Kritisch, aber nicht dramatisch

Kritisch, aber nicht dramatisch

Der FC St. Pauli überwintert auf dem Relegationsrang. Zu Recht? Und was muss passieren, damit dieser nach oben verlassen werden kann?
(Titelfoto: Stefan Groenveld)

Die Winterpause ist kurz. Weniger als drei Wochen hat der FC St. Pauli Zeit zum Durchatmen. Das ist nicht viel. Vor allem dann nicht, wenn es ein paar Baustellen im Kader und bei der Spielweise gibt, Themen also, an denen dringend intensiv gearbeitet werden muss. Auch wenn der FCSP sich zuletzt ergebnistechnisch verbessert hat, so begleiten ihn ein paar solcher Themen in die Winterpause. Welche das sind, schauen wir uns etwas genauer an.

Der FC St. Pauli ist aus einer Saison gekommen, in der man die zweitbeste Defensive der Bundesliga stellte. Diese war unzweifelhaft ursächlich dafür, dass der FCSP die Klasse halten konnte. Diese Zahlen haben sich geändert in dieser Spielzeit: Nur fünf Clubs haben in den bisher absolvierten 15 Partien mehr Gegentreffer als der FC St. Pauli fressen müssen. Die Anzahl an gegnerischen Abschlüssen ist im Vergleich zur Vorsaison gestiegen, von 10,3 auf 11,3 pro Partie. Auch der xG-Wert ist höher als noch 24/25: Er liegt jetzt bei 1,58, letzte Saison bei 1,41.

Defensiv wackeliger

Das ist zwar eine Steigerung und sie zeigt an, dass der FC St. Pauli gegen den Ball mehr Probleme hat. Aber diese Steigerung ist recht klein, sodass man schließen kann, dass der FCSP defensiv nicht dramatisch viel schlechter geworden ist. Es sind einige Kleinigkeiten, die zusammengekommen sind und ein großes Ganzes ergeben:

1 – Die höhere Anzahl an gegnerischen Abschlüssen samt höherem xG-Wert. Der Anstieg des xG-Werts kommt übrigens nicht zustande, weil es einfach mehr Abschlüsse gab. Auch der xG-Wert pro Abschluss ist leicht höher als noch in der Vorsaison. Der FC St. Pauli lässt also sowohl mehr, als auch bessere Gelegenheiten zu. Wichtig: Weder der gegnerische xG-Wert, noch die Anzahl an Abschlüssen ist dramtisch. Bei den xG-Werten liegt der FCSP in der Liga auf Rang elf, bei der Anzahl an Abschlüssen auf Rang acht.

2 – Nikola Vasilj hat zwar immer noch den besten PSxG-Wert der gesamten Liga, dieser ist jedoch leicht gesunken (was aber trotzdem noch bedeutet: Er ist der beste Torwart der Bundesliga in Sachen Torverteidigung).
Zudem war der FCSP-Schlussmann in drei Spielen in Folge nicht ganz schuldlos an der Entstehung des jeweils ersten Gegentreffers. Das klingt total hart, dass das hier mit aufgeführt wird, aber später im Text zeigt sich, dass der Zeitpunkt der Gegentreffer in diesen Partien besonders schwer für den FC St. Pauli (und der Umsetzung der Spielidee) wog.

3 – 26 Gegentreffer hat sich der FC St. Pauli gefangen. Das ist mehr als nach xG wahrscheinlich, dieser Wert liegt bei 23,7. In der Vorsaison war es umgekehrt: Der FCSP fing sich weniger Gegentreffer (41) als nach xG (48,02) wahrscheinlich. Die Auswirkungen dieser Unterschiede sind gewaltig. Wir reden hier über einen Unterschied, der zum jetzigen Saisonzeitpunkt fünf-sechs Gegentreffer mehr oder weniger bedeutet. Das ist eine Anzahl, die für den FC St. Pauli total relevant ist.

