Systemfrage, Konkurrenzkampf und „Altzugänge“

Systemfrage, Konkurrenzkampf und „Altzugänge“

Der FC St. Pauli reist ins Trainingslager nach Flachau. Im Gepäck: Eine Systemfrage, großer Konkurrenzkampf und „Altzugänge“.
(Titelfoto: Stefan Groenveld)

„Testspiele nicht überbewerten.“ Ich habe es nicht nachgeschaut, aber vermutlich schreiben wir beim MillernTon genau diesen Satz seit Jahren nach jedem einzelnen Testspiel auf, egal, ob erfolgreich oder nicht. Dieses Credo gilt beim FC St. Pauli unter der Leitung von Alexander Blessin noch viel mehr als unter Fabian Hürzeler. Denn während Hürzeler in den Vorbereitungsspielen oft zum Anpfiff die potenzielle Startelf auf den Rasen schickte, ist das bei Blessin anders. Der 52-jährige verfolgt eher das Ziel, dass möglichst alle Spieler im Kader die notwendige Belastung erfahren.

Viererkette beim FC St. Pauli? Eher unwahrscheinlich

Das führt dann auch gerne mal dazu, dass sich Außenstehende während der Vorbereitung fragen, ob sich da ein neues Spielsystem andeutet beim FC St. Pauli. Auch diesen Sommer ließ Blessin sein Team bereits mit einer Viererkette auflaufen. Das hatte aber weniger den Grund, dass der FCSP in der kommenden Saison in einem 4-2-3-1 agieren möchte. Vielmehr erklärte Blessin, dass er diese Formation gewählt habe, um möglichst vielen Spielern Spielzeit auf ihren Positionen zu geben. Auch in der Winterpause ließ er sein Team mit einer Viererkette in Testspielen auflaufen. In den Pflichtspielen war es danach nur ein einziges Mal für 35 Minuten zu sehen. Sollte den Formationen in den Testspielen also nicht viel Beachtung geschenkt werden?

Im Gegenteil! Die Systemfrage ist diesen Sommer vielleicht sogar noch etwas spannender als letzten Sommer. Denn der Kader hat sich deutlich verändert – und das womöglich in Richtung einer Formation, die Royal Union Saint-Gilloise unter der Leitung Blessins erfolgreich praktiziert hat. „Häh? Da fehlt doch ein Stürmer!“ mag die eine oder der andere nun zu Recht einwerfen. Denn Saint-Gilloise spielte in der Saison 23/24 größtenteils in einem 3-5-2, also mit zwei nominellen Mittelstürmern. Aber da gab es auch noch eine Formation, die als 3-4-2-1 am besten beschrieben werden kann. Mit einem Mittelstürmer und zwei, Blessin nutzt diesen Ausdruck gerne, schwimmenden Zehnern. Unter Berücksichtigung der Stärken der einzelnen Spieler ist es genau diese Formation, die am besten zum aktuellen Kader des FC St. Pauli passen könnte.

Schwimmende Zehner statt offensive Außen?

Denn der FC St. Pauli hat mit Noah Weißhaupt und Elias Saad zwei Spieler verloren, die sich ganz eindeutig auf der offensiven Außenbahn am wohlsten fühlen. Geblieben und neu hinzugekommen sind aber Offensivspieler, zu denen es zumeist besser passt, wenn sie nicht ständig an der Seitenauslinie kratzen. Pereira Lage, Sinani, mit Abstrichen auch Afolayan und Metcalfe – die passen vielleicht viel eher in die Rolle eines breitziehenden Zehners (und damit in ein 3-4-2-1) als einzig auf die Außenbahn. Da der Kader nach dem Abgang von Maurides und der Verletzung von Jones aktuell auch nur zwei Spieler im Team hat, die als Mittelstürmer in der Bundesliga zum Einsatz kommen könnten, ist eine Formation mit nur einem Mittelstürmer sicher gerade in der Gunst nach oben gerückt.

