FC St. Pauli  – Borussia Dortmund: Schiedsrichteranalyse

FC St. Pauli – Borussia Dortmund: Schiedsrichteranalyse

Es war viel los beim Pokalspiel zwischen dem FC St. Pauli und Borussia Dortmund. Zwischenzeitlich stark im Fokus: Harm Osmers, der die Partie als Schiedsrichter leitete. Wir haben beim MillernTon für zwei Tage Verstärkung bekommen und können uns daher die Schiedsrichter-Leistung mal genauer anschauen.
(Titelbild: Stuart Franklin/Getty Images/via OneFootball)

Juri ist Schüler und macht aktuell beim MillernTon ein dreitägiges „Schnupper-Praktikum“. Er hat großes Interesse an Taktik und Statistiken, welches wir dann beim Vorbericht zum Spiel gegen den HSV sehen werden, und er plant ins Schiedsrichterwesen einzusteigen. Damit ist die perfekte Grundlage geschaffen, um sich mal die Schiedsrichterleistung beim gestrigen Pokalspiel zwischen dem FC St. Pauli und Borussia Dortmund anzuschauen.

Schiedsrichter der Partie war Harm Osmers. Seine Asistenten waren Robert Kempter und Thorben Siewer. Der vierte Offizielle war Lasse Koslowski und im „Kölner Keller“ saßen VAR Sascha Stegemann und sein Assistent Christian Bandurski.
Osmers ist 36 Jahre alt, Diplom-Betriebswirt aus Hannover und seit 2001 Schiedsrichter. Bundesliga-Schiedsrichter ist er seit 2016 und seit 2020 ist er auch als FIFA-Referee im Einsatz. Osmers ist sehr erfahren, hat schon 71 Bundesligaspiele und 81 Zweitligaspiele geleitet. Zudem war er bereits in der Qualifikation für die Champions League und für die Weltmeisterschaften im Einsatz. Den FC St. Pauli kennt er gut und ist in dieser Saison bei den „wichtigen“ Spielen im Einsatz. Osmers leitete vor dem erfolgreichen Pokalspiel diese Saison schon Heimspiele des FCSP gegen Hansa Rostock und den HSV.

Ein leichtes Spiel aus Schiedsrichter-Sicht?

Das Spiel zwischen dem FC St. Pauli und Borussia Dortmund war zunächst für Harm Osmers leicht zu leiten, da überhaupt erst in der 23. Minute das erste Mal gefoult wurde. Der Schiedsrichter hatte das Spiel gut im Griff, keine härteren Fouls fanden statt und die Begegnung war insgesamt recht fair. In der 44. Minute unterband Eric Smith einen Konter der Dortmunder durch Thorgan Hazard mit einem Foul. Hier hätte man eine gelbe Karte geben können, da es sich um ein taktisches Foul handelte. Osmers entschied sich jedoch dagegen, offenbar wollte er keinen zu großen Einfluss auf das Spiel nehmen. Der Schiedsrichter bestach durch eine ruhige Körpersprache und eine unaufgeregte Kommunikation mit den Spielern. Generell wirkte er sehr selbstsicher. Ein faires Spiel ging mit 2:0 in die Pause.
Fünf Minuten nach Wiederanpfiff nahm der Schiedsrichter dem FC St. Pauli dann eine gute Kontergelegenheit, als er den Zweikampf zwischen Burgstaller und Witsel als Stürmerfoul auslegte. Bei Ansicht der Bilder ist klar zu erkennen, dass beide Spieler mit den Armen gegeneinander arbeiteten, jedoch zunächst Witsel. Diese Situation hätte durchaus für den FCSP entschieden werden können, schließlich wollte sich Burgstaller mit einer Armbewegung seines Gegners entledigen und traf Witsel dabei leicht im Gesicht, worauf dieser schnell zu Boden stürzte. St. Paulis Nummer 9 regte sich nach meiner Auffassung zu Recht über die Entscheidung des Unparteiischen auf.

Es folgte eine kurze Phase mit einigen kleineren Fouls und Nickeligkeiten, in der das Spiel sehr zerfahren war und kaum Spielfluss aufkam. Harm Osmers behielt seine unaufgeregte Haltung bei und hatte auch diese Phase gut im Griff. In der 56. Spielminute schoss Mats Hummels im gegnerischen Strafraum Jakov Medić aus kurzer Distanz den Ball an die Hand. Osmers ließ zunächst weiterlaufen, für St. Pauli entwickelte sich eine Konterchance, Hartels harmlosen Abschluss parierte Kobel sicher. Anschließend unterbrach der Schiedsrichter die Partie, um mit dem VAR zu kommunizieren. Dieser rief ihn zum Bildschirm, Osmers sah sich die Szene an, überlegte nicht lange und entschied auf Strafstoß. Eine umstrittene Szene, zumal der VAR ja nur bei klaren Fehlentscheidungen eingreifen soll. Der Eingriff des Videoschiedsrichters ist also strittig, der Elfmeterpfiff selbst lässt sich jedoch regeltechnisch belegen. Im offiziellen DFB – Regelwerk heißt es unter Punkt 12.1:

