Kurz nach der medienwirksamen Beendigung der Partnerschaft mit einem Wettanbieter offenbart der FC St. Pauli durch einen neuen Werbepartner ein Glaubwürdigkeitsdefizit.
(Titelbild: Stefan Groenveld)
Ein Kommentar von Tim
Es ist das alte Lied vom Drahtseilakt: Der FC St. Pauli spielt mit im zunehmend durchkommerzialisierten Produkt Profifußball, möchte aber seine Werte möglichst beibehalten. Das bedeutet, dass man auf vieles, wie zum Beispiel den Verkauf des Stadionnamens oder das Abtreten von Anteilen, verzichtet. Und das ist gut so. Zudem gibt es eine ganze Reihe von potenziellen Sponsoren, die für einen Verein, der „Ein anderer Fußball ist möglich“ stolz vor sich herträgt, nicht hinnehmbar wären. Es ist wichtig, dies im Kontext zu betrachten. Denn bei vielen anderen Clubs wird genommen, wer genug Geld bezahlt, beim FCSP zumindest teilweise sehr bewusst ausgewählt.
Zu diesen potenziellen Sponsoren, die nicht zu den Werten passen, gehören unter anderem Anbieter von Glücksspielen. Eigentlich müsste das auch Suchtmittel im breiteren Kontext treffen – Bier, Spirituosen und sogar Zucker zum Beispiel – aber da ist er wieder, der Spagat. Der FC St. Pauli muss hier einen schwierigen Weg beschreiten, zwischen der Beibehaltung (und Weiterentwicklung) der eigenen Werte – die ja auch eine starke Marke bedingen (was dann auf der anderen Seite wieder Attraktivität für potenzielle Sponsoren bedeutet) – und dem Verdienen von Geld, um erfolgreichen Profifußball finanzieren zu können.
„Mutige Entscheidungen – aus Überzeugung!“
Insofern war die Nachricht Anfang Juni bemerkenswert: Die Partnerschaft zwischen dem FC St. Pauli und bwin endet diesen Sommer und der FCSP will zukünftig auch keinen Partner aus diesem Bereich mehr ins Boot holen. Damit verzichtet der FC St. Pauli auf viel Geld, der Vertrag mit bwin soll mehr als 300.000€ pro Saison eingebracht haben. Im Abendblatt (€) ließ sich Oke Göttlich zum Ende des Deals und der Entscheidung zukünftig auf Anbieter aus diesem Segment zu verzichten, wie folgt zitieren: „Wir treffen solch mutige Entscheidungen, weil wir überzeugt sind, dass sich dieser konsequente Weg mittel- und langfristig auszahlen wird, weil die Glaubwürdigkeit unseres Vereins und unserer Marke auch für eine größere Strahlkraft für unsere Partner sorgt.“
Göttlich erklärte damals, Anfang Juni, auch, wie man diesen finanziellen Verlust auffangen möchte (MOPO): „Wir werden das kompensieren durch hervorragende Arbeit und Ergebnisse von Bernd von Geldern und Martin Geisthardt, die im wirtschaftlichen Bereich sehr erfolgreiche Jahre für den FC St. Pauli geprägt haben.“ – Ende Juni trennten sich von Geldern und der FCSP.
Nun ist aber gerade die Sache mit der Glaubwürdigkeit ein Problem für den FC St. Pauli. Denn nur wenige Wochen nach diesen medienwirksamen Worten von Göttlich, stellte der Verein die Spielbank Hamburg als neuen Partner vor. Zwar verweist der Verein direkt darauf, dass man sich hier seiner Verantwortung bewusst sei („Für ein kontrolliertes Spiel auf und neben dem Platz“) und nein, es ist kein Sportwettanbieter, die Unterschiede zwischen beiden Unternehmen sind deutlich. Aber „Glücksspiel kann süchtig machen“ steht eben auf beiden Verpackungen drauf und das völlig zurecht.
Noch merkwürdiger wird das Vorgehen, wenn man sich die Hintergründe zum Ende der Partnerschaft mit dem Wettanbieter genauer anschaut. Denn 2021 wurde kommuniziert, dass der Vertrag um drei Jahre, also bis Ende der Saison 23/24 verlängert wurde. Anfang Juni stand dann aber in der MOPO: „Was das Segment Sportwettenanbieter angeht, werden wir keine neuen Partner aufnehmen“, sagte Göttlich zum Punkt, dass der auslaufende Vertrag mit „bwin“ nicht verlängert werde.“
Das Abendblatt (€) schrieb: „Die seit 2018 bestehende Partnerschaft mit bwin wird nicht fortgesetzt (…)“.