Auch wenn Testspiele nicht überbewertet werden sollten, so konnte beim 4:1-Erfolg gegen Silkeborg am Dienstag festgestellt werden, dass drei Neuzugänge einen richtig positiven Impact auf das Spiel des FC St. Pauli haben können: Andréas Hountondji überzeugte (obwohl er noch gar nicht richtig fit ist) mit Tempo, Tor und Vorlage, ebenso wie Mathias Pereira Lage. Hinter den beiden Offensivkräften zeigte Joel Chima Fujita, wie man Ruhe ausstrahlt und trotzdem schnell im Kopf ist – Testspiele nicht überbewerten, ja, doch es gibt ein fettes ABER: Diese drei Spieler drängen mit Druck in die Startelf. Während in der Offensive aufgrund der Abgänge von Guilavogui, Saad, Weißhaupt und Eggestein in der Startelf auch Platz hierfür ist, ist die Situation im zentralen Mittelfeld eine ganz andere.

Doppelsechs wird zum Prunkstück

Denn auf der Doppelsechs gibt es mit Fujita nicht nur einen Neuzugang, es gibt auch einen „Altzugang“. Einen Spieler also, der bereits beim FC St. Pauli spielte, der aber aufgrund von Verletzungen lange nicht zum Zug kam: James Sands ist zurück auf dem Platz und strahlte in den Testspielminuten die gleiche Ruhe aus, die ihn Anfang dieses Jahres so wertvoll für den FCSP gemacht hat, bevor er sich schwer verletzte. Auch er drängt in die Startelf. Eine Doppelsechs mit den Namen Sands und Fujita klingt ziemlich gut in meinen Ohren. Doch auch hier gibt es ein ABER: Was ist mit Eric Smith? Soll er zurück in die Innenverteidigung? Möchte er das überhaupt? Es kündigt sich ein Konkurrenzkampf um die Doppelsechs an, den es in Sachen Qualität beim FC St. Pauli so noch nie gegeben hat.

Noch spannender finde ich, dass gegen Silkeborg zwar alle drei genannten Spieler auf der Position gute Leistungen zeigten, aber ausgerechnet der vierte eigentlich am eindrucksvollsten gewesen ist: Dass Danel Sinani mit dem Ball am Fuß viele gute Dinge machen kann, wissen wir alle. Nun hat er aber in den letzten Monaten in Sachen Aggressivität gegen den Ball so dermaßen zugelegt, dass es immer schwerer wird, eine Startelf aufzustellen, ohne seinen Namen drin zu haben, er ist damit auch eine Art „Altzugang“. Aber ausgerechnet auf der Sechs? Möglich, aber aufgrund der Konkurrenz eher nicht (auch wenn er genau dort gegen Silkeborg überzeugen konnte). Damit kommen wir zurück zur Systemfrage: Denn die Position der schwimmenden Zehn dürfte maßgeschneidert für einen Spieler wie Sinani sein.

Ebenfalls „Altzugänge“ sind Connor Metcalfe und Abdoulie Ceesay. Gegen Silkeborg erzielte Ceesay seinen ersten Treffer für den FCSP. Er ist sehr gut darin, Räume zu finden, sei es im Strafraum oder wenn es darum geht, anspielbar für das Mittelfeld zu sein. Knackpunkt ist die breite Streuung seiner Aktionen, auf jede gelungene Aktion kommen ein versprungener Ball und ein Fehlpass. Aber es ist eine Kurve erkennbar, Ceesay hat das halbe Jahr beim FC St. Pauli sichtbar gutgetan.
Metcalfe sammelte zwar bereits Ende der letzten Saison Spielminuten, dürfte nun aber die Sommervorbereitung voll nutzen, um sich einen Platz im Team zu erkämpfen. Fragt sich nur, wo? Ob er in den hochwertigen Konkurrenzkampf um die Plätze auf der Doppelsechs eingreifen kann? Gegen Silkeborg kam er auf der offensiven Außenposition zum Einsatz, doch ein Außenstürmer ist er einfach nicht. Metcalfe ist ein „Halbraumspieler“, ein Allrounder, jemand, der sich in vielen Zonen auf dem Platz zurechtfindet, der aber nirgendwo heraussticht. Auch er könnte davon profitieren, sollte der FCSP mit zwei Zehnern planen.

