Gegen den 1. FC Union Berlin möchte der FC St. Pauli die Niederlagenserie beenden und er braucht dafür Mut gegen ein Team, das wenig Interesse am Mitspielen hat – und dadurch sehr unangenehm ist.
(Titelfoto: Stefan Groenveld)
Die Länderspielpause ist vorbei, der FC St. Pauli hat endlich die Gelegenheit, die Serie von Niederlagen zu beenden. Da hat allerdings der 1. FC Union Berlin etwas dagegen. Zur Vorbereitung auf diese Partie empfehle ich gleich mehrere Veröffentlichungen auf unserer Webseite: 1. das „Vor dem Spiel“-Gespräch von Michael mit Tim Pritlove; 2. ein tieferer Blick auf eine Begegnung beider Clubs vor fast sieben Jahren; 3. eine Zusammenfassung aller bisherigen Aufeinandertreffen.
Natürlich benötigt der FC St. Pauli jeglichen Support von den Rängen am Sonntag. Allerdings wird er darauf zwölf Minuten warten müssen. Denn es wurde ein Stimmungs-Boykott aufgrund der geplanten Verschärfungen der Sicherheitsmaßnahmen angekündigt. Warum genau? Fankultur schützen – Hinterzimmerdeals stoppen!
FC St. Pauli: Wer kann spielen, wer fehlt?
Drei Spieler werden dem FC St. Pauli am Sonntag fehlen: David Nemeth ist nach seiner Operation im Adduktorenbereich noch nicht wieder im Team-Training, wird also noch sehr lange fehlen. Auch Manos Saliakas und Adam Dźwigała fallen am Wochenende aus. Beide werden aber wohl kommende Woche wieder dabei sei, so Alexander Blessin auf der Pressekonferenz.
Ricky-Jade Jones vor Debüt
Ein anderer Spieler dürfte hingegen erstmals für den FC St. Pauli in einem Pflichtspiel auf dem Platz stehen: Ricky-Jade Jones ist endlich so weit. Nach seiner zu Beginn der Vorbereitung erlittenen Schulterverletzung hat sich der pfeilschnelle Offensivspieler Stück für Stück herangearbeitet und steht nun vor einer Kadernominierung. Blessin erklärte, wie wichtig vor allem auch die positive Stimmung von Jones für das Team sei, mahnte aber direkt an, dass man ihm Zeit geben müsse. Der 23-jährige dürfe nicht als „Heilsbringer“ betrachtet werden: „Er tut uns gut und seine Geschwindigkeit tut uns gut, aber auch er braucht Zeit.“
1. FC Union Berlin: Wer kann spielen, wer fehlt?
Auf Seiten des 1. FC Union Berlin gibt es zwei Rückkehrer: Christopher Trimmel hat seine Gelbsperre abgesessen und Angreifer Andrej Ilic ist wieder mit an Bord. Das ist nicht der Fall bei Linksverteidiger Robert Skov, der bereits seit Ende des Sommers fehlt. Ebenfalls nicht mit dabei am Sonntag ist Mittelfeldspieler András Schäfer, der mit einer Blessur von der Länderspielreise zurückkehrte.
Was hat Union zu bieten?
Licht, Schatten und sehr destruktiven Fußball – Union Berlin hat in dieser Saison bereits drei Siege einfahren können, war zudem der erste Club in der Bundesliga, der bereits gegen Bayern München punkten konnte. Es ist mir ehrlich gesagt völlig unklar, wozu Union in dieser Saison imstande ist. Es gibt Spiele, in denen das Team sehr stabil wirkt, dann aber auch solche, in denen vieles wackelt. Welches Union man am Sonntag am Millerntor zu sehen bekommt, dürfte zu großen Teilen vom FC St. Pauli abhängen.
Wenig Ballbesitz, wenig „schöner“ Fußball
Der 1. FC Union Berlin bietet unter der Leitung von Steffen Baumgart tatsächlich eher das an, was unter Anhänger*innen des „schönen“ Fußballs für hochgezogene Augenbrauen sorgt: Das Team fokussiert sich auf eine kompakte Defensive, spielt nach vorne viele lange Bälle, setzt auf offensive Umschaltmomente und Standardsituationen. 36,6 Prozent Ballbesitzanteil hat das Team durchschnittlich – das ist mit großem Abstand Platz 18 in der Liga (Platz 17: Heidenheim mit 41 Prozent). Klingt nicht sonderlich sexy, ist es auch nicht. Aber wer Erfolg hat, hat recht – und es muss schon anerkannt werden, dass der Kader von Union Berlin schon sehr deutlich auf genau diese Art des Fußballs ausgerichtet ist.
