„Hörst Du uns’re Kurve singen?“

„Hörst Du uns’re Kurve singen?“

Der FC St. Pauli hat das neue Procedere für die (nicht mehr) Dauerkarten im Stehbereich Süd bekannt gegeben. Es wird eine selbstverwaltete Kurve, spätestens ab 2024.
Titelfoto: Stefan Groenveld

Das Problem ist so alt wie die Vergreisung der Gegengerade.
Wie will man bei kompletter Ticketknappheit gewährleisten, dass es immer frische Energie gibt und sich auch wirklich die Leute zusammenfinden können, die Bock auf aktiven Support haben?

The story so far

Von der Gegengerade in den Block 1

Auf der (ganz) alten Gegengerade gab es jene Problematik auch schon, lange bevor man sich Gedanken über Ultras, Trommeln und vermeintliches „Dauer-Lalala“ machte. Diesen Mittelfinger möchte man auch immer wieder jenen ins Gesicht halten, die sich heute mit einem „Früher war alles besser!“ am aktuellen Support auf der Süd abarbeiten. Jenes „früher“ war nämlich auch in den 90ern schon vorbei.

Im November 1997 feierte daher die „Singing Area“ im Block 1 der Gegengerade ihre Premiere. Die Tickets im (bis dahin) Sitzplatzbereich wurden über den Fanladen verkauft und alle Supportwilligen standen ab sofort dort „oben links“, was durch die bessere Akustik sofort ein Gewinn an Stimmung war. Viele sind sich bis heute sicher, dass die beiden Tore von Juri Sawitschew und André Trulsen in der Nachspielzeit zum 2:1-Sieg gegen Jena insbesondere jenem Support zu verdanken waren.

Unterhalb des Block 1 bildete sich dann auch schnell im Stehplatzbereich eine Supportstruktur mit Carpe Diem bzw. später USP, bis es dann noch später in den Süden ging. Dies war insbesondere deshalb der logische Schritt, weil jene „Vergreisung“ natürlich auch den Block 1 irgendwann betraf und diese einst so stimmgewaltige Masse mit den Jahren ebenfalls ruhiger geworden war. Die spöttische Bezeichnung „Silent Area“ ist natürlich trotzdem eine Frechheit…

Ab in den Süden

Im November 2006 ging das Projekt „Ab in den Süden“ an den Start, ab der Saison 2007/2008 sammelte sich USP auf der neuen Südkurve. Der Gästeblock, der bis zum „Littmann-Loch“ noch im Süden beheimatet war, war da bereits in die Nordkurve umgezogen, wo er bis heute ist.
Für damals 107€ (ermäßigt 72€, Mitglieder 95€) konnte man eine Jahreskarte erwerben, auch wenn es bis zum ersten Spiel natürlich noch ungeplante Verzögerungen gab. Doch zum Heimspiel gegen Augsburg am 11. November 2007 konnte sie endlich eingeweiht werden – und es gab einen 2:0-Sieg durch Tore von Ian Joy und Björn Brunnemann.

Von Anfang an war hier die Idee, nicht den gleichen Fehler wie beim Block 1 zu machen und stattdessen für eine dauerhafte Fluktuation zu sorgen. Niemand sollte dort seinen Platz am Anfang bekommen und dann bis ins hohe Alter einfach immer behalten, ohne etwas dafür zu tun.
Mit der Zeit wurde aber dieses Konzept auch mehr und mehr aufgeweicht, teils aus der Not heraus. In den letzten Jahren war es (auch bedingt durch die eher noch zunehmende Kartenknappheit) de facto so, dass man mit dem Punktesystem von Dauerkarten sprechen konnte, auch wenn sie nicht so hießen. Wer aber eine hatte und sie behalten wollte, konnte dies problemlos. Also erneut keine / kaum Fluktuation.

