traumatischen 0:6 am zweiten Zweitligaspieltag der Spielzeit 2002/03 bestand – der ersten Partie nach der Entlassung von Dietmar Demuth nach der 1:4-Auftaktpleite gegen LR Ahlen. Doch das Desaster im 1924 eröffneten Stadion an der Lohmühle unter Interimscoach Joachim Philipkowski blieb trotz des daraufolgenden 7:1-Heimsieges gegen Eintracht Braunschweig auch deshalb so krass in Erinnerung, weil die Partie, nach 17 Jahren Erst- oder Zweitklassigkeit, mit großen Trara schon zu Saisonbeginn den Abstieg St. Paulis in die dritte Liga einläutete.

Es gibt natürlich auch genügend andere Gründe, den VfB Lübeck als Fan des FC St. Pauli nicht zu mögen – ich erspare mir, die Vorkommnise der vergangenen Jahre an dieser Stelle aufzuzählen –, doch die sportliche Rivalität der vergangenen Jahrzehnte sollte eigentlich nicht dazuzählen. Denn die Ostseestädter sind seit der Saison 1947/48 quasi steter und stets interessanter Begleiter unseres FC gewesen, und oft hat man sich packende Begegnungen geliefert – zunächst in der damals erstklassigen Oberliga Nord (18 Partien), sowie seit 1964 in der zweitklassigen Regionalliga Nord (22), der drittklassigen Amateur-Oberliga Nord (8), der 2. Bundesliga (Saison 2002/03) und zuletzt von 2004 bis 2007 drei Jahre in der drittklassigen RL Nord. Rein statistisch sind wir in diesen Punktpartien ein paar deutliche Siege vor (27/15/14 = 114:79 Tore).

In den bisherigen drei Pokalbegegnungen St. Paulis gegen die Lübecker hat Hamburg übrigens ebenso die Nase statistisch vorn: Am 29. September 1963 siegte der FC St. Pauli anlässlich des Nordeutschen Pokals (Quali für den DFB-Pokal) auswärts mit 2:1, am 28. Oktober 2003 verlor man in der zweiten Runde des DFB-Pokals am Millerntor mit 2:3 nach Verlängerung, und am 19. August 2016 obsiegten die Guten an der Trave mit 3:0. Tja, und heuer, anlässlich des 100-jährigen Vereinsjubiläums des VfB, gilt es, diese positive Pokal-Datenlage weiter auszubauen.

Wer sich eingehender mit der Historie des 1919 gegründeten VfB Lübeck zu befassen gedenkt, dem sei das kürzlich im Werkstatt-Verlag erschienene Jubiläumsbuch ans Herz gelegt, das nicht nur die Anfänge des VfB, sondern überdies die fußballerische Erweckung des schleswig-holsteinischen Städtchens zum Ende des vorletzten Jahrhunderts grundsätzlich darstellt. Angereichert wird der angenehme Geschichtsunterricht mit einigen Statistikkolonnen und mehr als 1.000 Porträts von Spielern, Trainern sowie Funktionären. Unvermeidlich, dabei auch etliche bekannte Namen aus dem Kosmos des FC St. Pauli zu entdecken: bspw. Helmut Schulte (1995/96 Manager dort), Michael Lorkowski (1994-1996 Trainer), Andreas „Boller“ Jeschke (1987-1989 Stürmer), Peter Nogly (1985-1989 Verteidiger, 1986-1989 Spielertrainer), Bernd Hollerbach (2006-2007 Trainer), Jörn Schwinkendorf (1996-1997 Verteidiger), Markus Aerdken (1995-1997 Stürmer), Georg Volkert (1992-1993 Manager), Michael Dahms (1991-1992 Mittelfeld).

Als Gründungsjahr wurde seinerzeit übrigens 1919 festgelegt, weil der VfB 1945 als Rechtsnachfolger des höchstwahrscheinlich (lange galt der 1. April 1919 fälschlicherweise als Gründungstermin) am 28. August 1919 gegründeten und 1933 verbotenen Arbeitervereins BSV Vorwärts Lübeck fungierte. Ältester noch existenter Fußballklub Lübecks ist der VfB damit übrigens nicht, denn als dieser gilt der jahrzentelange Stadt- und Ligarivale 1. FC Phönix Lübeck, dem das Gründungsdatum 13. Januar 1903 zugeordnet wird. Heute kicken die Phönix-Jungs nach frischem Aufstieg in der fünftklassigen Oberliga Schleswig-Holstein.

Mit Autor Christian Jessen ist ein ausgewiesener Fachmann am Start gewesen, der als Sportjournalist (leitet seit 2001 die wöchentliche Fußballzeitung „Nord Sport“) und Fußballhistoriker arbeitet und somit den nötigen Ernst und das notwendige Wissen in seine umfangreichen Recherchen hat einbringen können.

Zum Schluss soll nicht unerwähnt bleiben, dass der Autor dieser Zeilen seine heutige Gattin am 3.10.1999, also vor fast genau 20 Jahren, bei der Regionalligapartie von St. Paulis 2. Mannschaft gegen den VfB Lübeck kennengelernt hat. Es war das allererste Aufeinandertreffen der beiden Teams überhaupt, St. Pauli war vor der Begegnung mit sechs Punkten Tabellenvorletzter und Lübeck mit 19 Zählern Tabellenzweiter. Dennoch gewannen die Braunweißen am Millerntor durch zwei Treffer von Christian Rahn und einem von Deniz Baris vor 2.100 Zuschauern mit 3:1.

Und weil’s immer so schön gegen den VfB Lübeck ist: Am 17. August gastiert St. Paulis U23 an der Lohmühle zum Regionalliga-„Derby“.

Christian Jessen: „VfB Lübeck. Ein Jahrhundert Fußballgeschichte in der Hansestadt!, Verlag Die Werkstatt, ISBN 978-3-7307-0460-8, 368 Seiten, 34,90 Euro

// Ronny

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