Die Form stimmt, daher kommt die Länderspielpause für den FC St. Pauli zur Unzeit – oder? (Titelfoto: Stefan Groenveld)
Ein Kommentar von Tim
Ich hasse Länderspielpausen. Eigentlich. Denn dieses Mal ist es anders. Länderspielpausen sind zwar immer noch scheiße und völlig unnötig. Aber diese kommt womöglich zum richtigen Zeitpunkt. Nicht, weil es aufgrund sportlicher Probleme eine Erlösung für den FC St. Pauli ist. Im Gegenteil, der FCSP ist richtig gut drauf – vielleicht ist aber genau deshalb die Pause richtig.
Es wäre untertrieben zu schreiben, dass dem FC St. Pauli der Saisonstart ganz gut gelungen ist. Gegen Norderstedt gewann der FC St. Pauli zwar erst im Elfmeterschießen, war aber drückend überlegen Auch wenn gegen den BVB „nur“ ein Remis heraussprang, so hätten die ersten beiden Bundesliga-Spieltage kaum besser laufen können. Das 3:3 gegen Dortmund war ein Punkt für die Moral, das überzeugende und dominante 2:0 gegen den HSV ein Ausdruck der eigenen Stärke und des Selbstbewusstseins.
Gelungener Saisonstart des FC St. Pauli
So stehen nach drei Pflichtspielen die 2. Runde im Pokal und vier Punkte zu Buche. Der Saisonstart hätte also kaum besser laufen können. Die Gründe dafür sind vielfältig: Die Neuzugänge des FC St. Pauli können in der Bundesliga mithalten. Die Schwachstellen des Teams (Tempo, Sechser-Position) wurden im Transfersommer konsequent angegangen. Das Team hat durch den Tempo-Zuwachs in der Offensive nun variable Möglichkeiten gefährlich vor das gegnerische Tor zu kommen. Das Grundgerüst des Kaders stand bereits sehr früh, das Team konnte weite Teile der Vorbereitung gemeinsam bestreiten. Besonders der letzte Punkt ist einer der großen Unterschiede zur Vorsaison, als der FCSP einen Trainerwechsel verkraften und einen krassen Spielstilwechsel vollführen musste.
Wie schwer ein Wechsel des Spielstils ist?
Das erklärte Alexander Blessin im Interview mit der 11Freunde (€): „Es war völlig klar: Als Aufsteiger mussten wir einen anderen Fußball spielen. (…) In der Bundesliga würden wir seltener den Ball haben, seltener das Spielgeschehen vorgeben. Wir mussten also eine andere Idee entwickeln, ohne aber ängstlich zu agieren.“
Man kann diesbezüglich auch mal beim HSV nachfragen – wo nach dem Saisonstart nun ein gut gemeinter Rat vom Stadtnachbarn sicher ganz besonders „gerne“ genommen wird. Dabei wären die Ausführungen von Blessin im 11Freunde-Interview, wie der FCSP trotz eines miesen Saisonstarts 24/25 die Ziele doch erreichen konnte, sicher hilfreich: „Nach so einem Saisonstart kann sehr leicht Unruhe aufkommen. Jungs, die wenig spielen, sind unzufrieden mit ihrer Rolle. Sportdirektoren werden mürrisch. Die Präsidenten werden nervös. All das ist hier im Verein nie passiert, das zeichnet uns aus. Und das war ein wichtiger Grund, warum wir unser Ziel am Ende erreicht haben.“
Nur der HSV!
Ruhe bewahren. Das war beim FC St. Pauli zu Beginn der letzten Saison angebracht – ist es jetzt aber mindestens genauso. Denn der Saisonstart kann auch deutlich negativer interpretiert werden: Gegen Norderstedt erst im Elfmeterschießen gewonnen, gegen den BVB drei Gegentreffer zugelassen und bei einem Aufsteiger gewonnen, der in einer Findungsphase steckt. Auch wenn es rund um den Volkspark sicher oftmals ein anderes Verständnis gibt, so schlug der FC St. Pauli am Freitag nur den HSV, keinen etablierten Bundesligisten.
Mit Fortschreiten der Bundesligasaison könnte sich auch der kleine Vorsprung, den der FC St. Pauli als Team genießt – weil bereits seit einigen Wochen gemeinsam trainiert wird, der Großteil des Kaders früh zusammen war – minimieren. Das Transferfenster ist nun endlich zu und einige Clubs, auch direkte Konkurrenten, haben in den letzten Tagen noch einmal ziemlich zugelegt. Auch wenn man sich dabei natürlich nie so wirklich sicher sein kann, so dürfte sich die Konkurrenz in den letzten Tagen verstärkt haben. Mit zunehmender Dauer könnte dieser Qualitätszuwachs beim und das Zusammenspiel von den Gegnern die Lücke zum FC St. Pauli schließen. Klar, auch beim FCSP wird es weiter Schritte nach vorne geben. Trotzdem dürfte sich über die Saison der große Vorteil eines bereits früh zusammengestellten Kaders nicht mehr ganz so stark als großes Plus erweisen, wie gerade jetzt zu Saisonbeginn.
