Anfang 2019 trafen der FC St. Pauli und der 1. FC Union Berlin am Millerntor aufeinander, schienen auf Augenhöhe – sieben Jahre später ist ein deutlicher Unterschied vorhanden.
(Titelfoto: Stefan Groenveld)
Es war ein Spitzenspiel, als der FC St. Pauli und der 1. FC Union Berlin im Januar 2019 am Millerntor gegeneinander spielten. Die Ausgangslage war völlig klar: Vor dem Spieltag lag der FCSP auf Platz vier, knapp hinter Union, ein klassisches Sechs-Punkte-Spiel also – und das zwischen zwei Aufstiegs-Aspiranten. Motivieren musste mich damals niemand mehr, nicht einmal die Tatsache, dass die Partie montags stattfand, konnte die Vorfreude trüben.
Von Göttern und zweiten Bällen
Zu sehen gab es dann eine Partie, in der zwei ziemlich unterschiedliche Spielideen aufeinandertrafen: Union mit der definitiv besseren Spielanlage, mit richtigen Ideen bei Ballbesitz. Der FC St. Pauli hingegen mit nicht viel mehr als einer gut abgestimmten defensiven Formation und dem weder sonderlich kreativen noch attraktiven Plan, die Bälle lang und hoch gen Alex Meier zu pöhlen.
Wie es dann oft eben so läuft im Fußball, hatte der FCSP, also das eigentlich schwächere Team, am Ende die Nase vorn. „Von Göttern und zweiten Bällen“ lautete der Titel des MillernTon-Spielberichts. Sami Allagui erzielte eines seiner eher wenigen Tore für den FCSP und brachte seine Farben mit 1:0 in Führung. Alex Meier erhöhte nach rund einer Stunde, per Kopf nach einer Ecke. Doch Union Berlin kam verdientermaßen zurück: Grischa Prömel und Suleiman Abdullahi trafen in der 84. und 86. Minute und so ging es mit einem 2:2 in die Nachspielzeit. In der 93. Minute war es dann Abdullahi, der ziemlich unnötig und regelwidrig gegen Buchtmann einstieg – und das im Strafraum von Union… Alex Meier verwandelte nicht nur den fälligen Elfmeter sondern auch das Millerntor in ein Tollhaus.
Fürchterlicher Spielstil des FC St. Pauli
Der Sieg gegen Union Berlin sorgte für große Aufstiegshoffnungen beim FC St. Pauli. Nach diesem Spiel lag das Team von Markus Kauczinski auf dem dritten Tabellenplatz. Und das völlig zu unrecht! Denn der Fußball, den man vom FCSP in der Saison 18/19 zu sehen bekam, bestand aus nicht mehr als dem, was gegen Union präsentiert wurde: Kompakte Defensive und vorne ein Fokus auf lange und zweite Bälle – nur der Erfolg sorgte dafür, dass dieser Spielstil auszuhalten war.
Entsprechend war es dann sehr schnell nicht mehr auszuhalten, als der Erfolg fehlte. Auf das 3:2 gegen Union folgten zwei Niederlagen, auswärts in Köln und zuhause gegen Aue (Karma is a bitch). Dann gab es zwei Siege, jeweils glücklich mit 1:0 gegen Ingolstadt und in Paderborn, ehe der HSV am 10. März zur Stadtmeisterschaft ans Millerntor kam.
Ihr wisst sicher spätestens nach dem letzten Satz, welch beschissene Wendung diese Spielzeit noch genommen hat. Am Saisonende stand der FC St. Pauli auf Rang neun. Union Berlin stieg nach erfolgreichen Relegationsspielen gegen Stuttgart in die Bundesliga auf.

// (c) Stefan Groenveld
Union steigt auf, St. Pauli wechselt den Trainer
Seit diesem Aufeinandertreffen im Januar 2019, als sich der FC St. Pauli und der 1. FC Union Berlin tabellarisch auf Augenhöhe bewegten, haben sich die Clubs sehr weit auseinanderentwickelt. Die Kader beider Clubs haben aber schon damals klare Unterschiede aufgewiesen. Auf der einen Seite Union Berlin mit Spielern, die auch heute noch weit oben im Ligensystem aktiv sind: Grischa Prömel (traf diese Saison schon gegen uns), Marvin Friedrich, Marcel Hartel und Julian Ryerson. Auf der anderen Seite der FCSP, aus dessen damaligem Kader nur Jeremy Dudziak und Robin Himmelmann aktuell überhaupt noch auf Zweitliganiveau unterwegs sind.
