Der Daschner-Aremu-Komplex

Der Daschner-Aremu-Komplex

Man kann es in die eine oder andere Richtung drehen: Lukas Daschner saß an seinem Geburtstag auf der Bank. Aber er wurde auf einer Position eingewechselt, die etwas besser zu seinem Spielstil zu passen scheint. Sicher ist auf jeden Fall, dass der FC St. Pauli nach dem Heidenheim-Spiel etwas mehr Optionen in Sachen Personal und Formation hat als vorher.
(Titelbild: Peter Böhmer)

Bereits vor Ende der Länderspielpause war klar, dass es in der Startelf des FC St. Pauli zwei Veränderungen für das Spiel gegen den 1. FC Heidenheim geben würde. Jackson Irvine fehlte gelb-gesperrt und Leart Paqarada hatte sich eine Muskelverletzung zugezogen. Für die beiden Kapitäne kamen Afeez Aremu und Lars Ritzka ins Team und zeigten eine gute Leistung. Etwas überraschend gab es aber noch einen weiteren personellen Wechsel: Carlo Boukhalfa ersetzte Lukas Daschner im rechten Mittelfeld.

Mit diesem personellen Wechsel hatten wohl nur wenige gerechnet. Auch dann noch, als Timo Schultz auf der Pressekonferenz die guten Trainingsleistungen von Boukhalfa hervorhob und seine Stärken betonte. Dabei war ein Wechsel auf dieser Position gar nicht mal so unwahrscheinlich. Denn Daschner fremdelte in den letzten Spielen merklich mit dieser doch eher defensiven Rolle. Der inzwischen 24-jährige dürfte von seinen Skills her eigentlich eher irgendwo zwischen offensivem Mittelfeld und Angriff eingesetzt werden. Genau das passierte auch gegen Heidenheim: Daschner kam auf der Stürmerposition in die Partie, konnte trotz guter Aktionen aber nicht mehr zu einem Torerfolg beitragen.

In der Offensive zuhause

Doch die wenigen Spielminuten zeigten, dass Lukas Daschner auf einer offensiveren Position wesentlich besser zurechtkommt. Für die Außenposition fehlt ihm womöglich etwas das Tempo und wirklich torgefährlich konnte er aus dieser Position nicht werden, womit er eigentlich einer seiner größten Stärken beraubt worden war.

Nun könnte die aktuelle Situation eine recht deutliche Veränderung im Team des FC St. Pauli beinhalten. Zwar ist die Datenbasis auf Grundlage von nur einem Spiel noch sehr dünn, aber die Partie gegen Heidenheim hat gezeigt, dass der FCSP mit zwei klassischen Sechsern im Team deutlich stabiler zu sein scheint. Großen Anteil daran hat Afeez Aremu, der für Irvine auf die Sechser-Position rückte, diese aber etwas defensiver interpretierte. Nun stellt sich unweigerlich die Frage, ob Aremu nach dieser starken Partie wieder auf die Bank wechseln sollte. Das klare „Nein“ zu dem sicher nicht nur ich neige, würde aber auch bedeuten, dass Jackson Irvine einen Bankplatz oder eine neue Position im Team benötigt.

Deutschland, Hamburg, 29.04.2022, Fussball 2. Bundesliga 32. Spieltag, FC St. Pauli - 1. FC Nuernberg im Millerntor-Stadion Afeez Aremu (FC St. Pauli)
Afeez Aremu überzeugte beim Spiel gegen den 1. FC Heidenheim auf der Doppelsechs – so sehr, dass er auch gegen Braunschweig auf dieser Position spielen wird?
(c) Peter Böhmer

Kann Irvine spielen?