Nicht ausflippen
Entsprechend tut der FC St. Pauli gut daran alles richtig einzuordnen. Blessin etwa erklärte kurz nach Abpfiff am Freitag in Bezug auf den guten Saisonstart: „Wenn jetzt irgendjemand ausflippt, bekommt er einen vor den Latz geknallt.“ – richtete den Blick dann aber trotzdem selbstbewusst nach vorne: „Wir wollen mehr!“
Ein zufriedenes Zurücklehnen aufgrund der errungenen Stadtmeisterschaft und/oder des gelungenen Saisonstarts ist also unbedingt zu vermeiden. Genauso wie das „Ausflippen“ in Form von der Korrektur der Saisonziele oder höheren Ansprüchen an das Team. Auch weil der FC St. Pauli letzte Saison gleich mehrfach erfahren musste, wie schnell sich das Blatt wenden kann: Sobald das Team auch nur um wenige Prozentpunkte nachgelassen hat, sei es aufgrund von Zufriedenheit oder aufkommender Euphorie, stimmten Leistung und Ergebnisse nicht mehr. Das wird diese Saison nicht anders sein.
Und genau an diesem Punkt wird aus meiner generellen Abneigung gegenüber Länderspielpausen ein „Vielleicht ganz gut, dass Pause ist“. Denn nach dem Saisonstart mit dem Top-Spiel gegen den BVB und der Stadtmeisterschaft kommt nun „nur“ der FC Augsburg ans Millerntor. ‚But can St. Pauli do it on a (rainy) sunday afternoon against Augsburg?‘ ist hier die völlig berechtigte Frage. Nach zwei Highlight-Spielen gilt es nun diesen guten Eindruck auch im Liga-Alltag zu bestätigen. Dabei könnte es sehr helfen, wenn es etwas Zeit zum Durchatmen gibt. Damit alle runterkommen, die drohen „auszuflippen“. Damit die Dinge richtig eingeordnet werden können. Klar, der Tabellenplatz gefällt und das soll er auch. Aber wenn ich lese, dass sich der FC St. Pauli diese Saison „eher nach oben, als nach unten orientieren kann“, dann bekomme ich die Krise. Übermäßige Euphorie fühlt sich gut an, ist aber ein großer Feind der Rationalität – und die braucht es beim FC St. Pauli überall, um weiter so gute Arbeit zu machen wie bisher.
Denn es wurden gerade einmal ein Zehntel der Punkte geholt, die für den Klassenerhalt notwendig sein werden. Nichts anderes als 40 Punkte zu holen kann und sollte das Ziel sein. Denn nichts wäre fataler, als nach einem guten Saisonstart die Erwartungen derart hochzufahren, dass das eigentliche Ziel aus den Augen verloren wird. Deshalb kommt die Länderspielpause zur rechten Zeit. Denn sie dürfte dabei helfen alles wieder soweit runterzukochen, dass der Klassenerhalt im Fokus bleibt und mit aller Kraft angegangen wird. Und sowieso sollte sich niemand Sorgen machen, denn: Auch nach der Länderspielpause sind wir Stadtmeister.
// Tim
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Haha, witzig die eingeblendeten „ähnlichen Beiträge“ dazu zeigen auch die Ambivalenz zu dem Thema: „Ich hasse Länderspielpausen?“, „Länderspielpause? Ja, bitte!“.
Haha, ja, das Thema beschäftigt mich. Mit unterschiedlichem Ausgang 😉
Danke für diesen Beitrag.
Jackson Irvine selbst sagte vor dem Spiel gegen den HSV, dass er sich diesen Termin als Ziel für seine Rückkehr auf den Platz notiert hatte. Hat nicht ganz geklappt, es ist sehr nicht schlecht aus, aber vielleicht reicht es ja schon für ein paar Minuten gegen Augsburg. Aber: Ist JI7 denn überhaupt noch technisch relevant für unser Team, oder benötigt man ihn nur noch als Typen, als Kilometerfresser und als Mentalitätsboss?
Ich glaube das wird sich im Detail zeigen wenn er wieder einsatzfähig ist.
Gegen Teams die eher tief stehen hat man natürlich jetzt einige Möglichkeiten variabel zu sein. Nadelstiche gegen offensive Teams beherrschen wir ja einigermaßen wenn der Ball dann mal über die Linie geht.
Man erinnere sich an die Achse der Kaltblüter aus der vergangenen Saison, als Boukhalfa und Irvine aufopferungsvoll Kilometer trotz technischer defizite abgerissen und aufgewogen haben.
