Kontinuität dank Potenzial?

Kontinuität dank Potenzial?

Nach der Meisterfeier ist vor der Bundesliga. Wir analysieren die Leistungen der Spieler des FC St. Pauli und schauen, ob es Lücken im Kader gibt, angefangen auf der Torhüterposition.
(Titelbild: Stefan Groenveld)

Es sind noch fast drei Monate, bis der FC St. Pauli sein erstes Bundesliga-Spiel seit mehr als 13 Jahren bestreiten wird. In etwas weniger als sechs Wochen startet man in die Vorbereitung. So bleibt beim FCSP also etwas Zeit, um die Bundesliga-Saison bestmöglich vorzubereiten. Damit das gelingt, ist eine Analyse der Aufstiegssaison notwendig. So können etwaige Lücken im Kader identifiziert werden. Fangen wir also an – mit einem sich hoffentlich weiter entwickelnden Torhüter, der dadurch für Konstanz sorgt.

Vasilj die klare Nummer Eins

Nirgendwo im Kader des FC St. Pauli ist die Personalsituation in der Vorsaison klarer gewesen, als im Tor. Nikola Vasilj war die unumstrittene Nummer 1 des FCSP, zumindest in der 2. Bundesliga. Dort verpasste der 28-jährige nämliche keine einzige Spielminute. Im Pokal war dann Sascha Burchert zwischen den Pfosten und über diese Maßnahme ist im Zuge des Ausscheidens im Viertelfinale gegen Düsseldorf bereits zu Genüge diskutiert worden.

Die Leistungen von Vasilj im Tor des FC St. Pauli sind gar nicht mal so einfach zu bewerten. Torhüter werden oft dann gut bewertet, wenn sie fehlerlos spielen, aber auch viele (Abwehr)Aktionen haben. Ist nur eines nicht der Fall, dann wird es oft schwierig mit einer Bewertung. Und ehrlich gesagt ist im Laufe der Saison beides bei Nikola Vasilj eingetreten: Teilweise spielte er nicht fehlerlos, teilweise war er in der Torverteidigung nicht oder kaum gefordert, weil es der FCSP in den Reihen davor gut verteidigte. Umso wichtiger ist der Blick in die Daten, damit man einen halbwegs objektiven Blick auf seine Leistungen bekommen kann.

Kern-Statistiken von Nikola Vasilj der Saison 23/24, dargestellt als Perzentile im Vergleich zu allen Torhütern der 2. Bundesliga. (Erklärung: Die Länge des dunkel gefärbten Teils des Pizzastücks zeigt, wie viele Prozent der anderen Spieler auf dieser Position schlechtere Werte oder oder maximal den gleichen Wert haben. Komplett dunkel heißt: Keiner ist besser. Zudem sind die Absolutwerte in Zahlen angegeben.)
Kern-Statistiken von Nikola Vasilj der Saison 23/24, dargestellt als Perzentile im Vergleich zu allen Torhütern der 2. Bundesliga. (Erklärung: Die Länge des dunkel gefärbten Teils des Pizzastücks zeigt, wie viele Prozent der anderen Spieler auf dieser Position schlechtere Werte oder oder maximal den gleichen Wert haben. Komplett dunkel heißt: Keiner ist besser. Zudem sind die Absolutwerte in Zahlen angegeben.)

Bitte lasst Euch in der Grafik nicht von den negativen Werten bei den Gegentoren, Schüssen und dem xG ablenken. Da war ein kleiner Fehler in meinem Skript und ich war zu faul, um das zu korrigieren und habe dann einfach ein negatives Vorzeichen genommen, damit das richtig in der Grafik angezeigt wird. Kein Torhüter der zweiten Liga hat weniger Gegentore zugelassen als Nikola Vasilj, weniger Schüsse auf sein Tor bekommen und einen niedrigeren xG-Wert. Die letzten beiden Werte sagen aber nichts über die Leistung von Vasilj in der Torverteidigung aus, sondern eher etwas darüber, wie stark der FC St. Pauli in der Verteidigung agierte.

