Vertrauen in Hürzeler

Vertrauen in Hürzeler

Nach der Entlassung von Timo Schultz hat Fabian Hürzeler vorerst das Amt des Cheftrainers beim FC St. Pauli übernommen. Die Rahmenbedinungen dafür sind alles andere als optimal, aber für ihn persönlich ist das eine große Chance.
(Titelbild: Peter Böhmer)

Gleich in seiner ersten Presserunde als Cheftrainer machte Fabian Hürzeler klar, dass ein Wechsel auf der Cheftrainer-Position fast nie unproblematisch für einen Verein sei: „Es gibt keine einfache Situation, um Cheftrainer zu werden.“
Denn solche Wechsel werden zumeist nur dann vollzogen, wenn es vorher sportlich nicht läuft oder ein Trainer persönlich woanders eine Chance ergreift. Entsprechend schwierig ist daher auch die Situation beim FCSP. Für Hürzeler selbst bedeutet sie aber eben auch die erste Möglichkeit sich als Übungsleiter auf diesem Level zu beweisen, dass er dauerhaft als Cheftrainer im Profibereich arbeiten kann.

Als solche ist sie dann auch anzusehen: Für Fabian Hürzeler bietet sich nach der Entlassung von Timo Schultz eine große Chance. Eine, die er wahrnehmen musste. Zumal, wie er betonte, dies nicht als „In-den-Rücken-fallen“ zu verstehen ist. Hürzeler habe mit Schultz und Favé gesprochen und „kein schlechtes Gewissen“, dass er nun als einziger dieses Trios verblieben ist. Das Verhältnis sei dadurch nicht gestört worden.

Nun ist es schon verwunderlich, dass eine der Personen interimsweise den Cheftrainer-Posten übernimmt, die Teil der „ausführlichen Analyse“ gewesen ist, welche letztlich dazu führte, dass Timo Schultz das Vertrauen entzogen wurde. Denn das Trainer-Trio hat gemeinsam Lösungen erarbeitet, wie es im nächsten Jahr weitergehen und besser werden kann. Daher drängt sich die Frage auf, mit welchen Argumenten er überzeugen konnte, was Hürzeler anders machen wird als Schultz. Viel wird es nicht sein, wie er selbst betont:

„Ich werde nicht den großen Zampano machen und alles auf links drehen. Wir haben die Dinge schon sehr gut gemacht. (…) Wir werden weiterhin mutig sein, nach vorne spielen. Es wird vielleicht ein-zwei strukturelle Anpassungen geben, die man hoffentlich auf dem Platz sieht.“

Fabian Hürzeler zu den Veränderungen mit ihm als Cheftrainer

Nun ist Fabian Hürzeler zwar bereits seit Sommer 2020 beim FC St. Pauli, aber es düfte noch einige Fragezeichen um seine Person und Arbeitsweise geben (hier findet ihr sein Trainerprofil, welches wir im Sommer 2020 gebastelt haben). Im Trainerteam war er federführend für die Gegneranalyse zuständig und bei Trainingseinheiten war er immer alles andere als ruhig, wie das Beispiel in diesem Artikel zeigt. Und ganz vielleicht darf dann auch der ein oder andere Schlagabtausch auf den Pressekonferenzen erwartet werden (und ich hab jetzt Bock auf Wurstsalat für 5,50€).

Aktuell macht Hürzeler seine Ausbildung zum Fußballlehrer, welche nun aber etwas ruhen muss. Er erzählte, dass ihm der DFB „sehr offen und fair“ entgegenkommt und sich bemüht wird Lösungen zu finden, damit er sich auf seine Arbeit beim FC St. Pauli konzentrieren kann. Zwei weitere Lehrgänge, im Januar und Februar, stünden für ihn noch an, was wohl kaum mit der jetzigen Tätigkeit vereinbar wäre.

Denn der Start in die Vorbereitung ist aus personeller Sicht unglücklich. Standen eigentlich immer vier Trainer auf dem Platz, sind es nun mit Hürzeler und Torwart-Trainer Marco Knoop nur noch zwei. Das erhöht den zeitlichen Druck, denn es war üblich, dass sich Schultz, Favé und Hürzeler die Trainingsgestaltung aufteilten. Unterstützung gab es für dieses Duo vom Torwart-Trainer der U23, Mirco Weiss, doch Hürzeler betonte schon, dass es sich um eine äußerst intensive Aufgabe handelt, vor allem da er nun die gesamte Vorbereitung quasi im Alleingang planen muss.

