Borussia Mönchengladbach – ein Abstiegskandidat?

Borussia Mönchengladbach – ein Abstiegskandidat?

Nur drei Punkte holte der kommende Gegner des FC St. Pauli, Borussia Mönchengladbach, bisher, der Club liegt auf Platz 18. Muss er sich ernsthaft vor einem Abstieg fürchten?
(Titelfoto: Lars Baron/Getty Images/via OneFootball)

Es dürfte nur wenige Personen geben, die vor der Saison darauf gesetzt haben, dass das Tabellenschlusslicht der Bundesliga nach acht Spieltagen Borussia Mönchengladbach heißt. Dabei dürfte die Innensicht der Dinge aber schon etwas pessimistischer sein, als der Blick von außen auf die Fohlen. Vor der Partie gegen den FC St. Pauli möchten wir gerne einen etwas intensiveren Blick auf die Entwicklung und die aktuelle Situation bei Borussia Mönchengladbach werfen. Denn klar ist auch: Der FC St. Pauli kann jeden ernsthaften Abstiegskandidaten in der Bundesliga gut als Konkurrenz gebrauchen.

Ernsthafter Abstiegskandidat oder nur ein Club in der Findungsphase?

Die Frage ist: Gehört Mönchengladbach in diese Riege der Abstiegskandidaten? Befindet sich der Club in einer ähnlichen Negativspirale, wie der HSV oder Werder Bremen vor ein paar Jahren? Oder hat der Club einfach nur ein bisschen „Schluckauf“ und wird spätestens in der Rückrunde die notwendigen Punkte holen?
Unter anderem das haben wir die hoch geschätzten Kollegen von „BorussiaXplained“ gefragt. Tobi (@boekelblog) hat uns einen tiefen Einblick in die aktuelle Situation bei Borussia Mönchengladbach gewährt.

Moin Tobi, Borussia Mönchengladbach steht aktuell mit nur drei Zählern am Tabellenende der Bundesliga. Warum?
Tobi: Man könnte hier eine Erklärung aufmachen, die bis zum CL-Achtelfinale im Frühjahr 2021 zurückführt – das würde aber den Rahmen noch mehr sprengen als ohnehin schon. Konkret: Borussia hat definitiv zu lange an Trainer Gerardo Seoane festgehalten, der mit seinem pragmatischen, individual-fokussierten Trainingsansatz in seinen gut zwei Jahren Amtszeit sehr wenig inhaltliche Substanz aufgebaut und hinterlassen hat. Er war eigentlich von Anfang der falsche Trainer, um in Borussias Situation ein starkes neues Mannschaftskollektiv mit klaren Prinzipien als Leitplanken aufzubauen.

Trotzdem ließen sich die Verantwortlichen nach der fußballerisch desaströsen ersten Saison (34 Punkte, schwächste Saison der letzten 15 Jahre) auf eine zweite Saison ein – Kontinuität als Selbstzweck. In der zweiten Saison ließen wir alle uns dann phasenweise davon blenden, dass Borussia durch starke Einzelspieler (insbes. Kleindienst, Plea, Honorat, Itakura) und einen etwas aktiveren Defensivansatz phasenweise eine gute Runde spielte – kein Team punktete zuverlässiger gegen Teams aus dem unteren Tabellendrittel und bis April sah es so aus, als könne Borussia um Europa mitspielen. In den letzten 7 Spielen zeigte sich dann aber, wie abhängig Borussia auch in dieser verbesserten Saison vom „Momentum“ war und wie wenig inhaltliche Substanz die Mannschaft in Krisensituationen entgegenzusetzen hatte. Sobald es ernst oder schwierig wurde, fiel die Mannschaft unter Seoane zu oft in die inhaltliche Leere zurück. So blieb Borussia vom 26. Spieltag an sieglos.

„Seoane war eigentlich von Anfang der falsche Trainer, um in Borussias Situation eine starkes neues Mannschaftskollektiv mit klaren Prinzipien als Leitplanken aufzubauen.“

Trotz erneut kritischer Stimmen nach Platz 14 und 10 unter Seoane ging man mit Seoane und den 7 sieglosen Spielen Hypothek in die neue Saison. Allerdings nicht ohne vorher die im Gehaltsgefüge oben stehenden Ko Itakura, Julian Weigl und Alassane Pléa zu verkaufen und durch Shuto Machino, Yannik Engelhardt und Kevin Diks zu ersetzen. Zudem lieh man noch Haris Tabaković aus, um den monatelang fehlenden Tim Kleindienst zu ersetzen.

