„Die Tränen der Giganten sind die Seen, in denen wir uns erkennen und erneuern.“
Das sind ganz normale Sätze, die ich denke, nachdem ich aufgewacht bin.
Von Thees Uhlmann // (Titelbild: Justus P.)
Lieber Jakov Medic, Du bist mit einer der Geilsten von der ganzen Welt.
Ich sag Dir jetzt mal was.
Leute, bei denen immer alles klappt, finde ich langweilig.
Es interessiert mich einfach nicht.
Scheitern und Verdammnis
Zum Beispiel dieser Satz jetzt hier:
„Meine intelligenten, braven Kinder spielen schon ganz schön gut Golf hinter unserem schönen, renovierten Haus, während mein gut aussehender Mann mit seinem Hybrid-Oldtimer die Auffahrt hochfährt und sagt, dass er jetzt noch mehr verdient im Anti-Atomkraft-Konzern!“
Es schnürt mir schon den Hals zu, wenn ich diesen Satz nur lese. Und ich habe ihn geschrieben.
Hingegen ganz anders ist folgender Satz:
„Jakov weinte nach dem Spiel, bei dem er ausrutschte, weil die Unionen den Rasen mit Rapsöl einschmierten, damit sie überhaupt gewinnen konnten, während ich schrie: ‚Lieber so, als Ihr!'“
Sowas lieben wir. Scheitern und Verdammnis. Charakterliche Stärke und emotionale Grenzenlosigkeit.
Ich sagte es ja schon immer: Wenn man weint, wringt sich die Seele aus. Und das ist ja auch gut so.
Ich kenne es genau so nur anders, lieber Jakov.
Beruflich mache ich Musik und das am liebsten auf Tour. Jeden Abend dasselbe, nur in einer anderen Stadt.
Genau wie Fußball.
Wenn das Konzert super war, stehen wir noch zusammen und freuen uns und grölen rum.
Wie beim Fußball.
Es gibt auch Fans, die freuen sich, wenn wir spielen. Dann klatschen sie und singen mit und trinken Bier dabei.
Wie beim Fußball.
Und dann steigen wir in einen Bus und fahren weg, vergessen den Ort in seiner Architektur und Geografie und fokussieren uns auf die nächste Stadt, ohne aber das Ergebnis des Abends zu vergessen.
Wie beim Fußball.
„Abgase hinterm Tourbus“ – Die neue Kettcar
Aber ich muss Dir eine Sache sagen.
Wenn ich lange auf Tour bin, dann kann ich das gar nicht glauben, dass ich das machen kann und darf, was ich so sehr liebe. Es ist eigentlich zu viel für meine Psyche. Die Freude darüber, dass ich das mache, ist zu groß, als das ich es eigentlich begreifen kann. Noch immer, nach all den Jahren.
Und es wird immer schlimmer!
Und dann, kurz bevor der Bus losfährt – und er fährt IMMER pünktlich los, da ist nix mit Rock ´n Roll, „Nur noch fünf Minuten!“ oder sowas – also kurz bevor der Bus losfährt, gehe ich manchmal einfach hinter den Bus, wo es so doll nach Abgasen riecht, dass man auf jeden Fall alleine ist und dann stehe ich da rum, mit einem Bier in der Hand und dann weine ich einfach. Okay, sagen wir es ehrlich, ich heule.
Ich stehe da rum, weiß nicht, welches Gefühl ich gerade habe. Ich weiß nur, dass es zu viel ist und ziehe den Rotz hoch und heule.
Dann hupt der Bus einmal und ich weiß, dass wir jetzt echt los müssen und dann komm ich in den Bus und alle wissen, was ich gemacht habe und ich weiß, dass mich meine Band genau so in den Arm nimmt, wie Simon Makienok Dich am Dienstagabend, auch wenn sie alle sitzen bleiben und mich anschauen und dann einer sagt: „Na, Uhliwitsch! Hast‘ wieder geheult?“ Und dann lachen wir alle. Aus Freundschaft und weil ich ein wenig einen an der Marmel habe.
Schön ist das immer.
Und deswegen bin ich auch so abgegangen, als ich dich und euch aus 1910 Metern Entfernung im Köpenicker Stadion gesehen habe.