Übergangssaison 2023/24

Für die jetzt kommende Saison wird dies noch ein Mal so sein. Wer in dieser Saison eine „Jahreskarte Steh Süd“ hat, wird diese auch zur neuen Saison bekommen können. Dies ist dann aber mit der als Qualifikation ausreichenden Begründung „Ich hatte letzte Saison auch schon eine!“ letztmalig der Fall, aus folgendem Grund:

„Die jährliche Registrierung und Vergabe auf Basis von festgelegten Kriterien wie der Anzahl erworbener Jahreskarten in der Vergangenheit oder der Mitgliedschaft im Verein, war lange ein sinnvolles Vorgehen. Mittlerweile hat diese Praxis aber dazu geführt, dass gerade junge Fans, aber auch andere supportfreudige Menschen kaum bis keinen Zugang zur Südkurve bekommen. Dabei ist der Grundgedanke von „Ab in den Süden“ seit Projektstart und dem Einzug in die Kurve im Jahr 2007 stets, dass durch die Vergabe von Jahreskarten (anstatt von Dauerkarten) eine Durchlässigkeit in der Kurvenstruktur ermöglicht wird.“

Kartencenter, Fanladen & USP, fcstpauli.com

Ab der Saison 2023/24 heißt das Ticket also „Fankurventicket Süd“ und das Vorkaufsrecht ist die letztmalige Gelegenheit, das Ticket auf diesem Wege zu erhalten – auch, um sich ggf. noch nach Alternativen umsehen zu können. So können beispielweise diejenigen, die in den letzten Jahren über die Warteliste eine Dauerkarte hätten erwerben können, sich aber nach Absprache für die Jahreskarten auf der Süd entschieden, noch einmal wechseln.
Infos hierzu erfolgen in Kürze per e-mail.

Neues Konzept ab der Saison 2024/25

Alle Details findet Ihr in der heutigen Kommunikation von Kartencenter, USP und Fanladen.

Zusammengefasst verhält es sich so, dass die Karten für den Stehplatzbereich der Süd ab der Saison 2024/25 als „Fankurventicket Süd“ ohne Vorkaufsrecht herausgegeben werden. Dieses geschieht dann selbstverwaltet durch die Fanszene selbst, durch einen Südkurvenbeirat, bestehend aus Fanvertreter*innen und Fangruppierungen der Südkurve, dem Fanladen und dem Verein.

Hierzu wurden von USP und Fanladen Leitlinien entwickelt, nach denen die Karten zukünftig vergeben werden. Der wichtigste Punkt ist hierbei sicher, dass es eben kein Vorkaufsrecht mehr gibt (welches es offiziell ja in all den Jahren eh nie gab), sondern man sich diese Karte eben jedes Jahr wieder durch aktive Mitarbeit an der „Idee Südkurve“ verdienen muss – sei es als organisierte Gruppe oder Einzelperson.
Details zu den Leitlinien und der konkreten Umsetzung wird es Anfang 2024 geben.

Und die Sonderfälle?

Dieses eine Jahr ist sicherlich auch dafür gedacht, Sonderfälle möglichst reibungslos behandeln zu können. Es gibt beispielsweise ein (in den letzten Jahren stark geschrumpftes) Kontingent an Bestandskunden mit Dauerkarten aus der ganz alten Süd, vor dem Umbau. Hier wird sicher versucht werden, diesen Personen einen alternativen Platz im Stadion anzubieten.

Außerdem kann man dann diese Saison auch schon mal gewisse logistische Dinge testen oder verfestigen, was beispielsweise das Fanladen-Kontingent für auswärtige Fanclubs oder ähnliches anbelangt. Insofern erscheint ein Beginn zur Folgesaison sinnvoller als ein harter Schnitt schon in diesem Sommer.

Und warum das alles?

** Anmerkung / Nachtrag: Da es in den Kommentaren mehrfach kam und ich es vielleicht auch schlecht erklärt habe: Es geht nicht darum, hier eine Altersgrenze für die Süd einzuführen oder „Alte“ aus der Kurve zu drängen. Man ist immer so alt wie man sich fühlt, ganz sicher auch als Ultra. / Anmerkung Ende **

Hier kommt die Klammer zum Anfang des Artikels: Es liegt im ureigensten Interesse sowohl des Vereins als auch der Südkurve selbst, junge Leute für den aktiven Support zu begeistern und somit an den Verein und die zahlreichen Aktivitäten drumherum heranzuführen.