Jackson Irvine auf die Bank zu setzen, also jenen Spieler, der in dieser Saison eine so gute und wichtige Rolle im Kader eingenommen hat, wäre aber ein ziemlich gewagtes Unterfangen. Die einzige Position auf die Irvine neben der Doppelsechs in einem flachen 4-4-2 reinpassen würde, wäre jene im rechten Mittelfeld. Dort hatte gegen Heidenheim Carlo Boukhalfa recht unauffällig gespielt, was aber nicht bedeutet, dass er damit aus der Verlosung um diese Position herausfällt. Denn Irvine hat das Training am Dienstag abbrechen müssen und am Mittwoch gar nicht mit dem Team trainiert. Schultz sagte auf der Pressekonferenz, dass es aktuell unklar ist, ob Irvine am Wochenende einsatzbereit ist.

Ob nun mit Boukhalfa, Irvine oder sogar Connor Metcalfe – die rechte Mittelfeldseite dürfte vorerst nicht mit Lukas Daschner besetzt werden. Denn wir haben Timo Schultz gefragt, wie er die Rolle von Daschner in Zukunft sieht. Die Antwort ist recht eindeutig:

„Lukas Daschner ist ein Spieler, der sehr viele Fähigkeiten mitbringt. Obwohl er eigentlich ein kompletter Offensivspieler ist, ist er auch sehr laufstark und arbeitet mit nach hinten. Daher kann er auch mehrere Positionen spielen. Wir haben uns zuletzt bei ihm für das rechte Mittelfeld entschieden, da wir uns von der Position mehr Torgefahr erhofft haben. Wenn wir in seine Vita reinschauen, dann war er eigentlich immer näher am gegnerischen Tor als Zehner oder zweite Spitze und ich denke da ist er für den Gegner am unangenehmsten, weil er viele Situationen sehr risikoreich, aber in Richtung Tor auflösen kann und dort seine Torgefahr am besten ausspielen kann. Er hat ein richtig gutes Kopfballspiel, kann den Ball gut festmachen und findet immer wieder das richtige Timing um in die Tiefe zu gehen. Von daher kann es durchaus sein, dass er in den nächsten Spielen häufiger als Stürmer oder Zehner aufläuft.“

Timo Schultz über Lukas Daschner

Ja, ist denn heut schon Weihnachten?

Wenn in Zukunft Afeez Aremu, Eric Smith und Jackson Irvine zusammen auf dem Platz stehen sollen, dann gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Die eine wäre Irvine im rechten Mittelfeld einzusetzen. Er hat ja in der letzten Saison zumeist auf der rechten Halbposition gespielt, also würde das mit Abstrichen passen. Aber damit würde sich der FC St. Pauli auch der physischen Stärke von Irvine berauben, die im zentralen Mittelfeld sehr wichtig wäre. So kommen wir mehr oder weniger automatisch auf die sogenannte Tannenbaum-Formation.

Ein Tannenbaum-System hat den Vorteil, dass es eines der Kernprobleme des FC St. Pauli auffangen würde: Auf dem Platz würden gleich fünf zentrale Mittelfeldspieler stehen, die entsprechend für ein kompaktes Zentrum sorgen könnten. Zudem ist ein solches System relativ nahe an einer Mittelfeldraute, aber die defensivere Variante, da es nur einen Stürmer gibt. Allerdings: Die Abstimmung auf den Außenbahnen muss stimmen und das ist auch der größte Nachteil einer solchen Formation. Denn wenn Teams eine Überzahl auf Außen erzeugen wollen, um zum Ziel zu kommen, dann dürften sie gegen ein Tannenbaum-System ohne passende Abstimmung relativ leichtes Spiel haben. Und genau das, die Anfälligkeit auf der Außenbahn, war ja einer der Gründe, warum der FCSP von seiner Mittelfeldraute abgewichen ist.

Trotzdem möchte ich diesen Gedanken an ein Tannenbaum-System weiterführen, denn aus meiner Sicht wäre diese Formation jene, bei der die meisten Spieler auf ihren bestmöglichen Positionen spielen könnten. Und das ist ja eigentlich das Ziel einer Formation. Schauen wir uns die Optionen also mal genauer an:

Mögliche personelle Besetzung einer Tannenbaum-Formation des FC St. Pauli.

