Gedenkstättenfahrt nach Oświęcim / Auschwitz

Gedenkstättenfahrt nach Oświęcim / Auschwitz

Der Fanladen St. Pauli bietet seit einigen Jahren Gedenkstättenfahrten an. Dieses Jahr ging es nach Oświęcim, vielen sicher besser bekannt als Auschwitz. Ein Reisebericht.
Titelbild: Patrick Roman Fabri

Vorbemerkungen

Ich bin kein Historiker, ich werde Euch hier nicht den Zweiten Weltkrieg oder den Holocaust erklären. Aber Schreiben ist ja meist auch Therapie und Verarbeitung, darum geht es hier. Ich habe mich seit früher Jugend mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust beschäftigt, nach dem Geschichts-Leistungskurs war es aber eben auch nie mehr als eine Nebenbeschäftigung, begleitet von dem ein oder anderen Buch oder einem Besuch in Neuengamme oder dem Anne-Frank-Haus in Amsterdam. Insofern wird der folgende Text sicher einige historische Unschärfen haben und vielleicht äußere ich an einigen Stellen Erstaunen, wo Ihr für Euch ein „Ja, klar, weiß man doch!“ einsetzen würdet.

Dies ist also eher die persönliche Verarbeitung der Reise. Das Erstellen und Veröffentlichen dieses Textes ist grundsätzlich mit der Reiseleitung und der Gruppe abgesprochen, alle geäußerten Gedanken und Erlebnisse sind aber dann eben doch meine eigenen und sprechen nicht zwingend für alle Teilnehmenden.
Die Reise war über den Fanladen organisiert und wurde von Nils und Julian begleitet, die inhaltliche Reiseleitung vor Ort übernahm Andreas Kahrs von What Matters, unterstützt von Mona Müller.

Vorbereitungstreffen Hannoverscher Bahnhof

Der offizielle Teil der Reise begann bereits am Samstag zuvor, als es ein Kennenlerntreffen im Fanladen mit anschließendem Fußmarsch zum und Führung am Hannoverschen Bahnhof gab.

Diese Gedenkstätte mitten in Hamburg, gelegen im Lohsepark unweit des Hauptbahnhofs in der Hafencity, ist an der Stelle des ehemaligen Güterbahnhofs gelegen. Von hier wurden in der NS-Zeit Deportationen durchgeführt, während der „normale“ Bahnverkehr dort weiterlief. Die Gedenkstätte ist räumlich nicht abgetrennt, sondern lässt das normale Alltagsleben durch sich hindurchlaufen – lediglich ein Container ist als bauliche Besonderheit vorhanden.
Der FC St. Pauli-Fanszene ist der Ort vielleicht etwas präsenter als vielen anderen, da der Fanladen hier bereits regelmäßig Gedenkveranstaltungen durchgeführt hat

Die Orte

Ich habe den Aufbau dieses Artikels im Kopf etwa hundert Mal umgebaut, komme aber schlussendlich nicht drumherum, hier ein paar Grundlagen vorweg zu schicken. Zumindest wäre es für mich vermutlich hilfreich gewesen.
Daher vorab die Orte, über die im Folgenden berichtet wird:

  • Oświęcim
    Die polnische Stadt Oświęcim, etwa 50km westlich von Krakau gelegen, hatte vor dem zweiten Weltkrieg etwa 14.000 Einwohner*innen, gut die Hälfte davon Jüdinnen und Juden.
    Heute leben dort etwa 40.000 Menschen, keiner von ihnen ist mehr jüdischen Glaubens.
  • Auschwitz I (Stammlager)
    Auschwitz ist der deutsche Name der Stadt und gleichzeitig der Name des Konzentrationslagers. Um genau zu sein gab es drei Konzentrationslager und diverse Außenlager, das erste im Osten der Stadt auf dem Gelände einer polnischen Kaserne. Hier befindet sich auch das heutige Museum und der Hauptteil der Gedenkstätte, als Bild dürfte vielen das geschwungene „Arbeit macht frei“-Schild über dem Eingangstor zu den Häftlingsbaracken bekannt sein, welches sich im Inneren der Gedenkstätte befindet.
  • Auschwitz II – Birkenau (Brzezinka)
    Der Inbegriff des Holocaust, das größte Vernichtungslager der Nazis. Etwa 1,1 Millionen Menschen wurden hier ermordet.
    Bildlich bekannt ist insbesondere das Einfahrtsgebäude mit den Schienen, die ins Lager führen. Birkenau wurde am 27. Januar 1945 von der Roten Armee befreit.
  • Auschwitz-Monowitz (Monowice)
    Das wahrscheinlich am wenigsten bekannte der drei Lager. Gleichzeitig das einzige Konzentrationslager überhaupt im 2. Weltkrieg, welches exklusiv nur für eine Firma (IG Farben) erbaut und betrieben wurde.
    Während das durch die Häftlinge erbaute Firmengelände noch heute existiert, befindet sich an der Stelle des Konzentrationslagers heute eine Wohnsiedlung.