Solange wir kein 50.000+ Fassungsvermögen haben und die Spiele nahezu immer ausverkauft sind, ist es für junge Menschen nach wie vor schwer bis unmöglich die Spiele zu besuchen, noch dazu mit der eigenen Bezugsgruppe. Man muss ja in aller Regel froh sein, überhaupt irgendwo im Stadion ein Ticket ergattern zu können. Die Goldene Lösung für dieses Problem gibt es nicht, solange die Nachfrage auch weiterhin das Angebot deutlich übersteigen wird – das „Fankurventicket Süd“ klingt aber zumindest auf den ersten Blick nach dem nächsten richtigen Schritt auf dem bestmöglichen Weg dorthin.
Forza St. Pauli!
// Maik

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13 thoughts on “„Hörst Du uns’re Kurve singen?“

  1. Großartig!
    Und diejenigen die lange Zeiten eine Dauerkarte hatten und dann in die Süd umgezogen sind haben jetzt Pech und es heißt Tschüss? Frei nach dem Motto „Wer zu alt für Ultra ist, hat hier nichts mehr zu suchen?“ Bin mal gespannt wie fair und objektiv die Karten dann vergeben werden.

  2. Ein Bericht der mich merken lässt wie alt ich doch bin, denn ich mußte mir sentimalerweise mein „Singing Area“ Gold Ticket noch mal anschauen. Ja, auch damals war das überaltern schon ein Thema und deshalb ist meine Bezugsgruppe dann auch auf der GG umgezogen. Nachdem ich meinen Sohn über Schoßkind, Familienblock und Rabaukenkarten für den FC begeistern konnte, stehe ich aber auch vor jeder Saison vor dem Problem, wie ich für den eine Karte bekomme. Die bisherige Lösung eines Saisonpaketes für die GG stößt mit fast 16 Jahren nicht mehr auf Begeisterung. Er und sein Freund wollen in die Süd. Ich finde es richtig, da was neues probiert wird und hoffe die Situation verbessert sich dann zur nächsten Sommerpause. ach und na klar habe ich den Artikel beim Verein gelesen und den Nachwuchs auf das Interesse bekunden zur Mitorganisation hingewiesen und Gehör gefunden 😉

  3. Ich fände es ja gut, wenn es in diesem Punkt ein bisschen mehr wie z.B. in der Türkei wäre und honoriert wird, wenn Menschen auch zu anderen Teams und anderen Sparten des Vereins gehen. Der Zuschauer*innenschnitt beim Frauenfußball ist beschämend. Rugby und Blindenfußball, beide immerhin (noch) Bundesliga, werden kaum unterstützt und die U23 auch nicht wirklich (in den 90ern hatten die Amateure sogar mal ihr eigenes Fanzine…). Gerade für Menschen, die wie ich in der Diaspora leben, sind Gastspiele anderer Teams eine gute Gelegenheit, um mal ein wenig St. Pauli zu spüren. Und die Leute in Hamburg könnten ruhig auch mal den Arsch hochkriegen und sich zu einem Spiel der Frauen in der Feldarena bewegen. So wie es derzeit läuft, sind viele Lieder, die gesungen werden, halt einfach gelogen. Es geht nie um den Verein. Es geht immer nur um die 1. Herren. Und das ist traurig.

  4. So sehr ich das alles verstehe und auch verstehen möchte frag ich mich nur bis zu welchem Alter bin ich in der Süd willkommen 🤔 Nur weil auch ich schon älter bin (60 überschritten) heißt es doch nicht das ich keinen Spaß am Support habe.

    Da ich den wohl ein alter Mann bin, muss ich so verstehe ich es auf die Haupt oder Gegengerade in Zukunft ausweichen😥

    Viele Grüße
    Josef

    1. Da das jetzt schon mehrfach kam: die Leitlinien sind ja noch nicht raus, aber ich bin mir sehr sicher, dass es da keine Altersbeschränkung geben wird.
      Insbesondere als Ultra ist man doch so jung wie man sich fühlt 😎

