Der FC St. Pauli trifft am Samstag auf Bayer Leverkusen. Ein Verein, der als Ausnahme von 50+1 gilt. Doch wie ist der aktuelle Stand rund um die Regel 50+1?
Titelfoto: Stefan Groenveld
Im Juni dieses Jahres veröffentlichte das Bundeskartellamt eine vorläufige kartellrechtliche Bewertung der 50+1 Regelung und stellte dabei keine Bedenken bezüglich der Regelung fest, sowie die Vereinbarkeit der Regel mit dem europäischen Kartellrecht. Die DFL hat in der Umsetzung der 50+1 Regel allerdings Verbesserungsbedarf. Besonders im Fokus stehen dabei die „Förderausnahmen“ VfL Wolfsburg und Bayer Leverkusen. Denn nach der Überprüfung des Bundeskartellamtes, dürften zur vollständigen Umsetzung von 50+1 keine Ausnahmeregelungen wie bei Wolfsburg und Leverkusen mehr gelten. Die Vereine sind aufgefordert Stellung zu beziehen. Auch RaBa Leipzig und Hannover 96 stehen in Erklärungsnot.
Spulen wir nochmal kurz zurück und stellen fest, warum beim VfL Wolfsburg und Bayer Leverkusen Ausnahmen der 50+1 Regel gelten: Die Sonderregelung tritt ein, wenn ein Konzern über 20 Jahre in den Verein investiert. Bei Bayer Leverkusen ist es bekanntlich die Bayer AG und bei VfL Wolfsburg der Konzern VW, die seit über 20 Jahren in die Vereine investieren. Somit sind die Mehrheitsrechte bei den beiden Vereinen bei den Konzernen und nicht beim Mutterverein und dessen Mitgliedern. Auch bei der TSG Hoffenheim galt lange diese Sonderregelung. Investor Dietmar Hopp gab dieses Stimmrecht allerdings 2023 ab, sodass die 50+1 Regel nun auch bei der TSG Hoffenheim festen Bestand hat. Zuvor war die Ausnahme bekannt als „Lex Leverkusen“, später „Lex Leverkusen und Wolfsburg“, die Beteiligung von Unternehmen nur erlaubte, wenn dieses bereits vor dem Stichtag des 1. Januars 1999 20 Jahre im Verein tätig war. Der Stichtag wurde 2011 nach einem Antrag von Martin Kind abgeschafft.
Das Bundeskartellamt spricht sich für 50+1 aus
Der Präsident des Bundeskartellamtes Andreas Mundt äußerte nach der Prüfung der Regel: „Die DFL muss unseres Erachtens für einheitliche Wettbewerbsbedingungen sorgen und die 50+1-Regel deshalb diskriminierungsfrei und konsequent anwenden.“ Dabei wurden drei konkrete Maßnahmen an die DFL gestellt:
- Soll die DFL bei allen Vereinen der 1. Und 2. Bundesliga gleichermaßen für einen offenen Zugang zu einer Mitgliedschaft und damit Mitbestimmung sorgen;
- Sicherstellen, dass die DFL die Wertung der 50+1 Regel auch bei eigener Abstimmung beachtet und
- den Bestandsschutz zu Förderklubs (also Leverkusen und Wolfsburg) nachbessern. Konkret bedeutet das für die beiden Clubs also, dass der Bestandsschutz wegfällt und sie für homogene Wettbewerbsbedingungen sorgen müssen.
Auch zu RaBa Leipzig äußerte sich der Präsident des Bundeskartellamtes. Im Interview mit der Sportschau sagte er: „Wenn die Mitbestimmungsrechte im Verein ausschlaggebend sind, dann muss der Verein auch dafür Sorge tragen, dass der Verein für Mitglieder überhaupt zugänglich ist. Dass wir vielleicht mit dem Konstrukt bei RB Leipzig nicht so ganz glücklich sind, das kann man sich glaube ich unschwer vorstellen.“ Dort herrscht, anders als vom Bundeskartellamt gefordert, kein offener Zugang zu einer Mitgliedschaft im Verein. Auch das Abstimmungsverhalten von Martin Kind für Hannover 96, dass gegen die Entscheidung des Muttervereins ging, beklagte das Bundeskartellamt in seinem Bericht.
Fernando Carro als Kritiker von 50+1 im DFL-Aufsichtsrat
Nun wurde vor Kurzem ausgerechnet der größte Kritiker der 50+1 Regel in den DFL-Aufsichtsrat gewählt. Fernando Carro, Geschäftsführer von Bayer Leverkusen. Schon vor der Prüfung des Bundeskartellamtes sprach er sich für eine Abschaffung der 50+1 Regel aus. Nach seiner Wahl in den DFL-Aufsichtsrat sagte er, es gäbe „keine Notwendigkeit etwas zu ändern“. Man lebe bereits in 50+1 im deutschen Fußball und habe bisher auch mit den Ausnahmeregelungen ohne Probleme leben können. Nach der Prüfung des Bundeskartellamtes müssten Bayer und Wolfsburg 50% ihrer Stimmen an den Stammverein abgeben. Carro spricht sich mit seinen Aussagen also für das Stimmrecht des Konzerns in den Verein aus.