„gute Entwicklung eingeleitet“

Der FC St. Pauli ist also defensiv nicht mehr so stabil, wie noch in der Vorsaison. Deshalb ist wenig verwunderlich, dass Alexander Blessin mitten in der Hinrunde, vor dem Spiel in Freiburg, einen wieder stärkeren Fokus auf defensive Stabilität legte. Berücksichtigt man die Zahlen, dann ist zwar der ganz große Effekt dieser Veränderung ausgeblieben, aber es ist eine Verbesserung erkennbar: Der gegnerische xG-Wert ist von 1,65 pro Partie (VOR Freiburg) auf 1,47 (SEIT Freiburg) gesunken, die Anzahl an Gegentreffern (2 pro Spiel VOR Freiburg, 1,33 SEIT Freiburg) ist sogar deutlich gesunken.
Zudem erklärte Blessin nach dem Mainz-Spiel, dass der Trend in genau die richtige Richtung gehe: „Wir haben wieder ein Commitment, wie wir spielen wollen, wie wir unsere Abwehrarbeit definieren. Wir haben eine gute Entwicklung eingeleitet.“

Stabiler, aber ungefährlich

Diese Entwicklung hin zur defensiven Stabilität der Vorsaison hat aber einen Preis – und der ist sehr schmerzhaft: Der FC St. Pauli hat große Probleme Torgefahr zu erzeugen. Aus einer ohnehin schon eher mittelprächtig gefährlichen Offensive ist eine sehr harmlose geworden. Die harmloseste der Liga, um genau zu sein. Vor dem Freiburg-Spiel kam das Team auf einen xG-Wert von 1,25 und 4,1 Schüssen auf das Tor, jeweils pro Partie. Diese Werte bedeuteten unteres Mittelfeld der Bundesliga. Seit dem Freiburg-Spiel ist die Anzahl an Schüssen auf das Tor pro Spiel ist auf 1,8 gesunken und der eigene xG-Wert beträgt pro 90 Minuten 0,65, was ganz klar der schwächste der Liga ist (Heidenheim liegt mit einem Wert von 1,11 auf Platz 17).

Der FC St. Pauli hat in den letzten Spielen also einen klaren Fokus auf defensive Stabilität gelegt, dafür aber massiv an Offensivgefahr eingebüßt. Somit sind die zuletzt geholten fünf Punkte (drei Treffer, zwei Gegentreffer, summierte xG-Werte: 1,51 zu 5,34) zwar Mutmacher. Aber sie dürfen nicht überzeichnen, dass der FCSP weiterhin massive Probleme hat eine richtige Balance im Spiel zu finden. Halbzeiten, in denen das Team gar keinen oder nur einen Torabschluss zustandebringt, gab es zuletzt regelmäßig. Aber sie dürfen nicht die Regel sein, daran sollte sich niemand gewöhnen (müssen). Der FC St. Pauli muss in der Winterpause wieder dahinkommen, offensiv gefährlicher zu werden.

Hamburg, Deutschland, 27.09.2025, Millerntor-Stadion, FC St. Pauli - Bayer 04 Leverkusen Joel Chima Fujita (FC St. Pauli) ärgert sich über eine vergebene Chance im Spiel gegen Bayer Leverkusen. Copyright: Stefan Groenveld
Chance vertan – dieses Bild sah man beim FC St. Pauli gegen Ende des Fußballjahres seltener – weil es offensiv viel zu ungefährlich gewesen ist. // (c) Stefan Groenveld

Umschaltspiel kaum ein Faktor

Wie wichtig bzw. wie ärgerlich die drei Gegentreffer zum 0:1 in drei aufeinanderfolgenden Partien gewesen sind, an denen Nikola Vasilj direkt beteiligt war, zeigt sich, wenn man die Spielidee des FC St. Pauli etwas genauer betrachtet. Denn das eigene offensive Umschaltspiel sollte das große Ding werden, Alexander Blessin hatte im Interview zu Beginn der Sommervorbeitung erklärt, dass man hier mit den Transfers einen größeren Fokus drauf legen wollte. Und in einigen Momenten der bisherigen Saison wurde auch deutlich, wie das klappen kann. Der jeweils zweite Treffer im Spiel gegen den HSV und Heidenheim, Fujita schickte einen FCSP-Angreifer per Steilpass in die Tiefe, steht beispielhaft dafür.

Das Umschaltspiel des FC St. Pauli wurde aber bisher nicht zur großen Stärke des Teams. Was unmittelbar damit zusammenhängt, dass es sehr oft, sehr früh bereits einen Rückstand gab, die Gegner entsprechend wenig Risiko gehen mussten und so auch wenig Möglichkeiten für gute Umschaltmomente boten. Aber auch wenn es diese gab, so war das, was der FCSP dann zeigte einfach nicht gut genug. Ein schnelles Umschaltspiel ist natürlich risikoreich, viele Ballverluste müssen einkalkuliert werden. Aber die Erfolgsquote des FC St. Pauli ist bereits die gesamte Saison über extrem gering in diesen Momenten, Steilpässe sind zu oft nicht gut genug in vielerlei Hinsicht.

