Vorbericht: Hannover 96 – FC St. Pauli (6.Spieltag, 21/22)

Vorbericht: Hannover 96 – FC St. Pauli (6.Spieltag, 21/22)

Am Samstag trifft der FC St. Pauli auf Hannover 96. Im Gegensatz zu vielen Aufeinandertreffen zuvor haben sich die Rahmenbedingungen stark verändert, denn der FCSP dürfte zumindest nicht als klarer Außenseiter in die niedersächsische Hauptstadt reisen. Das liegt zum einen an der eigenen Stärke, aber auch daran, dass sich Hannover 96 im Umbruch befindet und noch gar nicht klar ist, ob dieser erfolgreich ist.
(Titelbild: Peter Böhmer)

Alle 1139 Tickets für Gästefans sind verkauft. Die Fahrt von Hamburg nach Hannover ist recht kurz, aber lang genug, um das „Vor-dem-Spiel“-Gespräch von Michael mit Tobi vom Vorwärts nach Weit Podcast zu hören. Die Pressekonferenz des FC St. Pauli vor dem Spiel findet ihr hier.

FC St. Pauli: Wer kann spielen, wer fehlt?

Ziemlich ausgedünnt kam der Kader am Dienstag daher, als ich beim Training zuschauen konnte. Das lag leider nicht nur an den Spielern, die auf Länderspielreise waren. Mit Christopher Avevor, Igor Matanović, Sebastian Ohlsson, Etienne Amenyido, Lukas Daschner und Eric Smith (Leistenverletzung, die laut Schultz etwas länger dauern wird) fehlten auch mehrere Spieler, die die spielfreie Zeit nicht zum Auskurieren ihrer Verletzungen nutzen konnten. Somit dürfte es dem Kader weiterhin an Tiefe vor allem im Angriff fehlen, da einzig Maximilian Dittgen als Ersatz für das Duo Burgstaller/Makienok in Frage kommt.

Es ist natürlich eine super Bestätigung der Arbeit beim FC St. Pauli, wenn gleich fünf Spieler zu ihren Nationalteams eingeladen werden. Aber ich vermute, dass sich auch das auf den Kader in Hannover auswirken könnte. Dass Jackson Irvine beim FC St. Pauli behutsam aufgebaut wird und nach wenigen Einsatzminuten erst einmal rund um Globus reist und zwei Spiele über fast die komplette Spielzeit bestreitet, löste sicher nicht nur Freudentänze beim FCSP aus. James Lawrence ist zum Beispiel erst am Donnerstag mit dem Flieger gen Hamburg unterwegs gewesen, hat aber tags zuvor nicht für Wales gespielt. Eine gute Vorbereitung auf das Spiel am Wochenende sieht sicher anders aus.

Ist es nun gut aufgrund der Spielpraxis, dass Jackson Irvine um die Welt gereist ist? Oder ist das zu früh zu viel?
Immerhin gab es einigen Grund zur Freude für Irvine: Australien gewann mit ihm auf dem Platz die Spiele gegen China und Vietnam.
(Nikku/Xinhua/imago images/via OneFootball)

Hannover 96: Wer kann spielen, wer fehlt?

Erst einmal müssen wir schauen, welche Spieler überhaupt noch da sind, im Vergleich zur Vorsaison. Denn Hannover 96 hat in diesem Sommer einen ziemlich massiven Umbruch vollzogen.
Auf der Trainerbank hat nun Jan Zimmermann das Sagen. Der schaffte letzte Saison mit dem TSV Havelse den Aufstieg in die 3.Liga und übernahm im Sommer das Amt von Kenan Kocak. Ebenfalls verlassen haben den Klub einige Stammspieler aus der Vorsaison. Dabei handelt es sich eigentlich um die komplette zentrale Achse von Hannover 96: Stamm-Torwart Michael Esser wechselte nach Bochum. Stamm-Innenverteidiger Timo Hübers zog es nach einer beeindruckenden Saison zum 1. FC Köln. Der ebenfalls starke Stamm-Sechser Jaka Bijol (der im VdS übrigens wesentlich schwächer eingeschätzt wird) kehrte nach Leih-Ende zu ZSKA Moskau zurück. Stamm-Mittelfeldspieler Genki Haraguchi (16 Torbeteiligungen letzte Saison) ging zu Union Berlin und zuletzt wechselte Stamm-Stürmer Marvin Ducksch zum SV Werder Bremen. Ein ziemlicher Aderlass.

