Ein wenig Neues von den Alten

Ein wenig Neues von den Alten

Der FC St.Pauli zeigt zwei Gesichter beim Spiel gegen Arminia Bielefeld und man möchte meinen:
Endlich mal wieder! Damit wir das von uns sehr herbeigesehnte Gesicht sehen konnten, brauchte es jedoch erstmal eine grausige 1.Halbzeit und eine sehr effektive Umstellung zur 2.Halbzeit.

Spiel eins nach dem Trainerwechsel drohte in der ersten Halbzeit zu einem Desaster zu verkommen. Wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir zugeben, dass Bielefeld durchaus noch ein-zwei Tore mehr hätte machen können in den ersten 45 Minuten, wenn nicht gar müssen. Ja, der Elfmeter war wohl eher keiner, nicht weil es kein Foul war, sondern weil das Foul außerhalb des Strafraums stattfand. Trotzdem: Am Spiel selbst änderte es nix und der FCSP lief den durchaus gefälligen Ballzirkulationen von Bielefeld nur hinterher. Meist waren es jedoch nicht die eigenen Ballverluste, die hierbei die Chancen für Bielefeld eröffneten, sondern das vom FCSP mangelhaft ausgeführte hohe Pressing. Starten wir der Reihe nach:

Der FCSP mit einigen Änderungen in der Aufstellung: Neben den nominellen Spitzen Meier und Allagui durften erwartungsgemäß Miyaichi und Møller Dæhli auf den äußeren Mittelfeldpositionen ran. Im Zentrum dann Buchtmann als klare Acht, wenn nicht sogar als Zehn und Flum, anstelle von Knoll, als alleinige Sechs. Als Außenverteidiger starteten Dudziak und Park, während Hoogma und Carstens im Zentrum verteidigten.

Es ist bestens bekannt, dass Teams unter der Leitung von Uwe Neuhaus vieles, wenn nicht gar alles spielerisch zu lösen versuchen. Als Reaktion auf den daher konsequent flachen Aufbau der Bielefelder brach der FCSP sein übliches „Empfangen“ des Gegners kurz vor der Mittellinie und versuchte sich mal wieder in einem hohen Pressing. Die Idee ist vollkommen richtig, die Ausführung war jedoch ausbaufähig. Bereits beim Heimspiel gegen Aue hatten wir ernüchtert feststellen müssen, dass ein hohes Pressing mit den Spitzen Allagui und Meier aufgrund fehlender Geschwindigkeit eben dieser beiden Spieler, nicht die beste Wahl ist. Dieses Problem zeigte sich auch dieses Mal, sodass beide Stürmer die Gegenspieler nicht nennenswert unter Druck setzen konnten. Was sie aber auch nicht müssen, wenn die anderen Spieler bei hohem Pressing sauber nachschieben. Das hat jedoch häufig nicht funktioniert. Ich schrieb im Bericht zum Aue-Spiel davon, dass das Nachschieben enorm wichtig ist, da andernfalls die Ketten vertikal auseinandergezogen werden. Das war auch dieses Mal so, da nur selten konsequent nachgeschoben wurde.
Eine bessere Variante des hohen Pressings präsentierte Bielefeld und es war schön mit anzusehen wie die letzte Kette immer im Sprint an die Mittellinie schob, wenn das Dreigestirn Klos/Voglsammer/Clauss sich dazu entschied, die Spieler des FCSP früh zu attackieren. Bei solch hohem Pressing kommt es einfach auf eine gute Abstimmung an und darauf, dass wirklich alle Mannschaftsteile mitschieben. Ist nur ein Teil nicht mit letzter Konsequenz dabei, dann kann sich das aufbauende Team recht einfach aus dem Pressing lösen und der ganze hohe (Lauf-)Einsatz ist für die Katz.