Oberes Drittel in der Torverteidigung

Aussagekräftiger ist da schon eher der Wert „prevented goals“, also die Anzahl an Gegentreffern vs. dem xG-Wert. Da liegt Nikola Vasilj im Ligavergleich auf dem achten Platz (von 23 Torhütern) bei Wyscout. Noch aussagekräftiger ist der Wert „post shot xG“, bei dem die Qualität des Torabschlusses berücksichtigt wird (je besser der Torschuss, umso höher der Wert; schießt jemand aus guter Position neben das Tor, dann liegt dieser Wert bei 0, weil der Torhüter nicht eingreifen musste). Diese Werte gibt es bei fbref zu finden und dort liegt Vasilj auch auf dem achten Platz, allerdings haben sich die Personen vor ihm verändert.

In der Torverteidigung ist Nikola Vasilj also im oberen Drittel der Liga zu finden. Wenn man dazu noch weiche Faktoren berücksichtigt, etwa seinen Wert für das Team bei der Organisation der Defensivarbeit und/oder seine Ausstrahlung, dann dürfte er zum oberen Viertel der 2. Bundesliga zählen. Das passt zum Rating von FotMob, wo er auf Platz fünf aller Torhüter gelistet wird. Bei Wyscout liegt er sogar auf Rang zwei.

Verbessert im Aufbauspiel

Nikola Vasilj hat sich in den letzten Jahren, besonders seit Marco Knoop Torwarttrainer beim FC St. Pauli ist, enorm verbessert im Spiel mit dem Ball. Er ist im Aufbauspiel des FCSP eine zuverlässige Anspielstation geworden. Fehler gibt es zwar auch hier, wie zum Beispiel beim 0:1 in Magdeburg, allerdings sind diese eher selten. Ist Nikola Vasilj daher ein richtig starker, mitspielender Torhüter? Nein, eher nicht.

Es ist sogar eher so, dass Nikola Vasilj von gegnerischen Teams öfter mal als Schwachpunkt im Aufbauspiel ausgemacht wurde. Während die Gegenspieler alle Feldspieler des FCSP in Manndeckung nahmen, ließ man Vasilj öfter freie Hand bzw. setzte ihn nicht oder kaum unter Druck. Mit dieser Freiheit konnte der 28-jährige aber einige Male herzlich wenig anfangen. Und das liegt nicht (nur) daran, dass es in den entsprechenden Situationen zu wenig Freilaufbewegungen von FCSP-Spielern gab. Vasiljs unterdurchschnittliche Erfolgsquoten bei langen Bällen und Pässen ins letzte Drittel zeugen davon, dass es hier noch ordentlich Raum für Verbesserung gibt.

Ein spielstarker Torhüter ist für die Spielidee des FC St. Pauli enorm wichtig. Denn dann würden gegnerische Teams ganz sicher nicht mehr so mannorientiert agieren, wie sie es vor allem in der Rückrunde gegen den FCSP taten (und damit Erfolg hatten). Weil man dann eben auch den Torhüter stets unter Druck setzen müsste. Das war gegen den FC St. Pauli aber in dieser Saison nicht notwendig, so ehrlich muss man sein. Doch das bedeutet noch lange nicht, dass Nikola Vasilj in der kommenden Saison kein Stammkeeper des FC St. Pauli sein wird.

Potenzial vorhanden?

Denn wer von Euch hätte gedacht, dass man Nikola Vasilj mal so stark in das Kurzpassspiel einbinden kann, wie in den letzten 18 Monaten? Der jetzt 28-jährige war schon bei seiner Ankunft beim FCSP ein starker Torwart, was die Torverteidigung angeht und das ist er auch geblieben. Aber seine Entwicklung unter der Leitung von Knoop im Spiel mit dem Ball ist absolut bemerkenswert. Es ist alles andere als ausgeschlossen, dass Vasilj in diesem Bereich nun noch weitere Schritte gehen und somit auch in der Bundesliga zu den besten Torhütern zu zählen sein wird.

Die Verantwortlichen beim FC St. Pauli scheinen jedenfalls davon überzeugt, dass Nikola Vasilj diese notwendigen Schritte noch gehen kann. Zu Beginn dieses Jahres verlängerten sie den Vertrag mit dem Keeper. Fabian Hürzeler erklärte damals: „Es macht großen Spaß mit ihm zu arbeiten und ich glaube, dass er noch nicht am Ende seiner Entwicklung angelangt ist.“

Was passiert hinter Vasilj?

Nikola Vasilj dürfte also auch in der kommenden Saison nur schwer aus dem Tor zu verdrängen sein. Zumindest in der aktuellen Konstellation mit Sascha Burchert und Sören Ahlers als weiteren Torhütern im Kader. Die beiden Ersatz-Torhüter haben zweifelsohne einen wichtigen Beitrag zum Aufstieg geleistet, besonders Burchert genießt einen hohen Stellenwert im Team. Aber beide drängten sich auch ganz sicher nicht zu sehr auf. Einen wirklichen Konkurrenzkampf um den Platz zwischen den Pfosten gab es beim FC St. Pauli nicht.

Und vielleicht bietet sich genau jetzt die Option, daran etwas zu verändern. Durch den Aufstieg in die Bundesliga könnte der FC St. Pauli ein attraktiver Platz auch für aufstrebende Torhüter sein. Das allerdings nur dann, wenn sie eine Perspektive auf die Nummer Eins beim FCSP sehen. Wahrscheinlicher ist, dass man beim FCSP am status quo nur marginale Änderungen auf dieser Position vornehmen möchte. Burchert hat bereits in der Bundesliga gespielt, Vasilj besitzt Bundesliga-Format – das personelle Risiko ist auf dieser Position also gering. Sollten die Verantwortlichen davon überzeugt sein, dass es bei Nikola Vasilj noch weiteres Potenzial im Spiel mit dem Ball gibt, dann stehen beim FC St. Pauli die Zeichen auf Kontinuität in Sachen Torwartposition.

// Tim

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8 thoughts on “Kontinuität dank Potenzial?

  1. Danke für die ausführliche Einschätzung und die Auswertungen! Mich bestärkt das eher in meinem Gefühl, dass wir auf der Position zumindest jemanden holen sollten, der Vasilj herausfordert. Denn in der Bundesliga wird er deutlich mehr gefordert sein (im Aufbau- und Torwartspiel) und da reicht oberes Drittel der 2.Bundesliga wahrscheinlich nicht mehr, damit wir gut mithalten können

  2. Da würde mich die Namen der Topleute in den einzelnen Kategorien interessieren. Subjektiv wäre meine Einschätzung gerade zur Präzision langer Pässe besser gewesen.

  3. Ich denke, dass auf jeden Fall als Ersatz ein besserer Keeper als Burchert her muss. Für einen „Notfalleinsatz“ bei einem kurzfristigen Ausfall von Vasilj mag es reichen aber sollte Nikola mal über mehrere Spiele fehlen kann das nicht gut gehen. Menschlich bzw. für den Mannschaftsspirit ist Burchert natürlich zweifellos top und es tut mir auch ein bisschen leid, dass ich das so bewerten muss.

    1. Ist es nicht auch so, dass physische starke Stürmer wie bspw. ein Glatzel oder Matanovic auch dafür sorgen, dass die Passquote des Torwarts höher ausfällt, als wenn vorne drin Eggestein oder sogar mal Hartel stehen und hohe Bälle vom Goalie bekommen.

  4. Wenn Vasilj im Aufbauspiel vom Gegner zu wenig unter Druck gesetzt wird: Was kann er da anders machen? Wie machen das andere Torhüter?

    Mehr Geschick bei weiten Abschlägen entwickeln, scheint mir eine eher schlechte Möglichkeit. Das passt nicht wirklich zum Spielsystem, ist stets mit Risiko verbunden und hängt ja auch massiv daran, wie gut die Spieler weiter vorne darin sind, lange Pässe gegen ihre Manndeckung anzunehmen.

    Sollte Vasilj in solchen Situationen ganz keck mit dem Ball viel weiter vom Tor weg gehen und so die gegnerische Mannschaft stärker locken, ihre strickte Manndeckung aufzugeben (mit dem entsprechenden Risiko bei einem Ballverlust)? Oder was kann er noch machen?

  5. Mag sein, dass ich nicht in der Lage bin, alle Qualitäten von Vasilj objektiv einzuschätzen. Bei hohen Flanken unterläuft er mir noch zu viele Bälle und vor allem in der Hinrunde waren gefühlt alle der wenigen zugelassenen Torchancen drin, hat er fast nie „Hundertprozentige“ gehalten. Das hat sich hinten raus deutlich verbessert und lässt für die Bundesliga hoffen, aber er braucht unbedingt eine ernstzunehmende Konkurrenz auf der Position. Stritzel von den abgestiegenen Wiesbadenern wäre für mich eine solide Option, mit etwas mehr Perspektive auch Hoffmann aus Braunschweig oder Krahl aus Kaiserslautern.

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