An der Viererkette selbst würde sich nichts ändern. Der Anspruch an die Außenverteidiger ist ähnlich hoch, wie bei einer Formation mit einer Mittelfeldraute. Das ist beiden Außenverteidigern also vertraut und auch zuzutrauen, dass sie so spielen können. Davor unterscheidet sich eine Tannenbaum-Formation aber dann doch recht massiv von einem flachen 4-4-2. Denn es wäre eine Abkehr von einer Doppelsechs hin zu einer Dreifachsechs. Wobei gerade die beiden äußeren Sechser eher in den Achter-Raum vorrücken könnten. Entsprechend gut würde diese Position zu Spielern wie Irvine, Metcalfe, Boukhalfa und sogar Marcel Hartel passen.

Alle Spieler auf ihren besten Positionen

Ich würde Hartel aber in einem Tannenbaum-System auf einer Doppelzehn zusammen mit Lukas Daschner ansiedeln. Das würde dann vermutlich dazu führen, dass einer der beiden eher etwas tiefer und einer etwas höher, fast neben dem einzig nominellen Angreifer (Amenyido oder Matanović), agieren würde. Da Hartel grundsätzlich seine Position eh immer etwas defensiver als Daschner interpretiert, würde es ein leichtes Ungleichgewicht in der Formation geben. Entsprechend würde dahinter auch Afeez Aremu Sinn machen, der dann auch gleichzeitig die offensivere Interpretation der äußeren Sechs von Jackson Irvine ausgleichen würde.

Ebenfalls auf diese Zehner-Position würde Etienne Amenyido passen. Würde er auf der Zehn spielen, dann passt aus meiner Sicht Igor Matanović am besten davor. Marcel Hartel würde in dem Fall eine Position weiter nach hinten rücken und Afeez Aremu ersetzen. Da Hartel sehr pressingresistent und aufbaustark ist, würde er vermutlich sogar am besten auf diese Position passen, aber er kann sich ja nicht zweiteilen.

Kann Marcel Hartel auf der Zehn spielen? Ich denke ja.
(c) Peter Böhmer

Je länger ich über diese Formation nachdenke, umso besser gefällt sie mir eigentlich, zumindest offensiv. Denn mit den leichten Anpassungen (Hartel + Aremu tiefer; Irvine + Daschner höher) sehe ich tatsächlich alle Spieler auf ihren besten Positionen. Allerdings: Dieses Gedankenspiel berücksichtigt bisher nur die Offensive. Wie sich so eine Formation in der Defensivarbeit schlagen würde, dürfte auch stark vom jeweiligen Gegner abhängen. Denn gelingt es den Teams außen-lastig aufzubauen, dann müsste sich der FCSP vermutlich in eine Art 4-5-1 zurückziehen, um den passenden Zugriff zu erzeugen. Das wäre dann etwas defensiver, als das bisher praktizierte flache 4-4-2. Ob es grundsätzlich der richtige Ansatz ist, noch defensiver zu werden? Da bin ich nicht sicher. Und da sich bei einem 4-5-1 erst einmal einige Spieler auf andere Positionen bewegen müssten, wäre da auch eine höhere Anfälligkeit in defensiven Umschaltmomenten. Allerdings könnte dieser Anfälligkeit mit Aremu, Smith und Irvine gegengesteuert werden.

Sicher ist in jedem Fall, dass der FC St. Pauli durch die gute Leistung von Afeez Aremu etwas unerwartet wieder mehrere Optionen im Kader hat, nicht nur personell, sondern auch in Sachen Formation. Und die Personalie Aremu kommt sicher auch Lukas Daschner recht gelegen, der sich dadurch auch wieder etwas weiter vorne beweisen könnte. Ich bin jedenfalls sehr gespannt, wie das Team gegen Eintracht Braunschweig am Samstag auflaufen wird.
// Tim

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7 thoughts on “Der Daschner-Aremu-Komplex

  1. Liest sich zumindest nicht verkehrt.
    Meine Frage aber: wäre Eggestein in einem solchen Tannenbaum vorne drin nicht sogar besser geeignet, weil es dort irgendwie zentrumsorientierter wird und er mit seinen kurzen Drehungen eher freie Räume findet? Bei Flanken von außen ist natürlich Matanovic der vermutlich bessere Abnehmer. Amenyido ist natürlich auch nicht grundsätzlich verkehrt, doch eigentlich hatte ich in Erinnerung, dass er freie Räume vor sich liebt und braucht.

