16 aus 7 statt 9 aus 14 – Was ist anders beim FC St. Pauli?

16 aus 7 statt 9 aus 14 – Was ist anders beim FC St. Pauli?

Um es vorweg zu nehmen: Ich tue mich richtig schwer damit anhand von Statistiken zu erklären, warum der FC St. Pauli die letzten Spiele viel erfolgreicher gestaltet hat, als den Großteil der Spiele davor. Aber es gibt einige kleine Hinweise auf Veränderungen.
(Titelbild: Peter Böhmer)

Viele Daten, wenig Aussagekraft

(sämtliche Daten von WyScout)
16 Punkte hat der FC St. Pauli aus den letzten sieben Spielen geholt. Nur neun waren es aus den 14 Spielen davor. Entsprechend hat sich aus einem stark kritisierten ein hochgelobtes Team entwickelt. Zurecht? Jein. Denn eine klare Verbesserung der Spielweise oder der Spieler selbst ist nicht unbedingt vorhanden und die Gründe für den Aufschwung anhand von Statistiken zu benennen ist gar nicht mal so einfach.

Ich könnte hier jetzt alles runterrattern, was ich mir an Daten angeschaut habe. Passquoten, Pässe ins Offensivdrittel, Anzahl Positionsangriffe, Ballbesitz, Ballgewinne, Pressingintensität, Dribblingraten, Vorwärtspässe, undundund… alles schön und gut, um die Stärken einzelner Spieler zu beschreiben. Allerdings zeigen diese keine signifikante Veränderung in der jetzigen Phase im Vergleich zu den ersten 14 Spieltagen. Komisch?

Defensive Stabilität?

Grundsätzlich wird von einer gesteigerten defensiven Stabilität geschrieben und geredet. Durchschnittlich 1.6 Gegentore in den letzten sieben Spielen stehen 1.9 Gegentore aus den 14 Spielen zuvor gegenüber. Das ist eine ganz leichte Verbesserung. Diese kommt auch dadurch zustande, dass der FCSP inzwischen mit einer seit sieben Spielen unveränderten Formation und nur selten veränderten Viererkette agiert. Kontinuität bringt Stabilität. Aber wie drückt sich das aus?

Ein großes Manko der Defensive war immer wieder die fehlende Zweikampfstärke. Hier zeigt sich eine leichte Verbesserung der Quote: In den ersten 14 Saisonspielen gewann der FC St. Pauli 58.3% seiner Defensiv-Zweikämpfe. Seit Spieltag 15 sind es 62.2%.

You say Stabilität – I say Eric Smith
(c) Peter Boehmer

Beeinflusst die Kontinuität und verbesserte Zweikampfführung auch den entscheidenen Faktor, die Anzahl und Güte der Torschüsse?
Mmhh, da wird es etwas diffuser mit der Stabilität. Denn der FC St. Pauli hat in den ersten 14 Spielen durchschnittlich 13.9 Torschüsse zugelassen, seitdem sind es 13.6 pro Spiel. Liest sich das wie gesteigerte Stabilität?

Ein Blick in die xG-Werte (expected Goals) offenbart da schon mehr: Der durchschnittliche gegnerische xG ist von 1.9 pro Spiel in den ersten 14 Spielen auf 1.7 in den letzten sieben Spielen gesunken. Klingt nicht nach viel, ist es auch nicht, ergibt zusammen mit der leicht gesenkten Anzahl an gegnerischen Torschüssen eine Gegentorwahrscheinlichkeit von aktuell 12% pro Torschuss, während diese zuvor bei 14% lag. Defensiv hat sich der FCSP also leicht verbessert. Und offensiv?

Offensive Qualität!

Sehr viel klarer wird das Bild in der Offensive eigentlich auch nicht. Eine Verbesserung bei der Quote der offensiven Duelle ist nicht vorhanden. Auch keine Verbesserung der Passquoten im vorderen Drittel. Die einzige signifikante Veränderung: Der FC St. Pauli hat seine Anzahl an Kontern verdoppelt (gegnerische Konter wurden verringert, aber nicht so erheblich wie eigene Konter erhöht wurden). Wirkt eher nebensächlich, aber hat durchaus eine recht hohe Wirkung auf das Spiel.