Der Zeitstrahl

Und jetzt wird es dann doch ein kleiner Geschichtskurs. Dieser ist einem Zeitstrahl entnommen, den wir über die Woche erarbeitet haben und der bei der Einordnung der Geschehnisse vor Ort zumindest mir sehr half. Hier eine gekürzte Auflistung, mit Fokus auf Auschwitz, der Einfachheit halber teilweise mit Wikipedia-Links:

  • 1933
    • Machtübernahme der Nazis
    • Erste Konzentrationslager, hauptsächlich für politische Gefangene / Kommunisten
    • 1. April: Boykott jüdischer Geschäfte
  • 1935
  • 1938
  • 1939
    • 1. September: Überfall auf Polen
    • 4. September: Die Wehrmacht erreicht Oświęcim
    • 29. / 30. November: Zerstörung der Synagoge in Oświęcim
  • 1940
    • Anfang des Jahres: Entscheidung zur Errichtung des KZ-Auschwitz
    • 14. Juni: Erste Deportation nach Auschwitz
  • 1941
    • Befehl zum Ausbau des Lagerkomplex Auschwitz
    • 7. April: Gründung der IG Auschwitz (zum Bau der IG Farben-Werke)
    • Mitte April: Aussiedlung der Jüdinnen und Juden aus Oświęcim
    • Mitte April: Erstes Arbeitskommando Monowitz
    • 22. Juni: Überfall auf die Sowjetunion
    • September: Kennzeichnungspflicht für jüdische Bürgerinnen und Bürger („Judenstern“)
    • Herbst 1941: Bau des KZ-Birkenau, erste Versuche mit Zyklon B
  • 1942
    • 20. Januar: Wannsee-Konferenz (Wikipedia), Beschluss zur Deportation in den Osten und Vernichtung der gesamten jüdischen Bevölkerung Europas
    • 28. Oktober: Erste Häftlinge im KZ-Monowitz
  • 1943
    • Ende März: Fertigstellung der 1. Gaskammer in Birkenau
  • 1944
    • Mai – Juli: „Ungarn Aktion“ (Wikipedia)
      In diesen drei Monaten wurden knapp eine halbe Million Jüdinnen und Juden aus Ungarn nach Auschwitz deportiert, ab dem 15. Mai mit mehr als 10.000 Menschen täglich. Die meisten von ihnen wurden direkt nach der Ankunft in die Gaskammern getrieben.
    • 7. Oktober: Aufstand durch jüdische Häftlinge
  • 1945
    • 18. Januar: „Todesmarsch“ der Häftlinge Richtung Westen (bpb)
    • 27. Januar: Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee

Samstag, 24. September

Nach der Ankunft im Hotel besichtigten wir die einzig verbliebene Synagoge von Oświęcim. Und wahrscheinlich muss ich an dem Punkt dann schon mal einhaken und Grundlegendes mitteilen, was auch uns an diesem Tag als Grundlage mit auf den Weg gegeben wurde. Das jüdische Leben war in Polen in den 30er Jahren wesentlich präsenter und verbreiteter als in Deutschland. Während in Deutschland zu jener Zeit etwa 500.000 Jüdinnen und Juden und damit weniger als 1% der Bevölkerung lebten, waren es in Polen etwa zehn Prozent. In Oświęcim, einer Stadt mit etwa 14.000 Einwohner*innen, stellten sie mit 7.500 – 8.000 Menschen sogar die Mehrheit der Bevölkerung. Über 20 Synagogen gab es zu jener Zeit, in die größte passten etwa 2.000 Menschen. Und auch wenn der Antisemitismus auch außerhalb Deutschlands zu jener Zeit zunahm, verlief das Zusammenleben mit Christen hier relativ normal.