Der FCSP im Angriffspressing
1) Eigentlich sind sämtliche Gegenspieler zugestellt und Börner wird angelaufen. Es kann nur der lange Ball folgen oder gar der Ballgewinn des FCSP. Auf Höhe der Mittellinie startet Yabo in Richtung Börner und versucht sich von Flum zu lösen. 2) Das schafft er auch, da Flum diesen Weg nicht mitgeht, sodass 3) der Pass auf Yabo erfolgen kann. (Im Anschluss lässt Yabo den Ball zurück zu Börner prallen, der wieder Richtung Zentrum lief und die Situation auflösen konnte)

Durch das fehlende Nachschieben, in diesem Fall von Flum, kann Bielefeld eine Überzahl in Ballnähe schaffen und sich aus der vom FCSP mühsam erarbeiteten Pressingsituation lösen. Im Anschluss sind die Räume beim FCSP riesig und von Bielefeld leicht zu bespielen.

Anmerkung: Es mag sein, dass Flum die tiefen Wege seiner Gegenspieler nicht mitgehen sollte (in anderen Situationen hat er es aber gemacht). Dann habe ich das Grundkonzepot hinter einem hohen Pressing nicht verstanden, da alle anderen Spieler tiefe Wege gehen müssen, um Börner in diese für ihn brenzlige Lage zu bringen. Und es tut mir für Flum leid, dass ich gerade diese Situation abfotogrofiert hatte. Es hätte auch (fast – Ryo nehme ich explizit raus) jeden anderen treffen können…

Durch das mangelhafte Nachschieben und zu wenig Druck auf die ballführenden Spieler konnte Bielefeld immer und immer wieder das Pressing überspielen und hatte im Anschluss nahezu Gleichzahl beim Anlaufen der letzten Kette des FCSP. Hierbei gesellten sich Clauss und Voglsammer mit zu Klos in die Reihe der Stürmer und orientierten sich dabei weit nach außen. Damit wurde der Druck auf den FCSP vertikal und horizontal hochgehalten. Und recht häufig waren es dann Durchbrüche über die Außenpositionen, die für Bielefelder Chancen sorgten. Wir können uns glücklich schätzen, dass das Team von Uwe Neuhaus da nicht mehr Kapital draus geschlagen hat.

Schade eigentlich, dass mir dieses nicht wirklich gelungene Angriffspressing so in Erinnerung geblieben ist, denn eigentlich hat der FCSP selbst auch recht ansehnlich aufgebaut (und ohnehin finde ich ein hohes Pressing immer wünschenswert). Hatten sich beim letzten Heimspiel die äußeren Mittelfelder noch in den Halbräumen und deutlich hinter den eigenen Spitzen angeboten, so hielten sie dieses Mal ihre offensiven Positionen und damit den Druck auf die letzte Kette der Bielefelder hoch. Der Aufbau lief eigentlich ausschließlich über Johannes Flum, der es häufig schaffte die Bälle auf die Außenverteidiger zu leiten (die deutlich tiefer standen als noch gegen Duisburg). Bielefeld agierte in einem 4-4-2, mit wahlweise Clauss oder Voglsammer, die mit in die erste Reihe neben Klos rückten, während sich der andere Außenstürmer in die Mittelfeldkette fallen ließ.
Der FCSP versuchte und schaffte es auch häufig die Bälle kontrolliert zu den Außenverteidigern zu bringen. Nur war dann leider meist an dieser Stelle Schluss mit dem kontrollierten Aufbau, da die Versuche Dreiecke zu bilden von Dudziak/Møller Dæhli/Buchtmann und auf der anderen Seite Park/Miyaichi/Buchtmann nur selten funktionierten und viele Bälle verloren wurden.

Aufbau FCSP in der 1.Halbzeit – Miyaichi und Möller Daehli agieren auf Höhe der Stürmer und versuchen sich durch kurzes Ansprinten (und teilweise Abkippen nach Außen) vom Gegenspieler zu lösen. Meist wurde jedoch versucht über die Außenverteidiger Dreiecke zu initieren.

