Zeugnisverweigerungsrecht: „Es ist paradox, der Sozialen Arbeit dieses Recht zu verwehren“

Zeugnisverweigerungsrecht: „Es ist paradox, der Sozialen Arbeit dieses Recht zu verwehren“

Nach dem Berufungsprozess im Fall des Fanprojektes Karlsruhe werden in den Kurven weiter die Forderungen nach einem Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit laut.
Titelfoto: Stefan Groenveld

Am Donnerstag, den 16.10., fand die öffentliche Berufungsverhandlung mit drei Mitarbeitenden des Fanprojektes Karlsruhe vor dem Landgericht Karlsruhe statt. Sie forderten einen Freispruch der ihnen aufgesetzten Geldstrafe wegen des Vorwurfs der Strafvereitelung. Aber was genau sind die Hintergründe und was bedeutet es für die Arbeit der Fußball-Fanprojekte?

In diversen Fankurven sah man in den vergangenen Wochenenden Tapeten, die ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit forderten. Bisher gilt das Zeugnisverweigerungsrecht für Berufsgruppen wie Ärtz*innen, Geistliche oder Rechtanwät*innen, jedoch nicht in der Sozialen Arbeit. Aber was ist das Zeugnisverweigerungsrecht eigentlich ist und was würde es für die Soziale Arbeit bedeuten? Dafür haben wir unter anderem beim Fanladen genauer nachgefragt.

Hintergrund

Am 12. November 2022 war der FC St. Pauli zu Gast beim Karlsruher SC. Die Ultra-Gruppe „Rhein-Fire“ feierte ihr 20-jähriges Jubiläum und zündeten dabei eine große Menge an Pyrotechnik, was nicht nur eine Verzögerung des Spiels sondern auch elf verletzte Personen mit sich zog. Kurz darauf wurden Ermittlungen, unter anderem wegen fahrlässiger Körperverletzung, gegen verantwortliche Ultras eingeleitet. Da das Fanprojekt ein gutes Verhältnis zu den Ultras inne hatte, sollte ein Gespräch zwischen der Ultra-Gruppe und den verletzten KSC-Fans stattfinden. Daraufhin erhielten drei Mitarbeiter*innen des Fanprojekts eine Vorladung als Zeug*innen. Diese Zeugenaussage verweigerten sie.

Was folgte, war eine Klage der Staatsanwaltschaft gegen die Fanprojekt-Mitarbeiter*innen mit dem Vorwurf der versuchten Strafvereitelung. Die Mitarbeiter*innen wurden mit einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen belegt, in Summe eine Geldstrafe von rund 16.000 Euro. Das Fanprojekt legte Berufung gegen das Urteil ein und forderte eine Freisprechung. Dieser Prozess fand nun am Donnerstag, den 16. Oktober statt. Und: die drei Fanprojekt-Mitarbeiter*innen erhielten eine Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldauflage.

Was ist das Zeugnisverweigerungsrecht?

Das Zeugnisverweigerungsrecht tritt ein, wenn „ein besonders schützenswertes persönliches oder ein sonstiges Vertrauensverhältnis vorliegt“ (bpb). So kann also eine Zeugenaussage, von sehr nahe stehenden Angehörigen (z.B. Ehegatten) oder von Berufsgeheimnisträgern (z.B. Rechtsanwält*innen, Ärtzt*innen, Geistliche) verweigert werden. In der Sozialen Arbeit kann das Zeugnisverweigerungsrecht nur in zwei Bereichen, für Fachkräfte in Schwangerschafts- und Dorgenberatungsstellen, angewandt werden. Das Bündnis für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit spricht sich für eine Reform des §53 StPo (Strafprozessordnung) aus, um das Zeugnisverweigerungsrecht in die gesamte Soziale Arbeit auszuweiten. So also auch bei den Fanprojekten der deutschen Fußballvereine.

Kurz vor dem Berufungsprozess äußerte sich auch die Fanhilfe Karlsruhe zum Fall. Dabei zeigten sie auf, wie wichtig es für die Arbeit von Fanprojekten ist ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Vertrauensschutz und Verschwiegenheit stellen eine zentrale Arbeitsgrundlage dar. So schreibt die Fanhilfe Karlsruhe: „Die Sozialarbeiter sahen sich auf Grund der Vorladung zur Zeugenaussage in einem Dilemma: Das über viele Jahre erarbeitete, besondere Vertrauensverhältnis zu ihrer Zielgruppe, ein zentraler Grundpfeiler der sozialen Arbeit, stand auf dem Spiel. […] Die derzeitige Rechtslage ohne ein allgemeines Zeugnisverweigerungsrecht basiert auf einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1972. Dessen Argumentation ist aus heutiger Sicht schlichtweg veraltet.“