    1. Ja, mit der Besetzung ganz vorne habe ich auch so meine Probleme (weshalb da ja auch zwei Ersatzleute drin stehen). Amenyido passt vielleicht sogar etwas besser auf die Zehn und Hartel auf die linke Sechs, wie du ja auch schreibst.

  2. Mit dem Tannenbaum habe ich auch schon das eine oder andere Mal geliebäugelt. Gerade, weil wir (aktuell) keine guten Stürmer vorne drin haben (Heidenheim war diesbezüglich kein Stück besser als Regensburg), andererseits aber eine Menge guter Mittelfeldspieler im Kader. Ameniydo sehe ich allerdings eher nicht im Sturmzentrum. Eggestein oder, vom Typus her idealerweise, Matanovic wären für mich naheliegendere Kandidaten. Vielleicht täte es Matanovic ja auch ganz gut, wenn er sich noch zentrumsorientierter positionieren dürfte? Er läuft ja oft sehr weite Wege und agiert fern ab der Box.

    Was die drei ZMs angeht, würde ich die Positionen des defensiveren Aremu und Smith tauschen. Interessant fände ich noch die Variante mit Paqarada als linken ZM – er bringt eigentlich sehr vieles mit, was man auf der Position braucht. Spannend wäre dies auch in einem flachen 442 aufgrund seines Tempos und seiner Flankenqualitäten. Hartel müsste dann allerdings entweder den offensiveren Part auf der 6 übernehmen oder die Seiten tauschen. Letzteres ist ebenfalls eine interessante Option, weil er mit seiner Neigung, nach innen zu ziehen (der Beidfüßigkeit sei dank) Saliakas Räume verschaffen könnte. Möglicherweise auch ein gutes Mittel, um den Spielaufbau etwas gleichmäßiger zu verteilen (Paqarada links, Hartel rechts).

    So oder so bleibt der Gedanke, dass die Mannschaft formationstechnisch und taktisch noch nicht ideal eingestellt ist, wenn man sich den Kader anschaut. Andererseits wird auch eine Veränderung der Formation allein das Problem der xG-Ungleichgewichte hinten & vorne lösen können…

    1. Edit
      Auch ein klassisches 4-5-1 mit untypischem Aufbauspiel – mangels tempo- und dribbelstarker Flügelspieler – wäre denkbar:
      Vasilj – Ritzka, Medic, Nemeth, Saliakas – Smith, Irvine – Paqarada, Daschner (in einer Mischung als ZOM und Schattenstürmer), Hartel (Amenyido könnte in der offensiven 3er-Kette auch gut spielen) – Matanovic (Eggestein).

    2. Ja, das Ungleichgewicht wird sich dadurch nicht auflösen. Aber vielleicht entwickeln wir ja mit Daschner weiter vorne etwas mehr Power in der Offensive.

      1. Was hältst du denn von dem Gedanken, Paqarada weiter nach vorne zu ziehen? Vom vorhandenen Personal her ist er m.M.n. am ehesten noch so etwas wie ein Außenbahnspieler. Und es würde die Statik im Aufbauspiel womöglich positiv beeinflussen, wenn er nicht mehr der erste Anspielpartner für die IV wäre (natürlich liegt darin auch eine gewisse Schwächung, die man kompensieren müsste).

        1. Ich weiß nicht. Sicher könnte er das spielen, aber ich finde, dass Leart Paqarada einfach am allerbesten auf LV passt. Ich bin gar nicht sicher, wie xich sein Spiel verändern würde, wenn er plötzlich Druck von allen Seiten bekommt und er nicht mehr die Seitenlinie als „Blind Side“ nutzen kann.

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