Ein Potpourri aus Verletzungen (Hack, Ngoumou, Honorat, Kleindienst, Machino) und nicht gleichwertig ersetzten Abgängen (Itakura, Weigl, Pléa) fiel dann zu Saisonbeginn mit der inhaltlich dünnen Handreichung des Trainers Gerardo Seoane und der Hypothek des katastrophalen Saisonendspurts 24/25 zusammen. Borussia mühte sich gegen den Oberligisten Delmenhorst zu einem glücklichen 3:2 und zerfiel nach einem 0:0 gegen den HSV und ein 0:1 gegen Stuttgart im Heimspiel gegen Bremen komplett – 0:4. Nach einem Punkt aus den ersten drei Partien musste Seoane gehen.

Seitdem ringt das Team unter Eugen Polanski um Stabilität und eine neue Struktur – zuerst zeigte man sich bei 1:1 in Leverkusen enorm verbessert, um dann im zweiten Polanski-Spiel beim 4:6 (0:5) vs. Frankfurt die ganze Verunsicherung der 11 sieglosen Spiele zu offenbaren und noch weitere Verunsicherung zu tanken. Es folgte ein (unerwartet?) stabiles, marginal feldüberlegenes 0:0 gegen Freiburg sowie Niederlagen in Berlin (1:3) und zu zehnt gegen München (0:3). In letzterem Spiel immerhin aufopferungsvoll und sehr diszipliniert verteidigend.

Neben den Verletzungen, der inhaltlichen Leere des Ex-Trainers und den kaum ersetzbaren Abgängen ist meines Erachtens der „Rucksack“ der 15 sieglosen Spiele mit jedem weiteren Spiel seit Saisonbeginn ebenfalls zu einem riesigen Thema rund um das Team und den Club geworden. Die letzte Führung in der Bundesliga datiert vom 3. Mai – der letzte BL-Sieg vom 27. März. In dieser Saison ist man (das 4:6 gegen Frankfurt ausgeklammert) in der Liga noch ohne Tor im eigenen Stadion.
Die Hoffnung im Umfeld ist aber groß, das zumindest der letztgenannte Faktor durch das jüngste 3:1 gegen den KSC im Pokal „angegangen“ worden sein könnte. Zudem bessert sich die personelle Decke in der Offensive langsam wieder etwas.

In der Bundesliga sieglos seit März

Rechnet man die vier Treffer bei der 4:6-Niederlage heraus, dann wurden erst zwei Tore
erzielt. Ist das das aktuell größte Problem des Teams?

Tobi: Meines Erachtens klares Ja! Rechnet man die beiden Debakel gegen Bremen und Frankfurt heraus, hat Borussia inklusive einer Partie mit 75 Minuten Unterzahl gegen Bayern eine Tordifferenz von 2:8 in sechs Spielen. Mit jeweils einem zusätzlichen Tor in den Spielen gegen Freiburg (0:0), den HSV (0:0) oder Stuttgart (0:1) könnte man ganz easy auf Platz 12 stehen – und die Chancen wären durchaus da gewesen, wenn auch nicht üppig. Natürlich kann man die defensiven Probleme nicht negieren und die Debakel „herausrechnen“, als hätten sie nicht stattgefunden. Man kann daran aber meines Erachtens schon ablesen, dass die Defensive unter Polanski nicht mehr das Kernproblem ist, sondern die vielen torlosen Spiele. Sicherlich ist das Thema auch ein personelles, da phasenweise mit Machino, Hack, Honorat, Kleindienst und Ngoumou faktisch die ersten fünf Offensivspieler des Kaders sowie sämtliche Flügelspieler ausgefallen waren. Gegen den KSC sah es mit 26 Torschüssen und zahlreichen Großchancen zuletzt wieder besser aus. Zudem sind Franck Honorat und Shuto Machino wieder verfügbar.

‚Das Thema der sieglosen Spiele kann irgendwann größer werden als jeder Qualitätsvorteil, den Borussia gegenüber Teams wie Heidenheim und anderen durchaus haben sollte. Man wäre ja nicht das erste Team, das lange den Mythos vor sich her trägt, „eigentlich zu gut für den Abstieg“ zu sein.‘

War diese negative Entwicklung absehbar? Und ist sie vielleicht vergleichbar mit dem
Niedergang des HSV oder SVW vor ein paar Jahren?