Das wird einer meiner großen St. Pauli Momente meines Lebens gewesen sein werden. Das war mir in einer Sekunde bewusst. Und dafür möchte ich Dir danken.
Siegen wäre natürlich auch super gewesen, aber auf der anderen Seite… Scheiß` doch der Hund drauf!
Jemandem zu zusehen, während er das tut, was er liebt, ist immer super. Und wenn er dann noch scheitert und man ein universelles „FUCK OFF!“ spüren kann und die Seele einfach nicht mehr hinterherkommt, dann hat das für mich etwas Sakrales und Schönes.
Es macht uns zum Mensch und zur Person. Und ich finde es ganz toll, dass du diese Person bist, die für unseren geliebten Fußballverein Fußball spielt.
Solche Leute brauchen wir. Solche Leute brauchen wir alle.
Renne weiter, junger Jedi. Innenverteidige erneuert und mutig im Angesicht des Erlebten.
„It takes a Nation of Millions of Arschlöcher to hold you back!“ Frei nach Public Enemy.
Zehn Spiele haben wir noch und diese zehn Spiele werden Deine. Durch Verlust zum Ganzen.
Alleine in der Sonne zu stehen ist nach fünf Minuten langweilig. Aber zu elft die Sonne zum Scheinen zu bringen – das ist das, was es ist.
It is what it is!
Viel Glück, Jakov!
Immer der Deine, Dein Kumpel von hinter dem Bus!
Szene – News:
St. Pauli Grafik-Legende „Kriller“ (Ex-Splitter, Ex-Übersteiger, Erfinder des Millernton Logos!) war auch beim Pokalspiel in Köpenick und danach traf man sich durch Zufall noch in trauter Runde auf wirklich nur ein Bier in der Szene Kneipe „Köpenicker Bierstube“. Da gehen wir jetzt immer hin!
Unterwegs waren MillernTon fast komplett, Regierung, Torten-Dirk, Al Pacino von der Veddel und ich.
Treffe ich da den Kriller nach Jahren wieder und wenn man da dann so am Tresen ist und wenn man sich richtig freut dann kann man ja gar nix sagen außer:
„Ja geiiiiiiiel!“
und
„Ödi!“
und
„Du hier und nicht im Hard Rock Café Marzahn?“
und
„Ist das schön Dich endlich mal wieder zu sehen!“
Er sagte dann noch: „Hier, Kolumnen Foto von Dir mit Ewald… Hab ich erstmal den Schweißfleck von der Nase weggemacht, weil der aussah, wie ein Eiterpickel und die roten Augen hab ich auch retouchiert!“
Ich: „Was ist retouchiert?“
Er: „Weg gemacht!“
Ich: „Geil!“
Er: „Ich weiß!“
Und ich hab ihm nicht gesagt, dass er noch genau aussieht wie vor 20 Jahren und das er immer noch diesen jugendlichen Bewegungszyklus in sich hat, der mich total fasziniert. Unter 100 Menschen würde ich einen Kriller sofort erkennen bei „Wetten dass…?“.
Und irgendwie finde ich das WUN-DER-SCHÖN!
Ich habe zu viele Gefühle, aber es ist mir egal.
Mehr zum Union-Spiel nach dem Sieg gegen Karlsruhe.
Ein universelles Fuck off und viele Grüße an alle, die das hier lesen und an St. Pauli!
Euer Thees!
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{:}{:en}“The tears of giants are the lakes in which we recognise and renew ourselves“
These are fairly normal sentences which I think after I’ve woken up.
By Thees Uhlmann // (Cover picture: Justus P.)
Dear Jakov Medic, you are one of the coolest in the entire world.
I’ll tell you something now:
People who always achieve everything bore me out.
It simply doesn’t interest me.
Failure and Damnation
For example the following sentence:
„My smart and well-behaving children are playing quite good golf behind our beautifully renovated house while my handsome husband enters the driveway with his hybrid-old-timer just to tell me that he got a pay rise in his anti-nuclear company!“
I got a lump in my throat just by reading this sentence. Although I wrote it.
Whereas the following sentence is completely different:
„Jakov broke into tears after the match in which he slipped because Union had treated the pitch with rapeseed oil just to allow them to win at all, while I screamed: „Rather like this than you!”
That’s what we love. Failure and Damnation. Strength of character and emotional boundlessness.
