Bundesliga am Scheideweg: Rückschritt oder Fortschritt? – Interview mit Prof. Dr. Henning Zülch

Bundesliga am Scheideweg: Rückschritt oder Fortschritt? – Interview mit Prof. Dr. Henning Zülch

Die ersten finanziellen Auswirkungen der Pandemie sind bereits spürbar, aber es ist sicher, dass nahezu alle Bundesliga-Klubs in naher Zukunft enorme Probleme bekommen werden, ihre Finanzen aufgrund der Corona-Pandemie in den Griff zu kriegen. Die DFL hat heute den „Wirtschaftsreport 2021“ veröffentlicht. Aber wie konnte es soweit kommen? Und welche Notwendigkeiten und Möglichkeiten gibt es, damit die Klubs zukünftig besser aufgestellt sind?
Hierzu habe ich mit Prof. Dr. Henning Zülch gesprochen, der sich intensiv mit den wirtschaftlichen Konstrukten in und den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Fußball-Bundesliga befasst hat.

(Titelbild: Tim Groothuis/Witters/Pool via Peter Böhmer)

Herr Prof. Dr. Zülch, Mitte letzten Jahres hat der kicker verlauten lassen, dass 13 der 36 Klubs der 1. und 2. Bundesliga als finanziell „gefährdet“ einzustufen sind. Was vermuten Sie, hat sich diese Zahl inzwischen erhöht oder verringert?

ZÜLCH: Wir können davon ausgehen, dass die Situation immer noch sehr dramatisch ist. Die Verlautbarung des kicker Sportmagazins war ja zu Beginn der Pandemie. Es dürfte also nicht besser, sondern eher schlechter geworden sein. Viele Klubs haben reagiert durch strukturelle Veränderungen, indes sind wichtige Erlösquellen wie Ticketeinnahmen weggebrochen. Ich denke aber insgesamt, dass sich die Zahl nicht erhöht hat. Die, die es betrifft, sind aktuell nur in einer noch angespannteren Situation. Entscheidend wird der Kassensturz zum Ende dieser Saison, zum 30.06.2021, sein.

DFL-Chef Christian Seifert hat gesagt, die Auswirkungen durch die Pandemie seien in der letzten Saison ein „laues Lüftchen“ gewesen, nun komme „der Sturm“ – Sehen Sie diesen Sturm auch kommen?

ZÜLCH: Absolut. Da hat Herr Seifert die ganze Sache noch sehr beschönigend ausgedrückt. Die gegenwärtige Saison kann gerne als Katastrophensaison bezeichnet werden. Dies nicht, weil der FC Bayern sich anschickt, zum neunten Mal hintereinander Meister zu werden, sondern weil diese Saison mit voller Wucht von der Pandemie getroffen wird. Waren es in der vergangenen Saison nur einige wenige Spiele, die vor leeren Rängen stattfanden, ist es diesmal nahezu die gesamte Saison. Sponsoren überlegen, ihre Verträge nicht zu verlängern. TV-Gelder werden sukzessive gekürzt. So bringt der neue Fernsehvertrag ab der kommenden Saison über eine Laufzeit von vier Jahren den Klubs in dieser Zeit ca. 1,1 Mrd. EUR weniger als zuvor. Transfererlöse können zudem gar nicht oder nur in verminderter Höhe erzielt werden. Das ist schon eine dramatische Situation und Entwicklung, mit der die Klubs künftig zurechtkommen müssen.

„Die Ursachen werden nicht behandelt, nur die Symptome der Krankheit.“

Viele sehen in der Pandemie einen massiven Wettbewerbsvorteil für Klubs aus Wolfsburg, Leverkusen, Leipzig und Hoffenheim, da diese aufgrund ihrer Struktur Planungssicherheit hatten und weiterhin haben. Ist das so?

ZÜLCH: Grundsätzlich könnte man sagen, dass die genannten Klubs Planungssicherheit aufgrund ihrer sogenannten starken Sponsoren haben. Aber die Pandemie trifft doch auch die Unternehmen im Hintergrund mit voller Wucht, so dass die Gelder nicht mehr so sprudeln werden – wenn überhaupt – wie zuvor. Für mich liegt der Wettbewerbsvorteil aber nicht im Geld, sondern im Know-How, welches diesen Klubs zur Verfügung gestellt wird. Das sind nicht nur Investitionen in Beine, sondern in Steine und Infrastruktur sowie Brainpower. Dies ist ein elementarer Wettbewerbsvorteil künftig und gibt Stabilität.

Zur Person:
Henning Zülch ist Inhaber des Lehrstuhls Accounting and Auditing an der HHL Leipzig Graduate School of Management. In seiner Forschung beschäftigt sich der gebürtige Dortmunder neben der Finanzmarktkommunikation mit der Übertragbarkeit betriebswirtschaftlicher Grundprinzipien auf die erfolgreiche Führung von professionellen Sportklubs.