Eine Dauerlösung? Fabian Hürzeler darf sich berechtigte Hoffnungen machen die Geschicke des FCSP dauerhaft zu leiten.
(c) Peter Boehmer

Angesprochen auf mögliche Veränderungen im Kader antwortete Hürzeler sehr defensiv: „Ich wünsch mir gar nix, bin sehr zufrieden mit denen die hier sind und haben vollstes Vertrauen in die Jungs“, sagte aber auch, dass das nicht bedeute, dass es keine personellen Veränderungen geben wird, wenn Spieler ins gesuchte Profil passen würden. Für einen Interimstrainer, der sich gerade beim Sportchef als dauerhafte Lösung bewirbt, wäre es aber auch untypisch, wenn dieser mit Forderungen nach Transfers auffällt.

Vermutlich war Hürzeler sich auch sicher, dass er solche Forderungen ohnehin nicht stellen muss. Denn in Sachen personelle Veränderungen am Kader sind Oke Göttlich und Andreas Bornemann schon deutlicher geworden. Bornemann sagte im Sky-Interview, dass der FC St. Pauli neue Spieler holen werde und benannte dann auch gleich eines der Profile: „Einen Stürmer, der noch einmal eine andere Präsenz in vorderster Linie hat würde diesem Mannschaftsteil und Kader guttun.“

Grundsätzlich ist es alles andere als unüblich, wenn ein Co-Trainer interimsweise den Cheftrainer-Posten übernimmt. Das ist aber meist dann der Fall, wenn Trainer mitten in einer Saison entlassen wird. Beim FC St. Pauli verstreicht nun wichtige Zeit während der Winter-Vorbereitung mit einer unklaren Personalie, die leider fast die wichtigste für sportlichen Erfolg ist. Im Januar, nach der Hälfte der Vorbereitung erneut den Trainer zu wechseln, wäre alles andere als optimal. Ob Hürzeler auch für den Fall einer Verpflichtung eines neuen Trainers für den Job des Co-Trainers zur Verfügung steht ließ er offen: „Darüber mache ich mir Gedanken, wenn es soweit ist.“

Fabian Hürzeler hat seit Sommer 2020 gezeigt, dass er ein überaus ambitionierter und kompetenter Trainer ist. Denn dem FCSP ist es auch in dieser Hinrunde in den meisten Spielen gelungen, gute Antworten auf die gegnerische Herangehensweise zu finden. Die Analysen von Hürzeler dürften dabei eine sehr große Rolle gespielt haben. Auch die Spiele und Tage in denen Timo Schultz coronabedingt fehlte, zeigten, dass er ein Team (zusammen mit Favé und sicher nicht ohne Kontakt mit Schultz) führen kann. An seinen fachlichen Kompetenzen haben viele Spieler öffentlich jedenfalls schon zu seiner Zeit als Co-Trainer keinen Zweifel gelassen und Eric Smith hob das im jüngsten Pressegespräch auch noch einmal hervor (alles andere wäre aber auch nicht hilfreich gewesen).

Ganz unabhängig davon, was Einzelne von der Schultz-Entlassung halten: Es ist Fabian Hürzeler und dem Verein zu wünschen, dass er die Verantwortlichen beim FC St. Pauli von seiner Arbeit in der Vorbereitung überzeugen kann (fraglich ist aber, wie dies bemessen werden soll) und mit dem Team dann auch in der Rückrunde die notwendigen Erfolge feiern wird.
// Tim

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13 thoughts on “Vertrauen in Hürzeler

  1. Muss man das verstehen? Bekommt Bornemann seinen Lieblingstrainer nicht aus einem laufenden Vertrag raus? (so teuer kann doch ein mittelmäßiger, „unpolitischer“ Drittligatrainer aus Bayern nicht sein) Am Ende ist Hürzeler auch verbrannt, da er eindeutig nur zweite Wahl ist, je länger die Entscheidung dauert. Und welche Spieler lassen sich denn auf so eine Situation ein? Wenn man nicht genau weiß, wer einen erwartet und welches System gespielt werden soll? Während andere Verein munter gestandene Profis verpflichten oder Verträge mit Leistungsträgern verlängern, hängt bei uns alles in der Luft. Währenddessen wird jemand wie Paqarada gerade seine Zukunft planen – aber sicherlich nicht bei uns.

  2. Ich stimme Peter zu. Es macht der Eindruck, dass das Trainerteam i.O. war und Schulle steht vor der Tür wegen politischen und nicht sachlichen Grunden.