I always told you: If you’re crying, your soul is cleansing. And that’s actually great.
I am absolutely familiar with that but just a little different, my dear Jakov.
I make music for a living and love doing that through touring. Every evening is the same but in a different city.
Just like footy.
If the gig was super, we gather a little, enjoy ourselves and start shouting.
Just like footy.
We also have fans who enjoy it when we’re playing. They start to clap, sing along and drink a beer while doing that.
Just like footy.
And then we climb into a coach and drive away, we forget the location, its architecture and geography and focus on the next city but without forgetting about the result of the evening.
Just like footy.
“Exhaust fumes behind the Tour-coach” – The new Kettcar album
But I have to tell you one thing.
When I am on tour for a long time, I can hardly believe that I am allowed to do what I’m doing and loving. It’s actually too much for my mental health. The pure joy about the fact that I am doing that is far too big for me to grasp. Still, after all those years,
And it’s getting worse!
And then, shortly before the coach hits the road – and it does always depart in time, there’s no rock ’n roll, no „five more minutes“ or something like that – so shortly before the coach departs, I sometimes simply walk behind the back of the coach where it smells a lot of exhaust fumes so that one is absolutely by oneself and then I just stand there holding a beer in my hand and simply start crying. Okay, let’s be honest, I cry my eyes out.
I am just standing there not knowing anything about my feelings. I only know that it’s too much for me so I sniff up the snot and cry.
Then, the coach’s hooter is going and I know that we really have to go now and then I enter the coach and everybody knows exactly what I just did and I know that my band is hugging me in the exact same way as Simon Makienok hugged you last Tuesday after the match, even so, they all remain seated and stare at me until someone says: „Hey, Uhliwitsch! Did you cry again?“ And then we all start laughing. Because we’re friends and also because we’re a little loony too.
That’s always beautiful.
And that’s why I went crazy when I saw you from 1910 metres away in Köpenick stadium.
This will truly have become one of the huge St. Pauli moments of my life. I knew it in a second. And that’s why I want to thank you.
Winning would have been also great but on the other hand: I don’t give a shit.
To watch someone doing what one loves is always super. And when he fails though and one can feel a universal „FUCK OFF!“ and the soul can’t cope any longer then that’s something sacral and beautiful for me.
It’s what makes us human and an individual. And I think it’s great that you’re that individual that plays footy for our beloved football club.
We need people like you. We all need people like you.
Keep on running, young Jedi. Do centre-back renewed and brave in the light of the recent events.
„It takes a Nation of Millions of Assholes to hold you back!“ Inspired by Public Enemy.
There are ten matches remaining and they will be yours. Through loss to the whole.
Standing in the sun all by yourself gets boring after five minutes. But letting the sun shine in a group of eleven – that’s what it is.
It is what it is!
Good luck, Jakov!
Always yours, your mate from behind the coach!
Scene – News:
St. Pauli graphics legend „Kriller“ (Ex-Splitter, Ex-Übersteiger, creator of the Millernton logo!) also was at the cup match in Köpenick and after the match, we met in a well-known group by accident for truly just one beer only in the scene-pub „Köpenicker Bierstube“. That’s where we always go from now on!
On tour were the MillernTon almost completely, the government, Tart-Dirk, Al Pacino of the Veddel and I.
So, I met Kriller there after a few years and when you meet at the bar, you can’t say anything else than:
„Well cooooooool!“
and
„Ödi!“
and
„You’re here and not in the Hard Rock Café Marzahn?“
and
„How great to see you again after all those years!“
He kept saying: You know, for your title picture for your column, the one with Ewald … I erased the sweat drop from your nose as it looked like a pimple and I also retouched your red eyes!“
Me: „What is retouch?“
Him: „Erase!“
Me: „Cool!“
Him: „I know!“
And then I told him that he’s still looking the same after 20 years and that he still possesses this special youth-like moving cycle which totally fascinates me. Amongst 100 humans I would recognise a Kriller instantly when competing at „Wetten dass…?“.
And somehow I think that’s absolutely BEAU-TI-FUL!
I have too many emotions but I don’t give a shit.
I’ll write more about the match at Union Berlin after the win against Karlsruhe.
A universal Fuck off and loads of greetings to all those who read this and to St. Pauli!
Yours Thees! (translated by Arne)
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