Tobi: Wenn man alle Faktoren zusammen in Betracht zieht, die ich in meiner langen ersten Antwort genannt habe: ja! Man konnte das Ganze schon absehen oder zumindest sehr begründet befürchten. Der Trainer Seoane vermittelte über zwei Jahre nie den Eindruck, mit fundierten Inhalten an einem funktionierenden Kollektiv zu arbeiten; er wurde durch individuelle Qualität speziell in der Offensive (Pléa, Kleindienst, Hack, Honorat) durch die solide zweite Saison getragen. Durch Verletzungen und Abgänge den Kader so zu schwächen und darauf zu hoffen (bzw. hoffen zu müssen), dass die Neuzugänge das abfedern könnten, war schon naiv. Es war dann auch unter den Fans ein realistisch diskutiertes Szenario, dass man mit sieben sieglosen Spielen im Gepäck bei einem machbar erscheinenden Startprogramm direkt eine enorme Fallhöhe haben könnte, wenn diese vermeintlich machbaren Spiele nicht „gezogen“ würden. Und dieses Szenario ist dann ja auch eingetreten.

Vergleichbar mit dem HSV oder Bremen? Bedingt. Wenn dann eher mit Bremen als mit dem HSV. Borussia hat anders als der HSV in der genannten Phase bislang noch nicht im verzweifelten Bestreben, wieder „nach oben“ in die „natürlichen Gefilde“ zu kommen, personell einen komplett wilden Schlingerkurs gefahren und wird sehr konservativ geführt. Teure Transfers sind meist vertretbar mit Einnahme gegenfinanziert und fallen nicht „vom Himmel“. Das Eigenkapital betrug zuletzt noch 48 Mio. Euro – CEO Stegemann legt großen Wert auf finanzielle Seriosität. Insofern wäre das Bremen-Beispiel vielleicht passender. Dort ist ja in meiner Erinnerung einfach über Jahre die Mannschaft schlechter geworden, bis es dann irgendwann nicht mehr reichte. Das könnte Borussia theoretisch auch widerfahren.

Virkus als „Verwalter des Niedergangs“

Ihr habt bei BorussiaXplained Seoane, wie ich finde sehr passend, als „Vertretungslehrer“
bezeichnet
. Wie würdet Ihr die Arbeit von Roland Virkus bezeichnen?

Tobi: In Anlehnung an eine Wendung, die ich bei Calcio Berlin aufgeschnappt habe, würde ich Roland Virkus als „Verwalter des Niedergangs“ in Gladbach bezeichnen. Roland Virkus ist es nicht gelungen, mit einem roten Faden und einem klar verfolgten Ziel die Dominosteine aufzuhalten, die Borussia seit 2021 vom CL-Achtelfinalisten zu einem Abstiegskandidaten gemacht haben. Er trägt daran meines Erachtens durchaus weniger Schuld, als ihm oft in der breiten Öffentlichkeit zugeschrieben wird, weil viele äußere Faktoren auf ihn eingewirkt haben, die er nicht alle beeinflussen konnte. So ist er sicherlich nicht Schuld daran, dass die teure CL-Mannschaft erst nicht mehr so recht performte und dann nach und nach ablösefrei oder unter Wert das Weite suchte. Allerdings fehlte ihm auch immer die Vision, Konsequenz und die Innovationskraft, um aus dieser misslichen Lage mehr zu machen als ein „Reagieren auf den Zerfall“. Einige Transfers waren kaderpolitisch schwer begründbar oder so teure Fehlgriffe, dass sie Borussias knappe Kassen weiter belasteten. Zudem gelang es ihm zu spät, die Personalkosten im Kader deutlich zu reduzieren. Seine Trainerentscheidungen waren wankelmütig (Hütter → Farke → Seoane – Spielidee???) und am Ende inkonsequent, indem er Farke aus bis heute unerfindlichen Gründen entließ und am völlig uninspirierten Seoane bis kurz vor Ultimo festhielt. Sicherlich gab es mit Kleindienst, Itakura oder Honorat auch gute Griffe – das waren aber alles eher kleine Wellen in einem Abwärtsstrudel, den Roland Virkus immer nur begleiten, aber nie aufhalten konnte.

