Acht Niederlagen in Folge wirken – Der FC St. Pauli ist auf der Suche nach Selbstvertrauen und braucht Unterstützung.
(Titelfoto: Stefan Groenveld)
Ein Kommentar von Tim
Der Schneefall setzte gerade ein, gefroren wurde aber schon, als Hauke Wahl nach Abpfiff der Partie gegen den 1. FC Union Berlin nach den Gründen zur 0:1-Niederlage des FC St. Pauli befragt wurde. Sich nach solchen Spielen in der Mixed Zone Fragen stellen zu müssen, gehört sicher nicht zu den angenehmsten Dingen, die Fußballprofis so tun müssen. Wahl ist einer, der das ergebnisunabhängig Woche für Woche macht. Am Sonntag wurde er deutlich.
Als er auf die Frage eines Reporters, ob die erste Halbzeit der Grund gewesen sei, dass man das Spiel verloren habe, mit „Wieso?“ antwortete, konnte bereits erahnt werden, dass Wahl nicht bereit war für einen gemütlichen Plausch nach Abpfiff. Spätestens als er auf die Aussage, dass der FC St. Pauli passiv gespielt habe, mit einer weiteren Gegenfrage („Inwiefern passiv, also wo passiv?“) antwortete, war allen klar, dass das Gespräch von nun an interessant werden würde.
Hauke Wahl geht neben dem Platz in die Offensive
Angesprochen auf den eher etwas abwartenderen Stil des FC St. Pauli in der ersten Hälfte entgegnete Wahl: „Wieso kann das kein Ansatz von St. Pauli sein? (…) Ihr wisst doch genau, wo wir herkommen? Wir haben sieben Spiele verloren. Es geht jetzt um Basics.“ und betonte, dass das Team nicht passiv gespielt habe, viele direkte Duelle gewonnen habe. Laut FotMob hat der FCSP übrigens in der ersten Halbzeit genau so viele Zweikämpfe gewonnen wie Union (diese Zahl wurde von Sonntag auf Montag nach unten korrigiert, die Quote stand Sonntagabend noch bei 57 Prozent).
Klar, die Niederlage gegen Union Berlin war für viele enttäuschend, natürlich auch für die Spieler. Wahl gibt aber mit seinen Worten zu bedenken, dass der Kontext beachtet werden müsse: „Wo kommen wir denn her? Wir kommen aus sieben verlorenen Spielen. Und dann denkst Du, dass wir hier herkommen und hier ein Feuerwerk ablegen. Wir wissen genau: Die haben drei schnelle Spieler und dann sollen wir dreimal ins offene Messer laufen und dann sagt Ihr wieder: ‚Ah ja, hättet Ihr mal tief gestanden.‘ Wir müssen doch mal wissen, wo wir herkommen.“
Mutig erst nach Rückstand
Hauke Wahl hat sich also für eine eher aktive Art der Frustbewältigung entschieden. Er betont den Prozess, ordnet die Niederlage gegen Union Berlin eher in einen größeren Kontext ein. Und er betont, wie schwierig es aktuell für die Spieler auf dem Rasen ist. Ja, das Spiel war sicher nicht überragend vom FC St. Pauli. Es war auch nicht so, dass der FCSP drei Punkte verdient gehabt hätte. Aber mit etwas Kontext betrachtet, kann dieses Spiel zumindest als ein kleiner Schritt nach vorne betrachtet werden. Von einem Auseinanderfallen, wie es ihn den letzten beiden Liga-Heimspielen gegen Hoffenheim und Mönchengladbach passierte, war nämlich nichts zu sehen. Gut, es ist sicher nicht falsch, wenn an dieser Stelle eingeworfen wird, dass Union eben nicht die offensive Power wie Hoffenheim oder Mönchengladbach hat. Und es ist auch richtig, wenn erwähnt wird, dass man im Fußball eben irgendwann auch Ergebnisse braucht. Acht Niederlagen in Serie sind nicht das alleinige Produkt von Pech und kleineren Problemchen. Sie sind der Ausdruck einer tiefergreifenden Krise.
Alexander Blessin hat sich nach dem Spiel vor allem die Frage gestellt, warum das Team wie zuletzt auch in Freiburg, erst nach dem Rückstand anfing, mutiger nach vorne zu spielen: „Du hast jetzt nichts mehr zu verlieren, Du liegst 0:1 zurück. Das eröffnet eine Möglichkeit.“
Das ist vielleicht auch so ein Symptom der Krise: Die Spieler des FC St. Pauli haben vielleicht auch einfach ein bisschen Angst, Sorge davor, in Rückstand zu geraten. Weil das zuletzt immer die sichere Niederlage bedeutete. Der fehlende Mut ist übrigens auch ein Thema bei der direkten Konkurrenz. Mainz-Trainer Bo Henriksen erklärte vor dem Spiel am Freitag gegen Hoffenheim sehr eindrücklich, wie wichtig Mut in Zeiten einer sportlichen Krise ist. Eric Smith erklärte nach Abpfiff ebenfalls „Wir brauchen Mut“, erklärte aber auch, dass das nun „der schwierige Teil“ sei.