In der zweiten Halbzeit stellte der FCSP dann um und lag mit dieser Entscheidung goldrichtig. Aus dem nominellen 4-4-2 (wenn ich denn eine Zahlenkombination für die Formation der ersten Halbzeit nennen müsste) wurde nun ein sehr viel klareres 4-1-4-1. Hierbei orientierte sich Allagui nun auf die linke Mittelfeldposition und wurde immer wieder von Knoll unterstützt. Ich weiß gar nicht, ob die Auswechslung von Møller Dæhli Verletzungsgründe (bitte nicht!) oder rein sportliche Gründe hatte, aber mit Knoll und der Änderung der Formation kam das Spiel des FCSP deutlich ins Rollen.
Knoll ist ohnehin eine Erwähnung wert. Ich möchte daran erinnern, dass der letzte Saison vom Kicker als bester Innenverteidiger der Liga ausgezeichnet wurde. Beim FCSP spielte er lange auf der Sechs, in der Rückrunde auch mal auf der Acht. Gestern war er dann spätestens nach der Auswechslung von Allagui tatsächlich konsequent im Sturm zu finden. Es war nämlich Buchtmann, der sich die Bälle tief abholte, Knoll hingegen schwirrte meist um Meier herum und ließ die Bielefelder Hintermannschaft mächtig schwitzen.

Ein schönes und klar erkennbares 4-1-4-1 des FCSP in der zweiten Halbzeit mit Allagui ganz links in der Kette (auf einer Außenposition hat er übrigens unter Luhukay bei Hertha auch schon gespielt)

Jedenfalls kam der FCSP sehr viel besser ins Spiel. Bei eigenem Ballbesitz standen die Mittelfeldspieler meist zuerst auf einer Linie mit Alex Meier. Durch kurze Sprints nach hinten versuchten sie sich von ihren Gegenspielern zu lösen und nach Ballannahme sofort die, auch in der ersten Halbzeit erstrebten, Dreiecke mit den Außenverteidigern zu bilden. Das funktionierte gut. Ich tue mich allerdings schwer damit die Verbesserungen in der zweiten Halbzeit nur auf die taktische Umstellung zu schieben, denn ganz allgemein hatte ich den Eindruck, dass der FCSP das Spiel in den Griff bekam (sowas ist ja auch manchmal einfach nur eine Art Momentum, welches sich verschiebt – ein paar gelungene Aktionen und schon schlackern die Ohren bei Bielefeld). Von einem hohen Pressing wurde nun auf jeden Fall häufig die Finger gelassen.
Das konsequente 4-1-4-1 stellte Bielefeld vor viele Probleme, da vor allem Yabo und Prietl nicht mehr so leicht im Zentrum angespielt werden konnten. Positiv bemerkbar machte sich dann auch Finn Ole Becker, der bei seinem Debüt gleich zeigte, dass er auf engem Raum richtige Entscheidungen treffen und diese auch ausführen kann. Gerne mehr davon.

Weil es so schön war, hier das 4-1-4-1 nochmal schematisch 😉

Was auch gut funktionierte war das Gegenpressing des FCSP (auch bereits in der 1.Halbzeit), sodass es nur wenige kritische Situationen sofort nach Ballverlusten gab. Nun gibt es ja ganz allgemein drei Gründe für ein funktionierendes Gegenpressing: Eigene Positionierung, Können des Gegners und mentale Einstellung (nennt es Willen, Gier, Bereitschaft, so was halt). Da sich die Positionierung der Spieler nicht groß von vorherigen Spielen unterscheidet, bleiben noch zwei weitere Gründe übrig: das gegnerische Team und die eigene Einstellung. Ich mag mich hier vielleicht in etwas verrennen, aber möchte trotzdem behaupten, dass es die Einstellung ist, die anscheinend schon doch etwas anders war als in vorherigen Spielen. Mag sein, dass das der übliche Effekt eines Trainerwechsels ist. Alle müssen sich neu beweisen, einige finden sich plötzlich auf der Bank/Tribüne/Startelf wieder und wollen daraufhin zeigen was sie können. Das darf gern so weitergehen. Wenn wir das dann mit dem Angriffspressing noch hinbekommen würden, dann könnten wir vielleicht auch mal wieder ein Spiel gewinnen. Der letzte Sieg war nämlich vor knapp sechs Wochen…