Heute steht nur noch diese eine Synagoge in Oświęcim – und es lebt kein Mensch jüdischen Glaubens mehr hier. Die Synagoge wird von einer Stiftung aus den USA finanziert und dient insbesondere auch jüdischen Menschen die Auschwitz besuchen als Gotteshaus.

Und damit habe ich den Namen Auschwitz erstmals erwähnt, wo ich doch bisher durchgehend von Oświęcim schrieb. Während mir die Namen von polnischen Großstädten meist in deutscher und polnischer Schreibweise geläufig sind, war das hier bisher nicht der Fall… obwohl doch gerade dieser Ort so wichtig sein sollte. Warum ist das so?
Ich nehme an, dass dies auch eine bewusste Trennung zwischen der Stadt Oświęcim und eben dem Konzentrationslager ist, für das die Nazis den deutschen Namen der Stadt wählten: Auschwitz. Der Inbegriff des Schreckens und des unvorstellbaren Grauens, dem Holocaust. Dem Ort, an dem etwa eineinhalb Millionen Menschen umgebracht wurden.

Doch Oświęcim gab es vorher schon und es gibt es noch heute. In der Wahrnehmung vieler, insbesondere auch vieler Touristen, die das Konzentrationslager besuchen, kommt der Ort aber kaum vor.
Ebenfalls neu war mir, dass dieser Ort aber sehr wohl für die Nazis hätte sehr wichtig sein sollen – denn Auschwitz sollte zur Musterstadt werden. Es gab Pläne für die Ansiedelung von 60.000 Deutschen, trotz des Arbeitslagers direkt nebenan.

Und noch ein letzter Punkt wurde uns bereits früh vermittelt: Das Konzentrationslager Auschwitz hat eine Geschichte von 1940 bis 1945 – und während die Geschichte dieses Lagers selbstverständlich nie eine erfreuliche war, so kam die Besonderheit des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau doch erst 1943 ins Spiel, während es bis dahin durchaus mit anderen Lagern vergleichbar war. Dies alles sollten wir in den nun kommenden Tagen genauer kennenlernen.

Den Abschluss des Tages bildete die WDR-Dokumentation „Auschwitz war auch meine Stadt“ (YouTube, 30min), in der Zeitzeugen über ihr damaliges Leben hier sprachen. Unter anderem kam ein überlebender Häftling des Lagers ebenso zu Wort, wie eine deutsche Arbeiterin des hier extra angesiedelten IG Farben-Werkes, die ihre Zeit in Auschwitz verstörenderweise auch im Rückblick noch als die schönste Zeit ihres Lebens bezeichnet.

Sonntag, 25. September

An diesem Tag besuchten wir das „Stammlager“, in dem inhaltlich die Grundlagen für die nächsten Tage gelegt werden sollten. Wichtig war hier bereits vorab der Hinweis, dass in dieser vierstündigen Führung auch die Geschichte des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau mit erzählt werden würde, obwohl man sich räumlich dort gar nicht befand.

Das Eingangstor mit der Aufschrift" Arbeit macht frei" über dem Eingang. Im Hintergrund die Klinkergebäude des Konzentrationslagers.
Eingangstor zum Stammlager // (c) privat

Der Besuch war sehr eindrücklich. Gerade im Vergleich zu Neuengamme, wo die Baracken größtenteils nicht mehr erhalten sind und „nur“ mit den Grundrissen auf dem Boden dargestellt werden, war die Enge hier deutlich spürbarer. Die Führungen sind absolut professionell durchgeplant, nachdem man die Sicherheitskontrolle (inkl. Personalausweis-Prüfung und Metalldetektor, keine Taschen größer als DIN A4) hinter sich hat. Der Guide hat ein Headset, jede teilnehmende Person erhält Kopfhörer mit einem Empfänger – so kann man mit mehreren Gruppen im selben Gebäude und auf engstem Raum beisammen stehen und hört trotzdem nur den eigenen Guide – die Führungen sind in diversen Sprachen buchbar.

Inhaltlich gab es die komplette Bandbreite an Wissen über Auschwitz. Die Struktur und zeitliche Abfolge der Lager, den Lageralltag, die verschiedenen Gruppen an Häftlingen, diverse kleine Geschichten – und über allem schwebte immer das kleine Grauen, sich genau an jenem Ort zu befinden, an dem diese Gräueltaten verübt wurden.

Einige Gruppen besuchen auch nur das Stammlager, bekommen das von Bildern bekannte „Todestor“ von Auschwitz-Birkenau also gar nicht zu sehen. Für uns war dieser Besuch erst für den Folgetag vorgesehen und nach der Führung waren wir uns wohl auch alle einig, dass diese zeitliche Trennung sehr sinnvoll sei. Die Eindrücke dieser ersten Führung waren absolut genug, die gemeinsame Reflektion und Aufarbeitung in der Gruppe am Nachmittag sehr hilfreich.
Solltet Ihr je so eine Reise planen und Einfluss auf den Zeitplan haben: Trennt diese beiden Lager zeitlich mit einer Übernachtung. Wir hatten zudem die Gelegenheit, mittels des bereits erwähnten Zeitstrahls all die Abläufe nochmals zu ordnen und die verschiedenen Phasen der einzelnen Lager so nochmals besser zu verstehen.

Montag, 26. September

Für heute war dann aber Auschwitz-Birkenau vorgesehen. Wir fuhren mit dem Bus zunächst an dem bekannten Tor vorbei und hielten an der so genannten „Judenrampe“. Hier, an den Gleisen zwischen dem Lager Auschwitz I und Auschwitz-Birkenau, kamen lange Zeit alle Häftlinge an. Für uns war es sehr merkwürdig anzusehen, dass direkt daneben Wohnhäuser mit großzügig angelegtem und gepflegtem Garten standen. Erklären lässt sich dies wohl damit, dass dieser Teil lange nicht zur Gedenkstätte gehörte und dies erst in den letzten Jahren auf Initiative von Überlebenden ergänzt wurde.

Blick aus dem Inneren des Lagers zum Eingangsgebäude von Auschwitz-Birkenau. // (c) Patrick Roman Fabri

Zu Fuß durchschritten wir dann das Tor zum Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau und begaben uns erneut auf eine knapp vierstündige Führung. Diese fand, im Gegensatz zum vorherigen Tag, größtenteils unter freiem Himmel statt und das Gelände ist sehr viel weitläufiger, so dass keine Kopfhörer nötig waren.

Wir besichtigten zunächst die noch stehenden Holzbaracken, die in der ursprünglichen Planung für 50 Pferde gedacht waren und später für bis zu 500 Menschen genutzt wurden. Die Gräueltaten hier bezogen sich zunächst „nur“ auf die menschenunwürdige Behandlung und ich erspare Euch die Details, da dies ohnehin in so einer klinischen Schilderung hier im Blog kaum greifbar gemacht werden könnte.

Weiter ging es zu jenem Ort, an dem die Menschen dann in Auschwitz-Birkenau die Züge verließen – und hier mache ich den nächsten Einschub: Wie schon erwähnt, war dies in der ursprünglichen Planung zunächst auch „nur“ ein weiteres Arbeitslager. Erst später (siehe Zeitstrahl, insbesondere ab 1943, „Ungarn-Aktion“) kam die Besonderheit des beabsichtigten und sofortigen Massenmords hinzu. Der Tod der Häftlinge war natürlich auch schon vorher jederzeit einkalkuliert, doch meist wollte man, sofern möglich, vorher noch ihre Arbeitskraft nutzen. Mit dem Fingerzeig, nach links oder rechts zu gehen, wurden Menschen wahlweise in das Arbeitslager oder aber in die Gaskammer geschickt – eingeteilt nach Augenschein, je nach anzunehmender Arbeitsfähigkeit.

Mit der sich ankündigenden Befreiung von Auschwitz im Januar 1945 versuchten die Nazis die Beweise zu zerstören und sprengten die Gebäude, die die Gaskammern und Krematorien enthielten. Hier stehen heute nur noch Ruinen. Dazwischen ist das große Denkmal mit Gedenktafeln in 23 Sprachen.
Mehrfach fragte uns der Guide, ob es denn noch weiter gehen dürfte – und so gingen wir weiter. Zu einer Gedenktafel für Sinti und Roma, vorbei an einem weiteren Krematorium und zu einem kleinen See – in dem damals massenhaft die Asche der verbrannten Menschen versenkt wurde.

Anschließend ging es noch in die „Sauna“, ein Gebäude welches bei der Ankunft von Häftlingen genutzt wurde, die zur Arbeit vorgesehen waren. Sie mussten sich ausziehen, wurden geschoren und mit einer Häftlingsnummer tätowiert. Aus dem Gebäude heraus kamen sie dann mehr oder weniger im Einheitslook – der Versuch der Entmenschlichung der Häftlinge.
Diesen Effekt möchte die Gedenkstätte heute zumindest teilweise umkehren, denn im letzten Raum dieses Gebäudes, welches Menschen betreten und Nummern verlassen hatten, steht heute eine kleine Fotoausstellung, teilweise mit Familiengeschichten – um zumindest einigen von ihnen wieder ein Gesicht zu geben.

Eine Gesprächsrunde zur persönlichen Aufarbeitung beendete den Nachmittag früh, der Rest des Tages konnte individuell und frei gestaltet werden. Trotzdem war dies wohl der intensivste Tag des Aufenthaltes.

Dienstag, 27. September

Ein zumindest mir nur ganz am Rande in Erinnerung gebliebener Aspekt von Auschwitz war die Ansiedlung der IG Farben. Tatsächlich ist aber eben diese große Fabrikansiedlung in einer Wechselwirkung mit dem Gesamtkomplex Auschwitz verbunden. Durch die große Anzahl an Zwangsarbeiter*innen konnte das Gelände entsprechend groß gebaut werden. Am Ende bekam die IG Farben sogar mit dem Arbeitslager Auschwitz-Monowitz als einzige Firma ihr „eigenes“ Konzentrationslager – und um dieses Lager ging es an diesem Tag.

Wie schon erwähnt war Oświęcim als Musterstadt für die Nazis vorgesehen. 60.000 Deutsche sollten hier angesiedelt werden, die meisten als Facharbeiter für die IG Farben-Werke vorgesehen. Eben diese Werke existierten aber noch gar nicht – und wurden komplett durch die Lagerhäftlinge errichtet. Der Bedarf an Arbeiter*innen war so groß, dass hierfür nach dem Stammlager Auschwitz I und Auschwitz-Birkenau noch ein drittes Lager errichtet wurde, Auschwitz-Monowitz, bis 1944 noch „Lager Buna“ genannt. Dieses enthielt zu Höchstzeiten bis zu 11.000 Häftlinge, die Arbeitskommandos errichteten die Fabrikgebäude – und „zu Tode arbeiten“ war wohl selten so treffend wie hier, denn die Arbeitsbedingungen waren selbstverständlich nicht auf die Gesundheit der Arbeitenden abgestimmt.

Heute steht das Firmengelände noch, viele Gebäude haben noch Originalfassaden und werden heute von anderen, polnischen Firmen genutzt. Das Konzentrationslager hingegen, welches aufgrund seiner Lage das erste der drei Lager in Auschwitz war, welches die Rote Armee am 27. Januar 1945 befreite, existiert heute nicht mehr und ist auch nicht Teil der Gedenkstätte.

Heutiges Denkmal in Monowice // (c) Patrick Roman Fabri

Zur Vorbereitung schauten wir am Vormittag ein sehr eindrückliches Zeitzeugengespräch mit Hans Frankenthal („Verweigerte Rückkehr“), der sein Leben von den Anfängen der NS-Zeit bis zum Tag seiner Befreiung in Buchenwald beschrieb und einer der wenigen Juden war, der die Arbeitsbedingungen in Monowitz überlebte.
Anschließend besichtigten wir den Ort Monowice, in dem nur ein kleines Denkmal der Dorfbewohner an das damalige Lager erinnert.

Mittwoch, 28. September

Der Mittwoch fand vormittags in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte statt.
Hier erarbeiteten wir zunächst fünf Biographien von Hamburger*innen, die im Verlauf des Krieges nach Auschwitz kamen. Die verschiedenen Stationen ihres Lebens und teilweise ihrer Flucht vor den Nationalsozialisten arbeiteten wir in unseren Zeitstrahl ein. Unter Stolpersteine-Hamburg.de lassen sich die Biographien von über 4.000 Menschen finden und online einsehen.

In der zweiten Gruppenarbeit ging es um die Bewertung der Fotos, die aus Auschwitz existieren. Es gibt nur drei erhaltene Aufnahmen, die von Häftlingen erstellt wurden. Der Großteil der erhaltenen Fotos stammt aus einem Album, welches von Lili Jacob, selbst vorher Häftling in Auschwitz, nach der Befreiung im verlassenen Konzentrationslager Dora-Mittelbau gefunden wurde. Das Album wurde erst 1980 an die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem übergeben und 1999 digitalisiert.
Die Fotos sind auch auf dem Gelände der Gedenkstätte allgegenwärtig und als einzige Bildquelle aus jener Zeit selbstverständlich wichtig. Allerdings fehlt dort oftmals die Einordnung, dass diese aus der Kamera von SS-Soldaten stammen und damit natürlich nur das abbilden, was die Fotografen zu jener Zeit auch aufnehmen wollten. Auf den Fotos fehlt so gut wie jede Spur von Panik und Grausamkeit – daher ist es wichtig, diesen Hintergrund immer wieder zu betonen.

Eingangstür zu Block 21, heute Standort der Länderausstellung der Niederlande.
Rechts der Tür ist ein Schild, welches auf die Länderausstellung in polnischer und englischer Sprache hinweist.
Eingangstür zu Block 21, heute Standort der Länderausstellung der Niederlande. // (c) Patrick Roman Fabri

Nachmittags besuchten wir ein letztes Mal Auschwitz I. In der vorderen Reihe der Häftlingsunterkünfte gibt es heute einige Länderausstellungen, in denen verschiedene Länder ihre eigene Geschichte der Deportationen aufarbeiten. Da die Aufgabenstellung wohl sehr frei war, wird dies auch sehr unterschiedlich gelöst. Von minimalistischer Darstellung mit wenigen Originaldokumenten und viel Platz für eigene Interpretation bis hin zu sehr aufwändig erstellter Illustration, wo der Fokus vielleicht etwas verloren geht. Ich habe es zeitlich nicht geschafft mir alle Länder anzuschauen und werde daher hier jetzt auch keine einzelnen Länder aufführen.
Was mir allerdings sehr gut gefallen hat, war die Sonderausstellung zum Thema Sport. Hier werden sowohl die einzelnen Sportarten beleuchtet, die es in den Lagern sehr wohl gab, als auch einige Biographien von prominenten Sportlern vorgestellt.

Fazit

Wir beendeten die Reise am Donnerstag morgen mit einer Feedbackrunde und ein paar persönlichen Worten aller Teilnehmenden. Uns allen war anzumerken, dass dies ganz sicher keine einfache Unternehmung war.
Trotzdem war das besondere Setting, diese Reise in einer Gruppe zu unternehmen, die allesamt einen ähnlichen Background haben, sicher sehr angenehm. So konnte auch am Abend in der Runde zusammengesessen und über das Erlebte gesprochen werden, teilweise hatte man dann auch mal komplett andere Gesprächsthemen außerhalb des Themas Auschwitz und Holocaust.

Vielen Dank an den Fanladen für die Organisation und insbesondere an Andreas Kahrs und Mona Müller für die Durchführung vor Ort. Solltet Ihr die Gelegenheit haben, an solch einer Reise teilzunehmen, so kann zumindest ich Euch dies nur absolut empfehlen.

Schließen möchte ich mit den Worten von Esther Bejarano, die selbst in Auschwitz-Birkenau war und dort im Mädchenorchester spielen musste:

„Ihr tragt keine Schuld für das was passiert ist, aber ihr macht euch schuldig, wenn es euch nicht interessiert.“

Esther Bejarano

// Maik

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One thought on “Gedenkstättenfahrt nach Oświęcim / Auschwitz

  1. Danke, Maik, für diesen Text, der trotz seiner Nüchternheit klarmacht, wie wichtig solche Besuche sind. Dank natürlich auch an den Fanladen für die Organisation.

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