Abschluss-Schwäche oder Pech im Abschluss?

Abschluss-Schwäche oder Pech im Abschluss?

Es ist eindeutig: Die Stürmer des FC St. Pauli erzielen zu wenig Tore. Ist das ein temporäres Problem oder eines der generellen Qualität? Das zeigt ein Blick in die Statistik und die Vergangenheit.
(Titelbild: Peter Böhmer)

Wie knapp es war, musste sich Igor Matanović im Anschluss an die Partie erst noch erklären lassen. Norman Theuerkauf kratzte seinen Torschuss in der Nachspielzeit gerade noch so von der Linie. Es blieb beim 0:0 zwischen dem FC St. Pauli und dem 1. FC Heidenheim. Und diese Szene war mehr oder weniger symptomatisch für die Situation des FCSP.

Denn vieles wurde richtig gemacht in dieser Situation, aber an entscheidender Stelle fehlte ein wenig die Genauigkeit und/oder auch das notwendige Glück. Wieder einmal belohnte sich der FC St. Pauli nicht für eine gute Leistung mit drei Punkten. Weil es wieder einmal nicht gelang die eigene Überlegenheit auch in Form von Toren zu zeigen.

Etienne Amenyido erspielte sich bereits eine Vielzahl an Chancen. Seine Torschussgenauigkeit ist bisher aber mangelhaft.
(c) Peter Böhmer

Abwehr stabil, Mittelfeld ballsicher, Angriff unsicher

Dabei sind die Zahlen ziemlich eindeutig: In sieben von zehn Ligaspielen dieser Saison hatte der FC St. Pauli einen höheren xG-Wert als der Gegner. In neun von zehn Ligaspielen gab das Team mehr Torschüsse ab. Doch nur zwei dieser Spiele konnten auch gewonnen werden. Die Kosten-Nutzen-Rechnung geht deutlich nicht auf. Das sieht auch Timo Schultz so, der nach der Heidenheim-Partie sagte, dass „Aufwand und Ertrag einmal mehr nicht übereinstimmen“.

Unweigerlich führt die Frage nach den Gründen für fehlende Tore bei hoher Chancenanzahl zu der Offensivreihe des FCSP. Die vier Stürmer Johannes Eggestein, Etienne Amenyido, David Otto und Igor Matanović haben zusammen in 1883 Spielminuten vier Tore erzielt (Eggestein drei, Amenyido eins), was knapp 0.2 Tore pro 90 Minuten ergibt. Seit der Partie Ende August gegen den SC Paderborn (Amenyido traf kurz vor Schluss), also seit fast 400 Minuten warten die Stürmer auf einen Torerfolg. Das ist eine ernüchternde Statistik.

Die Defensive ist stabil, lässt die wenigsten gegnerischen Torschüsse zu (fängt sich dabei aber zu viele Gegentore). Das Mittelfeld des FC St. Pauli ist aktuell der Motor eines sehr dominanten Ballbesitz-Fußballs und strahlt nebenbei auch die meiste Torgefahr aus. Einzig in der Offensive scheint es aktuell zu fehlen.
Schauen wir uns die Stürmer des FC St. Pauli also mal im Ligavergleich an, um zu sehen, ob es sich bei der akuten Torarmut um eine temporäre Sache handelt, die sich in den nächsten Spielen in Luft auflösen wird oder ob mehr, also eine ernsthafte Abschlussschwäche dahinter steckt.

Johannes Eggestein – der Traditionalist unter den Angreifern

Nicht wenige würden beim Erscheinungsbild von Johannes Eggestein vermuten, dass er mit Profifußball oder Sport im Allgemeinen vielleicht nicht ganz so viel zu tun hat. Denn im Kader des FCSP geht er aufgrund seiner Schmächtigkeit etwas unter. Zudem, das zeigte eine gute Konter-Situation beim Spiel gegen den 1. FC Heidenheim, ist er auch kein schneller Spieler. Viel eher stellt Johannes Eggestein einen klassischen Strafraum-Stürmer dar, der zwar körperlich unterlegen ist, aber sich trotzdem durchsetzen kann. (Ich bringe hier jetzt keinen Vergleich zu Gerd Müller, aber muss selbst die ganze Zeit daran denken.)

