„Es geht hier um nationalsozialistische Kampfvorbereitungen“ – Einblicke in die rechtsextreme Kampfsportszene

„Es geht hier um nationalsozialistische Kampfvorbereitungen“ – Einblicke in die rechtsextreme Kampfsportszene

Ein Buch über militante Neonazis im Kampfsport und ihre Verbindungen zum Rechtsterrorismus zu lesen, ist keine lockere Abendunterhaltung. Ich habe es getan und meine es sollten noch viele mehr tun. Denn rechte Gewalt bedroht uns alle. Robert Claus hat ein Buch zu der Entwicklung der extrem rechten Kampfsportszene in Europa geschrieben. Hierzu habe ich mich mit ihm unterhalten.
(Titelbild: Belltower News)

Das Buch „Ihr Kampf – Wie Europas extreme Rechte für den Umsturz trainiert“ ist vor wenigen Tagen im Werkstatt-Verlag erschienen. Neben den Ausführungen von Robert Claus, der seit Jahren u.a. zu den Themen Menschenfeindlichkeit und Hooliganismus recherchiert und publiziert, gibt es noch einige Gastbeiträge, vor allem zu rechtem Kampfsport im europäischen Ausland. Im Umfeld des FCSP ist Robert Claus sicher nicht unbekannt: Einige haben ihn z.B. 2017 auf einer Lesung aus seinem Buch „Hooligans“ in den Fanräumen kennengelernt.

Robert, du schreibst in Deinem Buch „Ihr Kampf“ davon, wie erheblich sich in den letzten Jahren die rechtsextreme Kampfsportszene entwickelt hat. Wie kommt es zu dieser Entwicklung?

Historisch gesehen ist die Faszination an Gewalt und Kämpfen in der extremen Rechten gar nicht neu. Schon in der Hitlerjugend wurde viel geboxt. Allerdings kommen in den vergangenen Jahren zwei zentrale Entwicklungen zusammen: In den Debatten um Flucht und Migration haben extrem rechte Organisationen europaweit das rassistische Narrativ etabliert, das weiße und christliche Europa sei durch muslimische und nordafrikanische Migration bedroht. Zitate dazu gibt es von der AfD in groben Mengen.
Neonazis trainieren also Kampfsport für rassistische Gewalt und wollen zudem vom stark gewachsenen Kampfsport- und Fitnessmarkt profitieren. Sie haben hierzu eigene Studios, Kleidungslabel und Kampfsportevents gegründet. Der jährlich stattfindende „Kampf der Nibelungen“ (KdN) zum Beispiel hat sich seit seiner Gründung im Jahr 2013 zum größten Kampfsportevent der militanten Neonaziszene in Westeuropa entwickelt und versteht sich als „Kampfsport für weiße Europäer“.

2014 erlangte HoGeSa durch eine Demo in Köln zweifelhafte Berühmtheit. Wie eng sind Hooligan-Gruppierungen mit der rechten Kampfsportszene verknüpft?

Zwar verstehen sich nicht alle Hooligans in Deutschland als rechts, doch sind die Verknüpfungen vielfältig. HoGeSa war einer der ersten großen rassistischen Aufmärsche gegen Migration in der damals hochkochenden Debatte, kurze Zeit später wuchs Pegida rasant an. Zudem war die größte deutsche Nachrichtenseite der Hooliganszene „Gruppa OF“ 2018 Partner des KdN. Auch haben Hooligans aus vielen deutschen Städten auf dem KdN gekämpft, so dass man sagen kann: Der rechte Teil der Hooliganszene ist der zentrale Rekrutierungspool für die militante Neonaziszene. Trennlinien sind zuweilen schwer zu ziehen, gemeinsam professionalisieren sie ihre Gewalt.

Du schreibst ganz bewusst von einer internationalen Entwicklung der rechten Kampfsportszene. Wie vernetzt sind extrem rechte Kampfsportler international?