Gewinnen wollen? Oder nicht verlieren wollen?
Nun kann und sollte natürlich auch konstruktiv darüber diskutiert werden, wie eine mutige Spielweise forciert wird. Ist es mutig, wenn ein Team so lange wie möglich das 0:0 halten möchte? Das erinnert unweigerlich an Dapo Afolayan, der am Ende der letzten Saison öffentlich genau das monierte, als er sagte: „Wir sollten rausgehen und Spiele gewinnen wollen, nicht nur versuchen, sie nicht zu verlieren. Das ist ein großer Unterschied.“ Auf der anderen Seite ist es ja eben auch eine mutige Spielweise, die Blessin fordert, ein sehr aktives Pressing soll stattfinden, viel Vorwärts-Verteidigung. Das verlangt mutige Entscheidungen und wir konnten in einigen Partien dieser Saison durchaus Phasen beobachten, wo genau das fehlte. Letztlich geht es darum, wie Punkte geholt werden. Mutig bedeutet nicht unbedingt offensiv, mit so einem Ansatz haben sich Bochum und Kiel in der Vorsaison in den meisten Spielen der Hinrunde einen Gegentreffer nach dem anderen gefangen. Auch der FCSP hatte einen offensiveren Fokus, stellte diesen aber nach dem Gladbach-Spiel wieder zurück.
Gehen wir den Elefanten im Raum an: Ob die Entscheidung mutig ist, dass Alexander Blessin weiterhin Trainer des FC St. Pauli ist, wird natürlich leidenschaftlich diskutiert. Von den Verantwortlichen des FC St. Pauli wurde ihm jedenfalls auch am Sonntag der Rücken gestärkt. Und das ist ein angenehmes Signal, weil in Zeiten der sportlichen Krise hier vom Verein ein klares Statement rausgeht, anstatt noch weiteren Stress zu produzieren. Nichts wäre schlimmer, als wenn nun begonnen würde herumzulavieren und damit eine Trainer-Diskussion anzuzetteln. Denn, das sollte auch allen klar sein, diese wird nicht dazu führen, dass Entscheidungen im Verein schneller oder gar besser getroffen werden. Sie würde aber hardcore nerven. Eine öffentliche(!) Trainer-Diskussion würde nur noch mehr Unruhe produzieren, auch ein Alibi liefern, um auf dem Platz nicht voll da zu sein. Ruhe ist jetzt angebracht, damit gearbeitet werden kann.
Irvine bemerkenswert distanziert
Angenehm wäre es daher auch gewesen, wenn Jackson Irvine genau das gemacht hätte. Nach Abpfiff beschwor er im Gespräch mit der Sportschau erst den Zusammenhalt („Uns wird kein einzelner Spieler hier rausholen. Das geht nur von Spieler 1-25, Staff, Fans – alle zusammen.“), wich dann aber bei der Frage nach Blessin aus: „Er ist der Trainer. Wir arbeiten weiter zusammen und es steht mir nicht zu, das zu kommentieren. Er ist der Boss. Wir machen den Plan für das Spiel, wir gehen zum Training und wir müssen da jetzt gemeinsam rauskommen.“ Auf die Nachfrage, ob Blessin seiner Meinung nach der richtige Trainer für diese Situation sei, wurde erneut ausgewichen: „Es geht hier nicht um meine Meinung. Wir sind die Spieler, er ist der Trainer – und so lange das so ist, arbeiten wir als Team zusammen.“ Für einen Mannschaftskapitän ist das Zurückziehen auf „Das ist nicht mein Tanzbereich“ schon sehr bemerkenswert.
Was wir in den letzten Wochen mitansehen konnten, war ein Team des FC St. Pauli, welches sich von kleineren Unsicherheiten hin zu einer Gesamt-Unsicherheit entwickelte. Der Vorwurf, dass man sich nur einfach mehr anstrengen müsse, um wieder erfolgreich zu sein, läuft ins Leere. Ja, auch wenn das Team sich ganz sicher vorwerfen lassen muss, in einigen Momenten nicht mehr voll und ganz dabei gewesen zu sein. Das Gladbach-Spiel war dahingehend ein Tiefpunkt. Nun aber konnte man gegen Union Berlin ein Team beobachten, das viel investierte, um gegen einen unangenehmen Gegner zu bestehen – und auch viel versuchte, um das eigene Selbstvertrauen wieder zu erlangen. Beides ist direkt voneinander abhängig. Was es nicht einfacher macht, die aktuelle Serie zu beenden, zu durchbrechen.