LEVERKUSEN, GERMANY - SEPTEMBER 21: Charles Herrmann of Borussia Monchengladbach and Eugen Polanski, Interim Head Coach of Borussia Monchengladbach talk after the Bundesliga match between Bayer 04 Leverkusen and Borussia Mönchengladbach at BayArena on September 21 (Photo by Lars Baron / Getty Images)
Unter der Leitung von Eugen Polanski konnten im Spiel von Borussia Mönchengladbach zwar schon Verbesserungen beobachtet werden, ergebnistechnisch ist der Trainer-Effekt bisher aber ausgeblieben.
(Lars Baron/Getty Images/via OneFootball)

Platz 18, drei Punkte: Wie real ist die Abstiegsgefahr für Borussia Mönchengladbach?
Tobi: Die Gefahr ist sehr real. Borussia braucht unbedingt zeitnah einen Sieg, um den mentalen Berg nicht immer größer werden zu lassen. Das Thema der sieglosen Spiele kann irgendwann größer werden als jeder Qualitätsvorteil, den Borussia gegenüber Teams wie Heidenheim und anderen durchaus haben sollte. Man wäre ja nicht das erste Team, das lange den Mythos vor sich her trägt, „eigentlich zu gut für den Abstieg“ zu sein. In Gladbach ist die Stimmung aber in dieser Hinsicht in meiner Wahrnehmung absolut klar. Die Leute gehen von Abstiegskampf bis zum Schluss oder vom sicheren Abstieg aus. Kaum einer rechnet damit, noch ins gesicherte Mittelfeld zurückzukommen – auch wenn das punktemäßig sicher möglich wäre.

Polanski macht Hoffnung, aber vielleicht „zur falschen Zeit am falschen Ort“?

Was und wer macht Hoffnung, dass der Super-GAU Abstieg verhindert werden kann?
Tobi: Die jüngste Entwicklung unter Eugen Polanski, der der Mannschaft Prinzipien an die Hand zu geben scheint, die Stabilität verleihen können. Zudem die Hoffnung, dass nach einem (zeitnahen) ersten Sieg die Ballast der letzten Monate abfällt und dann doch die Qualität durchschlägt, die Borussia zwischen 10-15 einlaufen lassen könnte. Rückkehrer Tim Kleindienst könnte allein 2-3 Tabellenplätze wert sein, wenn er wieder zu alter Form findet. Es ist keine steile These, wenn man den letztjährigen Aufschwung (34 zu 45 Punkte, Platz 14 zu 10) zu mindestens 50% Tim Kleindienst und seinem Impact auf das gesamte Spiel von Borussia zuschreiben würde.
Aktuell ist die Marschrichtung, irgendwie mit einer zweistelligen Punktzahl Anschluss zu halten und in die Winterpause zu kommen und dann mit 1-2 Neuzugängen eine gute Rückrunde spielen zu können.

Ist die aktuelle Lösung mit Polanski eine mit Zukunft? Erkennt man schon Veränderungen auf
dem Platz?

Tobi: Das Spiel ist deutlich weniger von schneller Vertikalität geprägt als unter Seoane. Zudem hat Borussia die beinahe schon aufreizend großen Abstände im Aufbauspiel drastisch verkleinert. Unter Polanski ist ruhiges Ballbesitzspiel auch im eigenen Aufbau wieder zu einem Kontrollelement geworden, das dem Team unter Seoane eigentlich vollständig abging. Diese Änderungen sind schon sehr klar sichtbar. In Spielen wie gegen München sah man zudem, dass es Polanskis Team inzwischen ganz gut gelingt, das Zentrum defensiv zu schließen (eine der obersten Prämissen von Polanski) und dass die Mannschaft speziell defensiv diesen Prinzipien schon sehr konzentriert und diszipliniert folgen kann. Offensiv überzeugte man zuletzt gegen den KSC mit schönen Umschaltsituationen und gutem spielerischen Auflösen des Karlsruher Pressings. Verbessern will sich Polanski nach eigener Aussage demnächst noch im Positionsspiel und in der Konstanz des Abrufens der genannten Prinzipien (vgl. den Fehlstart in Berlin).

Auch wenn ich Polanski für einen guten Trainer halte, dessen Impact man schon beobachten kann, ist die Gefahr natürlich real, dass er in dieser Konstellation „zur falschen Zeit am falschen Ort“ ist und verbrannt wird. Er muss jetzt unbedingt Spiele wie am Samstag auf St. Pauli oder gegen Heidenheim (22.11.) gewinnen, um nicht doch – verständlicherweise – in einem Akt der Verzweiflung ausgetauscht zu werden.

Lieber Tobi, vielen Dank für den tiefen und ausführlichen Einblick!
// Tim

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