Offen bleibt, ob die Wahl von Fernando Carro eine Gefahr für die 50+1 Regel bedeutet oder ob es ein Zeichen war, um gemeinsam im DFL-Aufsichtsrat eine Lösung der Problematik der Werksvereine zu finden. Von Vereinsseite Bayer Leverkusens und auch seitens VfL Wolfsburg hieß es gegenüber der Sportschau man behalte sich sämtliche rechtliche Optionen vor und man wolle mit allen Beteiligten eine tragfähige Lösung finden.
Noch bis Ende Oktober werden vom Kartellamt Stellungnahmen der Vereine und der DFL erwartet. Die Frist war ursprünglich auf den 18. August gesetzt worden. Kürzlich wurden zu den Verhandlungen auch die Konzerne VW und Bayer auf eigenen Wunsch hinzugeholt. Der Grund, so kicker.de: „das Aktiengesetz, wonach die Vorstände von Bayer und VW dazu verpflichtet sind, das Vermögen der Aktionäre vor etwaigen weiteren Folgen des Verfahrens zu schützen. Wenn beispielsweise Ligaverband, Förderausnahmen und Kartellamt nicht auf einen Nenner kommen und es zu Klagen kommen könnte.“
Fanszenen machen weiter Druck
Der Druck auf die Vereine, Lösungen zu finden, ist also groß. Weiter ist mit Protesten zu rechnen, wenn die 50+1 Regel nicht vollständig umgesetzt werde. So waren zum Auftakt des DFB-Pokals mehrere Banner in den Kurven zu sehen, die sich für den Erhalt und konsequenten Durchsetzung der 50+1 Regel aussprachen.
Kurz nach der Prüfung des Bundeskartellamtes meldete sich auch das Fanbündnis „Fanszenen Deutschland“ zu Wort und forderte „50+1 ausnahmslos umsetzen“. Im Statement schreiben sie unter anderem: „Dass nun die Strukturen, nicht nur der Werksclubs Leverkusen und Wolfsburg, sondern auch von Hannover und Rasenballsport zum Problem werden, zeigt mit welcher Dilettanz bei der DFL durch die Verantwortlichen gehandelt wurde. So agieren Opportunisten, denen das Kapital näher ist als ihr Auftrag und der Fussball.“
Der FC St. Pauli bleibt für den Erhalt von 50+1
FC St. Paulis Präsident und DFL-Präsidiumsmitglied Oke Göttlich sprach sich in der Frankfurter Rundschau für die Maßnahmen des Bundeskartellamtes aus, die es umzusetzen gilt. Göttlich sprach sich für eine gemeinsame Haltung aller Clubs aus, wenn Leverkusen und Wolfsburg meinen den Wettbewerbsvorteil zu behalten, dieser stehe ihnen nicht zu und greife die Solidargemeinschaft an.
Ich habe bei Oke Göttlich noch einmal genauer nachgefragt, was das Hinzuziehen der Konzerne tatsächlich bedeutet. Und nachdem ich dachte, dass ich mich auf einer heißen Spur befinde, brachte mich Oke Göttlich bei unserem Gespräch wieder auf den Boden der Tatsachen, denn: Die Beiladung weiterer Parteien in die Verhandlungen sei ein normaler Vorgang und tatsächlich stecke da nichts Besonderes hinter. In der aktuellen Situation sei es oberstes Ziel eine größere Rechtssicherheit von 50+1 zu erzielen ohne das Klagerisiko zu steigern. Außerdem bekräftigte Oke Göttlich, dass sich der FC St. Pauli schon immer und weiterhin für den Erhalt der 50+1 Regel aussprechen werde.
Nun ist also abzuwarten, wie es sich im Oktober entwickeln wird, wenn alle Vereine ihre Stellungnahmen abgegeben haben. Der Druck auf die Clubs mit Ausnahmen der 50+1 Regel wird hoch sein, und die Schwierigkeit Kompromisse zu finden auch. Am wichtigsten ist jedoch, dass die 50+1 Regel nicht in Gefahr gerät, denn ohne sie sähe es im deutschen Fußball vielleicht ganz anders aus. Das möchte ich mir kaum ausmalen.
50+1 erhalten!
//Nina
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Danke für den Überblick! So etwas wie die Streichung der Förderausnahme aus der DFL-Satzung kann, wenn ich es richtig sehe, mit 2/3-Mehrheit der Mitglieder beschlossen werden. Das heißt, von den Kräfteverhältnissen her sollte es hoffentlich nicht auf Leverkusen, Wolfsburg, Leipzig und Hannover ankommen. Im Interesse aller (?) anderen kann es doch nur noch um das Wie (die Vorgaben des Kartellamts umgesetzt werden) und nicht mehr um das Ob (50+1 eine gute Idee ist) gehen? Denn wenn sie die Satzungsänderung nicht hinkriegen, wäre das Kartellamt ja schlimmstenfalls gezwungen 50+1 zu untersagen, was sehr viele Verlierer produzieren würde.