Draufhauen oder unterstützen?
Aber wie soll nun mit dieser sportlichen Krise umgegangen werden? Was ist in dieser Phase notwendig, damit diese Serie nicht bald auch dazu führt, dass der FC St. Pauli nicht nur den Kontakt ins Tabellenmittelfeld, sondern auch ans rettende Ufer verliert? Draufhauen? Team und Trainer vorhalten, dass sie alle zu schlecht sind, das ihre Entscheidungen auf und neben dem Platz grundfalsch sind? In den großen Chor des Abgesangs einstimmen? So wie nach drei Spieltagen der große Chor den sicheren Hafen namens Tabellenmittelfeld besang?
Von den vielen Möglichkeiten, die es gibt, um mit Niederlagen und auch mit Niederlagenserien umzugehen, ist das Draufhauen sicher eine der leichtesten, aber auch eine der schlechtesten. Klar, Frust muss raus. Das ist sowieso ein natürlicher Prozess, Fußball als Ventil und so. Versteht das bitte nicht falsch, konstruktive Kritik ist zwingend notwendig, sie kann sogar hilfreich sein. Nur dürfte es halt aktuell überhaupt nicht weiterhelfen, wenn frustriert und unreflektiert draufgehauen wird. Einen Weckruf in Form von deutlichen und vor allem deutlich geäußerten Hinweisen, dass das aktuell nicht wie geplant läuft, benötigt beim FCSP niemand mehr. Acht Niederlagen in Serie sprechen für sich – und innerhalb des Teams erweckt niemand den Eindruck, er würde sich der Realität verschließen.
Alle zusammen für den Klassenerhalt!
Was es neben den richtigen Entscheidungen auf und neben dem Platz braucht, ist eine andere Dynamik. Und diese zu erzeugen, dürfte durchaus schwierig sein, besonders nach vielen sportlich erfolgreichen Jahren. Alexander Blessin hatte in der Vorsaison immer wieder betont, wie wichtig der Schulterschluss zwischen Fans auf den Rängen und Spielern auf dem Rasen sei. Wenn er davon spricht, dass die maximal mögliche Leistung abgerufen werden soll, dann dürfen (und ja, jetzt wird es persönlich!) wir uns durchaus auch selbst hinterfragen, ob diese zuletzt von den Rängen gekommen ist. Wenn wir uns beglückwünschen und feiern, dass wir den Aufstieg/Klassenerhalt geschafft haben, dann doch deshalb, weil wir auch das Gefühl haben, daran beteiligt gewesen zu sein, oder? Wir sind nicht (nur) Zuschauer*innen gewesen, wir haben einen Beitrag dazu geleistet, haben angefeuert, mitgefiebert, dem Team auf dem Platz das Gefühl gegeben, dass es nicht alleine ist. Es sollte durchaus hinterfragt werden, wie groß dieser Beitrag von den Rängen aktuell ist, jetzt, wo das Team auf dem Platz diese Art der Unterstützung vielleicht besonders nötig hat. Denn sicher ist: Der Klassenerhalt ist etwas, was wir auch diese Saison nur gemeinsam erreichen können. Zusammenhalt, ob innerhalb des Teams, innerhalb des Vereins oder innerhalb der Mitgliedschaft, ist die wichtigste Komponente, um etwas zu schaffen, was anhand der (finanziellen) Rahmenbedingungen eher kaum möglich erscheint. Darüber ärgern, wenn wir den Klassenerhalt nicht schaffen, können wir uns noch, wenn es tatsächlich so sein sollte. Vorher sollten wir aber nicht resignieren, nicht alles verteufeln und draufhauen – sondern alles versuchen, um uns diesen Ärger zu ersparen.
Nun geht es erstmal nach München. Ein Spiel, für das der ehemalige Bremer Sebastian Prödl mal einen passenden Vergleich fand: „München ist wie ein Zahnarztbesuch. Muss jeder mal hin. Kann ziemlich wehtun. Kann aber auch glimpflich ausgehen.“
Sicher ist, dass der FC St. Pauli nicht als Favorit nach München reisen wird. Sicher ist auch, dass in dieser Partie nicht mit Punkten geplant werden sollte. Allerdings sollte es im Anschluss bis Weihnachten unbedingt Punkte geben. Oder besser gesagt: Wir sollten uns die Punkte holen!