Im Gegenzug sind einige Spieler zu Hannover 96 gewechselt. Viele davon erst in den letzten Wochen. Lukas Hinterseer ist als Reaktion auf den Wechsel von Ducksch gekommen. Davor wechselte bereits der junge und hochtalentierte Maximilian Beier leihweise aus Hoffenheim nach Hannover. Luka Krajnc und Julian Börner sind neu in der Innenverteidigung. Im defensiven Mittelfeld sind Tom Trybull und Gaël Ondoua hinzugekommen. Die Lücke von Haraguchi soll im offensiven Mittelfeld mit Sebastian Ernst und Sebastian Kerk geschlossen werden.

Hat seit Saisonbeginn das Sagen an der Seitenlinie in Hannover: Jan Zimmermann
(c) Peter Böhmer

Ausfallen für das Spiel gegen den FC St. Pauli wird ganz sicher Tom Trybull. Der wurde positiv auf das Coronavirus getestet und befindet sich in Quarantäne. Ansonsten ist die Liste der Ausfälle richtig kurz, wie Jan Zimmermann auf der Pressekonferenz berichtete: Einzig Offensiv-Kraft Franck Evina ist neben Trybull sicher keine Option für das Spiel. Bei Florent Muslija müsse man schauen, wie er die Länderspiele verkraftet hat (er kam erst am Donnerstag zurück). Innenverteidiger Marc Lamti kehrt nach verordneter Quarantäne am Freitag wieder ins Training zurück.
Wieder einsatzfähig sind Niklas Hult, Sebastian Stolze und Maik Frantz. Letzterer wurde von Zimmermann bei der deutlichen Niederlage gegen Darmstadt schmerzlich vermisst auf der Sechser-Position.

Was hat Hannover zu bieten?

Bisher nicht sonderlich viel. Hannover 96 ist nach xG-Werten das schwächste Team der Liga. Das liegt daran, dass es das Team bisher nicht geschafft hat im letzten Drittel die Bälle zuverlässig zu den Mitspielern zu bringen (zweitmeiste Pässe ins Offensivdrittel gespielt, aber die schlechteste Quote (55%); zudem die niedrigste Flankengenauigkeit (22%)). So erklärt sich auch der Transfer von Lukas Hinterseer. Der dürfte auf dem Papier nicht unbedingt die Qualität von Marvin Ducksch haben, passt aber mit seiner Kopfballstärke sehr gut in das System von Hannover. Timo Schultz verweist auf der PK darauf, dass die Offensive von Hannover personell „hervorragend aufgestellt“ sei und meint, dass dieses Team „ihre offensive Wucht auf den Platz kriegen kann„, wenn sie besser eingespielt sind.

Die niedrigen Passquoten im letzten Drittel führen entsprechend auch dazu, dass Hannover 96 viele Bälle verliert, die drittmeisten der Liga um genau zu sein. Der FC St. Pauli hat im Training unter der Woche übrigens einen Trainingsfokus auf Umschaltmomente gelegt. Die vielen Ballverluste werden ein wenig mit der Zweikampfstärke in der Defensive ausgeglichen (beste Quote aller Zweitligisten). Ich frage mich bei der Vorbereitung auf das Spiel, ob der FCSP diese Stärke irgendwie umspielen kann. Timo Schultz: „Die Zweikampfstärke kommt vor allem dann zum Tragen, wenn das Team defensiv kompakt steht.“ – Er deutet an, dass das Sturmduo Burgstaller/Makienok sich „zu wehren wisse“ und auch, dass sie das Team von Hannover mit ihren Mittelfeldspielern „in Bewegung kriegen können„. Klingt nach einem klaren Plan.