Aber irgendwie muss Eggestein es ja geschafft haben, sich im Profifußball durchzusetzen. Irgendwie muss er immer wieder Wege gefunden, um anspielbar zu sein und um sich in Abschlusspositionen zu bringen. Mit drei Saisontreffern führt er aktuell die Torjäger-Liste des FC St. Pauli an. Nach zehn Spielen ist das aber vielleicht sogar etwas wenig, um diese Zahl stolz vor sich herzutragen. Zudem zeigte die Formkurve zuletzt eher ein wenig nach unten. Auf die 13 Torschüsse aus seinen ersten fünf Ligaspielen für den FCSP, folgten nun vier Torschüsse in den letzten fünf Partien.

Radar-Grafik von Johannes Eggestein (Türkis) nach zehn Spieltagen der 2. Bundesliga 22/23 im Vergleich zum Median aller Angreifer der zweiten Liga.

Die Radar-Grafik von Johannes Eggestein zeigt ziemlich genau seine Stärken und Schwächen im Spiel: Er hat ein gutes Gespür für Situationen im Strafraum, ihm gelingt es überdurchschnittlich oft dort anspielbar zu sein (entsprechend hoch sind seine Ballkontakte im Strafraum). Zudem ist er der einzige Stürmer im Kader, der häufiger getroffen hat, als nach xG-Wert wahrscheinlich (= positive „conversion rate“). Ziel sollte es daher sein die Stärken von Eggestein richtig einzusetzen, ihn also im gegnerischen Strafraum zu positionieren und nicht in Laufduelle auf dem Flügel zu zwingen. Denn die Statistiken zeigen, dass Eggestein die größte Abschlussqualität aller Stürmer im Kader des FC St. Pauli besitzt. Diese kam zuletzt aber wenig bis gar nicht zur Geltung.

Es ist schon etwas länger her, dass Johannes Eggestein für den FC St. Pauli getroffen hat.
(c) Peter Böhmer

Igor Matanović – Warten. Warten. Warten.

Von solchen Werten kann Igor Matanović derzeit nur träumen. Sein persönlicher xG-Wert liegt bei 0.43 pro 90 Spielminuten. Bei 468 Spielminuten hätten das gut und gerne drei Tore sein dürfen. Sind es aber nicht und das ist vermutlich das größte Problem von Matanović. Nur ein Angreifer in der 2. Bundesliga hat eine niedrigere „conversion rate“ als Matanović (Luc Ihorst von Eintracht Braunschweig).

Das ist bodenlos könnte man jetzt sagen und die mangelnde Abschlussqualität monieren. Die Statistik aber sagt, dass es nicht so bleiben wird: In den letzten zwei Saisons gab es keinen Stürmer in der 2. Bundesliga (mit 400+ Spielminuten), der eine „conversion rate“ von weniger als -0.3 hatte. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Matanović entweder einer der schwächsten Angreifer seit Jahren in der Liga ist (was natürlich Bullshit ist), sein xG-Wert zukünftig niedriger wird (was angesichts seiner bisherigen Auftritte in der 2. Liga unwahrscheinlich ist) oder aber, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis es endlich mal klingelt nach einem Abschluss von ihm.

Radar-Grafik von Igor Matanovic (Gelb) nach zehn Spieltagen der 2. Bundesliga 22/23 im Vergleich zum Median aller Angreifer der zweiten Liga.

Es ist ganz sicher zu viel verlangt von einem 19-jährigen, der vor dieser Saison kein Stammspieler war, die ganze Offensive eines Zweitliga-Klubs zu tragen. Aber wenn das jemand im aktuellen Kader kann, dann ist es Igor Matanović. Dafür, so scheint es, benötigt er einfach mal ein Tor, die sicher auch die ein oder andere Schranke im Kopf lösen könnte. Ich habe natürlich keine Ahnung, wie die sportlich Verantwortlichen vor der Saison geplant haben, aber könnte mir gut vorstellen, dass sie die Notwendigkeit eines weiteren Stürmers vielleicht auch gar nicht als so groß empfunden haben, da Matanović im Kader ist. Das ist sicher mutig und sehr risikoreich auf einen 19-jährigen zu setzen und der Plan geht aktuell (noch) nicht auf, aber Potenzial kannst Du halt nicht auf der Bank entfachen.

