Der FC St. Pauli benötigt zu lange, um gegen Werder Bremen zu seinem Spiel zu finden und verliert daher verdient mit 0:1 im Weserstadion.
(Titelfoto: Stefan Groenveld)
Puuh, das war anders geplant. Nicht, dass der FC St. Pauli als Favorit nach Bremen gefahren wäre. Aber im Spiel zeigte sich der FCSP lange Zeit ein gutes Stück vom eigenen Maximum entfernt. Sowohl mit als auch gegen den Ball brauchte das Team zu lange, um sich in Bremen für etwas Zählbares zu empfehlen. Die dritte Niederlage in Folge – sie ist eine völlig unnötige.
Die Aufstellung
Zwei Überraschungen gab es in der Startelf des FC St. Pauli: Auf der rechten Abwehrseite erhielt Arkadiusz Pyrka den Vorzug vor Manos Saliakas. Zudem sorgten Knieprobleme dafür, dass Andréas Hountondji komplett im Kader fehlte. Blessin: „Er hatte Flüssigkeit im Knie.“ Zwar sei es „nicht so schlimm“, doch ein Einsatz kam nicht infrage. Für ihn stand Martijn Kaars auf dem Platz, der damit sein Startelfdebüt feierte.
Bei Werder Bremen gab es hingegen keine einzige Änderung in der Startelf. Victor Boniface stand zwar im Kader, saß aber erneut nur auf der Bank. Auch Marco Grüll stand zu Spielbeginn nicht auf dem Platz. Stattdessen agierte der SVW mit Romano Schmid als falsche Neun, der immer wieder Gesellschaft von Njinmah und vor allem Mbangula bekam.

SVW: Hein – Sugawara, Friedl, Coulibaly, Agu – Stage, Lynen – Njinmah, Puertas, Mbangula – Schmid
FCSP: Vasilj – Wahl, Smith, Ritzka – Pyrka, Sands, Fujita, Oppie – Kaars, Sinani, Pereira Lage
Erste Aktion – gleich Scheiße
Alexander Blessin hatte vor der Partie erklärt, dass er das Nebelhorn, welches am Beginn des Torjingles im Weserstadion läuft, unbedingt nicht hören wollte. Diesen Wunsch konnte er bereits nach nicht einmal 120 gespielten Sekunden begraben. Der FC St. Pauli hatte noch nicht eine einzige Ballbesitzphase verzeichnet, da verlagerte Stage das Spiel auf die rechte Seite der Bremer. Dort nahm Njinmah den Ball auf, sein Schuss wurde abgeblockt, doch der Abpraller landete im Rückraum beim völlig blanken Mbangula, der sich nicht zweimal bitten ließ und zur Bremer Führung einschoss. Das Nebelhorn ertönte – und dieser Treffer sollte das gesamte Spiel massiv beeinflussen.
Dieser Gegentreffer ist besonders ärgerlich gewesen, weil genau solche Szenen ein wichtiger Teil des FCSP-Trainings unter der Woche waren. Blessin erklärte nach Abpfiff, dass die beiden Sechser, Fujita und Sands, erst zu weit vorgerückt waren beziehungsweise nicht richtig nachgeschoben wurde, sodass sich hinter ihnen ein Raum öffnete, der die Spielverlagerung durch Stage überhaupt ermöglichte. Momente später seien die beiden Sechser dann zu nahe am eigenen Tor gewesen: „Dann sind wir auf einmal in der Box drin, wo sechs Leute zum eigenen Tor laufen, drei davon ohne Mann. Da ist ein abgestuftes Fallen notwendig. Da muss ich schauen, wo ich als Sechser stehe. Ich will generell nicht, dass die Sechser in die Kette fallen, das ist ein Prinzip von uns. Deshalb war es in vielerlei Hinsicht vermeidbar und tut umso mehr weh.“
Fehlende Griffigkeit gegen den Ball
Erst nach diesem Gegentreffer wurde sichtbar, was beide Teams in diesem Spiel überhaupt vorhatten. Werder Bremen agierte anders, als sie es zum Beispiel gegen Borussia Mönchengladbach getan hatten (und es im Vorbericht beschrieben worden war). Bei Bremer Ballbesitz rückte Stage von seiner Sechser-Position halbrechts nach vorne. Puertas, der gegen den Ball als Zehner agierte, bewegte sich in den halblinken Raum, besetzte diesen fast konsequent und versuchte dort, mit Agu und Mbangula Dreiecke zu bilden.