Ein Spieler auf den es zu achten gilt, wird Lukas Hinterseer sein, wenn Hannover 96 auch weiterhin versucht mittels Flanken zum Torerfolg zu kommen. Die große Stärke von Neuzugang Sebastian Kerk sind Standards, da wird das bisher stabile Defensivverhalten des FCSP bei Standards sicher einem echten Härtetest unterzogen. Auf Standards legt Jan Zimmermann enorm großen Wert und ist damit „absolut noch nicht zufrieden„. Es ist davon auszugehen, dass Hannover 96 den Fokus klar auf diesen Situationen hat, vor allem, da es spielerisch bisher noch nicht so rund lief. Da ist es natürlich gut, dass die FCSP-Spieler sehr viel seltener foulen als noch in der Vorsaison (statt knapp 13 Fouls pro Spiel sind es nur noch etwa acht).

Viele richtig gute Spieler haben Hannover 96 in der Sommerpause verlassen. Einer ist allerdings geblieben: Ich persönlich bin ein Fan von Sei Muroya auf der Rechtsverteidiger-Position. Der spielt richtig gute Bälle in die Spitze und hat ein tolles Stellungsspiel. Für das Aufbauspiel allgemein ist es aber Neuzugang Julian Börner, den es zu beachten gilt. Der spielt deutlich die meisten Pässe im Team (und erheblich häufiger nach vorne als sein IV-Kollege Marcel Franke), ist enorm zweikampfstark und auch in der Luft präsent. Bester Zweikämpfer ist aktuell aber Offensivkraft Philipp Ochs, der sich womöglich mit Leart Paqarada einige Duelle liefern wird.

Standard-Situationen könnten ein zentrales Element beim Spiel in Hannover werden.
(c) Peter Böhmer

Keine mögliche Aufstellung

Timo Schultz verweist auf ein 4-3-3 in dem Hannover 96 spielt. Die Übergänge sind fließend, aber ich würde es eher als ein 4-1-4-1 bezeichnen (der Unterschied besteht aber aus Nuancen). Es ist auch möglich, dass es gegen den FC St. Pauli zwei Sechser bei Hannover geben wird, also ein 4-2-3-1 (so vermutet es Tobi im VdS-Gespräch). Ich wage allein schon aufgrund der vielen Neuzugänge keine Prognose zur personellen Aufstellung von Hannover 96.

Sehr viel mutiger zeige ich mich beim FC St. Pauli (aber das ist ja auch nicht schwer): 4-4-2 mit Raute, personell unverändert. Gründe für personelle Wechsel gibt es nicht. Auf der PK hat Timo Schultz klar gemacht, dass er mit Simon Makienok neben Guido Burgstaller plant. Afeez Aremu wird den verletzten Eric Smith erneut ersetzen und ich hoffe, dass er sich ebenso stabil zeigt wie gegen Regensburg.
Einzig auf der Rechtsverteidiger-Position könnte Luca Zander Jannes Wieckhoff ersetzen. Allerdings hat Wieckhoff gegen Regensburg einen guten Job gemacht und sich in der Länderspielpause den nötigen Feinschliff in der U23 geholt.

Gerade die Vorbereitung auf ein Team wie Hannover, welches viele Transfers erst vor kurzem getätigt hat, sei „ein bisschen schwieriger“, wie Timo Schultz berichtet. Denn viele Spieler seien noch nicht bekannt, weshalb die individuelle Vorbereitung nicht ganz so einfach sei. Der Trip nach Hannover dürfte aufgrund der Neuzugänge und der Länderspielpause auch ein wenig eine Reise ins Ungewisse werden.

Ja, Hannover 96 verfügt über eine hohe individuelle Qualität auf vielen Positionen, auch in der Offensive. Es erscheint zu diesem Zeitpunkt aber fraglich, ob sich das Team bereits gemeinsam auf dem Platz zurechtfinden wird. Davon war in den ersten Spielen nichts zu sehen und es könnte auch noch eine Weile dauern, bis das der Fall ist. So massive Umbrüche dauern eben etwas länger, das haben wir auf St.Pauli in der letzten Saison gemerkt.

Wenn wir davon ausgehen, dass in Hannover noch nicht jedes Zahnrad auf das andere passt, dann reist der FC St. Pauli als Favorit nach Niedersachsen. Denn eine hohe individuelle Qualität des Kaders allein wird Hannover 96 nicht reichen. Die bietet der Kader des FCSP nämlich auch.

Forza!

//Tim

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