// Tim
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Alle zusammen – auch auf den Rängen!
Der aktuelle Artikel spricht etwas Wichtiges an: Den Klassenerhalt schaffen wir nur gemeinsam. Spieler, Verein, Fans – alle müssen an einem Strang ziehen. Doch wie sieht es aktuell mit unserem Teil der Verantwortung aus?
Ich hatte beim Berlin-Spiel die Gelegenheit, auf der Haupttribüne zu sitzen, und meine Beobachtungen haben mich nachdenklich gemacht. Die Stimmung dort war größtenteils verhalten bis kritisch. Viel Gemecker, wenig Anfeuerung. Teilweise hatte ich sogar das Gefühl, dass um mich herum irritierte Blicke kamen, wenn ich mitgesungen habe. Das kann doch nicht sein!
Positiv ist mir aufgefallen, dass die Ultras auf der Süd mittlerweile mit Lautsprechern arbeiten. Das ist grundsätzlich gut und wichtig. Allerdings gibt es ein Problem: Die Gesänge von Südtribüne, Nord und Gegengerade sind nicht aufeinander abgestimmt. Verschiedene Lieder zur gleichen Zeit schwächen die Gesamtwirkung massiv. Was auf dem Platz ankommen sollte, ist eine geschlossene Wand aus Unterstützung – kein Flickenteppich aus verschiedenen Songs.
Hier sehe ich deutlichen Verbesserungsbedarf. Wenn wir wirklich alle zusammen für den Klassenerhalt kämpfen wollen, dann müssen wir das auch auf den Rängen zeigen:
Meine Vorschläge:
• Bessere Abstimmung zwischen Süd und Gegengerade bei den Gesängen
• Einbindung der Haupttribüne, vielleicht auch dort mit Lautsprechern, damit alle den Takt hören und mitmachen können
• Mehr Mut zum Mitsingen, auch wenn das Umfeld verhalten ist
Der Artikel stellt die richtige Frage: Bringen wir von den Rängen aktuell die maximal mögliche Leistung? Ich glaube, da geht noch mehr. Viel mehr. Und jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt dafür – nicht wenn es zu spät ist.
Wir feiern uns zu Recht, wenn wir den Aufstieg oder Klassenerhalt schaffen, weil wir das Gefühl haben, dazu beigetragen zu haben. Also lasst uns jetzt diesen Beitrag auch wirklich leisten. Resignieren und meckern können wir später noch – falls nötig. Aber vorher sollten wir verdammt nochmal alles versuchen!
Alle zusammen für den Klassenerhalt – auch und gerade auf den Rängen!
Forza
Josef
Kämpft weiter! Voran, immer weiter!
Ich finde Dapos Satz zum Ende der Saison nachdenkenswert, aber dafür muss er ja auch auf die Bank oder die Tribüne. An der Qualität kann es nicht liegen. Richtig, Trainerwechsel ist bis Weihnachten ein Problem, aber Blessin muss sich was einfallen lassen, um Spielfreude und positive Motivation zu kreieren. Nun den, man steckt nicht drin, aber auch, wenn wir einen „Prekariatskader“ im „Klassenkampf“ haben, so entnahm ich Oke Stellungnahme nach dem Spiel, was ja auch nicht motivierend für die Spieler und uns Fans ist, sind es doch gute Spieler, denen wir Mut machen müssen, wenn schon Mut gefragt ist. Aber einen Psychologen haben wir ja nicht im Kader, obwohl vielleicht der von oben nach unten gut gebraucht werden könnte.
Also Jungs, die Basics sind Euer Können, darauf vertrauen wir in den nächsten Spielen und Bayern können wir auch schlagen, nicht nur ärgern (falscher Ansatz). Und auf Pressekonferenzen sollten wir weniger über die Stärken der Gegner sprechen. Das klingt dann immer schon so nach Erklärung für die nächste Niederlage. Auch in dieser Form nicht motivierend, wenn Papa immer die anderen lobt. Das kann man als Experte machen.
Forza St.Pauli
Bester Kommentar, Danke Tim.
Ein blinder mit’nem Krückmann kann sehen, woran es liegt. Es liegt an der Qualität der Spieler. Bis auf den Torwart sind sie insgesamt nicht gut genug; die hinten werden immer älter, die vorne sind einfach zu wenig talentiert. Aber wenn eine sogenannte Analyse das nicht einmal erwähnt, zumindest als Möglichkeit, dann gute Nacht auch auf den Rängen und im weiten Rund. Fußball hat was mit der Qualität der Kicker zu tun.