Auch bei den eigenen Torschüssen zeichnet sich ein ähnliches Bild ab, wie bei den gegnerischen Torschüssen: Der FCSP schoss in den letzten sieben Spielen fast genauso häufig auf das gegnerische Tor, wie vorher auch (12.6 aktuell vs. 12.7 Spieltag 1-14). Gefühlt sind es mehr Torabschlüsse geworden, die Realität zeigt aber anderes.

Aber auch offensiv ist eine leichte Veränderung in den xG-Werten zu erkennen. Der eigene xG-Wert pro Spiel ist von 1.7 auf 1.9 gestiegen. Die Torwahrscheinlichkeit pro Torschuss stieg damit von 13 auf 15%. Haut uns das jetzt von den Socken? Nicht wirklich.

Es gibt also eine leichte Steigerung der xG-Werte offensiv und ein leichtes Absenken des gegnerischen xG-Werts, ohne, dass die Torschüsse sich signifikant verändert haben. Wie aber kommt es, dass der FCSP zuletzt 2.3 Tore pro Spiel erzielte, während es bis zum 14. Spieltag nur 1.2 Tore waren?

Es wird Euch nicht verwundern, denn es bestätigt unser Gefühl: Die Offensive ist qualitativ stark verbessert. Das drückt sich ganz brutal in den Zahlen aus. Der FC St. Pauli hat in den ersten 14 Spielen etwa zehn Torschüsse für einen Torerfolg gebraucht (9.4% aller Schüsse führten zum Torerfolg um genau zu sein). Nun sind es nur noch etwa fünf (19.3% landen im Tor). Eine immense Verbesserung.

Kaum schreibt hier jemand von offensiver Qualität, purzelt hier ein Burgstaller-Bild zwischen den Text…
(c) Peter Boehmer

Einfach mehr (Spiel)Glück?

Warum braucht der FCSP nur noch halb so viele Torschüsse, um zum Torerfolg zu kommen? Ist das pures Glück? Ein bisschen vielleicht, aber es spielen auch andere Faktoren eine gewichtige Rolle: Allgemein ist die Torwahrscheinlichkeit der Torschüsse erhöht worden (von 13 auf 15%). Natürlich spielt die Art und Weise des Angriffs eine Rolle: In Kontersituationen (wovon es mehr gibt) ist die Geschwindigkeit allgemein höher, was unvorteilhaft für Defensivreihen ist (und meist in xG-Modellen nicht berücksichtigt wird).
Natürlich, und das ist aus meiner Sicht der wichtigste Punkt, spielt auch die Qualität der Angreifer eine große Rolle. Seit dem Spiel zuhause gegen Kiel (der Startpunkt der Serie von 16 Punkten aus sieben Spielen) steht das offensive Dreigestirn Burgstaller-Marmoush-Kyereh gemeinsam auf dem Platz. So einfach kann es sein. Und die machen aus einer Torwahrscheinlichkeit ihrer Schüsse von 15% aktuell zu 19% Tore. Das ist, vor allem im Vergleich zu vorher (13% pro Schuss, 9% conversion rate) schon ein deutlicher Zuwachs.
Da kannst Du als Trainer den besten Matchplan, das ausgeklügelste Pressing, die perfekte taktische Ausrichtung haben, den größten Einfluss auf ein Fußballspiel hat schlicht und einfach die Qualität der Spieler auf dem Platz. Und die scheint sich offensiv geändert zu haben.

Es ist also nicht alles „durcherklärbar“ mit Statistiken. Das ist gut so, denn sonst wäre es ja auch etwas langweilig. Die meisten Statistiken zeigen keine Veränderung oder nur eine geringfügige. Allerdings: Wenn es geringfügige Veränderungen gab, dann waren es ausschließlich Verbesserungen. Ich habe keine Statistik gefunden in der der FCSP schlechter geworden ist.