Sicher ist aber, dass der FC St. Pauli mit Igor Matanović einen „schlafenden Riesen“ im Kader hat, der, wenn der Knoten denn endlich mal platzen würde, die meisten der aktuellen Probleme des FCSP ganz alleine lösen könnte. Ja, auch das ist vielleicht etwas viel verlangt von einem 19-jährigen. Aber die Entwicklung von Matanović in den nächsten Spielen dürfte darüber entscheiden, ob der FC St. Pauli im Winter noch einen weiteren Stürmer holt oder nicht (zusammen mit der Rolle von Lukas Daschner, die sich vielleicht verändern könnte).

Deutschland, Hamburg, 27.08.2022, Fussball 2. Bundesliga 6. Spieltag, FC St. Pauli - SC Paderborn 07 im Millerntor-Stadion Ron Schallenberg (Paderborn) und Igor Matanovic (FC St. Pauli) nach dem Spiel
Viel Einsatz, kein Tor – Igor Matanović kommt meist zu guten Gelegenheiten, hat aber diese Saison noch nicht getroffen.
(c) Peter Böhmer

David Otto – Eher Zulieferer als Torjäger?

Was viele schon bei den Spielen sehen konnten, zeigt sich auch klar in den Statistiken: David Otto ist seiner Position als Stürmer, vielleicht sogar als sogenannter Zielspieler, noch nicht gerecht geworden beim FC St. Pauli. Kein Tor, dazu mit einem xG-Wert von 0.07 den niedrigsten aller Zweitliga-Angreifer und mit 0.9 Abschlüssen pro 90 Minuten ebenfalls auf dem letzten Platz. Nein, Torgefahr hat David Otto in dieser Saison noch wirklich nicht erzeugt.

Radar-Grafik von David Otto (Blau) nach zehn Spieltagen der 2. Bundesliga 22/23 im Vergleich zum Median aller Angreifer der zweiten Liga.

Zu der Radar-Grafik von David Otto muss aber auch erwähnt werden, dass er mit bisher 294 Ligaminuten noch recht wenig auf der Uhr hat und ein einziger Torschuss schon einen recht großen Impact haben könnte. Jedenfalls wäre es dann der vierte in der Saison, was immer noch seeehr wenig ist, aber eben in der Statistik recht deutliche Veränderungen ergeben würde. Trotzdem: Die Anzahl an erfolgreichen Offensivaktionen von David Otto ist gering und er ist sicher der Angreifer, der in den Augen vieler bisher am wenigsten überzeugen konnte in dieser Spielzeit.

Viel bemerkenswerter ist, dass David Otto seine Stärken in anderen Bereichen zu haben scheint. Mit einer recht guten Dribbling-Quote und 1.8 „deep completions“ pro 90 Minuten (Ligaspitze) wird Otto eher der Rolle als Zulieferer für seine Kollegen gerecht. Und damit erklärt sich auch, warum er bei seinen bisherigen Stationen in der zweiten Liga zumeist aus einer tieferen Position heraus agierte.
Sicher ist damit aber, dass David Otto wenig beitragen kann zur aktuell eher schwachen Torausbeute beim FC St. Pauli, sofern er nicht seine Mitspieler in Szene setzt.

Etienne Amenyido – personifizierte Ungeauigkeit

Es tut fast ein bisschen weh zu sehen, wie tief das Loch von Etienne Amenyido aktuell zu sein scheint. Ihm gelingt auf dem Platz nicht alles, aber sein Effekt auf das Spiel und auf die Gegner ist weiterhin sehr groß. Amenyido führt viele direkte Duelle, ist sogar überdurchschnittlich erfolgreich. Er zieht viele Fouls der Gegner, was bei dem Fokus auf Standards beim FCSP sicher hilfreich ist. Zudem kommt er überdurchschnittlich oft zum Torabschluss und auch aus guten Positionen, wie der xG-Wert zeigt. Doch wenn es dann bei den Torschüssen in Richtung der Kern-Kompetenz von Stürmern geht, dann wird es teilweise ziemlich wild.