Wir sprechen von einem europaweiten Netzwerk. Denn ähnliche Veranstaltungen wie den KdN gibt es in Ungarn, Frankreich, Griechenland und der Ukraine. Auch das Sponsorennetzwerk dahinter hat diese Reichweite. Regelmäßig besuchten sich die Kader und Organisationen in den letzten Jahren. Das ist eine wichtige Entwicklung: Denn noch vor 15 Jahren konnten deutsche Neonazis mit ihren osteuropäischen Kameraden wenig anfangen. Doch die Szene hat sich internationalisiert. Der Kampfsport – und auch RechtsRock – dienen als niedrigschwellige Aktivitäten für eine Szene, die durch ihre Gewalt und ihren rassistischen Hass verbunden ist – mittlerweile in Europa auch über nationalistische Konflikte hinweg.

Eine genaue Abschätzung ist sicher schwer. Trotzdem: Wieviele Personen würdest Du in Deutschland zu rechten Kampfsportgruppen, Gyms, etc. zählen?

Zuallererst können wir festhalten, dass keine Behörde in Deutschland einen Überblick hat, wieviele Kampfsportgyms und Fitnessstudios es generell in Deutschland gibt. Auch das ist ein Problem bezüglich Gegenstrategien. Aber zu deiner Frage: Zur Kernorganisation des KdN gehören knapp 20 Neonazis, zum engeren Umfeld circa 100. Zum KdN 2018 kamen knapp unter 1.000 Zuschauer und auf Instagram folgen ihnen mehr als 7.000 Accounts. Die Behörden gehen in der gesamten Bundesrepublik von 13.000 gewaltorientierten Rechtsextremisten aus, sehr viele davon finden sich im Kampfsport. Wenn man dann noch die internationalen Netzwerke und Szenen dazu zählt, kommt man auf beängstigende Zahlen.

Das zentrale Event ist der „Kampf der Nibelungen“. Welche weiteren Events und wieviele gibt es?

Der KdN ist ja nicht nur das eine Event, sondern hat eine sog. Kampfgemeinschaft gegründet, zu der bundesweite Nazilabels und militante Kameradschaften wie das Baltik Korps aus Mecklenburg-Vorpommern gehören. Sie führen Kampfsporttrainings und -seminare durch. Zu dieser Kampfgemeinschaft gehört auch das Tiwaz aus dem Raum Chemnitz. Das ist das zweite streng nationalsozialistische Kampfsportevent in Deutschland, es fand wegen Corona 2020 aber nicht statt.
Eines dürfen wir jedoch nicht vergessen: Neben diesen beiden klaren NS-Events gibt es auch kommerzielle Mainstream-FightNights, die sich viel zu wenig von Neonazis abgrenzen und sie regelmäßig für Kämpfe engagieren.

Es wirkt als wenn sich durch den Kampfsport neben der Musik ein weiterer niedrigschwelliger Einstieg in die rechte Szene etabliert hat. Womit wirbt die extrem rechte Kampfsportszene?

Das ist eine ihrer wichtigsten Funktionen: Neben der Finanzierung der politischen Arbeit, dem Training der politischen Gewalt und den ganzen Netzwerken, die sich darum entwickeln, dient der Kampfsport als niedrigschwelliges Angebot für Menschen, die an der Szene interessiert sind. Es ist kein Zufall, dass RechtsRock und Kampfsport verbunden werden, z.B. durch Kämpfe auf Musikfestivals. Dadurch entsteht eine extrem rechte Eventkultur, deren zentrale Eckpfeiler gewalttätige Männlichkeit und hasserfüllter Rassismus sind.

Die Verbindungen der rechten Kampfsportszene zur AFD, dem „III. Weg“ oder der „Identitäten Bewegung“ werden in Deinem Buch deutlich aufgezeigt. Wieviel politische Macht würdest Du der rechten Kampfsportszene zurechnen?