Alles Kopfsache?
(c) Peter Boehmer

Grundsätzlich ist die ergebnistechnische Verbesserung ohne eine große statistische Veränderung ein Anzeiger dafür, dass an den Spieltagen 1-14 nicht alles schlecht war und seitdem auch nicht alles gut ist.
Der FC St. Pauli holt aktuell Punkte in Spielen, die er vermutlich in der Hinrunde noch verloren hätte. Die späten Tore in Hannover und Heidenheim zum Beispiel oder das der Vorsprung gegen Sandhausen und Nürnberg über die Zeit gebracht wurde. Diese Qualität ist eher nicht messbar. Es ist nicht messbar, dass die Spieler im Kopf auf einem ganz anderen Level zu sein scheinen. Das lässt sich nur an Ergebnissen messen, bekanntlich ja die relevanteste aller Messgrößen.

Mir isses ehrlich gesagt auch ein wenig schnurz, was genau nun besser zu funktionieren scheint, solange es besser funktioniert. Wir sollten uns aber nicht von den aktuellen Ergebnissen zu sehr blenden lassen, der FC St. Pauli ist noch weit davon entfernt richtig stabilen Fußball jederzeit abrufen zu können. Aber es scheint, sowohl mit dem Kopf als auch mit den Beinen, in die richtige Richtung zu gehen.

// Tim

Alle Beiträge beim MillernTon sind gratis. Wir freuen uns aber sehr, wenn Du uns unterstützt.

MillernTon auf BlueSky // Mastodon // Facebook // Instagram // Threads // WhatsApp // YouTube

Print Friendly, PDF & Email

12 thoughts on “16 aus 7 statt 9 aus 14 – Was ist anders beim FC St. Pauli?

  1. Ein weiterer (nicht beeinflussbarer) Faktor in 2021 ist aus meiner Sicht bislang auch mehr Glück bei strittigen Schiedsrichterentscheidungen: Pfeift der Unparteiische jetzt gegen Nürnberg in der 95.Minute beim Einsteigen Stojanovics oder gegen Hannover in der 85.Minute abermals beim Einsteigen Stojanovics (gegen Weydandt) gegen uns, kannst du auch mal gut mit nur einem (statt drei) bzw. keinem (statt drei) Punkten vom Feld… Beides glaube ich spielentscheidende Situationen, in denen man durchaus auch gut Elfmeter geben kann, ich mich aber auch nicht beschweren möchte, dass dies nicht getan wurde 😉

  2. Moin Tim,

    ich finde, Du hast mit den Kontern da schon eine interessante Entwicklung herausgearbeitet, die man auch an den Spielen nachvollziehen kann. Wenn wir das Spiel machen müssen, sind wir nicht deutlich besser geworden (siehe z.B. erste Hälfte gegen Sandhausen oder die Zeit nachdem Bochum den Führungstreffer gegen uns erzielt hat), aber wenn wir kontern können (z.B. direkt nachdem Sandhausen offensiv gewechselt hat), werden wir deutlich gefährlicher. Da hat sicher auch geholfen, dass wir häufig in letzter Zeit in Führung gegangen sind, so dass der Gegner etwas mehr öffnen musste.

    Noch eine andere Frage: Liefert einer Deiner Anbieter die Packging Rate (inklusive überspielter Verteidiger) zufällig mit? Die Statistik würde mich nochmal interessieren.

    Forza

    Jan

  3. Das ist doch alles Quatsch. Das Geheimnis ist, dass die Mannschaft das neue Trikot schon unter der Rüstung trägt.

    Im Ernst, vielen Dank für die Analyse. Optisch habe ich ja den Eindruck, das mit dem neuen Trio wieder mutiger und flacher gespielt wird. Also im Gegensatz zu der Phase „hoch auf den (trabenden) Sturmtank“. Erkennt man das in den Zahlen, flach vs. hoch? Du hattest ja auch angemerkt, dass Finn Ole optisch nicht so auffällig ist, aber mit die besten Passquoten aufweist. Das wäre nämlich ein Fazit: FOB spielt jetzt mit Omar genialere Risikopässe, von denen viele in der Hinrunde noch zum Bumerang geworden wären. Nun sind sie eingespielter und die wenigen Fehlpässe gleicht Mister Smith aus.