Irvine und Mets reisen ins Trainingslager, Aigbekaen nicht

Und all das konnte ich schreiben, ohne überhaupt zu erwähnen, dass da ja noch Jackson Irvine ist. Wie vielen von Euch ist das nicht aufgefallen? Ja, die Vorzeichen haben sich geändert. Aber das bedeutet natürlich nicht, dass der FCSP-Kapitän nun keine Rolle mehr spielen wird. Im Gegenteil: Er wird nun erstmal wieder so nah am Team sein wie lange nicht mehr.

Denn Jackson Irvine fährt, wie auch Karol Mets, mit ins Trainingslager nach Flachau. Dort werden die beiden „Altzugänge“ zwar nicht voll mitziehen können, werden jeweils ein individuelles Programm abspulen. Aber sie werden als Teil des Teams dabei sein. Das kann sicher nicht schaden, da Irvine als Kapitän und Mets als Teil des Mannschaftsrats nicht nur als Spieler auf dem Platz von großer Bedeutung für das Team sind.
Fehlen in Österreich wird einzig Neuzugang Ricky-Jade Jones, der sich noch von seiner Schulter-OP erholen muss. Neben den Profis werden mit Kevin Jendrzej, Jannik Westphal, Rawley St. John, Oleg Skakun und Nick Schmidt zudem fünf Nachwuchskräfte in Flachau mit dabei sein. Auch nicht mit dabei ist Romeo Aigbekaen, bei dem sich ein Wechsel andeutet.

Diese Gedanken zur Besetzung der Doppelsechs und der Offensive zeigen: Da zeichnet sich ein starker Konkurrenzkampf ab, eventuell auch eine Umstellung der Formation. Diese Entwicklung ist richtig spannend und, auch wenn es harte Entscheidungen geben dürfte, richtig positiv für den FC St. Pauli. Aber denkt dran: Auch die im Trainingslager stattfindenden Testspiele, gegen den KSC und Nizza, bitte nicht überbewerten. Ich weiß, mir fällt das auch extrem schwer…
// Tim

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16 thoughts on “Systemfrage, Konkurrenzkampf und „Altzugänge“

  1. oppi(ritzka)
    Wahl (ritzka) Pereira
    fujima (Smith)
    vasil Smith Sinani tonji(ceesay
    Sands(Irvine). sinani)
    nehmet(mets). dapo(connar)

    saliakas(pyrka)
    connar überzeugte mich bisher leider noch garnicht in Liga 1 sowie im Testspiel (nicht überbewerten ich weiß)…würde mir noch nen knipser(ja, woher nehmen) und nen Rechtsaußen wünschen..yokota hätte ich gefeiert,aber wird gute Gründe haben warum das nix wird… ansonsten bin ich positiv für die Saison.Forza!
    danke für den Artikel und eure Arbeit insgesamt

  2. ups,hatte das so schön in Formation geschrieben…so natürlich sehr seltsam..gerne löschen:D

  3. Ohne die U23 aushöhlen zu wollen, aber Haron Sabah im Trainingslager hätte mich sehr interssiert. Vllt ist das jemand, den man auch mal reinwerfen könnte, zumindest im Pokal.

  4. Die ursprüngliche „klassische Nummerierung“ im Sturm ist, von links nach rechts, 11, 10, 9 , 8 , 7. Dahinter war mit 4,5 und 6 das Mittelfeld, dahinter wiederum mit 2 und 3 die Verteidiger, letztlich 1 für den Torwart. So bin ich als Knirps noch aufgelaufen. Sehr bald zog man die 10 und die 8 als gleichwertige Halbstürmer zurück, später kristallisierte sich die 10 als Standardnummer für den/die Spielmacher heraus, die 9 blieb für den Mittelstürmer. Franz Beckenbauer kreierte lange die 5 als „Vorstopper“, gleichzeitig als Aufbauspieler (hat Hauke Wahl unter Hürzeler manchmal in der 3er Kette gespielt), mit der 4er Kette in der Abwehr, kristallisierte sich die 6 als zentraler defensiver Mittelfeldspieler heraus. Das ist vielleicht ganz hilfreich zu wissen, um in den verschiedenen Systemen Dinge wie „Doppelsechs“, „2 schwimmende Zehner“ etc. einordnen zu können, auch wenn ich hier so manchen gelangweilt habe…ansonsten: toller Ausblick, Tim ! 🙂

  5. Ich find’s total klasse, dass wir vom nominellen System her diese Saison ziemlich unberechenbar sind. Wir können spielen:

    3-4-3
    3-4-2-1
    3-4-1-2

    Das ist es ja auch, was Blessin letzte Saison bereits immer wieder betont hat.