Der FC St. Pauli sollte noch einige Jahre in der zweiten Liga bleiben. Union Berlin hingegen legte eine total rasante Entwicklung hin: Nach dem recht ungefährdeten Klassenerhalt (Platz elf) in der ersten Saison folgte Platz sieben und damit die Quali für die Conference League. Auch im Folgejahr qualifizierte man sich für das internationale Geschäft. Und im Jahr darauf sogar für die Champions League. Aus dem direkten Konkurrenten des FC St. Pauli ist also innerhalb weniger Jahre ein Dauergast im internationalen Geschäft geworden.
FCU verliert neun Ligaspiele in Serie – und hält trotzdem die Klasse!
Gut, der letzte Satz ist etwas überspitzt formuliert, denn es folgte der Fast-Abstieg von Union Berlin in der Saison 23/24, als man nach starkem Saisonstart – FCSP aufgepasst! – sogar neun Ligaspiele in Serie verlor. Zwischendurch schien Union dann zwar bereits gerettet, vor dem letzten Spieltag stand das Team aber plötzlich wieder auf Rang 16. Durch einen Sieg gegen Freiburg rettete sich Union damals, musste aber auch in der Folgesaison eher nach unten schauen als nach oben.
Und genau in dieser Folgesaison war auch erstmals der FC St. Pauli wieder Liga-Konkurrent. Der hatte zwei Monate nach dem Spiel im Januar 2019 erstmal Trainer Kauczinski entlassen, stieg mit Jos Luhukay dann fast ab. Timo Schultz übernahm, der Aufstieg wurde verpasst, die Entwicklung stagnierte, ehe Fabian Hürzeler übernahm und den Club in seiner 18-monatigen Amtszeit in die Bundesliga führte.
Nun treffen der FC St. Pauli und der 1. FC Union Berlin bereits das zweite Jahr in Folge in der Bundesliga aufeinander. In der Tabelle vorbeiziehen kann der FCSP mit einem Sieg allerdings nicht. Sowieso unterscheidet beide Clubs finanziell eine Menge. Während der FC St. Pauli in der letzten Saison beim Umsatz erstmals die Marke von 100 Millionen Euro knackte, lag der von Union Berlin in den Saisons 22/23, 23/24 und 24/25 (ohne internationales Geschäft) jeweils rund um die 180 Millionen Euro. Es dürfte Jahre dauern, bis der FCSP diesen finanziellen Rückstand wettgemacht hat. Und dazu muss der Club natürlich in der Bundesliga bleiben.
Es ist also sicher kein Duell auf Augenhöhe, wenn am Sonntag um 17:30 Uhr der FC St. Pauli und der 1. FC Union Berlin gegeneinander spielen. Anders als im Januar 2019. Doch erfolgreich kann der FCSP natürlich trotzdem sein: Der 3:0-Heimerfolg gegen Union (Anpfiff auch am Sonntag um 17:30 Uhr) in der Vorsaison war sicher eines der besten Spiele des FC St. Pauli in 24/25. Genau das würde ich auch gerne über das Spiel zwischen dem FCSP und Union am Millerntor in dieser Saison schreiben…
// Tim
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Brachiale Analyse von Kautsche-Ball. Meine Frage wäre jetzt, inwieweit Blessin-Krisen-Ball besser aussehen wird?
„Es dürfte Jahre dauern, bis der FCSP diesen finanziellen Rückstand wettgemacht hat.“
Es ist auch möglich, dass dieser Rückstand nie aufgeholt wird. Denn im Mix der Einnahmen (Tickets, Medienrechte, Kommerz) hat der Kommerz in der 1. BL den größten Anteil. Und gerade hier ist nicht zu erwarten, dass der FCSP zu den anderen Clubs aufschließt. Das ist wegen mir gut & richtig, zur Not auch im Misserfolg.
Woher kommt der große finanzielle Unterschied? Das Stadion „die alte Försterei“ fasst ja sogar weniger Zuschauer als unser schönes Stadion. Häufig werden ja die Einnahmen bezüglich der Stadionkapazität angeführt.
Union hat einen Mäzen. Teilweise werden da Gehälter gezahlt, die mochte nicht mal Frankfurt bieten.
Nicht umsonst war man dort für den Verkauf der Bundesligarechte an Investoren.
Selten sooo gelacht !!!
Ohne Experte zu sein:
Der größte Faktor sind meines Wissens die TV-Gelder. Und das für die Bundesliga (nach Tabellenplatz) und internationale Wettbewerbe, letzteres bei Union drei mal und davon ein mal Champions League (Jackpot).