Union agiert in einer Art 5-2-3 auf dem Platz. Für die nicht immer, aber oft genug stabile Defensive ist vor allem das Innenverteidiger-Trio Leite-Querfeld-Doekhi verantwortlich. Diese drei Spieler sind durchaus als kompromissloses Herzstück des Union-Spiels zu verstehen. Vieles richtet sich in den Abläufen auch nach ihren individuellen Stärken, es wird versucht, ihre Schwächen nicht zur Geltung kommen zu lassen. Welche das sind, habe ich versucht Alexander Blessin auf der Pressekonferenz zu entlocken. Der FCSP-Cheftrainer deutete an, dass es sich nicht um das schnellste IV-Trio der Liga handelt, betonte zudem die klaren Abläufe wie das kollektive Fallenlassen. Wer in dieser oder letzter Saison Spiele von Union Berlin gesehen hat, der/dem dürfte vielleicht schon aufgefallen sein, dass dieses Trio individuell sicher nicht überragend, aber die Abstimmung untereinander sehr gut ist. Besonders in ruhigeren Spielphasen ist diese Innenverteidigung nur ganz schwer zu knacken und man darf gespannt sein, wie der FC St. Pauli das schaffen will.

Gefahr durch Konter und Standards
Von fast ganz hinten nach ganz vorne: Neben den drei Innenverteidigern ist das Offensiv-Trio von Union Berlin hervorzuheben. Weil es mit seinen Eigenschaften klar zur Spielidee des Teams passt, vermutlich sogar maßgeblich dafür verantwortlich ist, warum Baumgart mit Union so spielen lässt. Mittelstürmer Andrej Ilic führt die meisten Kopfballduelle aller Bundesligaspieler, ist das klare Ziel der vielen langen Bälle, die Union spielt. Wir haben ja Haris Tabaković und seine Spielweise vor wenigen Wochen am Millerntor gesehen, Ilic dürfte nochmal eine deutlich zentralere Rolle einnehmen, wird noch viel konsequenter mit hohen Bällen gesucht.
Mittelstürmer Ilic dürfte von Oliver Burke und Ilyas Ansah flankiert werden. Burke ist vor allem aufgrund seines enormen Tempos gefährlich für die Gegner. Kein Bundesligaspieler außer dem Union-Neuzugang aus Bremen hat in dieser Saison die Marke von 36 km/h geknackt. Fragt mal in Frankfurt nach, wie gut Burke Konter veredeln kann (er traf beim 4:3-Erfolg gegen die Eintracht dreimal). Ansah hingegen ist in jeder Hinsicht beeindruckend. Der 21-jährige ist nicht weniger als ein wirklich richtig, richtig großes Offensivtalent. Alleine aufgrund seiner körperlichen Voraussetzungen: Mit 1,94m ist er ziemlich groß und körperlich sehr präsent, ist aber zudem ziemlich schnell auf den Beinen und technisch versiert. Und er ist ein echter Arbeiter auf dem Platz: Von den 213 Bundesligaspielern mit signifikanter Spielzeit (>450 Minuten) führt nur Freiburgs Junior Adamu pro Partie mehr Zweikämpfe als Ilic und Ansah. Ach, vier Treffer hat er nebenbei auch schon erzielt.
Vier Treffer hat auch schon Danilho Doekhi – als Innenverteidiger. Der 27-jährige ist das zentrale Ziel bei Standardsituationen der Berliner. Sechs der 13 Union-Treffer fielen aus Standardsituationen. Entsprechend mahnt Blessin, dass der kommende Gegner bei Standards „extrem gefährlich“ sei. Bei diesen Situationen kommt es darauf an, dass die direkten Duelle gewonnen werden. Das ist laut FCSP-Cheftrainer sowieso das wichtigste Element am Sonntag: „Es wird keinen Schönheitspreis zu gewinnen geben. Wir müssen bereit sein, die Zweikämpfe anzunehmen und über die hundert Prozent zu gehen.“
Mögliche Aufstellung
Bei der personellen Aufstellung von Union Berlin gibt es ein paar Fragezeichen. Zum Beispiel bei der Besetzung der rechten Außenbahn. Dort könnte der 38-jährige(!) Trimmel zurückkehren und Janik Haberer verdrängen. Der verletzte Schäfer wird wohl eher nicht positionsgetreu ersetzt werden, denn Union agierte gegen den FC Bayern München mit einem Dreier-Mittelfeld und nur zwei Offensivkräften. Nun kehrt aber Ilic zurück und dürfte dafür sorgen, dass wieder drei Offensivspieler beim FCU auf dem Platz stehen. Ob neben Ilic und Ansah auch Burke auf dem Platz stehen wird, ist aber etwas unsicher, da der ebenfalls schnelle Tim Skarke ernsthafte Konkurrenz darstellt. Ebenfalls unklar ist die Besetzung der linken Schiene, wo Tim Rothe und Derrick Köhn um den Platz in der Startelf konkurrieren.

