Kein Millerntor den Faschisten

Kein Millerntor den Faschisten

Das Stadion des FC St. Pauli, das Millerntor, soll Trainingsstätte während der EURO 2024 sein. Doch der Verein darf zumindest mitentscheiden, welche Teams auf unseren Rasen dürfen. Leider fallen aber auch zwei Fanturniere sehr wahrscheinlich aus.

Der ganze Vorgang ist durchaus komplex. Es geht um das große Thema „no borders, no nations“, es geht um die EM, teilnehmende Länder und die Möglichkeit, manchen davon per Hausrecht oder Klausel das Trainieren am Millerntor zu verbieten. Es geht darum, ob man sich als Verein, der in diesem Profibusiness mitschwimmt, derartigen Ereignissen komplett entziehen kann und welche Kompromisse notwendig sind – und dann geht es auch noch um zwei Fanturniere, die dann leider nicht stattfinden können.

The story so far

Die EM

Zeitsprung: Im September 2018 erhielt Deutschland den Zuschlag für die Austragung der EM 2024. Als einer der Austragungsorte wurde Hamburg ausgewählt, vier Gruppenspiele und ein Viertelfinale sollen im Stadion an der Müllverbrennungsanlage ausgetragen werden. Okay, es gibt da aktuell noch die ein oder andere Diskussion, aber das ist ein anderes Thema.
Erneuter Zeitsprung in den März 2022: (Twitter)

Ach Mensch, toll, der Philipp Lahm. „Emotionen, Vielfalt, Fankultur“, wie authentisch!
Lahm ist „Managing Director DFB-EURO GmbH“ und „Tournament Director UEFA EURO 2024“. Was genau also sollte denn ausgerechnet am Millerntor für die EM vorbereitet oder geplant werden? Dies verkündete er im Tweet noch nicht.

Kein Fussball…

Klar, wie schon in der Vergangenheit bei Länderspielen im Volkspark, soll das Millerntor auch bei der EM als Trainingsort zur Verfügung stehen. So weit, so normal. Professionelle Trainingsbedingungen, mediale und medizinische Infrastruktur, Kabinen, Sichtschutz, etc., dies alles ist am Millerntor gegeben.
Über frühere politische „Missverständnisse“ ist man inzwischen hoffentlich(!) hinweg. Wir erinnern uns: 2014 ließ der DFB vermeintlich politische Statements noch abkleben (Übersteiger Blog).

Kein Fussball… [zensiert] // (c) Peter Böhmer

Vetorecht für den Verein

Wie die Süddeutsche Zeitung (€) gestern veröffentlichte, hat sich der FCSP ein Vetorecht bei der Vermietung des Stadions einräumen lassen. Was das konkret bedeutet und auf welche Länder dies abzielt, bleibt abzuwarten. Aktuell sind ja noch nicht mal die Qualifikationsgruppen ausgelost, geschweige denn, dass die Teilnehmer des Turniers feststehen. Klar dürfte aber sein, dass dieses Veto bei Ländern wie Ungarn eher erfolgen dürfte als beispielsweise bei der Schweiz. „Nicht zu den Werten und Zielen“ des FCSP zu passen (SZ), dürfte bei Ungarn mit den recht offenen homofeindlichen und rassistischen Verhaltensweisen der Fangruppen und dem Verhalten der Regierung in den letzten Jahren leicht verständlich sein.

Was hingegen erstaunt: Laut SZ ist das Millerntor die einzige Spielstätte, die eine derartige Klausel vereinbart hat.
Was bitteschön läuft denn an den anderen 49 ausgewählten Trainingsstandorten schief, dass dies dort offensichtlich kein Thema war bzw. zumindest nicht ausreichend genug, um sich diese Klausel ebenfalls zusichern zu lassen? Die Proteste vor Ort sind quasi vorprogrammiert (zurecht).

No borders, no nations

Am Millerntor ist es ganz schwer vorstellbar, Ländern wie (beispielsweise) Ungarn hier eine Bühne zu bieten, wenn man es nicht muss. Das sind ja nochmal ganz andere Themenkomplexe als jüngst beim geplanten Pokalspiel von Teutonia gegen RaBa Leipzig, die machen schließlich „nur“ den Fußball kaputt.