Vor diesem Hintergrund erscheint es nahezu unglaublich, dass wir tatsächlich noch in Tuchfühlung zum Relegationsrang sind. Was für ein Schneckenrennen! Sah es vor wenigen Wochen noch so aus als wenn Union und der FCSP sich um zwei Extra-Spiele streiten, so meldet inzwischen ne ganze Handvoll Zweitligisten Ansprüche auf den 3.Platz an (und vielleicht sogar auf den zweiten). Wir starten bei dieser Konstellation zwar nun von ganz hinten, aber mit einem Sieg in Heidenheim…

//Tim

Bericht Beebleblox: Die zwei Gesichter des FCSP
Bilder Stefan Groenveld: Der FC St.Pauli und die drei ???

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7 thoughts on “Ein wenig Neues von den Alten

  1. Sehe ich es richtig, dass das von dir beschriebene 4-1-4-1 vor allem eine Defensive Aufteilung darstellte im Falle gegenerischen Ballbesitzes (wie mutmaßlich auf dem von dir verwendeten Foto der Fall), während bei eigenem Ballbesitz die beiden Außen eher auf eine Höhe mit Meier aufgerückt sind und auch Flum eher auf Höhe der beiden zentralen Mittelfeldspieler stand, also im 4-3-3 gespielt wurde?

    1. Moin Breadstar,

      ja, das 4-1-4-1 ist die defensive Grundausrichtung des FCSP in der zweiten Halbzeit gewesen und war auch sehr schön und klar erkennbar. Das ist schon anders als in den vorherigen Spielen, wo meist im 4-4-2 defensiv agiert wurde.
      Als 4-3-3 würde ich die offensive Ausrichtung nicht beschreiben, da Allagui in HZ1 und Knoll in HZ2 zentral und, wie Du ja auch schreibst, die äußeren Mittelfelder immmer mit auf Meier’s Höhe gerückt sind und sich partiell von da tiefer angeboten haben. Flum hat da zentral knapp vor den Innenverteidigern aufgebaut und Buchtmann davor auf der Acht agiert (auf einer Höhe mit den Außenverteidigern. Wenn man das dann als Formation ausdrücken möchte, dann müsste es eher als 3-3-4 oder gar 2-1-3-4 betitelt werden (ich würde das aber nicht tun, da besonders die teifen Bewegungen der äußeren Mittelfeldern zu häufig waren, um die in eine Reihe zu drücken).

  2. Danke für deine Antwort.

    Ich hatte bei meiner Betrachtung tatsächlich den Fokus nur auf die Offensive gelegt und die Defensive dabei dann vernachlässigt (aufrückende AVs und damit keine Viererkette mehr).

    Und Knoll habe ich, zumindest offensiv, eher als freies Radikal wahrgenommen. Da war von Außen (Miyaichi wurde mindestens einmal von ihm weggeschickt) über zentraler Spielmacher bis hin zu zweite Sturmspitze ganz am Ende in meiner Wahrnehmung alles dabei.

    Sehr spannend der Luhukay. Hoffentlich auch langfristig. Und vielen Dank für deine regelmäßigen Erläuterungen, sie erfreuen mich sehr.

    1. Knoll als „freies Radikal“ – welch großartige Formulierung, die klau ich mir f0r den nächsten Bericht 😉

      Und sie beschreibt es auch ganz gut, da er wirklich kreuz und quer vorne unterwegs war – ich nannte es „wirbelte um Meier herum“. Ja, gut möglich, dass er aber erst im Laufe der zweiten Halbzeit zum Stürmer geworden ist.

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