Einnahmen aus Stadion und Merchandising sind bei Union sicher nicht besser als bei uns.
Bezüglich Werbeverträge/Sponsoring kenne ich mich bei Union nicht aus.
Stadium revenues come from hospitality. The number of lowest prices tickets (and thus the stadium capacity) is irrelevant . That’s the reason why some clubs are considering making them free as a PR move.
Ich weiß nicht mehr genau, ob es Dirk Zingler war, aber kurz nach dem Aufstieg wurde Union gefragt, wie gefährlich i.M.n. das negative Eigenkapital angesichts der hohen Investitionen in die Mannschaft sei. Die Antwort war: Ein negatives Eigenkapital wird durch höhren Umsatz und nicht durch Sparen abgebaut.
2023/24 hatte Union 68 Mio. Medienerlösen, dann wird an anderer Stelle von etwa 40 Mio. Sponsering und Marketing gesprochen und 2022/23 gab es etwa 30 Mio. an Transfereinnahmen
Union hat also ordentlich was risikiert und durch das sportlich bessere Abschneiden stiegen die Einnahmen. Union kam 2019 mit einem negativen Eigenkapital von 10 Mio. in die 1. Bundesliga, das stieg bis 2021 auf astronomische 29 Mio.(Werder konnte darüber nur milde lächeln). Für mich ein Ritt auf der Rasierklinge.
Sehr oft habe ich in den letzten Jahren an diesen genialen Abend in 2019 gedacht. Was hat Union danach (und davor) besser gemacht als wir? Was können wir davon vielleicht übernehmen?
Noch etwas: Hatte Union nicht in der Bundesliga durchgehend ein Spielsystem wie „hinten Beton und vorne hilft der liebe Gott“, also nur Konter und ein/zwei schnelle Stürmer mit direktem Zug zum Tor? Hast du nicht letzte Saison sinngemäß geschrieben, die wollen den Ball nicht haben und können damit auch nichts anfangen? Ich finde das in den Artikeln im Blog leider nicht wieder.
Das erinnert mich gerade an die damalige Kauczinski-Taktik bei uns. Aber Union war damit deutlich erfolgreicher. 🙂
Das stimmt. Unter Fischer haben sie in der Bundesliga so gespielt. Auch jetzt spielen sie so. In der zweiten Liga haben sie damals aber etwas anders, progressiver agiert.
Geil, damals mit Kalla in der Startelf 😀
Steile These: Ohne einen kultigen Investor, den wegen wegen Untreue und vorsätzlicher Insolvenzverschleppung vorbestraften Michael Kölmel und seine Millionen, die er seit 1998 in den Verein gepumpt hat, stünde Union heute vermutlich anders da.
Der Kölmel, der – neben vielen anderen kultigen Deals im Fußball (hallo nach Düsseldorf, Karlsruhe, Erfurt, Braunschweig und Dresden) – auch dafür sorgte, dass ein kultiger Energiedrinkhersteller aus Österreich ihm sein Zentralstadion in Leipzig abkaufte und den Deal mit der Lizenz von Markranstädt einfädelte und ganz nebenbei noch Zeit hatte, den Traditionshändler 2001 vollrohr gegen die Wand zu fahren. Kulttyp, einfach.
Das ist natürlich nur Miesmacherei und stimmt alles so gar nicht. Dass die Eisernen sich in der 1. Liga etablieren konnten, lag nur an „Bluten für Union“. Und den Fans, die unentgeltlich beim Stadionbau mitgeholfen haben. Und den jedes Jahr im Stadion gemeinsam gesungenen Weihnachtsliedern. Und Nina Hagen. Und Ritter Keule.
Kölmel hat Union im Januar 1998 (also vor fast 28 Jahren) ein Darlehen über 15 Millionen DM, also 7,5 Mill. €, gegeben, das später teilweise mit einem Rangrücktritt versehen wurde. Danach ist Union bis in die 4. Liga abgestiegen. Wenn das dafür verantwortlich ist, dass sich Union seit 7 Jahren in der 1. Liga etabliert, dann wahrscheinlich nur deshalb, weil es Union ohne das damalige Darlehen nicht mehr gäbe. Mit der Arbeit, die seit den Viertligazeiten (2005/06) geleistet wurde, hat das aber nix zu tun. Schade, dass man das bei Pauli erklären muss – eigentlich wird dieser abgenagte Knochen nur von den Kunden des Brauseherstellers geworfen.