Konsequent weiter gedacht, muss man hier natürlich die Rolle des FCSP im Profifußball generell hinterfragen. Sind Länderspiele überhaupt akzeptabel, wenn man „no borders, no nations“ weiter denkt? Auch wir heben zum Beispiel bei der Spielervorstellung von Johannes Eggestein seine Einsätze und Tore in den DFB-Jugendteams hervor. Der FCSP freut sich für Jackson Irvine, wenn dieser mit Australien die WM-Quali schafft. Ich freue mich sehr über die Erfolge der beiden Blindenfußballteams bei der Europameisterschaft.

Umgekehrt hat es aber seit Ewigkeiten kein Länderspiel mehr am Millerntor gegeben. Die Geschichte um ein abgesagtes Jugend-Länderspiel 1994 gegen England dürfte zumindest den Älteren noch in Erinnerung sein, auch wenn die Geschichte hier mit einem speziellen Datum noch etwas komplexer war. (Übersteiger Nr. 4 // Ballesterer)

Einige Fragen bleiben – aber getroffen hat man schon jetzt die Richtigen

Muss man als Verein überhaupt so einer Nutzung des Stadions zustimmen, weil man irgendwie „zum DFB“ dazu gehört? Oder könnte man sich hier auch komplett verweigern? Wie viel Geld ist da im Spiel? Gibt es ein Zugriffsrecht der Stadt aufgrund von „übergeordneter Wichtigkeit“? Und wenn die EM dann ansteht – wie entscheidet wer, welche Länder „okay“ sind und welche nicht? Fragen, auf die es nicht in jedem Fall sofort eine Antwort gibt.

Das Geld ist hier laut Stimmen aus dem Verein wohl eher zweitrangig. Es war wohl eher der politische Druck, der hier ein Zustimmen „alternativlos“ machte. Durch diese freiwillige Zustimmung erhielt man immerhin aber die Möglichkeit auf diese Klausel, die ein Veto für den Fall der Fälle möglich macht.

Wie in der SZ zu lesen war, hat Philipp „Emotionen, Vielfalt, Fankultur“ Lahm versucht, den FCSP dazu zu bringen, auf diese Klausel zu verzichten. Vergebens, zum Glück.
Wie wichtig sie sein wird, steht natürlich erst fest, wenn man weiß, welche Teams überhaupt in Hamburg trainieren müssen. Die Auslosung erfolgt erst Ende 2023. Schon jetzt aber kann man den Verein nur zu dieser Entscheidung beglückwünschen. Besonders dann, wenn man sich die Facebook-Kommentarspalten unter den Artikeln anschaut, die dieses Thema aufgreifen. Schwurbeltrottel jedweder Art versammeln sich, um mal wieder was von Toleranz zu schwafeln und dem FCSP Doppelmoral vorzuwerfen. Dabei wird dann übersehen, dass Toleranz kein Selbstzweck ist und diese insbesondere gegenüber Nazis oder auch totalitären Staaten überhaupt nicht sein muss, im Gegenteil.

Auch medial heulen bereits die richtig getroffenen Hunde, wie beispielsweise die Junge Freiheit. (Twitter)

Keine Fanturniere am Millerntor in 2024

Was damit auch klar sein dürfte: Sowohl das Fanclubturnier als auch das Antira werden im Sommer 2024 wohl nicht im Millerntor stattfinden können. Insbesondere für das Antira, welches im Zweijahres-Rhythmus seit 2004 durch Fanladen und Fanszene des FC St. Pauli in Hamburg organisiert und seit 2014 am Millerntor beheimatet ist, ist dies sehr schade. Denn 2024 wäre das 20-jährige Jubiläum zu feiern gewesen. „Emotionen, Vielfalt, Fankultur“ und so, wir erinnern uns.
Die Zeit zwischen Saisonende (und eventuell ja auch noch einer Relegation) und EM-Beginn Mitte Juni ist auch so schon zu knapp für die vereinsseitig vorgegebene Ruhepause für den Rasen. Schauen wir mal, ob sich bis dahin noch sinnvolle Alternativen auftun.

Fazit

Wenn man davon ausgeht, dass eine Komplettverweigerung der Bereitstellung des Millerntors keine realistische Option war, so ist die jetzige Lösung wohl die Beste. Sicher ist aber auch, dass diese „beste Lösung“ keine zufriedenstellende ist.

Außerdem steht zu erwarten, dass uns dieses Thema sicher noch ein paar Mal beschäftigen wird, ehe die EURO und ihre Begleitumstände dann endlich Geschichte sind.

