Doppel-Baustelle in der Defensive

Doppel-Baustelle in der Defensive

„Offense wins games, defense wins titles“ – wenn es nach diesem Sprichwort geht, dann dürfte der FC St. Pauli sich Stück für Stück aus dem Titelrennen verabschiedet haben. Denn die eigene Defensive hat sich zu einer echten Problemzone entwickelt. Es fehlt an Qualität – und generell an Spielern.
(Titelbild: Peter Böhmer)

Es ist gar nicht so lange her, da ergaben sich für das Trainer-Team bei der Auswahl der Spieler für die Defensive echte Luxus-Probleme. Denn sowohl Leistung, als auch Fitness-Zustand stimmten bei vielen Spielern. Inzwischen bietet sich den Verantwortlichen ein ganz anderes Bild: Die Defensive hat sich aufgrund einer Flut von Gegentoren und Verletzungen zu einer Doppel-Baustelle entwickelt.

Seit 13 Spielen ist es dem FC St. Pauli nicht mehr gelungen ein Spiel ohne Gegentor zu beenden. Von der Form der Hinrunde, besonders bei den drei Innenverteidigern James Lawrence, Philipp Ziereis und Jakov Medić, ist fast nichts mehr übrig. Letzte Woche hatten wir uns mal die schwache Bilanz bei Kopfbällen angeschaut. Am Boden sieht das zwar ein wenig besser aus, aber es wird auch bei diesen Daten deutlich: Die Innenverteidigung hat ein massives Problem. Das ist sicher zu einem gewissen Teil auch ein Problem der Spielweise, da die Verteidiger nicht selten schlicht überlaufen werden, aber die Qualitätsfrage muss hier klar und deutlich gestellt werden.

Gleiches gilt auch für die Rechtsverteidigung. Weder Sebastian Ohlsson, noch Luca Zander haben in dieser Saison überzeugen können. Das war eventuell auch in den Vorjahren bereits so, ist aber erst jetzt auffällig, da es auf der linken Seite mit Leart Paqarada einen Spieler gibt, der Woche für Woche zeigt, wie die Rolle eines Außenverteidigers ausgefüllt werden kann.
Ebenfalls seit Wochen mit unterdurchschnittlichen Leistungen unterwegs ist Eric Smith auf der Sechser-Position. Ich mache da keinen Hehl draus, dass ich ein großer Fan von seiner Spielweise bin. Aber das positive Bild vom Passspiel in die Offensive und des defensiven Zweikampfverhaltens hat in den letzten Wochen arge Risse bekommen.

Als wäre das Problem fehlender Leistungen nicht schon ein Problem mit genügend Sprengkraft für Aufstiegsambitionen, kommt nun noch ein weiteres hinzu: Ein Großteil der Defensive ist aktuell nicht voll einsatzfähig, fällt bereits langfristig aus oder droht langfristig auszufallen.

Rechtsverteidigung: 0 von 3

Auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Ingolstadt berichtete Timo Schultz, dass Sebastian Ohlsson definitiv ausfallen wird. Wie lange die Ausfallzeit beträgt, dürfte im Laufe des Donnerstags kommuniziert werden. Zudem ist mit Jannes Wieckhoff bereits ein weiterer Rechtsverteidiger seit Monaten nicht einsatzfähig. Somit bliebe nur noch Luca Zander übrig auf dieser Position. Aber ja, Konjunktiv: Zander hat am Mittwoch auch nicht trainieren können. Hinter seinem Einsatz steht ein dickes Fragezeichen. Als möglicher Ersatz stünde laut Schultz Niklas Jessen bereit. Der 18-jährige trainiert bereits längere Zeit bei den Profis mit und hat auch schon in Testspielen einen guten Eindruck auf dieser Position gemacht. Vielleicht wundern sich einige, dass ich hier nicht Adam Dźwigała als Option aufzähle? Dann schaut mal in den nächsten Absatz…

Adam Dzwigala im Trikot des FC St. Pauli im Spiel gegen Hannover 96
Adam Dźwigała dürfte in der Englischen Woche viele Einsatzminuten sammeln. Es fragt sich aber, auf welcher Position.
(c) Peter Böhmer

