„Unverhältnismäßiger“ Polizei-Einsatz verhindert Stadionbesuch

„Unverhältnismäßiger“ Polizei-Einsatz verhindert Stadionbesuch

Die Fanszene des FC St. Pauli musste dem Spiel in großen Teilen fern bleiben. Grund hierfür war ein laut Braun-Weisser Hilfe unzulässiger Polizeieinsatz.
Titelfoto: (c) IMAGO / Hartenfelser via OneFootball

Die ersten Anzeichen, dass es fantechnisch ein eher unruhiger Tag werden würde, gab es schon morgens. Im ICE eine Stunde vor der offiziellen Gruppenfahrt gab es auch schon einige St. Pauli-Fans, die den Weg nach Frankfurt antraten.
Beim Halt in Hannover begab es sich dann dem Vernehmen nach, dass eine Gruppe einen Austausch von Nettigkeiten mit Wolfsburgern beging. Bevor mir jemand verharmlosende Sprache vorwirft: Ich war nicht dabei und könnte daher (selbst wenn ich wollte) auch keine sachliche Schilderung der Begebenheiten liefern. Umgekehrt bin ich mir sicher, dass es in entsprechenden Publikationen weniger blumige, aber auch nicht unbedingt sachlichere Schilderungen geben wird.

Und vielleicht wäre diese Begebenheit sowieso im Blumenstrauß der nicht erzählten Ereignisse im Fußballumfeld verschwunden, wenn sie nicht konkrete Folgen gehabt hätte. Zunächst einmal rückte die Bundespolizei an und durchsuchte (mit Helmen und in Kampfmontur) den Zug nach den Übeltätern, zog dann aber einige Minuten später und mit abgenommenen Helmen auch wieder unverrichteter Dinge ab.
Wie die Polizei später in ihrem Presseportal mitteilte, wurden die Wolfsburger Fans in Hamburg-Harburg einer „polizeilichen Bearbeitungsstraße“ zugeführt. Klingt ganz sicher harmloser, als es sich live dann darstellt. Der Begriff wird uns aber gleich nochmal begegnen.

Keine Zugfahrt ist nicht lustig

Zurück zum besagten ICE auf dem Weg nach Frankfurt. Der Zugchef verweigerte trotz des Abzugs der Bundespolizei die Weiterfahrt. Ein sinngemäßes „Mit Hooligans an Bord fahre ich nicht.“ wurde durchgesagt. Als sich dann der folgende ICE (mit der Fanladen-Gruppenfahrt) näherte, verließen viele Fans den Zug und wechselten, woraufhin der ICE seine Fahrt dann doch fortsetzte und mit etwa einer Stunde Verspätung in Frankfurt eintraf.

Weitere zwanzig Minuten später traf dann die Gruppenfahrt des Fanladens in Frankfurt ein – und hier ging es für einen Großteil der Fans nicht mehr weiter. Zunächst wurde man laut Braun-Weisser Hilfe am Bahnhof schon mal unverhältnismäßig empfangen, ein Betretungsverbot stand schnell im Raum möglicher weiterer Sanktionen (BWH). Erst nach „längerer Diskussion“ wurden diesen Fans überhaupt die WC-Nutzung erlaubt. An einen Stadionbesuch war nicht zu denken. Stattdessen wartete auch auf die Fans des FC St. Pauli jetzt so eine „polizeilichen Bearbeitungsstraße“.

Kurz vor Anpfiff erhielten über 200 Fans des FC St. Pauli dann einen Platzverweis für Teilgebiete der Stadt Frankfurt, sowie für das Frankfurter Stadion. Die Braun-Weisse Hilfe verurteilte diese Maßnahme umgehend: „Diese polizeilichen Maßnahmen und ihre weitreichenden Folgen sind schlicht allesamt unverhältnismäßig.“ (BSky)
Lediglich Einzelpersonen die (mit Fahrkarte) nachweisen konnten, dass sie nicht in der vermuteten „Tätergruppe“ gewesen sein können, durften im weiteren Verlauf zum Stadion.