Gerade die 2. Bundesliga ist im Vergleich zur 1. Bundesliga zu einem größeren Teil von Zuschauer-Einnahmen abhängig. Ist die Pandemie aufgrund des Fehlens von Zuschauer-Einnahmen ein Treiber der ohnehin schon klaffenden finanziellen Lücke zwischen Erst- und Zweitligisten?

ZÜLCH: Wenn wir uns mal die genauen Zahlen anschauen, so ist festzustellen, dass der Anteil der Einnahmen aus dem Ticketverkauf an den gesamten Umsatzerlösen in der 1. Liga ca. 13% beträgt und in der 2. Liga ca. 17%. Das ist in beiden Ligen folglich nicht unwesentlich. Treiber der Umsatzerlöse sind indes die TV-Gelder mit 37% Anteil an den gesamten Umsatzerlösen in der 1. Liga und 32% in der 2. Liga. Ich glaube aber nicht, dass durch die ausbleibenden Ticketeinnahmen die finanzielle Schere zwischen der 1. und 2. Liga weiter auseinandergehen wird. Wir müssen alle einmal begreifen, dass die Ligen leistungsorientiert aufgebaut sind. Und optimale Leistung kann ich nur erzielen, wenn ich professionell in allen Bereichen – auch dem Management – aufgestellt bin. Diese hohe Professionalität lassen sehr viele Klubs vermissen – je weiter man nach unten kommt. Dies führt letztlich dann auch zu den angeführten Wettbewerbsnachteilen… und dies hat nur bedingt etwas mit Geld zu tun.

Um den Fortbestand zu gewähren, haben einige Klubs KfW-Kredite beantragt und genehmigt bekommen. Der richtige Weg?

ZÜLCH: Diese Art der Kredite ist kurzfristig die einzige Möglichkeit, den Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten. Sie sind alternativlos und stellen die kurzfristige Zahlungsfähigkeit der Klubs sicher. Nur mittel- bis langfristig verschärfen sie unter Umständen die Situation. Denn auch diese Kredite müssen über einen Zeitraum von vier bis fünf Jahren zurückgezahlt werden. Das bedeutet aber, dass das Geschäftsmodell Bundesliga mit seinem Spielbetrieb weiter so läuft wie vor Corona. Das können doch alle vergessen. Folglich werden neue Schulden angehäuft, die die finanzielle Situation in der Zukunft weiter belasten. Die Ursachen werden somit nicht behandelt, nur die Symptome der Krankheit.

Denken wir die Bundesliga mal weiter: Die Pandemie ist vorbei und die Bundesligisten dürfen wieder vor Zuschauer:innen spielen. Geht es weiter wie bisher oder sehen Sie langfristige Folgeschäden für die Liga und einzelne Klubs?

ZÜLCH: Die Liga hat schon jetzt ein massives Glaubwürdigkeitsproblem, welches sich durch die anhaltende Veränderungsunwilligkeit und auch impliziten Forderungen einiger Klubvertreter manifestiert. Der Fan als solcher liebt seinen Verein, aber er muss sich mit ihm identifizieren können. Diese Identifikationsfähigkeit verlieren die Klubs, wenn sie gegen die Lebensrealität handeln. Damit meine ich Folgendes: Ein Elternteil, welches in Kurzarbeit ist, und es gewohnt war mit dem Sohn oder der Tochter ins Stadion zu gehen und womöglich noch Dauerkarteninhaber ist, wird sich zweimal überlegen, ob es diese Investition weiterhin tätig. Warum? Die Spielergehälter, die Beraterkosten und vieles mehr haben sich von der Realität so weit entfernt, dass dies gerade in Krisenzeiten nicht mehr vermittelbar ist. Nach einer anfänglichen Euphoriewelle nach der Öffnung werden sich Teile der Fans zurückziehen. Und gerade diese Fans machen die Einzigartigkeit unserer Ligen aus. Dafür beneiden uns doch alle im Ausland. Die Klubs sind nun aufgefordert, ehrliche Angebote zu machen, um Fans und damit ihre Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen.

Ich habe wenig Ahnung von Ökonomie, aber gelernt, dass Investitionen sich besonders in Krisenzeiten lohnen. Die Bundesligisten dürften gerade jetzt für Investoren interessant sein, oder?

ZÜLCH: Investitionen lohnen sich immer, wenn eine erfolgversprechende Strategie existiert und die handelnden Personen glaubwürdig, integer und sachkundig sind. Schauen Sie doch mal, wo Sie so eine Kombination im Fußball finden. Das wird schwierig. Also: Fakt ist, dass die Klubs Geld brauchen. Dieses können Sie m.E. nur gezielt über strategische (langfristig gebundene) Investoren oder Sponsoren bekommen. Der Investor will dabei aber auch die Sicherheit haben, dass sein Geld nicht verbrannt wird. So müssen alle im Klub an einer langfristigen Strategie arbeiten, die finanzielle Stabilität, sportlichen Erfolg und Identifikation schafft: ein sog. Cultural-Fit. D.h. aber auch, dass die Klubs sich in der Organisation, im Management, eigentlich überall professionell und unternehmerisch aufstellen müssen. Anders wird es künftig nicht funktionieren.