Das gelang in der Anfangsphase recht gut. Der FC St. Pauli hatte in den ersten 30 Minuten so seine liebe Mühe und Not, das Aufbauspiel von Werder Bremen entscheidend zu stören. Das hing vor allem mit diesen Dreiecken zusammen. In diesen Zonen mangelte es dem FCSP teilweise an Abstimmung, zumeist aber, so erklärte es Blessin nach Abpfiff, an „Griffigkeit“. Gelangte der Ball auf eine Seite, so versuchte der FC St. Pauli, das Dreieck mit dem Sechser, dem Außenverteidiger und oft auch einem der äußeren Innenverteidiger zu stören. Das gelang vor allem im ersten Drittel der Partie eher schlecht als recht, der FCSP kam oft zu spät in die Verteidigungsaktion (weil es zum Beispiel auf der rechten Seite hinter Kaars zu viel Raum gab, der FCSP dort die Abstände nicht eng genug hielt), störte die Gegenspieler nicht früh genug, auch weil die Laufwege zu lang gewesen sind. Oppie und Pyrka mussten immer eine recht große Lücke zum gegnerischen Außenverteidiger schließen.
Mit Ball zu defensiv gedacht
Auch wenn der FC St. Pauli bereits in der siebten Minute in Person von Pereira Lage eine gute Gelegenheit zum Ausgleich hatte, so sprach das Chancenverhältnis eine deutliche Sprache: Werder Bremen hatte viel bessere Torgelegenheiten und der FCSP hätte sich nicht darüber beschweren dürfen, wenn der SVW bereits Mitte der ersten Hälfte einen zweiten Treffer nachgelegt hätte. Das lag aber keinesfalls hauptsächlich daran, dass die Bremer mit dem Ball so stark gewesen sind. Vielmehr sorgten auch etliche Fehler des FC St. Pauli im Aufbauspiel dafür, dass Bremen immer wieder gute Umschaltmomente und Offensivaktionen hatte.
Die Aufbaustruktur des FC St. Pauli war dabei etwas anders als zuletzt: Das Team wollte sich, so erklärte es Blessin später, viel vertikaler auf einer Seite nach vorne durchspielen. Das ist auch eine gute Idee, wenn es gegen Teams geht, die mit einer Viererkette agieren. Weil diese eben nicht die personelle Präsenz auf den Außenbahnen haben können. Der FCSP versuchte die Bremer Viererkette auch komplett hinten zu binden. Hierzu schoben Pereira Lage und Kaars zentral nach vorne, auf den Seiten bekamen sie von Oppie und Pyrka Gesellschaft. Sinani ließ sich hingegen oft fallen, war eine sehr viel tiefere Anspielstation als in den Spielen zuvor.

// (c) Stefan Groenveld
Zu oft rechts – auf und neben dem Platz ein Problem
Auffällig und sicher auch ein Teil der Probleme des FC St. Pauli im Offensivspiel, weil Werder Bremen damit gut planen konnte: Der FC St. Pauli baute im ersten Abschnitt brutal viel öfter über die rechte Seite auf. Das zeigen auch die Zahlen: Hauke Wahl spielte als rechter Innenverteidiger insgesamt 23 progressive Pässe, Lars Ritzka als linker Innenverteidiger nur zwei. Geplant war diese Rechtslastigkeit nicht erklärte Blessin später: „Eric Smith hat sich eher immer für die rechte Seite entschieden. Aber dort hatten wir keine Spielfortsetzung, weil der Jolly oft zu kurz kam.“
Im letzten Halbsatz verbirgt sich eine Kritik an der Spielweise von Pyrka, die aber auch auf das gesamte Team angewendet werden kann. Denn mit „zu kurz kam“ meint Blessin, dass sich Pyrka immer während einer Laufbewegung zum eigenen Tor für Pässe anbot. Und wenn man in dieser Bewegung ist, dann spielt man eben auch öfter direkt wieder nach hinten, erläuterte der FCSP-Cheftrainer. Hierbei habe nicht nur die richtige Bewegung, sondern auch die richtige Einstellung gefehlt: „Wir haben 70 Prozent der Bälle nach hinten gespielt, hatten überhaupt keinen Mut, nach vorne zu spielen.“ Zudem haben Tiefenläufe gefehlt und die äußeren Innenverteidiger haben sich zu selten in Positionen gebracht, aus denen sie tiefe Pässe hätten spielen können, so der FCSP-Chefcoach.