„(…)Ein Vergehen liegt vor, wenn ein Spieler den Ball mit der Hand/dem Arm berührt und seinen Körper aufgrund der Hand-/Armhaltung unnatürlich vergrößert. Eine unnatürliche Vergrößerung des Körpers liegt vor, wenn die Hand-/Armhaltung weder die Folge einer Körperbewegung des Spielers in der jeweiligen Situation ist noch mit dieser Körperbewegung gerechtfertigt werden kann. Mit einer solchen Hand-/Armhaltung geht der Spieler das Risiko ein, dass der Ball an seine Hand/seinen Arm springt und er dafür bestraft wird.(…)“

DFB: Fußball-Regeln 2021/2022

Jakov Medić vergrößerte seine Körperfläche durch den vom Körper weit abgespreizten Arm. Dies ließ sich auch nicht durch seine Körperbewegung rechtfertigen, da man bei einer Drehung den Arm nicht ausstrecken muss. Eine strittige Szene also, die vom Schiedsrichterteam abschließend betrachtet richtig bewertet wurde. Möglicherweise hat sich der Videoschiedsrichter aufgrund einer Fehlwahrnehmung Harm Osmers` eingeschaltet.

Harm Osmers beim Studium der Videobilder – Nach Ansicht dieser Bilder entschied er zurecht auf Elfmeter für den BVB.
(Stuart Franklin/Getty Images/via OneFootball)

Nach dem Elfmeter wurde das Spiel zunehmend hitziger. In der 63. Minute unterlief dem Spielleiter dann eine Fehlentscheidung: Nach einer Klärungsaktion von Lawrence versuchte Smith den Ball auf Kniehöhe mit dem Fuß aus dem Strafraum zu befördern, als Bellingham mit offener Sohle zum Ball ging und St. Paulis Sechser gefährlich am Fuß traf. Hier hätte der Unparteiische nach meinem Empfinden eindeutig eine gelbe Karte zeigen müssen, denn es war ein gefährliches Einsteigen des Mittelfeldspielers, was nach Definition der DFB-Regularien als „rücksichtslos“ einzustufen ist und daher mit einer Verwarnung hätte geahndet werden müssen.
Eine Minute später gab es eine ähnliche Szene, als Guido Burgstaller einen hohen Ball annehmen wollte und Akanji ihn dabei gefährlich mit hohem Bein am Spann traf. Auch hier wäre eine gelbe Karte keine falsche Entscheidung gewesen, wenngleich das vorherige Vergehen von Bellingham eher eine Verwarnung nach sich ziehen hätte müssen. Zu diesem Zeitpunkt drohte das Spiel dem Schiedsrichter zu entgleiten, die Partie wurde härter. Seit dem Elfmeter für Dortmund war es auf den Tribünen und auf dem Platz unruhiger, härtere Fouls folgten jedoch nicht mehr, sodass Osmers die Partie wieder in den Griff bekam. Einige Fouls gab es noch, die der Schiedsrichter mit gewohnt ruhiger Ausstrahlung kontrollierte. Offensichtlich hatte sich der Referee vorgenommen, ohne persönliche Strafen auszukommen, was in so einem Spiel nicht falsch sein muss, in zwei Situationen hätte er von dieser Linie jedoch abweichen können. Insgesamt war es keine schwierig zu leitende Partie mit 17 Fouls, ein guter Wert, da in einem Spiel der Bundesliga und 2.Bundesliga im Durchschnitt 22 Fouls begangen werden. Osmers bestach durch seine stets beibehaltene Ruhe, übertrieb es jedoch etwas mit seiner großzügigen Linie.

Aus Sicht aus des FC St. Pauli düfte Osmers gerne wieder ein Spiel am Millerntor leiten, unter seiner Leitung konnte der FCSP sowohl die beiden Derbys als auch das Pokal-Achtelfinale gewinnen.

//Juri

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4 thoughts on “FC St. Pauli – Borussia Dortmund: Schiedsrichteranalyse

  1. Moin Juri und herzlich willkommen im Millernton Team 😉

    Starke Analyse und schön geschrieben. Danke dafür. Ich freue mich schon auf den Vorbericht zum Derby-Sieg.

  2. Klasse geschrieben!
    Wie siehst du die Szene von Bellingham, als er Burgstaller deutlich nach dem Pfiff gegen das Schienbein tritt?
    Ich hielt es für eine bewusste Tätlichkeit, da Bellingham das ganze Spiel über sehr geladen und aggressiv wirkte.

    Grüße

    1. Die Szene ist sowohl im Stadion, als auch in der Analyse durchgerutscht. Maik hat das in der heutigen Lage bereits beschrieben: „Mit Gelb wäre er noch gut bedient gewesen.“

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