Über 200 FCSP-Fans erhalten zurzeit einen Platzverweis u.a. für das Waldstadion (Deutsche Bank-Park). Das heißt, über 200 Fans werden das heutige Spiel ihres Teams nicht sehen können. Diese polizeilichen Maßnahmen und ihre weitreichenden Folgen sind schlicht allesamt unverhältnismäßig!#sgeFCSP

Fanhilfe_FCSP (@fanhilfe-fcsp.bsky.social) 2025-10-25T13:23:21.248Z

Fanhilfe spricht von unverhältnismäßigem Polizeieinsatz

Ersten Gesprächen der Fanhilfe mit Rechtsanwälten zufolge, seien diese Maßnahmen rechtlich nicht haltbar. Das Problem, wie so oft in solchen Fällen: Es bräuchte jetzt jemanden, der das auch juristisch durchfechtet. Und wenn man dies erfolgreich tut, erhält man in so etwa zwei bis drei Jahren ein Urteil, welches diese Auffassung bestätigt – und kann sich einmal auf die Schulter klopfen.

Entsprechend war im Gästeblock des Frankfurter Stadions deutlich weniger los, es gab nahezu keinen Support, erst recht keinen organisierten. Lediglich zum Anpfiff gab es ein vom Zaun aus koordiniertes „Diffidati con noi“ (Die Verbannten mit uns) als Solidaritäts-Geste, danach war es größtenteils still. Am Gästeblock war eine Tapete mit der Aufschrift „Gegen alle Stadionverbote“ zu lesen. Aus dem Frankfurt-Block waren zu Spielbeginn Solidaritätsbekundungen zu hören. Zudem zeigte die Frankfurter Kurve eine Tapete mit der Aufschrift: „Der wahre Täter sitzt im Revier und steht nicht in der Kurve“.

FC St. Pauli findet die Maßnahmen „zumindest fragwürdig“

Auch der FC St. Pauli äußerte sich bereits im Verlauf der ersten Halbzeit zu den Ereignissen und erklärte:
„Angesichts der Ereignisse am Frankfurter Hauptbahnhof ruft der FC St. Pauli zu Deeskalation auf. Vor dem Hintergrund der bislang bekannten Informationen zum Vorfall in Hannover wirken die polizeilichen Maßnahmen mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit zumindest fragwürdig. Dies wird weiter zu klären sein, wir sammeln derzeit zusätzliche Informationen. Klar ist aber schon jetzt: Dem Team des FC St. Pauli fehlt der lautstarke Support unserer Fans in Frankfurt sehr.“

Ich kann diese Zeilen jetzt entspannt in der Nähe des Frankfurter Bahnhofs fertigstellen, die Laune ist entsprechend – und damit geht es mir, der bereits gestern angereist war, immer noch deutlich besser als denjenigen, die von der Maßnahme direkt betroffen waren.
Auch wenn es sich im Block ziemlich scheiße anfühlte, dem Team nahezu sprachlos bei der Niederlage zuzuschauen, so war es doch immerhin ein großes Zeichen der Solidarität, auch wenn es einem (außer besagten Beteiligten) niemand direkt dankt.

Es befinden sich aktuell noch immer FCSP-Fans in dieser unverhältnismäßigen polizeilichen Maßnahme. Einziger Lichtblick: die gelebte Solidarität!#SanktPauliHältZusammen—#Fanhilfe #FCSP #sgeFCSP

Fanhilfe_FCSP (@fanhilfe-fcsp.bsky.social) 2025-10-25T14:01:14.539Z

Forza St. Pauli – allen eine gute Heimreise!
// Maik
P.S. Auch die Braun-Weisse Hilfe hat sich zu den Vorfällen bereits geäußert.

Alle Beiträge beim MillernTon sind gratis. Wir freuen uns aber sehr, wenn Du uns unterstützt.