Um das zu beurteilen, muss man die gesamte Entwicklung der vergangenen Jahre in den Blick nehmen. Besonders deutlich wird es an den Ereignissen in Chemnitz im Spätsommer 2018 und deren Nachgang: Im August und September des Jahres kam es zu extrem rechten, rassistischen Großaufmärschen, in denen von der AfD über die IB bis hin „Adolf Hitler Hooligans“ alles dabei war. Von den Großaufmärschen fühlte sich die Gruppe „Revolution Chemnitz“ dazu motiviert, für den 03.Oktober 2018 einen bewaffneten Umsturz anzuzetteln. Auch der mutmaßliche Mörder des CDU-Politikers Walter Lübcke gab vor Gericht an, von den Chemnitzer Aufmärschen zu seiner Tat motiviert worden zu sein.
Die Tatsache, dass der KdN am 13. Oktober 2018 mit knapp 1.000 Zuschauern sein bisher größtes Event veranstaltete, ist ebenso eine Folge daraus. Der Kampf- und auch Wehrsport der militanten Neonaziszene sind also ein wichtiger Baustein in der gesamten Szenerie der extremen Rechten in Deutschland und Europa.

Es gibt aber durchaus Unstimmigkeiten innerhalb der rechten Szene: Während einige Kampfsportler komplett auf Alkohol und Drogen verzichten (Straight-Edge) ist der Konsum teils elementarer Bestandteil rechtsextremer Events. Wie passt das zusammen? 

Fragen von Elite und Masse haben nationalsozialistische Politik und Organisation schon seit hundert Jahren beschäftigt. Insofern haben solche Konflikte eine lange Tradition. Zusammen geht es vor allem durch das gewalttätige Männlichkeitsideal, den Hass auf Demokratie und politische Gegner sowie das Interesse am Geschäft. Neonazis werden auch weiterhin ihre faschistischen Körper- und Gewaltideale inszenieren. Doch solange die Euros fließen, werden vielfach Abstriche gemacht. Bei allem, was ich gerade erzählt habe, sollten wir ja auch nicht denken, dass alle Neonazis durchtrainierte Kampfsportler sind. Viele sind das nicht, ihre Ideologie bleibt dennoch gefährlich.

Welche Gegenwehr aus der breiten Landschaft des Kampfsportes gibt es zu Neonazis?

Das ist sehr unübersichtlich. Grundsätzlich können wir ja festhalten, dass Nazis im Kampfsport bei weitem keine Mehrheit sind. Denn viele Menschen unterschiedlicher Herkünfte und Geschlechter trainieren in den verschiedenen Disziplinen, um ihr Körpergefühl zu steigern, Fairness und ein achtungsvolles Miteinander zu leben.
Nur bleibt die im Kampfsport vermittelbare Gewaltkompetenz für Gruppen wie Nazis, aber auch Rocker und Islamisten interessant. Deshalb ist es ein wichtiger Schritt, dass sich die beiden deutschen MMA-Verbände – GEMMAF und GAMMAF – klar und deutlich in öffentlichen Statements gegen den KdN positioniert haben. Jenseits dessen bedarf es weiterer Anstrengungen zur Prävention von Gewalt und Diskriminierung auf dem breit gefächerten Kampfsport- und Fitnessmarkt.

Zuletzt wurden mehr und mehr Kampfsportevents der rechten Szene verboten. Wie geht es weiter?

Eines finde ich ja interessant zu beobachten: Einerseits kommunizieren extrem rechte Kampfsportler ihre Militanz und Gewalt über Instagram offen in die Szene. Andererseits versuchen sie nach außen, ihren Sport als heimatorientierte Bewegungsspiele zu verharmlosen, um Verboten zu entgehen. Aus dieser Schere kommen sie auch nicht raus. So hat der Staat den KdN 2019 verboten und dessen Vorbereitungen 2020 mit einer Razzia gestört. Letztlich werden Gerichte klären müssen, inwiefern behördliche Verbote hier Substanz haben. Dabei sollten sie immer im Blick behalten: Es geht hier um nationalsozialistische Kampfvorbereitungen.

Anmerkung: Der „Kampf der Nibelungen“ hat übrigens letztes Wochenende stattgefunden. Allerdings „nur“ als Stream, der dann auch vornehmlich ältere Kämpfe zeigte. Und aufgrund der aktuellen Entwicklung wird es das Event womöglich in gleicher Form nie wieder geben. Das ist sicherlich eine gute Nachricht, ändert aber nichts daran, dass es weiterhin rechte Kampfsportevents und Kampfsportler geben wird.

// Die Fragen an Robert Claus stellte Tim

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