Nachruf Thomas Glöy

Nachruf Thomas Glöy

Wir trauern um Thomas Glöy. Er hat wie kaum ein anderer Spuren in der Fanszene des FC St. Pauli hinterlassen. Ein Nachruf von Ronny.

Scheiße! Thomas Glöy ist tot. Mein Kollege, mein Kumpel und, wenn es um Fragen um den FC St. Pauli ging, nicht selten auch mein „Retter in letzter Not“.

Der 29. Juli 1993 war der Tag, an dem ich das erste Mal an einer Redaktionssitzung des „Übersteigers“ teilnahm. 18 Menschen wollten ein neues Fanmagazin mitgestalten, nachdem der „Millerntor Roar!“ leider das Zeitliche gesegnet hatte. Vier Mädels und 14 Jungs hatten Bock auf etwas Neues – und Thomas und ich waren beide von Anfang an dabei. Nicht nur die Zeit bis zu unserer Erstausgabe am 18. August 1993 zum Heimspiel gegen Kickers Stuttgart war eine aufregende, sondern auch die vielen gemeinsamen Jahre danach. Seien es die bierseligen Redaktionssitzungen an jedem Donnerstag im alten Fanladen in der Thadenstraße, das Schreiben von Artikeln, die meist lustig-stressigen Layout-Wochenenden, der Heftverkauf am und im Millerntor-Stadion, die gemeinsamen Auswärtsfahrten quer durch die Republik, oder auch die regelmäßigen Besuche der Heim- und Auswärtsspiele der Amateure: Thomas war stets mittenmang.

Dieser Einstieg in die aktive Fanszene damals hat nicht nur mein Leben stark verändert, sondern gleichwohl auch das von Thomas. Der FC St. Pauli wurde für uns zu einem zentralen Lebensmittelpunkt – für Thomas noch deutlich ausgeprägter als für mich. An was ich mich besonders gerne erinnere: Auf Thomas war Verlass! Wenn andere zum x-ten Male ihre angekündigten Texte für den ÜS nicht rechtzeitig liefern konnten, dann waren seine Artikel immer (!) wie angekündigt fertig. Und sie waren gut: gut recherchiert, mit gutem Lesefluss, pointiert und – wenn der Anlass es hergab – meist auch amüsant formuliert. Im Laufe seiner vielen Kiezjahre entwickelte sich Thomas zudem immer mehr zu einer Art „Vereinsgedächtnis“: Fast nichts gab es, was er nicht aus dem Stegreif über seinen FC St. Pauli beantworten konnte. Und nicht selten konnte er mir kurzfristig mit der Beantwortung schwieriger Fragen aus dem FCSP-Kosmos, die ich schnell für einen Text oder ein Interview brauchte, aus der Patsche helfen.

Doch das Nur-Fansein und die Mitarbeit als „T.A.L.“ beim „Übersteiger“ genügten dem gebürtigen Lübecker, der seine erste Partie am Millerntor 1991 gesehen hatte, nicht. Thomas war 1993 Mitinitiator des überregionalen „Bündnisses aktiver Fußballfans“ (BAFF), als dessen Sprecher er auch zeitweise agierte, engagierte sich von Anfang an in der „Arbeitsgemeinschaft interessierter Mitglieder“ (AGiM), die sich 1996 als Vereinsopposition rund um den FC St. Pauli formierte, war Mitanschieber der sogenannten „Singing Area“ im Block 1 auf der alten Gegengeraden, quasi der Keimzelle von USP und wurde „Genosse“ beim Projekt der Suche nach einer neuen Fankneipe als Ersatz für den „Letzten Pfennig“.

Thomas, der den ÜS 2004 verließ, fand schließlich den Weg über das Fanzine-Machen in den Journalismus und arbeitete ab 2000 als Live-Redakteur für verschiedene Online-Publikationen. Von 2012 an, also den Anfängen des FC-St.-Pauli-Museums, war er dann zunächst ehrenamtlich und ab 2021 als fest angestellter Mitarbeiter für die Bereiche Recherche, Archiv und Kuratorium aktiv. Und so schloss sich für Thomas und für mich der Kreis, denn seit 2020 arbeite ich als Honorarkraft für eben dieses Museum und war sehr glücklich darüber, wieder mit einem von mir menschlich und fachlich so hochgeschätzten Menschen zusammenarbeiten zu dürfen.

Umso größer war der Schock, als mich am Mittwoch telefonisch die Nachricht ereilte, dass Thomas am Montag im Alter von 57 Jahren verstorben sei. Sein Tod reißt eine schier nicht wieder zu füllende Lücke – in der Fanszene, im Museum, im Freundeskreis – und bei mir.
Thomas, irgendwann trinken wir da oben auf Wolke 1910 („Übersteiger“ #113) zu dritt ein Bierchen: du, Walter Frosch und ich…
// Ronny

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3 thoughts on “Nachruf Thomas Glöy

  1. Oh man, was für ein trauriger Schockzustand in dem ich mich seit dem lesen der „Lage“ heute mittag befinde.

    Ronny, danke für diesen Nachruf, er spricht mir aus dem Herzen.

    RIP Thomas

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