Fanladen: „Klarer Arbeitsauftrag in Richtung der Politik“

Wir haben beim Fanladen einmal genauer nachgefragt, was für sie ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit bedeuten würde und was fehlt, um es umsetzen zu können. Julian hat für uns Antworten:

MillernTon: Hallo, lieber Fanladen! Was würde ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit, vor allem für die Arbeit der Fanprojekte für euch bedeuten?
Julian vom Fanladen: Ein Zeugnisverweigerungsrecht für die Soziale Arbeit ist essentiell wichtig und gemessen an anderen Berufsgruppen, denen in ihrer Profession Geheimnisse anvertraut werden, meines Erachtens auch unverzichtbar: Ärzt*innen, Anwält*innen, Journalist*innen, sogar theologische Seelsorger*innen haben ein Zeugnisverweigerungsrecht, um ihren Job vernünftig machen zu können. Es ist schon ziemlich paradox, der Sozialen Arbeit, die ja auch im öffentlichen Auftrag stattfindet und steuerfinanziert ist, dieses Recht zu verwehren.
Dabei ist mir wichtig, die Diskussion ein bisschen vom Feld der Fanprojekte wegzubekommen, auch in anderen Bereichen der Sozialen Arbeit ist das total relevant. In sozialen Beratungssettings, etwa Sozial- oder Schuldner*innenberatung zum Beispiel, spielt das eine Rolle oder in einer Wohngruppe, wo Sozialarbeiter*innen gegenüber Bewohner*innen darauf hinwirken, gesetzeswidriges Verhalten künftig zu unterlassen – zum Beispiel beim Jugendlichen, der Drogen verkauft oder so.

Straftaten oder vermeintliche Straftaten im Fußballkontext werden medial oft höher gehängt, so dass manchmal ein anderes öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht und im aktuell vor Gericht verhandelten Fall ging es auch um Fanprojekte, aber wie gesagt: Es ist nicht nur für uns, als die Einhörner unter den Sozialarbeitenden zentral. Sondern Kern der Möglichkeit, mit Menschen in der Sozialen Arbeit zu arbeiten, ist es, Vertrauen aufbauen zu können – und dabei sollte man nicht mit einem halben Bein selbst im Strafverfahren stehen. Und auch im Fußball reden wir oft nicht von Kapitaldelikten. Gehe ich also zu jemandem hin, von dem ich mitkriege, wie er oder sie an einer Raste ein Thunfischsandwich klaut und sage: „Diggie, das ist dumm, du gefährdest Dich und andere?“ oder gehe ich straight mit Tunnelblick zur Toilette, wieder raus und bemühe mich, nichts mitzukriegen? Reden wir mit jungen Menschen, von denen wir mitkriegen, dass sie gewaltsam einen Schal „abgezogen“ haben und versuchen Empathie für das Gegenüber zu wecken oder versuchen wir, von so etwas besser nichts mitzubekommen?

MT: Was bedeutet die Einstellung gegen Auflage für zukünftige Fälle? Ist es ein gutes Zeichen für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit?
Julian: In erster Linie lese ich daraus einen klaren Arbeitsauftrag in Richtung der Politik, eine rechtssichere Lösung zu schaffen. Staatsanwält*innen unterliegen dem Strafverfolgungszwang und dem Amtsermittlungsgrundsatz – sorry, wenn das juristisch nicht exakt die richtigen Begriffe sind, wir alle keine Jurist*innen – und können kaum anders handeln, wenn sie in ihrem Handeln beobachtet werden. Dass das vor Gericht trotzdem eingestellt wird, scheint mir ein Hilfeschrei seitens des Gerichts in Richtung einer gesetzlichen Regelung zu sein.

MT: Welche rechtliche Grundlage fehlt für ein Zeugnisverweigerungsrecht?
Julian: Es müsste im § 53 StPO die Gruppe derer erweitert werden, die als Berufsgeheimnisträger*innen das Zeugnis verweigern dürfen. Wahrscheinlich müsste die Soziale Arbeit im Gegensatz berufsständische Kriterien definieren, ähnliche Ärzt*innen und Rechtsanwält*innen, die in Kammern organisiert sind. Aber da stecken andere tiefer in der juristischen Fachdebatte, wir sehen vor allem die Auswirkungen auf unsere Arbeit.

Ablehnung seitens der Bundesregierung

Nach der Einstellung des Berufungsprozesses gegen die drei Mitarbeiter*innen des Fanprojekts Karlsruhe, liegt der Ball nun wieder bei der Politik. Nachdem die Linke nach einer Anfrage für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit im Januar 2024 bereits auf Ablehnung stieß, war das auch nach der Anfrage der Grünen im August diesen Jahres der Fall. So bleibt also spannend, ob sich in der Politik nach dem Prozess noch etwas bewegt. Es wäre wünschenswert.

Immer weiter vor!
//Nina

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