  3. Die These aufzustellen, dass wenn Schulle Rückrundenmeister geworden wäre, er eine Anstellung auf Lebenszeit bekommen hätte, halte ich für durchaus gerechtfertigt. Und dabei hätte er wahrscheinlich gleichzeitig noch den Job des Sportdirektors nebenbei mitgemacht.

    Wegbeissen im Rudel ist auch ein bekanntes Verhalten.

  4. What !?! Das soll jetzt der große Bornemann/Göttlich-Plan sein? St.Pauli-Urgestein
    Schulle vier Wochen nach dem letzten Hinrundenspiel entlassen und dann einen
    der Co-Trainer, der noch nicht mal eine abgeschlossene Fußballlehrer-Ausbildung
    (Pro-Lizenz) besitzt, zum Cheftrainer befördern !?!

  5. Jemand hat in einem Kommentar geschrieben, dass Schulle während seiner Tätigkeit von Oke und Bornemann wie ein Azubi behandelt wurde.
    Das passt für mich ins Bild. Wenn nun ein Wunschtrainer, von dem Bornemann vielleicht weiß, dass der sich von ihm domonieren lässt, nicht kommt, dann eben wieder ein Azubi.

  6. Da brennt die Hütte lichterloh. Nun wird schon ein halbwegs beliebter Spieler ins Rampenlicht gezerrt. Der muss dann erklären, wie wichtig die Trainerentlassung war. Mensch ist das alles bitter. Wir sind weiter denn je entfernt vom etwas anderen Verein.

    Das ist nicht mal der Kapitän. Ehrlich, habe ich auf solche Spieler auch keinen Bock

  7. Die wichtigste Frage steht bei Dr in Klammern, Tim: „(fraglich ist aber, wie dies bemessen werden soll)“. Denn diese Frage drängt sich so dermaßen auf: Wie will denn Bornemann die Leistung eines neuen Trainers beurteilen – ohne Punktspiele. Durch die Qualität des Trainings? Durch Testspiele? Bornemann müsste von der Sportpresse viel pointierter, kritischer und detaillierter befragt werde. Er kommt noch mit den viel zu pauschalen Antworten zZ viel zu einfach davon.

  8. Bornemann hat Hürzeler bereits vorab derart mit Lobesreden geadelt, dass er eigentlich gar nicht anders kann, als ihn zum Cheftrainer zu befördern. Ich persönlich kann Hürzeler in keiner Weise beurteilen, weshalb ich auch keine Kritik an ihm übe. Selbst seine Aussagen, die wie von Bornemann vorgegeben klingen, verübel ich ihm nicht, es geht für ihn schließlich um sehr viel. Bornemann und Hürzeler pokern hoch. Erstrahlt mit Hürzeler ein neuer Stern am Trainerhimmel, haben beide gewonnen, „versagt“ Hürzeler jedoch (was ich ihm wirklich nicht wünsche), ist für mich insbesondere die Frage spannend, was mit Bornemann geschieht. Es würde mich dann gar nicht wundern, wenn dieser gleichwohl weiter wursteln dürfte, wer weiß schon, ob Göttlich/Bornemann nicht einen Für-den-Fall-des-Falles – Deal geschlossen haben. Die Werte des Vereins gehen nach meiner Wahrnehmung seit der Installierung von Göttlich mehr und mehr den Bach runter, sie werden zumindest kontinuierlich geschliffen. In diesem Verein ist mittlerweile nichts mehr ausgeschlossen. Vielleicht heißt der nächste Hauptsponsor ja Rheinmetall.

  9. So, they have succeeded in dividing the coaches, now they are dividing the players. The speed at which everything gets destroyed is impressive.

  10. Danke Tim.
    Weitere Kommentare erspare ich euch, ist dann auch genug. Anyway,
    Gute Reise Fabian Hürzeler.
    (Mh ohne FH wäre jetzt eh niemand auf dem Platz? AB spielt gerade Vabanque, und/oder kennt die xG Werte)

  11. holt schulle zurück. Die einzige Lösung. Nicht der Trainer hat versagt auf dem Platz lief nicht alles rund. Glück und Pech waren nicht weit auseinander. Man müsste die nächsten Spiele abwarten. fürchte der Schnellschuss geht nicht gut.

  12. Ein knappes Jahr später und der Plan von Bornemann ist 1910 prozentig aufgegangen. Es gibt einen neuen Stern am Fußballhimmel. Ganz St. Pauli wünscht sich zu Weihnachten eine Anstellung des Co-Trainers ohne Fußballlehrerausbildung auf Lebenszeit.

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