  6. Wie man das Kindchen auch nennen möchte, ob schwimmende 10er oder anders: Das bisherige Transferverhalten und auch das Spiel gegen Silkeborg deuten an, dass nach wie vor zwei „Außen“ agieren werden.
    Die Yokota-Bemühungen wie auch die Verpflichtung von Pereira Lage zielen angesichts deren bisherigen Stationen auf zwei inverse Außenspieler, die dann eben typisch „falschfüßig“ nach innen ziehen können, und eine bewegliche aber doch echte Spitze ab. Hountondji scheint ja schon aufgrund seiner Physis und seines Tempos nicht auf die Box festgelegt zu sein und gerade mit viel Wiese vor sich auch gern die Linie zu suchen.
    Afolayan durfte sich ja auch über links kommend zeigen und könnte mit MPL ein Pärchen bilden, das auf der gegenüberliegenden Seite vielleicht noch gesucht bzw. komplettiert werden soll. Sollte dort vorerst Metcalfe die Nase vorn haben, würde sich schon aufgrund der unterschiedlichen Spielercharakteristika eine interessante Asymmetrie ergeben, die dem Offensivdrang von Saliakas neben Metcalfe jede Menge Raum lassen könnte.
    Das Agieren als „schwimmende echte“ Außen kennt man ja auch von anderen Spielern, die ihre Stärke eben genau darin finden, weniger statisch in einem festen Korridor zu agieren, in der Grundformation aber eben doch als Außen nomiert sind. Leroy Sané ist m. E. ein gutes Beispiel dafür.

    In jedem Fall darf man sowohl das Drehen an taktischen Schrauben wie auch das „Beobachten“ 😉 des Transfermarkts gespannt sein. Ich kann mir zum Beispiel nur schwer vorstellen, dass man so früh einen Spieler(typ) Yokota offensiv in den Fokus nimmt und die Idee dann wieder ganz fallen lässt.

    Es bleibt in jedem Fall interessant.
    BG

    1. Ja, volle Zustimmung. Die Positionen verschwimmen (hehe) auch einfach immer mehr. Gut möglich, dass das System auch einfach von einem auf zwei inverse Außen umgestellt wird.
      Und ja, volle Zustimmung, es dürfte weiter ein Interesse an einem Spielertyp wie Yokota geben.

  7. Es mag unpopulär sein, aber ich finde man kann durchaus darüber diskutieren, ob Irvine weiter Kapitän sein sollte. Seine erste BuLi-Saison war durchwachsen und jetzt sind seine Konkurrenten Smith, Sands und Fujita. Die sehe ich ehrlich gesagt alle klar vor ihm und somit wenig Spielzeit für ihn. Und meiner Meinung sollte ein Kapitän ein unumstrittener Stammspieler sein, der vorangeht. Und das wird Irivine kommende Saison womöglich nicht sein.
    Ich vermute, dass Fujita sicher starten wird und dann entweder Sands oder Smith in die IV geht.

    In der Offensive vermute ich, dass es da nicht DAS System gibt, sondern wir da sehr variabel von Spiel zu Spiel oder auch situativ umstellen werden.

    1. Hey
      Why do you think that ?
      In my opinion they wouldn‘t Go into the Trainigcamp with the Squad if they are About to leave the Club.
      And there are no roumors that they will leave.

  8. Mit fällt der Gedanke schwer, Smith, Sands oder Fujita auf die Bank zu setzen, zumal wir in der Dreierreihe hinten zumindest bis zum völligen Wiedereinstieg von Mets nicht so perfekt aufgestellt sind.

  9. Steht die Elf nicht schon fast zum Start?

    TW ::: Vasilj

    5 Kette ::: Pyrka – Wahl – Smith – Németh(leider, als RIV stärker) – Oppie

    MF ::: Fujita – Sands

    Die Drei ??? Werden sich noch herauskristallisieren.

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