Kein Fußball den Faschisten!
// Maik

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9 thoughts on “Kein Millerntor den Faschisten

  1. Moin, ja spannend,
    Für mich seit gestern so der Moment aha man kann der UEFA doch Bedingungen diktieren und sie akzeptieren sie.
    A) Was ist noch möglich
    B) wie schon geschrieben warum die anderen 49 nicht.

    Bei den anderen 49 vermutlich entweder wirtschaftlicher oder politischer Druck.

    Danke ans Präsidium und den Aufsichtsrat, dass sie uns in so eine gute Verhandlungspositoon gebracht haben.

    1. Ich würde ja vermuten, dass die allermeisten der anderen 49 gar nicht auf die Idee gekommen sind, was a) möglich ist und b) wer da im Zweifel in zwei Jahren so vor ihrer Tür stehen könnte.
      Insofern umso richtiger, was Du im letzten Satz schreibst.

    2. Moin Torben,
      wenn ich den SZ-Artikel richtig verstehe hat der Verein auf Grund des politischen Drucks der Fanszene die Klausel in den Vertrag genommen. Also ohne uns bunte Menschen, das Herz von Sankt Pauli, wären wir Nummer 50… ich hoffe doch dass andere Fangruppen sich ein Beispiel nehmen und auch in Zukunft auch andere Vereine sich klar antifaschistisch positionieren.
      Pete

      1. Moin Pete,
        ich verstehe es so, dass wir Aufgrund von Druck der Politik nicht hätten nein sagen können. Und durch unser Verhandeltes Ja jetzt bessere Optionen haben. Der Druck aus der Fanszene wäre später sicherlich gekommen, wenn z.B. Ungarn sich angekündigt hätte

  2. Moin,
    erstmal vielen Dank für den Artikel. in den Kommentarspalten verschiedenster Medien liest man ja meist nur von Unverständnis oder sogar Wut über die Haltung des FC Sankt Pauli. Und ja, es gibt da auch einige positive Stimmen.

    Im verlinkten Ballesterer Artikel bin ich aber über ein Zitat von Wolfgang Niersbach gestolpert:„80 Prozent der amerikanischen Presse sind in jüdischer Hand. Da werden die Ereignisse in Deutschland seismographisch genau notiert.“ (https://ballesterer.at/2017/11/11/das-spiel-das-es-nie-gab/)
    Liegt es an meinem linksversifftem Weltbild oder ist die Aussage wirklich so schauderhaft und möglicherweise antisemitisch zu lesen da ja eine jüdische quasi Monopolstellung in der amerikanischen Presse angedeutet wird?

    Immerhin lässt sich dann doch auch einfacher erklären warum unter Wolfgang niersbach als DFB-Präsident Antifaschismus aus dem Millerntor verschwinden sollte…

    Schade nur dass das Antira nicht gebührend seinen 20. „Geburtstag“ feiern kann

    Alerta
    Pete

    1. Ich denke, das Niersbach-Zitat lässt wenig Interpretationsspielraum.
      Ich glaube zwar auch, dass ein DFB-Präsident so einen Satz im Jahre 2022 nicht mehr sagen würde und man zur Kenntnis nehmen sollte, dass es aus 1994 ist – das ändert aber wenig bis nichts an der Aussage und Deiner wohl korrekten Interpretation.

  3. Mal schauen, wer denn bis dahin die marode Betonschüssel in Lurup-Ost saniert … Ggf. finden in Hamburg 0 EM Spiele statt 😉

  4. Apropos Ungarn:
    Mit der Unterstützung für das russophobe Ein-Parteien-Regime
    des Neonazifreudes Selenskiy [powered by USA/NATO/EU] in
    Kiew hätte das Millerntor dann aber andererseits sicherlich keine
    Probleme? Bis jetzt hatte es das jedenfalls nicht. Oder gilt in dem Fall
    das „Kein Fussball den Faschisten“ dann einfach mal nicht mehr?

    Hier, letzte Woche, Eger/Ungarn, Jugendboxturnier Bornemissza 22:
    Die 16-jährige Boxerin Diana Petrenko aus Tscherkassy/Ukraine
    feiert die Silbermedaille mit der faschistischen Azow-Flagge in den
    Händen. Ihre Medaille widmete sie danach übrigens dem neuen
    „Nationalhelden“ Sergeij Ambros (Azow-Leutnant), nach dem jetzt
    die Sporthalle in ihrer Heimatstadt benannt ist…

    Bornemissza 22 (EUBC)

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