Erst zum Ende der ersten Halbzeit wurde das Spiel des FC St. Pauli besser. Neben fehlendem Mut und Problemen im Spiel gegen den Ball war im Verlauf der ersten 45 Minuten auch klar erkennbar, warum es nicht ganz so selbstbewusst zur Sache ging: Das Spiel des FCSP war durchsetzt von Ungenauigkeiten und Abstimmungsproblemen. Teilweise kamen kürzeste Pässe und Gedanken nicht beim Mitspieler an (gerade weil es oft über ihre Seite ging, tat sich dabei leider das Duo Pyrka/Kaars hervor). Viel zu oft kam Werder viel zu leicht in Ballbesitz – und der FC St. Pauli nicht zu Torchancen.
FCSP-Viererkette knackt SVW-Formation
Trotz aller Bemühungen, die ihm ganz sicher nicht abzusprechen sind, hatte Martijn Kaars so seine liebe Mühe und Not mit dem Spiel. Das ist für einen Spieler, der zum ersten Mal in der Startelf bei einem Bundesligaspiel steht, natürlich auch völlig normal. Dennoch schien es so, als wenn andere Skills als jene druckvollen und steten Tiefenläufe von Kaars, dem FCSP gutgetan hätten. Auch wenn es viel direkt über die Außenbahn gehen sollte, so war in die meisten gefährlichen Aktionen der ersten 60 Minuten der offensive Halbraum involviert. Und dort fand sich meist nur Sinani, seltener Pereira Lage. Ein zweiter Spieler, der diesen Raum besetzt und sich dort wohlfühlt, hätte das FCSP-Offensivspiel vielleicht gefährlicher machen können, so war zumindest mein Eindruck.
Aber einer der Spieler im Kader des FC St. Pauli, der sich in diesen Halbräumen wohlfühlt und in guter Form dem Team hätte weiterhelfen können, kam am Samstag nicht zum Einsatz: Dapo Afolayan reiste zwar mit nach Bremen, war aber nicht Teil der sechs Spieler, die sich warmmachten (es dürfen nicht mehr als sechs sein). Warum das so war und warum er auch nicht in die Partie kam, wurde nach Abpfiff erklärt: Es seien disziplinarische Gründe gewesen, die der FCSP-Chefcoach um die Worte „Wenn man zu spät kommt, bestraft einen das Leben“ ergänzte. Puuuh. Auch wenn niemand Bock darauf hat, scheint sich nun wieder ein Fass zu öffnen, das für alle Beteiligten am besten geschlossen bleibt.

Außerdem zeigt sich sehr gut, wie genau der FC St. Pauli besser zurechtkam.
Griffiger – und mannorientierter?
Insgesamt kam der FC St. Pauli gut aus der Pause. Wenngleich das nicht bedeutet, dass das Team Torgefahr erzeugte. Aber es war mehr Ballsicherheit vorhanden, die Ballbesitzphasen wurden länger. Und zahlreicher. Weil das Team gegen den Ball nun erfolgreicher war, viel öfter und vor allem schneller das Spielgerät gewann. Ich hätte schwören können, dass der FC St. Pauli gegen Puertas und Stage nun mannorientierter agierte, Oppie und Pyrka nun konsequenter offensiv vorschoben auf die Bremer Außenverteidiger. Aber Blessin sagte nach Abpfiff (wie auch die Spieler, die ich darauf ansprach), dass es sich tatsächlich nicht um eine taktische Anpassung gehandelt habe, sondern vielmehr um die von Blessin erwähnte „Griffigkeit“. Die lässt sich auch in den Zahlen gut ablesen: Im ersten Abschnitt gewann der FC St. Pauli 16 Zweikämpfe (Werder 28), in der zweiten Halbzeit waren es 29 (Werder 28).
Zudem band der FC St. Pauli nun auch seine eigene linke Seite viel öfter ins Spiel ein. Im zweiten Abschnitt gab es viel mehr Aktionen über Oppie, was dem Team guttat. Blessin erklärte nach Abpfiff selbstkritisch: „Wir müssen mehr Variabilität bekommen, dürfen nicht nur über eine Seite kommen. Da muss ich mich auch selbst überprüfen. Im Training diese Woche haben wir viele Aktionen gehabt, wo wir über die rechte Seite aufgebaut haben. Vielleicht war das zu sehr im Hinterkopf.“
Umstellung hat Effekt – warum so spät?