Innenverteidigung: 3 von 6

Denn in der Innenverteidigung ist die Personal-Situation ebenfalls kritisch. Christopher Avevor ist bereits seit mehr als einem Jahr raus und spielt in den Planungen überhaupt keine Rolle. James Lawrence hat Rückenprobleme und konnte ebenso wie Philipp Ziereis bereits länger nicht trainieren, weshalb ihr Einsatz gegen Ingolstadt mehr als fraglich ist. Damit bleiben im Team aktuell nur drei nominelle Innenverteidiger übrig: Jakov Medić, Adam Dźwigała und Marcel Beifus. Timo Schultz sagte, dass sowohl Beifus als auch Dźwigała für die rechte Abwehrseite eine Option sind. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass in Ingolstadt alle drei Innenverteidiger zum Anpfiff auf dem Platz stehen werden. Wer dann als Ersatz für Innenverteidiger auf der Bank sitzt, ist völlig unklar. Lars Ritzka hat in Verl letzte Saison auch als Innenverteidiger gespielt, dürfte aber eher ein absoluter Notnagel auf dieser Position sein. Grundsätzlich könnte ich mir auch Eric Smith als Innenverteidiger vorstellen, aber…

Defensives Mittelfeld: 1/2 von 3

Auch Eric Smith hat am Mittwoch nicht trainieren können und hinter ihm steht ebenfalls ein dickes Fragezeichen. Ein möglicher Ersatz für ihn auf der Sechs wäre Rico Benatelli, aber der war seit Anfang letzter Woche nicht mehr im Team-Training. Als Grund nannte Schultz, dass er „leicht kränklich“ sei. Einzig fitter nomineller Sechser im Kader ist Afeez Aremu. Wobei „fit“ in diesem Zusammenhang gar nicht klar ist. Denn Aremu hat gerade erst letztes Wochenende gegen Hannover überhaupt wieder die ersten Spielminuten gesammelt, nachdem er seit Anfang Dezember verletzt ausfiel. Es ist völlig unklar, wie Aremu die Belastung eines Pflichtspiels nach dieser langen Pause verträgt, zumal es ja gleich drei Spiele in einer Woche sind. Eine neue Rolle für Jackson Irvine wird somit immer wahrscheinlicher.

Marcel Beifus bei einer Passübung im Training des FC St. Pauli.
Es sieht stark danach aus, dass Marcel Beifus am Wochenende gegen Ingolstadt zum Einsatz kommen wird.
(c) Peter Böhmer

Alles nicht neu

Die Situation in der Defensive ist dramatisch. Zuerst passten die Leistungen nicht mehr und nun drohen etliche Spieler auszufallen für die so wichtige Englische Woche. In diesem Zusammenhang von „suboptimal“ zu sprechen ist maßlos untertrieben, „beschissen“ passt viel besser.
Timo Schultz betont, dass er den Spielern aus der 2. Reihe vertraut. Aber ihm bleibt auch nichts anderes übrig, als ihnen den Rücken zu stärken. Denn es deutet vieles darauf hin, dass er ihnen nicht nur verbal vertrauen muss, sondern sie auch auf dem Platz brauchen wird.

Der FC St. Pauli scheint ein wenig von den Geistern der Vergangenheit eingeholt zu werden. Denn die Probleme der Verletzungsanfälligkeit einzelner Innenverteidiger (Ziereis, Lawrence, Avevor) sind alles andere als neu. Auch die Qualitätsfrage ist nicht neu. Denn einzig Jakov Medić und Marcel Beifus (als Spieler, der sich erst noch entwickeln soll) sind im Vergleich zur Vorsaison hinzugekommen. Nun hat Medić nach klasse Start aktuell einige Schwierigkeiten auf dem Platz, der Rest vom „Stamm“ ist verletzt. Die Qualitätsfrage stellt sich also mehr denn je.