Neuzugänge mit Luft nach oben

Somit hapert es noch gewaltig an einer der zentralen Ideen der Saison. Das wiegt besonders schwer, da der Kader genau nach diesen Vorstellungen umgebaut wurde. Die meisten der Neuzugänge bringen die Geschwindigkeits-Voraussetzungen für schnelles Umschaltspiel mit, Schwächen in anderen Bereichen wurden eingepreist. Geht der Plan mit dem Konterspiel dann aber nicht so richtig auf, dann wird es offensiv so ungefährlich, wie wir es in vielen der bisherigen 15 Saisonspiele gesehen haben.

Womit wir bei den Neuzugängen angekommen sind. Gleich fünf von ihnen zählten regelmäßig zur Startelf (Oppie, Pyrka, Fujita, Pereira Lage, Hountondji/Kaars). Restlos überzeugen konnte bisher keiner von ihnen (wichtig: Das gilt auch für alle anderen Spieler im Kader), bisher blitzte das Können bei all diesen Spielern einzig in Momenten auf. Damit der FC St. Pauli den Klassenerhalt schafft, ist es zwingend notwendig, dass diese Qualitäten viel häufiger auf dem Platz sichtbar werden, als es bisher der Fall gewesen ist. Da all diese Spieler zuvor noch nicht auf Bundesliga-Niveau gespielt haben, darf davon ausgegangen werden, dass es bei einigen noch in dieser Saison kleinere und größere Entwicklungssprünge geben wird. Ein gutes Beispiel dafür ist die Vorsaison des FC St. Pauli, in der es vielen Spielern im Kader gelang in der Rückrunde öfter auf einem höheren Level zu agieren.

Die fehlende Bundesliga-Erfahrung und die Tatsache, dass der FC St. Pauli das Niveau nicht einkaufen kann, sondern entwickeln muss, ist direkt auf die alte Leier der unterschiedlichen finanziellen Rahmenbedingungen zurückzuführen. Das ist einfach nicht wegzudiskutieren und entsprechend müssen Ergebnisse auch immer vor diesem Hintergrund rational eingeordnet werden. Ein Klassenerhalt des FCSP bedeutet, dass der Verein aus seinen Mitteln wesentlich mehr rausgeholt hat als andere Clubs. Ihn zu schaffen sollte der Wunsch und das große Ziel, jedoch nicht die Erwartung sein. Das klingt blöd, ist aber leider so.

Mit mehr Erfahrung in eine bessere Rückrunde?

Wichtig ist, dass der FC St. Pauli die aktuelle Entwicklung und die Ergebnisse richtig einordnet und auch Ruhe behält. Den Fokus erst einmal gen Stabilisierung der Defensive zu verschieben, war sicher die richtige Entscheidung. Auf diese muss aber nun unbedingt auch wieder eine funktionale Offensive aufgebaut werden. Mut dabei macht, dass gerade die fehlende Bundesliga-Erfahrung der Neuzugänge auch als Potenzial begriffen werden kann. Sie kann bedeuten, dass die Leistungen in der Rückrunde besser werden, weil sich Spieler an das Niveau gewöhnen. Allerdings sollte auch kritisch untersucht werden, ob dieser Qualitätssprung bei allen zu erwarten ist. Dadurch wird sich möglicherweise eine Notwendigkeit von Wintertransfers ergeben.

Der FC St. Pauli verbringt die Winterpause auf Platz 16. Der Kontakt nach oben ist vorhanden. Der Rückstand zu Platz elf beträgt nur vier Zähler. Auch wenn es sich im Verlauf der bisherigen 15 Spiele teilweise anders anfühlte: Der FC St. Pauli befindet sich ganz gut im Rennen, liegt auch zu Recht auf diesem Tabellenplatz. Die Lage ist also kritisch, aber keineswegs dramatisch.
Somit gibt es berechtigten Grund zur Hoffnung, dass das Team in der zweiten Saisonhälfte bessere Leistungen zeigt. Das ist aber auch notwendig, weil es unwahrscheinlich ist, dass der FCSP auch weiterhin so punktet wie zuletzt, wenn sich die Statistiken (und damit auch direkt die Leistungen) nicht verändern.

// Tim

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