MillernTon auf BlueSky // Mastodon // Facebook // Instagram // Threads // WhatsApp // YouTube

8 thoughts on “„Unverhältnismäßiger“ Polizei-Einsatz verhindert Stadionbesuch

  1. Man stelle sich folgendes Szenario vor: Irgend ein Typ mit blauer Jacke haut an einem normalen Tag einem anderen eine rein. Er flüchtet in die U-Bahn Richtung Innenstadt. Er kann nicht eindeutig identifiziert werden. Die U-Bahn wird fünf Stationen später gestoppt. Alle Menschen in blauer Jacke müssen aussteigen und werden über eine Stunde am Bahnsteig festgehalten. Keiner darf auf die Toilette. Von jedem werden die Personalien aufgenommen und alle stehen unter Generalverdacht. Dann bekommen alle mit blauer Jacke einen offiziellen Platzverweis für die Hamburger Innenstadt und werden weg geschickt.

    Wäre so im Alltag undenkbar und eine juristische Katastrophe? Richtig. Bei Fußballfans? Vollkommen normale Praxis. Und außerhalb des Fußballs interessiert das keinen. Unfassbar.

    In Hannover am Bahnhof haben sich ggf. einige Fußballfans sicherlich nicht mit Rum bekleckert. Muss in der Fanszene und ggf. auch strafrechtlich aufgearbeitet werden. Aber das hat dann meines Erachtens nichts damit zu tun, was in Frankfurt durch die Polizei durchgesetzt wird… was dann nie strafrechtlich auch nur ansatzweise untersucht wird.

  2. Mir und mindestens 3 weiteren Personen um mich herum wurde der Weg raus dem Kessel, trotz Fanladen-Ticket, verweigert, weil es sich um „kein echtes Zugticket“ handeln würde. Die Folge waren 4 Stunden Gesa, Foto, Personalienaufnahme und Behandlung wie Schwerverbrecher. dazu von 2 Bullen pro Person mit Armgriff zur Toilette eskortiert worden.
    unverhältnismäßig und skandalös.

    1. Und was war der Auslöser das hunderte Bahnfahrinnen im Ursprungszug warten und im Folgezug warten oder andere Verbindungen mit Verspätung nutzen mussten? „St.Pauli „Fans die sich mit Wolfsburg boxen mussten….was für ein Schwachsinn!!

      1. Ich stand da drei Stunden in der Kälte, du auch? Meine Wut richtet sich völlig zurecht gegen komplett unverhältnismäßige Maßnahmen der Staatsgewalt. Fußballhauereien kann man unnötig und Scheisse finden, wenn das aber überlagert, wie überdreht hier Unbeteiligte Fußballfans von der Polizei in Sippenhaft genommen wurden, obwohl sie nur mit einem Zug zu einem Auswärtsspiel gefahren sind wie in meinem Fall, solltest du sowohl mal an deinem moralischen als auch an deinem juristischen Kompass arbeiten

  3. „St.-Pauli-Fans und Wolfsburg-Anhänger lieferten sich demnach am Sonnabend-Vormittag gegen 9.45 Uhr auf dem Hauptbahnhof in Hannover eine Schlägerei. Auf dem Bahnsteig 3/4 kam es nach Angaben der Bundespolizei zu einer heftigen Prügelei mit Flaschenwürfen, Körperverletzungen und Beleidigungen zwischen dutzenden, teils maskierten Männern. Es seien insgesamt etwa 50 Fans aufeinander losgegangen. Auch unbeteiligte Reisende seien getroffen und verletzt worden.„
    https://www.ndr.de/sport/fussball/Bundesliga-FC-St-Pauli,fanpruegelei-100.html

    Maskiert? Flaschenwürfe? Unbeteiligte verletzt?
    Die Unverhältnismäßigkeit ist offensichtlich, wir sollten uns aber auch mit diesem kolportierten Verhalten näher beschäftigen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert