Alleine an der Spitze

Alleine an der Spitze

Als alleiniger Mittelstürmer konnte Johannes Eggestein beim FC St. Pauli überzeugen. Dringenden Bedarf gibt es vor der Bundesligasaison auf dieser Position trotzdem.
(Titelbild: Peter Boehmer)

Kommenden Montag startet der FC St. Pauli in die Vorbereitung auf die Bundesligasaison 24/25. Zeit also, so langsam die ausführliche Kaderanalyse zum Abschluss zu bringen. Artikel zur Torwart-Position, zu den Innenverteidigern, zu den defensiven Außenpositionen, zum zentralen Mittelfeld und den offensiven Außenpositionen sind bereits erschienen. Nun werfen wir einen Blick auf eine Position, bei der die Frage nach möglichen Transfers wie ein absoluter „No Brainer“ daherkommt.

Denn dem FC St. Pauli ist der Aufstieg in die Bundesliga mit eigentlich nur einer richtigen Option im Angriff gelungen. Dass diese Option Johannes Eggestein heißen würde, damit war, selbst noch kurz nach Saisonbeginn, überhaupt nicht zu rechnen. Denn Eggestein, im Sommer 2022 zum FCSP gekommen, hatte unter Fabian Hürzeler lange Zeit keine Rolle gespielt. Nun war es aber genau jener wenig berücksichtigte Eggestein, dem im Aufstiegsjahr eine unerwartete Hauptrolle zukam.

Johannes Eggestein – aus dem Schatten

Wenn man Gründe für den Erfolg des FC St. Pauli in der Saison 23/24 sucht und sich dabei nur einen Spieler aussuchen darf, dann dürfte er in vielen Fällen Johannes Eggestein heißen. Denn seine persönlichen Leistungen sind relativ eng verknüpfbar mit den Leistungen des FCSP. Zu Saisonbeginn, als es aus fünf Spielen einen Sieg, vier Unentschieden und nur drei eigene Treffer gab, wurde Eggestein nur einmal eingewechselt – in der 92. Minute beim 0:0 gegen Magdeburg.

Lange Zeit keine Rolle gespielt

Am sechsten Spieltag gegen Holstein Kiel aber stand Johannes Eggestein recht überraschend in der Startelf. Es war sein Startelfdebüt seit der FCSP einen Cheftrainer namens Fabian Hürzeler hatte. Seinen letzten Startelfeinsatz davor hatte er im November 2022 gegen den Karlsruher SC (Eggestein steuerte zwei Treffer und eine Vorlage zum wilden 4:4 bei). Der FC St. Pauli gewann mit dem damals 25-jährigen in der Startelf das Heimspiel gegen Kiel überzeugend mit 5:1 – und läutete damit seine wohl beste Phase der Saison ein, welches sich bemerkenswert stark mit der besten Phase von Johannes Eggestein überschneidet.

Eine Woche nach seinem Startelfdebüt legte Johannes Eggestein das 2:1 von Marcel Hartel gegen Schalke auf. Es folgten sechs Spiele in Serie, bei denen er jeweils mindestens einen Treffer erzielte. Aus dem Dauerreservisten Eggestein war innerhalb eines Monats ein völlig unumstrittener Stammspieler geworden. Jemand, der das Team voranbrachte und dessen Wert für das Team weit über seine Toranzahl hinausging. Das zeigt der Blick in seine persönlichen Statistiken deutlich auf:

Kern-Statistiken von Johannes Eggestein der Saison 23/24, dargestellt als Perzentile im Vergleich zu allen Mittelstürmer der 2. Bundesliga. (Erklärung: Die Länge des dunkel gefärbten Teils des Pizzastücks zeigt, wie viele Prozent der anderen Spieler auf dieser Position schlechtere Werte oder oder maximal den gleichen Wert haben. Komplett dunkel heißt: Keiner ist besser. Zudem sind die Absolutwerte in Zahlen angegeben.)
Kern-Statistiken von Johannes Eggestein der Saison 23/24, dargestellt als Perzentile im Vergleich zu allen Mittelstürmer der 2. Bundesliga. (Erklärung: Die Länge des dunkel gefärbten Teils des Pizzastücks zeigt, wie viele Prozent der anderen Spieler auf dieser Position schlechtere Werte oder oder maximal den gleichen Wert haben. Komplett dunkel heißt: Keiner ist besser. Zudem sind die Absolutwerte in Zahlen angegeben.)

Kombination der Extraklasse

Kein einziger Spieler in der 2. Bundesliga hat pro 90 Minuten mehr Ballkontakte im gegnerischen Strafraum als Johannes Eggestein (auf Rang zwei liegt übrigens Elias Saad). Der zweitbeste Stürmer in dieser Statistik ist Robert Glatzel vom HSV. Nur ein Angreifer (Can Uzun vom FCN) hat mehr Pässe gespielt und empfangen als Eggestein. Die Einzelwerte sind bereits stark, aber es ist die Kombination der Werte, die Johannes Eggestein herausragen lassen.

Denn Robert Glatzel mag Eggestein mit 4,7 Ballkontakten im gegnerischen Strafraum pro 90 Minuten etwas nahekommen. Der HSV-Angreifer spielte und empfing aber gerade einmal halb so viele Pässe wie der FCSP-Angreifer. Und die Anzahl an Ballkontakten im gegnerischen Sechzehner von Can Uzun liegt bei 2,1 – kein Stürmer der 2. Bundesliga mit 1.500 Spielminuten oder mehr hat in dieser Zone weniger Kontakte pro Partie als das Riesentalent aus Nürnberg. Johannes Eggestein aber vereint beide Statistiken. Er ist sowohl im als auch außerhalb des Strafraums präsent – und ist damit ein einzigartiger Stürmer der 2. Bundesliga.

Andere Rolle notwendig?

Dank dieser besonderen Kombination im Spiel von Johannes Eggestein, kann er sogar etwas kaschieren, dass er ein recht klares Manko hat: In direkten Duellen zieht er zu oft den Kürzeren. Nur knapp mehr als jeden fünften Offensivzweikampf konnte Eggestein gewinnen – kein Angreifer der 2. Bundesliga hat eine niedrigere Erfolgsquote. Möchte der 26-jährige erfolgreichen Fußball spielen, muss er seinen Gegenspielern also aus dem Weg gehen. Das tat er auch oft, indem er sich immer wieder in den Zehnerraum fallen ließ und dort als tiefer Wandspieler fungierte.

Es ist eine der großen Fragen über den Kader des FC St. Pauli, ob Johannes Eggestein auch in der Bundesliga eine solche Rolle einnehmen kann. Das dürfte aufgrund steigender Gegnerqualität schwieriger werden. Auch ist es aktuell völlig offen, inwieweit sich das Spiel des FC St. Pauli unter der Leitung von Alexander Blessin verändern wird und damit der Anspruch an die eigenen Stürmer. Sicher ist, dass Johannes Eggestein auch diesen veränderten Aufgaben und höheren Hürden mit hohem Arbeitseifer entgegentreten wird.

Andreas Albers

Als Johannes Eggestein zu Saisonbeginn noch auf der Reservebank saß, war unter anderem Andreas Albers der Startelfspieler in vorderster Reihe. Doch auf drei Startelfeinsätze in den ersten fünf Saisonspielen (und in der ersten Pokalrunde) folgten nur noch wenige Spielminuten. Zwischen den Spieltagen 11 und 33 kam der 34-jährige auf sieben Kurzeinsätze mit jeweils weniger als zehn Minuten Spielzeit. Erst am letzten Spieltag, als er zur Halbzeit eingewechselt wurde, stand Albers wieder längere Zeit auf dem Platz – und erzielte dabei sein einziges Saisontor.

Kern-Statistiken von Andreas Albers der Saison 23/24, dargestellt als Perzentile im Vergleich zu allen Mittelstürmern der 2. Bundesliga. (Erklärung: Die Länge des dunkel gefärbten Teils des Pizzastücks zeigt, wie viele Prozent der anderen Spieler auf dieser Position schlechtere Werte oder oder maximal den gleichen Wert haben. Komplett dunkel heißt: Keiner ist besser. Zudem sind die Absolutwerte in Zahlen angegeben.)
Kern-Statistiken von Andreas Albers der Saison 23/24, dargestellt als Perzentile im Vergleich zu allen Mittelstürmern der 2. Bundesliga. (Erklärung: Die Länge des dunkel gefärbten Teils des Pizzastücks zeigt, wie viele Prozent der anderen Spieler auf dieser Position schlechtere Werte oder oder maximal den gleichen Wert haben. Komplett dunkel heißt: Keiner ist besser. Zudem sind die Absolutwerte in Zahlen angegeben.)

Gute Zahlen im Strafraum

Andreas Albers ist ein ganz anderer Stürmertyp als Johannes Eggestein. Aufgrund seiner körperlichen Fähigkeiten ist er sehr viel eher ein Spieler, der mit hohen Anspielen gesucht werden kann. Das passte aber nicht so richtig zum dominanten Ballbesitzfußball des FC St. Pauli. Auf der anderen Seite fehlt ihm die Agilität, die es zum Beispiel Eggestein möglich machte, seinen Gegenspielern zu entwischen. In den Zahlen erkennt man das unter anderem daran, dass Albers die wenigsten Dribblings aller Angreifer führte und bei der Anzahl an Pässen deutlich hinter Eggestein liegt.

Zwar ist die Spielzeit mit knapp über 500 Minuten relativ gering und daher sind die verfügbaren Daten auch nicht so aussagekräftig, doch Andreas Albers ist ein Stürmer, der im gegnerischen Strafraum sehr gut zurechtzukommen scheint. Mit knapp 2,7 Torschüssen pro 90 Minuten, 4,6 Ballkontakten im gegnerischen Strafraum und 1,3 „deep completions“ zählt er jeweils mindestens zu den besten 20 Prozent aller Angreifer der Liga. Auch wenn dabei nur ein einziger Treffer heraussprang: Andreas Albers hat offensichtlich ein Talent dafür, im richtigen Moment im gegnerischen Strafraum anspielbar zu sein – eine Fähigkeit, die selbst unter Stürmern alles andere als selbstverständlich ist.

Hinter Eggestein kommt … sehr wenig!

Das war es eigentlich schon mit der Analyse der Stürmer des FC St. Pauli. Leider. Denn mit Simon Zoller, Maurides und Etienne Amenyido gab es noch drei weitere Spieler im Kader, die diese Position theoretisch hätten bekleiden können. Amenyido nahm jedoch etwas öfter die Außenposition ein und die Spielzeit war sehr begrenzt. Maurides, der Andreas Albers als Spielertyp sehr ähnlich ist, war zu Saisonbeginn lange verletzt. Nach seiner Rückkehr kam er über Kurzeinsätze nicht hinaus, fehlte sogar oft im Spieltagskader.

Noch bevor Johannes Eggestein zur tragenden Säule beim FC St. Pauli wurde, gingen eigentlich alle davon aus, dass diese von Simon Zoller ausgefüllt werden wird. Der Angreifer kam spontan aus Bochum ans Millerntor. Spontan deshalb, weil er eigentlich schon bei Düsseldorf unterschreiben wollte, dieses Engagement sich aber kurzfristig zerschlug und er dann am letzten Tag des offenen Transferfensters zum FC St. Pauli wechselte. Ein Wechsel mit Signalwirkung, dachten viele. Doch die Signale gingen die gesamte Saison über vor allem von Zollers Körper aus (wie sie es auch bereits in den Jahren zuvor immer wieder taten). So kam er insgesamt auf nur vier Einsätze. Die erhoffte Verstärkung ist er, zumindest auf dem Platz, leider nicht gewesen.

Hamburg, 18.02.2024, 2. Bundesliga, FC St. Pauli - Eintracht Braunschweig Johannes Eggestein (FC St. Pauli) versucht den Torabschluss, umringt von drei Spielern von Eintracht Braunschweig Copyright: Stefan Groenveld
Johannes Eggestein war beim FC St. Pauli die meiste Zeit der Saison gesetzt – aufgrund guter Leistungen, aber auch, weil es an Konkurrenz auf seiner Position mangelte.
// (c) Stefan Groenveld

Hartel ersetzte Eggestein

So blieb vieles an Johannes Eggestein hängen. Und diesem ging irgendwann in der Rückrunde etwas die Energie aus. So sehr, dass er zeitweise auch mal kurz auf die Bank gesetzt wurde. Gegen Kiel und Schalke war das der Fall. Prompt war zumindest das Schalke-Spiel ein Totalausfall. Bezeichnend für die fehlende Leistungsdichte im Kader: Es waren nicht Albers, Maurides, Amenyido oder Zoller, die Eggestein damals im Angriff ersetzten – es war Marcel Hartel.

Klar, das kann auch ein wenig mit den Ansprüchen an die Stürmer beim FC St. Pauli erklärt werden. Dass diese eben etwas mehr ins Aufbauspiel eingebunden werden sollen. Aber sind wir mal ehrlich: Hätte es einen anderen Stürmer als Eggestein im Kader gegeben, der dem FC St. Pauli Torgefahr mehr oder weniger garantiert hätte, er hätte auch in diesen Phasen gespielt, Anbindung ans Aufbauspiel hin oder her. So muss man sich die Situation im Angriff ziemlich offen und ehrlich anschauen und festhalten: Hinter Johannes Eggestein kam letzte Saison sehr, sehr wenig.

Ja ist denn schon wieder Stürmerdiskussion?!

Ja, ist es. Der FC St. Pauli ist nämlich auf der Suche nach mindestens einer weiteren Verstärkung vorne im Angriff. Vielleicht werden auch mehrere Spieler für diese Position gesucht. Denn es ist durchaus denkbar, dass es zukünftig zwei Stürmerpositionen beim FCSP geben wird. Möglich ist auch, dass der Vertrag von Andreas Albers nicht verlängert wird. Amenyido hat den Verein bereits verlassen.

Doch eine richtige Verstärkung für den Angriff zu finden, ist gar nicht mal so einfach. Zumindest beim FC St. Pauli. Denn seit der Verpflichtung von Omar Marmoush im Winter 20/21 ist die Transferbilanz auf dieser Position eher mittelmäßig. Simon Zoller, Andreas Albers, Maurides, Johannes Eggestein, David Otto und Etienne Amenyido wurden in dieser Zeit verpflichtet. Von diesen Spielern kann bisher leider nur Johannes Eggestein als Verstärkung gezählt werden – und es hat bekanntlich eine ganze Saison gedauert, bis es soweit war. So viel Zeit gibt es in der Bundesliga nicht. Es gibt also Nachholbedarf auf dieser Position.

// Tim

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6 thoughts on “Alleine an der Spitze

  1. bei der art und weise, wie herr blessin fußball spielen lassen möchte (frühes, aggressives pressing; schnelles umschaltspiel) ist es nötig, stets schnell im gegnerischen sechzehner mit mindestens zwei spielern präsent zu sein. dafür brauchts mindestens einen reinen strafraumspieler. ich hab jetzt nich jedes tor von jojo aus der letzten saison auf dem schirm, aber ich meine, er hat alle? von innerhalb des strafraumes gemacht, zumindest die überwiegende anzahl seiner tore.
    noch einen strafraumspieler und einen stürmer, der groß ist und auch um den sechzehner rundrum spielen kann und mal von außerhalb draufhält, finde ich durchaus angemessen.
    jojo hat sich das „in den zehnerraum fallen lassen“ angeeignet, weil es für hürzelers system notwendig war. nun wird dies wohl nicht mehr so oft nötig werden in blessins system und jojo könnte wieder zur klassischen neun werden. das konnte er ja schon, bevor er „zurückbeordert“ wurde.

    1. „Den haben wir abgegeben“ – das klingt jetzt so, als wollten wir ihn ohne Not loswerden. Tatsächlich war es aber so, dass er aus familiären Gründen gern zurück in seine Heimat wollte. Der FCSP hätte ihn sicher gern behalten.

      1. er hatte Vertrag! Zu der Zeit lief alles falsch, Spieler waren unzufrieden, Prämienärger u.s.w., so einen Stürmer behandelt man so dass er nicht in die Heimat möchte.

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