Radar-Grafik von Etienne Amenyido (Schwarz) nach zehn Spieltagen der 2. Bundesliga 22/23 im Vergleich zum Median aller Angreifer der zweiten Liga.

Zwölf Torschüsse gab es von Etienne Amenyido in dieser Zweitliga-Saison bisher zu sehen. Nur einer davon ging auf das gegnerische Tor – und der war auch noch drin. Nur ein Stürmer in der zweiten Liga hat eine schlechtere Quote an Torschüssen, die auf das Tor gingen. Das ist viel zu wenig. Und gerade deshalb ist die aktuell so dürre Torquote der Angreifer des FC St. Pauli hauptsächlich auch ein Problem von Etienne Amenyido (zusammen mit Igor Matanović).

Es kann nur besser werden

Der Blick in die Vergangenheit zeigt: Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass sich die Sturmflaute in naher Zukunft von selbst beendet. Denn in den letzten drei Zweitligajahren hat sich Etienne Amenyido zwar nicht als übermäßiger Torjäger, aber sehr wohl als eher punktgenauer Schütze erwiesen (Quote 21/22: 50%; 20/21: 38%; 19/20: 37%). Genau das wird er nicht verlernt haben und entsprechend ist zu erwarten, dass wir demnächst deutlich mehr Torgefahr von ihm sehen werden. Ähnliches gilt für Igor Matanović, der in den Jahren zuvor ebenfalls eine deutlich höhere Trefferquote vorzuweisen hatte. Ich versuche mich an umgekehrter Psychologie, weil es schon einmal funktioniert hat: Etienne Amenyido ist kein Torjäger!

Sollte es dem Team gelingen Johannes Eggestein konsequenter im Zentrum zu halten (was auch zu großen Teilen an ihm selbst liegt), dann kann dieser genau dort seine Stärken einbringen und dürfte der Rolle als Torjäger gerecht(er) werden. Im Fall von David Otto muss nach bereits zwei Jahren in der zweiten Liga und insgesamt vier Toren die Rolle als Stürmer und Zielspieler vielleicht ein wenig überdacht werden. Seine Stärken liegen, basierend auf den Statistiken, klar im Zuliefern an seine Mitspieler.
Und noch jemand dürfte in den kommenden Spielen im Angriff eine wichtige Rolle einnehmen: Lukas Daschner. Der quälte sich zuletzt auf seiner Position im rechten Mittelfeld, hat dort einfach nicht so richtig hingepasst. Mit seiner Kopfballstärke, dem Spielwitz und dem Zug zum Tor, dürfte er als zweite Spitze neben einem Zielspieler sehr gut passen (damit befasse ich mich noch in einem separaten Artikel).

Eigentlich ist es sehr positiv, dass wir über fehlende Stärken im Abschluss sprechen. Denn das bedeutet auch, dass es beim Rest, also beim Herausspielen von Torchancen ganz gut passt. Besonders nachdem die Abwehrarbeit beim Spiel gegen den 1. FC Heidenheim einen großen Schritt nach vorne gemacht hat, ist die Abschlussschwäche das einzig verbliebene Thema, welches den FC St. Pauli davon abhält richtig viele Punkte zu holen. Die Statistik zeigt aber, dass das aktuelle Level der Abschlussqualität eher ein Ausreißer nach unten ist und sich das, auch mit den richtigen Kniffen, in den nächsten Spielen stabilisieren sollte.

// Tim

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One thought on “Abschluss-Schwäche oder Pech im Abschluss?

  1. Nach dem heutigen Spiel in Braunschweig fällt es schwer zu glauben, dass uns unser komplett torungefährlicher Sturm uns zum Sieg im Derby führt. Amenyido hat auch noch zusätzlich mit seinem Ballverlust die bis dahin größte Konterchance der Braunschweiger ermöglicht.
    Statistiken hin oder her, ich befürchte die Qualität unser Angreifer reicht schlicht nicht für die 2.Liga. Ich kann mich an keine echte Torchance erinnern. Matanovic hätte beinah mal einen Kopfball gekriegt isses eben nicht.

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