FCSP: Vasilj – Wahl, Smith, Mets – Pyrka, Irvine, Fujita, Oppie – Sinani – Kaars, Pereira Lage
FCU: Rönnow – Doekhi, Querfeld, Leite – Trimmel, Khedira, Kemlein, Rothe – Burke, Ansah – Ilic
Jackson Irvine vor Startelfdebüt
Ebenso viele Fragezeichen gibt es beim FC St. Pauli. Nicht in der Fünfer-Abwehrkette, die auch aufgrund der Verletzungen anderer Spieler, unverändert bleiben wird. Aber davor gibt es Fragezeichen. Ein Ausrufezeichen kann zwar hinter einer Rückkehr von Jackson Irvine in die Startelf gemacht werden. Alles andere wäre nach den Worten von Alexander Blessin auf der Pressekonferenz und der Leistung Irvines gegen Freiburg verwunderlich. Fragt sich nur, ob Irvine anstatt James Sands oder mit James Sands auf dem Platz stehen wird. Nein, nicht zu Lasten von Joel Fujita. Blessin ließ nämlich offen, ob der FC St. Pauli nicht vielleicht auch mit einem Dreier-Mittelfeld startet. Das würde dann ziemlich sicher zu Lasten eines Offensivspielers gehen und ist auf jeden Fall eine interessante Variante.
Ich vermute, dass diese Variante bei den drei Auswärtsspielen in der Folgewoche ein Thema werden könnte, nicht aber gegen Union Berlin, tippe darauf, dass Fujita und Irvine starten. Denn um einen tiefstehenden Gegner zu bespielen, wäre es ganz gut, wenn es einige technisch versierte Spieler auf den Platz schaffen, allen voran Danel Sinani. Der hatte zuletzt im FCSP-Trikot zwar nicht überzeugen können, dürfte aber gegen die FCU-Innenverteidigung durchaus ein paar Vorteile haben.
Kein „Angsthasen-Fußball“
Noch etwas größer sind meine persönlichen Fragezeichen bei der weiteren Besetzung der Offensive. Dass nicht davon auszugehen ist, dass der FC St. Pauli sonderlich viele Räume hinter der letzten Kette von Union bekommen wird, dürfte die Startelfchancen von Hountondji (von Jones auch, aber den erwarte ich sowieso nicht von Anfang an) mindern und jene von Pereira Lage erhöhen. Auch die Dribbelstärke von Afolayan ist sicher nicht von Nachteil, ebenso die Passsicherheit von Metcalfe. Ich tippe darauf, dass neben Sinani und Pereira Lage noch ein „richtiger“ Mittelstürmer auf dem Platz sein wird, vermutlich Kaars. Vielleicht ist aber auch der wilde Spielstil von Ceesay gegen Union genau die richtige Wahl.
Wer auch immer in der Startelf stehen wird, die Aufgabe wird für die Spieler groß sein. Weil Union Berlin extrem unangenehm ist, seine Gegner in Sachen Zweikampfintensität extrem fordern wird und trotz tiefer Positionierung mit langen Bällen und Kontern (und Standards) eine stete Gefahr erzeugt. Der FC St. Pauli muss offensiv Lösungen finden, geduldig sein, auf engem Raum möglichst kreativ sein und wenig Fehler machen. Klingt schwer, ist es auch. Besonders wenn einem eine Serie von sieben Niederlagen in Folge im Nacken sitzt. Alexander Blessin verlangt trotz dieser Serie Mut von seinem Team, erklärt: „Mit Angsthasen-Fußball werden wir nicht weit kommen.“ – und bei diesem Vorhaben sollten wir das Team von den Rängen nach Leibeskräften unterstützen (ab Minute 13). Alle zusammen für den Klassenerhalt!
Forza!
// Tim
Alle Beiträge beim MillernTon sind gratis. Wir freuen uns aber sehr, wenn Du uns unterstützt.
MillernTon auf BlueSky // Mastodon // Facebook // Instagram // Threads // WhatsApp // YouTube