Das gilt insbesondere für die Rechtsverteidiger-Position. Auch hier war bereits bekannt, dass es mit Zander und Wieckhoff zwei verletzungsanfällige Spieler gibt. Zudem war bereits vor der Saison klar, dass Ohlsson die so wichtige Sommer-Vorbereitung verpassen würde. Und wie weiter oben im Text beschrieben, konnten diese drei Spieler bisher auch nicht zeigen, dass sie mit der linken Seite mithalten können. So wird natürlich jetzt die Frage aufkommen: Warum wurde da im Winter nicht reagiert? Oder besser: Hätte der FC St. Pauli in der Winterpause noch Verstärkung auf diesen Positionen benötigt? Anhand der aktuellen Situation würde ich diese Frage klar mit „Ja“ beantworten. Allerdings waren zur Zeit des offenen Transferfensters bis auf Avevor und Wieckhoff alle Spieler fit. Ein Transfer hätte wohl also hauptsächlich leistungstechnische Gründe gehabt (die Argumente dafür waren aber bereits zum Ende der Hinrunde vorhanden).

Timo Schultz und Andreas Bornemann dürften mit Blick auf die Defensive aktuell alles andere als zufrieden sein.
(c) Peter Böhmer

Es ist jetzt natürlich sehr leicht, diese Situation im Nachhinein zu bewerten. Ähnliches schrieben wir auch als klar war, dass der FC St. Pauli keinen Spieler mehr verpflichtet im Winter. Die Entscheidung auf Transfers zu verzichten mag jetzt im Nachhinein äußerst kritisch hinterfragt werden. Allerdings muss dabei auch berücksichtigt werden, dass der Verein zum Zeitpunkt des offenen Transferfensters erneut mit Geisterspielen klarkommen musste und die finanziellen Mittel alles andere als locker sein dürften.
Ganz sicher aber wird sich im Sommer vieles ändern in der Defensive: Die Verträge von Rico Benatelli, James Lawrence, Philipp Ziereis und Sebastian Ohlsson laufen aus. Überlegt mal, wen ihr davon halten wollen würdet.

Vorerst muss der FC St. Pauli darauf hoffen, dass Spieler sehr viel schneller und sehr viel fitter aus ihren verletzungsbedingten Pausen zurückkehren werden. Für das Ingolstadt-Spiel scheint es aber bei den meisten nicht zu reichen. Dort dürfte der FCSP personell auf letzter Rille in seiner Baustelle unterwegs sein.

//Tim

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3 thoughts on “Doppel-Baustelle in der Defensive

  1. Ich erinnere mich noch an das Interview mit dem GSN-Kontakt, der bei Medić einen Leistungseinbruch für diese Saison prognostiziert hat. Ist das eventuell genau dieser Einbruch, den Medić seit einigen Spielen hat?
    Damals haben wurde der Kommentar in dem Interview etwas weggelächelt (auch von mir) und auch Timo S. hat während „Still being T.S.“ (wenn ich mich recht entsinne) gesagt, dass das mit dem Leistungseinbruch bei Medić eher nicht passieren wird, weil die Ausgangsdatenlage einfach „falsch“ bewertet wurde, da er eben auch als Stürmer etc. gespielt hat.

    Mich würde nicht wundern, wenn wir gegen Ingolstadt im 3-5-2 auflaufen oder 3-4-3 auflaufen, versuchen den Knoten in der Offensive platzen zu lassen und vielleicht mit einem 4:4 vom Platz gehen.

  2. Da hilft wohl nur, den Gegner durch permanentes Toreschießen zu zermürben.

    Über Verlängerungen muss ich zum Glück nicht entscheiden, denn gerade James und Sebastian sind mir doch arg ans Herz gewachsen, weil sie eben mit selbigem voll dabei scheinen. Gerade Ohlsson wäre als defensiver Stabilisator so wichtig aktuell ….

    Aber – auch andere haben solche Sorgen und teilweise viele Ausfälle. Wir hatten da in der Hinrunde eben auch viel Glück. Hoffen wir, dass Aremu durchhält und dann wird das was ….

  3. Es wird einfach so sein, das Beifus nun ins kalte Wasser geschmissen werden muss -OK, Kurzeinsätze sogar mit nem Tor waren ja schon dabei. Ich hab, ohne es eben genau begründen zu können, ein gutes Gefühl was ihn betrifft. Dazu schätze ich mal, das Dzwigala Rechtsverteidiger spielen wird, hat er ja auch schon einigermassen OK gemacht. Nur wenn uns jetzt noch Einer ausfällt, meine Fresse, es ist eh schon dramatisch genug, und das in dieser Situation, wo wir dringend die Kurve kriegen müssen. Nützt ja nix, jetzt erst recht!

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