„Die Liga hat schon jetzt ein massives Glaubwürdigkeitsproblem.“

Sie haben kürzlich für eine Modifizierung der 50+1-Regel plädiert. Warum?

ZÜLCH: Um es vorwegzunehmen: Die 50+1-Regel ist unser Aushängeschild, das Aushängeschild der Bundesliga. Es macht uns aus. Nichtsdestotrotz ist diese Regelung ein Flickenteppich, da so viele Umgehungen praktiziert worden sind. Ich plädiere für eine Modifizierung der Regelung, um sie rechtssicher zu machen und gleiche Rechte und Pflichten für alle Beteiligten zu schaffen. Wer hier mehr wissen will, kann gerne einmal in unseren Beitrag zur 50+1-Regel schauen (Ist die 50+1-Regel noch zeitgemäß?).

Steht eine Modifizierung von 50+1 nicht im krassen Gegensatz zu Ihrer Aussage „Der deutsche Fußball lebt von seiner Fankultur und der Stadionatmosphäre wie kein anderes Land.“, wo sich doch besonders die aktiven Fanszenen deutscher Klubs vehement für den Erhalt von 50+1 einsetzen?

ZÜLCH: Absolut nicht. Ich bin ja nicht gegen die Regel; nur sie ist handwerklich einfach schlecht. Das muss behoben und in Teilen an die Lebenswirklichkeit angepasst werden. Und sind wir doch einmal ehrlich: Gerade in den unteren Ligen üben doch Einzelpersonen bereits jetzt faktisch die Kontrolle über die Klubs aus, obwohl sie nicht die Stimmrechtsmehrheit haben. Die Realität führt uns vor Augen, wie absurd die Diskussion ist. Hier muss die Taskforce handeln und Vorschläge erarbeiten. Ganz einfach.

„Die TV-Geld – Verteilung ist nicht das Problem. Das System als solches ist krank.“

Vor gut einem Monat hat die „Taskforce Zukunft Profifußball“ eine Reihe von Handlungsempfehlungen an die DFL gerichtet, die von aktiven Fans im ganzen Land sehr kritisch aufgenommen wurden. Wie schätzen sie aus ökonomischer Sicht die Handlungsempfehlungen ein?

ZÜLCH: Das ganze Papier strotzt vor Ideen. Mir fehlt eine Priorisierung. Wenn ich etwas verändern will, muss ich mich fokussieren. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Taskforce dies wollte und am Ende aufgrund der unterschiedlichen Interessen auch konnte. Ich erhoffe mir gerade im Bereich „Finanzen“, dass man klare Empfehlungen auch mit Blick auf die Lizensierung abgibt, wie ein Weg aus der Krise gemeinsam von Liga und Klubs aussehen kann. Denn nur Taten können die Glaubwürdigkeitskrise der Liga überwinden.

Ebenfalls kritisch wurde die Bekanntgabe der Verteilung der TV-Gelder ab der kommenden Saison von Fans begleitet, da es nur minimale Änderungen in der Verteilung gibt. Dies wurde von DFL-Chef Seifert mit den Worten „es ist nicht die Zeit für radikalere Lösungen“ begleitet. Gab es keine andere Möglichkeit?

ZÜLCH: Sicherlich gab und gibt es andere Möglichkeiten. Wir dürfen nur nicht den Fehler machen und meinen, dass eine Gleichverteilung das Problem löst. Die unprofessionellen Klubs würden so bestärkt darin, so weiterzumachen wie bisher, und die professionellen Klubs, die sich das zum Teil hart erarbeitet haben, zweifeln an der Leistungsgerechtigkeit. Das geht nicht. Es ist Wettbewerb und Leistung muss sich auszahlen. Also: Die Verteilung ist nicht das Problem. Das System als solches ist krank. Wir brauchen vernünftige Rahmenbedingung und das nicht nur national, sondern auch international über UEFA und FIFA. Aber das können wir vergessen aus bekannten Gründen. Ein Dilemma existiert folglich.

Zu guter Letzt: Was möchten Sie unseren Lesern noch mit auf den Weg geben?

ZÜLCH: Fußball ist und bleibt die schönste Nebensache der Welt – gerade in Deutschland. Wir, die wir den Fußball lieben, sind nunmehr alle aufgefordert, auf Taten zu pochen. Der Fußball ist ein Geschäft, ist Teil des Entertainmentbusiness mittlerweile. Das sollten wir akzeptieren. Zugleich muss es uns aber gefallen, bzw. wir müssen uns mit ihm identifizieren können. Ist dies nicht mehr der Fall, müssen Veränderungen her. Fortschritt nicht Rückschritt ist gefragt.

Herr Prof. Dr. Zülch, vielen Dank für das ausführliche Interview.

// die Fragen stellte Tim

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One thought on “Bundesliga am Scheideweg: Rückschritt oder Fortschritt? – Interview mit Prof. Dr. Henning Zülch

  1. Interessantes Interview. Man muss nicht jede Schlussfolgerung mögen, aber allemal gutes morgendliches „food for thought“
    Herzlichen Dank und gerne mehr davon.

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