    1. Eine Unterscheidung zwischen hohen und flachen Pässen habe ich nicht gemacht. Das wird bei WyScout meines Wissens nach auch nur annäherungsweise möglich sein (lange Pässe = hohe Pässe, was ja definitiv nicht immer stimmt).
      Aber ja, wenn Simon Makienok auf dem Platz stand, dann war der Fokus teilweise schon ziemlich stark im Offesnsivspiel. Allerdings werden auch weiterhin hohe Bälle gespielt, mit dem Unterschied, dass die offensive Dreierreihe nicht unbedingt das Kopfballduell sondern eher den zweiten Ball gewinnen möchte. ich würde daher mal vermuten, dass der Anteil an hohen Bällen sich gar nicht so sehr verringert hat.

  4. Danke für die erneut gute Analyse!

    Mein Gefühl ist, dass das was Du November/Dezember 2020 geschrieben hast stimmte. St. Pauli spielt gut, ist aber ein massiver Underperformer (xGoals zu Goals etc.)
    Genauso ist es jetzt eine gewisse Overperformance, daher sieht man es in den getrennten Statistiken der beiden Zeitscheiben nicht. Ich finde jetzt eure Statistik-Ecke nicht, aber aktuell würde ich erwarten, dass St. Pauli weder Under- noch Overperformer über die gesamte Saison ist. Wobei, wenn man sich die letzten 7 Spiele ansieht eher zu den Overperformern zählen müsste. Wobei natürlich das letzte Spiel den xG-Wert gepuscht hat.

    1. Ja, so ist es. Zumindest die xG-Werte weisen den FCSP aktuell als Überperformer und vor Weihnachten als starken Unterperformer aus. Daher ist auch keine signifikante Änderung der Spielweise zu erkennen. Die Frage ist nun noch, wer für die Überperformance verantwortlich ist. Da kommt dann ziemlich schnell die Qualität in der Offensive ins Spiel. Zusätzlich ist es natürlich schwer zu trennen zwischen „glücklich“ gewonnen und gewonnen aufgrund der „richtigen Einstellung“, da es einfach nicht messbar ist.

  5. Liebe Freunde und Mitzecken,-innen Natürlich freue ich mich auch, aber die neu gefundene Spiellust, und man kann wirklich wieder Spiele unsere magischen Fc`s gucken, ohne Gefahr eines Herzinfarktes zu sein. Es wirkt seit geraumer Zeit wieder runder und nicht so chaotisch im Spiel. Das hat natürlich viele Gründe. Ein lautstarker Torwart, der qualitativ keine Verbesserung zu Himmelmann darstellt , aber egal. Eine Innenverteidigung , die sich langsam zu finden scheint.
    Smith fegt von den 16 die Bälle weg, ist sehr kopfball und zweikampfstark, sehr aktive 6er mit Fin und Zalazar.
    Ja und vorne wuseln Kyrey und Marmoush neben einen starken Dirigenten Burgstaller herum.
    Vor allem ist das Selbstbewusstsein zurück, wo im ersten Halbjahr 6 Meter Pässe ins Aus gespielt wurden, klappen jetzt viele Dinge fast von allein. Auch wenn die Saison noch lang ist, glaube ich , wir können ein wenig entspannter, mit viel Freude in die anstehenden Begegnungen gehen. Wünsche Euch allen alles Gute, freue mich auf ein Widersehen nach der Pandemie, alles Liebe , Pogo

  6. Das doch alles Quark. Die neuen Trikots sind verkauft und endlich konzentrieren sich alle wieder auf Fußball. Den Faktor hast du vergessen.

    Aber ernsthaft, es ist doch schön, dass alle Statistiken den Aufschwung nicht wirklich abschließend erklären können. Das am Ende noch immer etwas Glück dazugehört. Und sicherlich auch die Qualität der einzelnen Spieler und wachsendes Selbstbewusstsein. Mein Gefühl ist, das derzeit alles etwas schneller und genauer abläuft und dadurch Vorteile in den nachfolgenden Aktionen entstehen. Sagen die Statistiken dazu etwas?

    1. Jein. Es gibt eine leichte Tendenz zu mehr Offensivaktionen. Das deutet meiner Ansicht nach daraufhin, dass der Fokus mehr auf Umschaltspiel gelegt wird und das durchaus mehr riskiert werden kann vorne, da, auch dank Smith, etwas mehr Gleichgewicht im FCSP-Spiel ist.
      Ist aber eher mein Gefühl als statistisch nachweisbar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert