Seit mehr als sechs Jahren ist Andreas Bornemann Geschäftsleiter Sport beim FC St. Pauli. Wir haben mit ihm darüber gesprochen.
(Titelfoto: Selim Sudheimer/Getty Images/via OneFootball)
Um etwas besser zu verstehen, wie Andreas Bornemann arbeitet, lohnt sich ein Blick in seine Vergangenheit. 1988 wechselte der damals 17-jährige als Fußballer in die A-Jugend zum SC Freiburg. Allerdings nicht als Profi, sondern als „Stand-by-Profi“, so erklärt er es zumindest selbst: „Wenn ich bei den Profis gebraucht wurde, habe ich dort gespielt, habe aber überwiegend als Kapitän der U23 gespielt.“ So kam es, dass Bornemann, obwohl er „gar keinen Fokus hatte Profi zu sein oder zu werden“ zu insgesamt sechs Bundesligaeinsätzen kam. Und das als polyvalenter Spieler, in einer Zeit, in der es der Begriff „polyvalent“ noch nicht so wirklich in den Profifußball geschafft hatte.
Fußball, VWL und BWL
Während dieser Jahre als „Stand-by-Profi“ hat Andreas Bornemann bereits studiert. Angefangen mit VWL in Freiburg, später BWL in Basel. Allein aufgrund der Wahl der Studiengänge ist eine Tendenz erkennbar, in welcher Richtung es für Bornemann später weitergehen sollte. „Mich hat das Gesamtthema interessiert. Im Kern natürlich der Fußball, der immer meine Leidenschaft war und ist, aber das Große und Ganze mitzugestalten hat mich noch mehr gereizt.“ Dass er dem Profifußball aber auch über die Spielerkarriere hinaus erhalten bleibt, hatte er jedoch eigentlich nicht unbedingt geplant. Bornemann hatte während seines Studiums in Basel damit geliebäugelt dort einen Arbeitgeber zu finden. Dass er dem Fußball doch erhalten blieb, dafür sorgte der SC Freiburg: „(Volker) Finke und (Achim) Stocker waren große Unterstützer von mir, die mir den Weg aufgezeigt haben.“
Dort in Freiburg machte Andreas Bornemann dann seine ersten Schritte im Management. Ein durchaus besonderer Standort, wenn man sich anschaut, wie lange Personen dort in verantwortlichen Positionen bleiben. „In Freiburg sieht man Kontinuität als Erfolgsfaktor an.“ Wenngleich diese Kontinuität in der Phase zwischen den Cheftrainern Finke und Streich etwas ins Wanken geriet, so kann das doch durchaus als eine der großen Stärken des Clubs angesehen werden. Eine Stärke, die maßgeblich dazu beigetragen hat, dass der nicht unbedingt traditionelle Fußball-Standort Freiburg inzwischen ein absolut etablierter Bundesligist ist. Diese Kontinuität, so erklärte es Bornemann, sei etwas, „was man nicht kopieren kann“, aber schon etwas, an dem man sich orientieren kann.
„Das erste Jahr hatte fast nur was mit Schadensbegrenzung zu tun.“
Andreas Bornemann über seine Anfänge beim FC St. Pauli
Freiburg, Aachen, Kiel, nicht Fürth, Nürnberg, dann der FC St. Pauli
In Freiburg blieb Andreas Bornemann als Manager bis 2007, ehe es ihn zu Alemannia Aachen zog. Rückblickend sagte er, dass er dort damals vor seiner Unterschrift „zu wenig Fragen gestellt“ habe, weil schnell nach Dienstantritt 2009 klar geworden sei, dass die finanzielle Situation schwieriger war, als angenommen. Von 2010 bis 2014 war Bornemann dann Sportdirektor von Holstein Kiel, ehe es eigentlich nach Fürth gehen sollte, was dann aber nicht zustande kam. Stattdessen war er ab 2015 Sportvorstand in Nürnberg, stieg mit dem Club 2018 in die Bundesliga auf. Anfang 2019 wurde er dort aber entlassen, nachdem er sich weigerte Trainer Michael Köllner freizustellen. Im Anschluss „wollte ich ein bisschen Zeit zwischen zwei Stationen vergehen lassen.“ Geklappt hat das nicht, denn kurze Zeit später meldete sich der FC St. Pauli bei ihm. Und so begann Andreas Bornemann dann im Sommer 2019 einen Job, den er bis heute innehat: Geschäftsleiter Sport beim FC St. Pauli.
Diese Zeit startete durchaus kompliziert. Monate bevor Andreas Bornemann seinen Job am Millerntor antrat, hatte Jos Luhukay das Traineramt übernommen. Luhukay hatte dann vor dem ersten Spieltag der Saison 19/20 auf einer denkwürdigen Pressekonferenz klar und deutlich gesagt, was er vom Kader hält („Hier herrscht zu viel Bequemlichkeit!“, „Alles über Platz neun wäre in dieser Saison ein Riesen-Erfolg!“). Luhukay sei auch im weiteren Saisonverlauf, so erklärt es Bornemann, nicht geduldig genug gewesen, um einen richtigen Umbruch beim FC St. Pauli einzuleiten. Dabei sei besonders zu Beginn einer Amtszeit einer neuen sportlichen Leitung genau das gefragt, Bornemann sprach von einer Zeitschiene „von zwei, drei Jahren“, die es benötige, um so einen Umbruch durchzuziehen: „Die Geduld muss jeder Aufsichtsrat, jedes Präsidium haben.“ Genau diese Bereitschaft habe es damals in großen Teilen beim FC St. Pauli gegeben, erklärte der 54-jährige.
Fehlende Geduld bei Luhukay, Aufbruchsstimmung bei Schultz
Bevor dieser Umbruch auch im Kader eingeleitet werden konnte, musste zu Beginn allerdings erst einmal mit einem riesengroßen Kader umgegangen werden. Der führte dazu, dass Andreas Bornemann vorerst hauptsächlich mit Leihgeschäften arbeiten konnte. Spieler wie Leo Östigard, Viktor Gyökeres und James Lawrence wurden leihweise verpflichtet. Bornemann: „Das erste Jahr hatte fast nur mit Schadensbegrenzung zu tun.“ Dann kam die Corona-Pandemie, der FCSP sammelte mühsam die für den Klassenerhalt notwendigen Punkte zusammen. Luhukay hatte in der Zwischenzeit mit einigen älteren und erfahreneren Spielern gebrochen, und spätestens am Saisonende war für Bornemann klar: „Gemeinsam etwas zu entwickeln, planvoll und schrittweise – das war mit Jos dann nicht mehr möglich.“
Im Anschluss an das Kapitel Luhukay habe man sich in der sportlichen Leitung die zentrale Frage gestellt: „Was bringt den Verein wieder in eine positive Richtung?“ Es sei damals auch darum gegangen wieder ein positiveres „Gesamtgefühl“ zu erschaffen. Dieses Gefühl konnte mit Timo Schultz als Cheftrainer erschaffen werden. Bornemann: „Du hast gemerkt, dass vom ersten Tag an eine Aufbruchsstimmung entstanden ist.“
Ende 2022: Schultz oder Bornemann
Nach einer schwierigen ersten Halbserie sollte der FC St. Pauli das Jahr 2021 wie im Rausch verbringen, an dessen Ende die Herbstmeisterschaft stand. Alles war auf den Aufstieg am Saisonende 21/22 ausgerichtet. Doch es kam nicht dazu. „Es gab ein paar Dinge, die nicht funktioniert haben und wir haben den Weg, den wir eigentlich definiert hatten, wie die nächsten Schritte laufen sollen, verlassen. Das Ergebnis war, dass wir dahin wieder zurückgefallen sind, wo wir angefangen haben.“ Der Sportchef erklärte, dass es aus seiner Sicht damals, Ende des Jahres 2022, nur zwei Möglichkeiten gegeben habe: Schultz oder Bornemann – der Ausgang ist bekannt.
Dass diese Entscheidung sowohl medial als auch in der Fanszene des FC St. Pauli ein gewaltiges Echo hervorrufen würde, war Bornemann klar: „Ich war mir schon bewusst, was auf der Mitgliederversammlung passieren würde. Aber ich konnte es inhaltlich begründen.“ Der 54-jährige erklärte, dass es ihm bei der Arbeit im Fußball darum gehe „Dinge so voranzutreiben, dass es sich verbessert“, also um die inhaltliche Arbeit und um nichts anderes: „Ich war und bin nicht im Fußball unterwegs, um Freundschaften für’s Leben zu schließen, auch mit Timo nicht.“
Fabian Hürzeler übernahm als Cheftrainer, übrigens nach Rücksprache mit Schultz, wie Bornemann betonte. Eine mutige Entscheidung des Sportchefs, schließlich hatte Hürzeler damals noch kein Herren-Team auf diesem Niveau trainiert und war noch nicht fertig mit seiner Ausbildung zum Fußballlehrer. Bei Fabian habe Bornemann „eine gewisse Substanz“ erkannt, um Dinge voranzutreiben: „Er ist wirklich ein Fußball-Besessener. Der hat so Lust auf dieses Spiel, hat so gute Ideen und hat alles, was er hatte, in diese Zeit hier reingelegt.“ Diese Zeit wirkt nach, bis heute: „Viele Elemente, viele Dinge, die bis heute für uns Gültigkeit haben, sind mit Fabian gemeinsam an der Kollau entstanden.“
„Ich war und bin nicht im Fußball unterwegs, um Freundschaften für’s Leben zu schließen“
Andreas Bornemann
Objektive Nähe und kritische Distanz
Die Überzeugung, dass Fabian Hürzeler zu dem Zeitpunkt der richtige Trainer ist, sei auch deshalb vorhanden gewesen, weil Bornemann ihn schon aus der Zeit zuvor gut kannte. Denn für derartige Überzeugungen brauche es eine gewisse Nähe: „Solche Entscheidungen traue ich mir nur zu, wenn ich möglichst nah dran bin. Ich bewege mich nicht jeden Tag in der Kabine, aber ich bin jeden Tag an der Kollau.“ Das ist auch der Grund, warum Bornemann bei Spielen mit auf der Bank sitzt, denn „Wie soll ich einen Trainer beurteilen, wenn ich nicht sehe, wie er arbeitet?“ Allerdings brauche es auch eine „kritische Distanz“, um diese Arbeit eben auch möglichst objektiv bewerten zu können.
Bewertet werden kann auch das Scouting des FC St. Pauli. Wenn man sieht, wie sich das Leistungsniveau des Kaders unter der Leitung von Andreas Bornemann in den letzten Jahren entwickelt hat, dann ist die Bilanz extrem positiv. Das ist ein Ergebnis des erfolgreichen Scouting-Prozesses. Wie fein dieser geworden ist und welche Herausforderungen es allgemein bei der Kaderplanung gibt, erklärte Bornemann unter anderem auch anhand der Situation im aktuellen Kader: „Es ist von der Akzeptanz her einfacher nach einer schlechten Saison neue Spieler reinzubringen, als wenn du mit Aufstieg und Klassenerhalt zwei erfolgreiche Jahre hast und einige Spieler, die maßgeblich daran beteiligt waren, sich plötzlich neuer Konkurrenz ausgesetzt sehen. Das bringt nochmal ganz neue Herausforderungen, denen wir uns jetzt gerade stellen müssen.“
Damit Andreas Bornemann sich diesen Herausforderungen auch stellen kann, braucht es Präsenz: „Ich brauche das Gefühl: Ich bin dran an den Themen, ich weiß was passiert.“ Das dabei der Familienurlaub in den Hintergrund rückt, gehört aufgrund des Spielplans zur Natur der Sache. Das ändert aber nichts an der Motivation für diesen Job: „Ich sehe es als Privileg an im Fußball arbeiten zu dürfen. Ich ziehe aus dem, was ich machen darf, wahnsinnig viel.“
Der FC St. Pauli hat davon in den letzten sechs Jahren extrem profitiert.
// Tim
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Gegen Ende des 3. Spiels der letzten Saison hielt die _Fernsehkamera direkt auf eine ziemlich heftige Auseinandersetzung von Andreas Bornemann und Alexander Blessin. Meine Hoffnung war, das er dem Trainer gesagt hat: Keine Experimente mehr, jetzt bitte an dem ansetzen, was die Mannschaft spielen kann!“ So kam es dann, was auch immer die beiden besprochen hatten. Andreas Bornemann ist ein Guter, wir können froh sein, das wir ihn haben.
Was bin ich froh, dass keine Kamera auf uns gehalten wird, wenn ich mich mit meinem Chef fetze. Was man da alles reininterpretieren könnte…
Meine Hoffnung ist eher, dass Lösungen hinter verschlossenen Türen, sachlich und im Team erarbeitet werden und keine Entscheidungen in der Emotion nach einem Spiel durchgedrückt werden.
Es wäre absolut fatal, wenn diese Worte gefallen wären. Ich glaube, das Interview macht deutlich, dass er eben nicht seinen Job mit dem des Trainers vermischt. Ich denke, der Inhalt war etwas anders gestrickt.
Sehr spannende Episode. Hat spaß gemacht. Danke auch an Andreas für die Enblicke
danke für die Folge.
hat mir richtig Spaß gemacht zuzuhören.
ich hätte noch Stunden lang zuhören können
Thank you very much for the summary for us who don’t understand German.
It is undeniable that Bornemann has been very efficient and he has played a big part in a lot of St Pauli’s successes in the last years.
But I still dislike him.
I do not forget how he actively undermined Schultz’s tenure and wanted to get rid of him without even knowing who would replace Timo. It is actually true that it was Borneman or Schultz . When a trainer gets too successful or too loved, it is a danger for his position of power at the club, and he cynically acts in his own interests, not the club’s.
Same with Hürzeler, actually.
Hi Osvaldo,
I am a bit surprised by your comment. I take into consideration that you didn’t have the full original interview but seeing that you don’t like Andreas Bornemann due to the dismissal of Timo, leaves me wondering.
He explained the situation – for my feeling – very honest and also very clear.
Yes, Timo was loved but also not successful enough with the team he was given. As Andreas put it: when he started, FCSP was 15th, that was understandable given the team and the non-existing philosophy and plan to follow.
But when FCSP under Timo was also 15th place 2 1/2 years later, this was not good enough given the money that has been invested into the team. Before sending Timo away Bornemann was already 99% sure that Hürzeler would be the new Coach. How harmful for the Club would it be if he wouldn’t have any successor in mind?
What I also don’t understand is that you say that Hürzeler has been kind of scared away by Bornemann. Do you really think that Fabian was forced to take the chance and leave for Brighton? There is no scenario on this world that makes me believe that this is what has happened.
Finally: Bornemann has been sacked at Nürnberg before for not agreeing to sack the Coach. For me this speaks for loyalty, not for egoism.
I am really happy that he joins FCSP 6 years ago, gave the Club a clear direction, managed to improve the team the way he did, let us all celebrate promotion to Bundesliga and also kept us in Bundesliga. Of course he has flaws as he is human. But for me we couldn’t have find anyone better for this job than Borne.
„Gemeinsam etwas zu entwickeln, planvoll und schrittweise…“ und wenn das mit einem Trainer nicht mehr möglich, dann zieht der Sportchef die Konsequenzen. Tut er es nicht, etwa aufgrund eines persönlichen Verhältnisses, dann kann auch er selbst entlassen werden. Natürlich ist der Sportchef mit der Arbeit des Trainers „vermengt“ und das ist gut so…:)
Das Interview hat mir sehr gut gefallen. Für mich eine der besten Sendungen seit langem. Das Interview Format mit sportlichen Verantwortungsträgern gefällt mir ohnehin am besten und diese Ausgabe mit nur zwei Interviewenden fand ich sehr angenehm im Fluss. Inhaltlich sowieso. Ich hätte auch gerne noch mehr zu der Bundesliga-Zeit mit St. Pauli gehört aber die Zeit war dann zu knapp. Vielen Dank, hat großen Spaß gemacht.
Ich habe die Monatssendung gestern erst gehört und auch auf die Gefahr hin, dass ihr das jetzt nicht mehr lest, ist es mir doch ein Bedürfnis euch mit zu teilen, dass ich die Sendung absolut interessant, spannend und kurzweilig fand. Ich hätte euch und A.B. noch stundenlang zu hören können. Vlt. ergibt sich ja eine Art 2. Teil für eure fehlenden Themenblöcke und das Ganze nicht erst in sechs, sondern schon in ein oder zwei Jahren. Vielen Dank für alle eure Beiträge!