Das wird man in einer Tiefphase der Saison, in der ein Fujita körperlich vielleicht nicht ins Profil passt, oder mit Sands schon ein Spieler in Form von Smith vorhanden ist, sicher sehr gut gebrauchen können.
„Nur der …“ als Überschrift? Das ist nicht mehr mein MillernTon!
Aber das erinnerte mich an … endlich mal meinen monatlichen Beitrag an Euch erhöht. Für mehr Qualitätsjournalismus.
Danke für Eure Arbeit!
So erging es mir auch fast…
Bei “ Nur der ….“ verrutschte am frühen Morgen meine Gleitsichtbrille, als ich den Anfang eines Slogans las, den eine Marketingfirma aus Altona kreierte, die auch Kekspackungen gestaltet. Aber, Brille richten und weiterlesen, es hat sich gelohnt, wie immer.
Danke an das Millernton-Team
Super Artikel, sehe ich genauso!
Dortmund, ein angeschlagener Gegner, im Verletzungspech, der nach dem Spiel noch zig Millionen ausgegeben hat. Glücklicher Zeitpunkt für uns.
Und der HSV ist wirklich nur der HSV. Kein einziger Gegner hat es uns letztes Jahr so leicht gemacht. Hier darf überhaupt nichts überbewertet werden.
Forza
Finds richtig gut, dass die aufgestiegen sind: Ihr Niedergang und Fall in Liga 2 trotz vergebener Coronakredite und Kühnemillionen erheitert noch mehr, als deren verpasste Aufstiege.
Super Artikel. Würde ich so direkt unterschreiben. 👌
Ich freue mich auf die kommenden Spieltage sehr. Ich bin gespannt was der Magdeburger Kaars so einbringt.
Als St. Pauli Fan, der in der FCM Zone wohnt, ist es nochmal was ganz Anderes. Das kann ich euch sagen. 😅
Vielen Dank für den antizyklischen Beitrag!
Ich bleibe trotzdem optimistisch(er), weil:
– Die individuelle Qualität höher
– Das Tempo deutlich höher
– Ein Knipser da
ist.
Den Rest machen dann Schiedsrichterleistung, Verletzungen, Glück und Pech aus.
Vamos a ver!
Hi Tim, ich sehe es ja bildlich vor mir, wie du neben dem Schreiben dieses Textes parallel schon mal die Europa-Landkarte für die nächste Saison studierst 😉 Mir geht’s ähnlich: Ich denke mir „Nur nicht abheben“ und rufe gleichzeitig innerlich „Choo-choo!“.
Aber natürlich ist der Beitrag vollkommen richtig: Am Boden bleiben, weiter hart arbeiten und dann sehen wir eh, was dabei rauskommt.
Es gibt genug Kritisches über Sportwetten zu sagen, aber Ahnung haben die Buchmacher schon. Und selbst nach dem BVB-Spiel hat uns z.B. bwin bei der „Meisterwette“ mit der höchsten Quote geführt. Jetzt nach dem Derbysieg sind wir bei der „Abstiegswette“ immer noch auf Rang 3 (hinter Heidenheim und dem HSV).
Danke Tim, mich holt das jetzt etwas runter. Auch das war nötig.
Irvine: ich hatte schon letzte Saison den Eindruck, dass er sehr viele Baustellen hat, die ihn beschäftigen. Das ist jetzt nicht anders. Gaza und Kultstatus. Ob er an Sands und Fujita ranreicht, ??? Wir werden sehen. Vielleicht schon gegen Kiel.
die ruhe bewaren sollte man in jedem falle im verein und der mannschaft. es gibt für sie keine gründe, vom anvisierten weg abzuweichen. und ich bin mir sicher, daß dies dort auch so geschieht.
als anhänger darf ich aber sehr wohl träumen und mir schöne bilder ausmalen, die realität immer im hinterkopf behaltend. insofern hätte ich mir schon gewünscht, daß die länderspielpause gerne nach dem vierten oder fünften spieltag gewesen wäre. den schwung aus dem derby mitnehmen und direkt gegen augsburg vergolden. die vorzeichen vor dem letzten bundesligaderbysieg im volkspark waren damals gänzlich andere. es war fast eine sensation, daß wir gewonnen haben. letzten freitag war das eine logische konsquenz des geschehens auf dem platz. wir sind eingespielt, kaars hat gezeigt, daß er sich schnell eingewöhnen kann, in unser spiel und könnte schon eine woche nach dem derby eine zusätzliche waffe sein…
na egal, es is wie es is. wir werden nächste woche sehen, ob die länderspielpause zur rechten zeit kam.
aber ich möchte trotzdem bemerken, daß mir dein denkansatz auch sehr gut gefällt.
sport frei!