  5. moin,
    das habt ihr echt ungünstig geschrieben. Denn auch ich lese im großen Ganzen heraus, daß man JUNG sein MUSS.
    Doch auch Menschen die erst spät (also nicht als junger Mensch) zum Fußball zu unseren magischen Sankt Pauli 🤎 🤍 kommen, wollen doch was bewegen.
    Ihr solltet da echt aufpassen das ihr bei euren Leitlinien (Kriterien) es besser macht.
    Da auch ich äußerlich zu dem „Problem“ ALTE WEIßE MÄNNER gehöre, welches ja immer schön als Tenor für die GG genommen wird noch ein paar Worte. Ich mag den Support der SÜD und finde die „Bewegung“ sowohl auf der GG (bei der Trommel) als auch die wieder laut werdende NORD als Bereicherung für das Stadion, die Stimmung, für alles. Ich singe (hüpfen eher nicht) gerne mit. Schaue aber auch das Spiel.

    Da nun Sonntag meine Tochter das erste Mal mit ins Stadion kommt (und wie ich sie kenne, sie sich zur SÜD hingezogen fühlen wird) werde ich das ganze live verfolgen können. Wie es ist als „Frischling“ an Karten zukommen.

    Bleibt stabil Gruß PapaBär

  6. „Leid“-Linien gibt´s ab Anfang 2024.
    Obwohl ich 90 Minuten durchgehend singe, klatsche, spielunabhängig supporte und Choreo‘s mitmache, habe ich den Eindruck, man will mich als ALTEN aus der Südkurve verdrängen.
    Ich würde mich für die Süd gern mehr engagieren, mitwirken und einbringen, an der Stelle, wo Unterstützung gebraucht wird,
    aber ich frage mich auch, ob die zukünftigen Leitlinien und Vergaberichtlinien folgendes bewirken:
    Werden ausnahmslos alle(!) Fankurventicket Süd Inhaber nur noch -aus Gründen der Gleichbehandlung- eine Saison (2023/24) in der Süd verbleiben dürfen u. müssen alle(!) in der darauffolgenden Saison -2024/25- ihren Platz in der Süd räumen?
    Ist die Südkurve nur noch für junge Fans?
    Wer „wählt“ den Südkurvenbei-Rat?
    Mit dem Südkurvenbei-Rat muss man sich gut stellen u. innerhalb der Fanszene muss man bekannt / vernetzt sein und sich hervortun?
    Nach einer Saison gibt es sowieso kein zweites Mal ein Fankurventicket Süd, oder ?!

    Da zählt es wohl auch für die Vertreter des Vereins nicht, dass ich
    2003 als „Retter“ für den Verein eingesprungen bin,
    seit 14.03.2011 (mit kurzer Unterbrechung) Vereinsmitglied bin,
    2011 FC St. Pauli Anleihekäufer war,
    Saisonpakete hatte und seit
    2014/15 eine Jahreskarte Steh Süd.
    Ich bin sehr gespannt auf die „Leid“-Linien.

    1. Wenn Du schon so lange dabei bist, wundert es mich trotzdem umso mehr, wie wenig Vertrauen Du in die entsprechenden Gruppen (u.a. ja auch den Fanladen) hast.
      Abwarten… vielleicht wirst Du ja positiv überrascht.

  7. Wir sind eine größere Gruppe Mädels (40+), die seit Jahren (ca. 2009) in der Süd „ansässig“ sind und würden dann gerne, weil wir für den nötigen Support in der Süd zu wenig Zeit haben, in die GG wechseln wollen, aber WIE??? Bisher haben wir unsere Karten ohne weiteres bekommen, aber verlieren wir jetzt die Möglichkeit weiter aktiv an den Spielen teilnehmen zu können, nur weil wir kein Fankurventicket nehmen würden und es lieber den anderen Willigen überlassen möchten??

    1. Ich denke, für eine Antwort über das „wie“ ist es konkret noch zu früh, aber eine rechtzeitige Kontaktaufnahme mit dem Fanladen und/oder Kartencenter kann sicher nicht schaden.

    2. Die Frage ist ja eher grundsätzlicher Natur. Was haben die Entscheider ab 2024/25 mit den Alt Eingesessenen Stehern Süd vor? Und können Menschen, Fans, Fanclubs noch Einfluss auf die Leitlinien bzw. die zukünftigen Vergabe-Richtlinien nehmen, bevor diese Anfang 2024 in Stein gemeisselt sein werden?

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