In der 70. Minute wechselte der FC St. Pauli dann dreifach. Metcalfe, Ceesay und Saliakas kamen für Ritzka, Sands und Pyrka. Dieser Dreifachwechsel bedeutete auch eine taktische Umstellung: Der FCSP agierte fortan mit einer Viererkette. Sinani fiel neben Fujita auf die Doppelsechs, Metcalfe und Pereira Lage besetzten die offensiven Halbräume, Kaars und Ceesay agierten als klassische Doppelsitze. „Mir ging es um eine Positionierung von den zwei Stürmern, das sie sich nicht zu sehr rausleiten lassen. Wir waren davor sehr weit mit den Stürmern auf der Außenspur. Dann hatten wir Mathias und Connor auf den Halbpositionen, die sich beide im schwimmenden Bereich sehr wohl fühlen“, erklärte Blessin.

Diese Umstellung zeigte sofort Wirkung, der FC St. Pauli konnte Werder Bremen ab diesem Moment in der eigenen Hälfte einschnüren. Das hing auch mit einem taktischen Vorteil zusammen: Weil Metcalfe und Pereira Lage durch ihre Positionierung sowohl die gegnerischen Außenverteidiger, als auch deren Sechser banden. Werder agierte davor mit einer 3-1-Formation und konnte so die Breite des FCSP-Spiels nicht gänzlich abdecken. Dadurch waren Saliakas und Oppie oft sehr frei in der Hälfte des SVW. Folglich konnte Werder seine Pressinghöhe nicht halten, fiel immer tiefer.
Der FC St. Pauli erzeugte in dieser Phase viel Druck und man fragte sich unweigerlich, warum das nicht schon viel früher so angepasst wurde. Allerdings konnte man auch erkennen, welchen Preis diese Umstellung hatte (was auch erklärt, warum sie so spät geschah): Werder hatte nun einige exzellente Kontergelegenheiten. Und auch wenn der FCSP viel öfter vor dem Bremer Strafraum auftauchte, so muss man festhalten: Der SVW war einem weiteren Treffer etwas näher, als der FCSP dem Ausgleich. Mehr als einige gefährliche Distanzschüsse und enge, aber Torschuss-lose Situationen im SVW-Strafraum brachte der FC St. Pauli nicht zustande.
Druck, aber zu wenig Torgefahr
Trotzdem waren die letzten 20 Minuten die beste Phase des FC St. Pauli, es war die erste der Partie, in der das Team wirklich Druck auf das Bremer Tor erzeugen konnte. Umso ärgerlicher, dass sie nur kurz anhielt. Auch deshalb, weil es trotz zwei längerer Verletzungsunterbrechungen und viel Leerlauf bei Bremer Standardsituationen nur eine Nachspielzeit von vier Minuten gab. Klar, bei einer FCSP-Führung würde ich mich daran kaum stören. Aber die Länge der Nachspielzeit ist ein Buch mit sieben Siegeln geworden.
So verliert der FC St. Pauli die Partie bei Werder Bremen letztlich verdient mit 0:1. Weil das Team vor allem in der ersten Hälfte viel zu lange brauchte, um Lösungen im Offensiv- und Griffigkeit im Defensivspiel zu finden. Das ist sehr, sehr ärgerlich. Denn einige Phasen des Spiels zeigten, dass der FCSP klar besser war, als Griffigkeit und offensive Kreativität passten. Was allerdings in diesem Spielbericht sehr kurz kommt und ganz sicher so auch nicht unbedingt erwartet werden konnte: Werder Bremen hatte in den Spielen zuvor immer relativ viele gegnerische Chancen zugelassen. Nun gelang es ihnen aber besonders im zweiten Abschnitt, als sie lange Zeit sehr tief verteidigen mussten, sehr gut, den FC St. Pauli vom eigenen Tor fernzuhalten. Klar, da gehört sicher auch die fehlende Durchschlagskraft des FCSP dazu, aber ich fand auch, dass das einfach eine richtig starke und vor allem aufopferungsvolle Defensivleistung der Bremer gewesen ist.
Die dritte Niederlage in Folge sorgt dafür, dass wirklich alle Träumereien wieder auf dem harten Boden der Realität ankommen. Hatte der Saisonbeginn noch gezeigt, dass der FC St. Pauli auch Spiele gewinnen kann, in denen das Team nicht in allen Spielphasen am Maximum ist, so zeigten die letzten drei Spiele genau das nicht. Vielmehr zeigten die Auswärtsspiele in Stuttgart und Bremen, dass der FCSP Probleme hat, zu seinem Spiel zu finden. So gibt es einen kleinen Rucksack mit in die Länderspielpause. Das ist ärgerlich, weil es so unnötig ist. Aber wichtig, damit sich alle darauf besinnen, dass es für den FC St. Pauli in dieser Saison einzig um den Klassenerhalt gehen wird.
Immer weiter vor!
// Tim
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