Wie kann ein Vertrag im Sommer 2023 auslaufen, der bis Sommer 2024 laufen soll? Nur, wenn die Partnerschaft vorzeitig beendet wird. Aber wer war hier die treibende Kraft? Hierzu erklärt der FC St. Pauli auf Anfrage:
„Die Partner haben sich mündlich und einvernehmlich über ein Ende des Engagements zur neuen Saison verständigt. Neue Partnerschaften und hochdotierte Angebote mit Sportwettanbietern wurden abgelehnt.“
FC St. Pauli zum Ende der Partnerschaft mit bwin
Nun endete das Engagment von bwin diesen Sommer aber nicht nur beim FCSP vorzeitig. Der Sportwettanbieter ist aus vier von fünf Partnerschaften mit Proficlubs ausgestiegen, lediglich beim BVB ist man noch aktiv. Und so war es nach unseren Infos der Wettanbieter, der proaktiv die Partnerschaft mit dem FCSP beendete (dieser Schritt erfolgte im Februar 2023). Dabei machte man von einer in solchen Verträgen wohl üblichen Option Gebrauch, die einen vorzeitigen Ausstieg nach zwei Jahren ermöglichte. Eine proaktive Rolle des FC St. Pauli zur Beendigung der Partnerschaft diesen Sommer, habe es dem Vernehmen nach nicht gegeben. Die gewählten Worte von Oke Göttlich sorgten daher auch beim Partner für Verstimmungen.
Welche Strahlkraft bleibt?
Die Entscheidung zukünftig auf Sportwettenanbieter zu verzichten ist finanziell gewagt, aber genau richtig. Die Strahlkraft dieses Vorgehens und die Glaubwürdigkeit leidet aber darunter, dass kurz danach ein Deal mit der Spielbank Hamburg öffentlich wurde. Damit findet Glücksspielwerbung weiterhin Platz beim FCSP, wenn auch in stark reduzierter Form. Das erzählte Narrativ der mutigen Entscheidung aus Überzeugung wird konterkariert. Und das zum Preis der Kategorie „Kapitän“, welches schätzungsweise jährlich einen hohen fünfstelligen Betrag für den FCSP bedeutet. Also deutlich weniger als der vorherige Werbepartner aus dem Glücksspiel-Segment einbrachte. Ist es das wert? Wäre ein Verzicht da nicht „mehr Wert“?
Wie kommt es dazu, dass solche Worte zum Ende der Partnerschaft mit bwin gewählt werden und kurz danach die Spielbank Hamburg aus dem Ärmel gezogen wird? Hätten da nicht an zig Stellen im Verein die Alarmglocken schrillen müssen? Dass hier kein Mechanismus griff, der entweder solch gewählte Worte im Juni oder den Deal mit der Spielbank Hamburg verhinderte, ist mehr als unglücklich.
Der FC St. Pauli will zukünftig trotz damit verbundener finanzieller Einbußen auf Partner aus dem Sportwettenbereich verzichten – ein wichtiger und richtiger Schritt mit eigentlich starkem Signal. Doch die Umstände liefern eine Steilvorlage für Kritiker*innen, die jetzt höhnisch mit dem „Doppelmoral!“-Schild wedeln.
// Tim
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Ich bin da sehr gespalten. Einerseits ist die Spielbank Hamburg, die ja auch einen Standort in Stadionnähe hat, schon ein recht passender Partner. Andererseits sind Casinos halt ganz großer Mist. Die genauen Zahlen unterscheiden sich zwar von Studie zu Studie, aber es kann dennoch als gesichert gelten, dass mindestens 95 Prozent der Besucher:innen von Casinos mit weniger Geld rausgehen, als sie reingekommen sind. Das gilt zwar auch für Kneipen, aber da ist man hinterher, wenn man es richtig macht, wenigstens besoffen. Beim Casino hat man nur ein paar kurze Momente der Spannung gehabt. Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, in einem Casino zu spielen, aber es erscheint mir logisch, dass der Kick deutlich kürzer ist als bei Lotto oder Fußballwetten, wo es ja in der Regel deutlich länger dauert, bis klar ist, dass man verloren hat. Es ist also eher Crack als Heroin. Es gibt sicher Leute, die gewissenhaft gamblen. Aber es soll ja auch Leute geben, die nur hin und wieder Crack rauchen. Von daher ist der Unterschied zwischen Sportwetten und Spielbank vielleicht eher graduell. Nüchtern betrachtet ist beides scheiße. Aber über Casinos oder besser das Ausrauben derselben gibt es wenigstens gute Filme…
Sicherlich hat die Entscheidung, die Spielbank Hamburg als Partner ins Boot zu holen ein „Geschmäckle“.
Allerdings würde ich persönlich ein Casino nicht mit einem Online-Wettanbieter gleichsetzen. Ohne jemals in einem Casino gewesen zu sein, behaupte ich mal, daß dort zumindest tendenziell weniger Möglichkeit gegeben ist, sich in einer Session zu ruinieren während bei Online-Anbietern ja anscheinend Schutzmechanismen umgangen werden können bzw. großzügig außer Kraft gesetzt werden wie ich vor einigen Wochen in einer TV-Reportage gelernt habe (habe leider nicht mehr im Kopf, welche Sendung das war).
Nichtsdestotrotz kann Glückspiel jeglicher Art gefährlich werden, wenn man denn empfänglich dafür ist. Insofern wäre es wahrscheinlich für das Image besser gewesen, den „hohen fünfstelligen Betrag“ auszuschlagen.
„Ohne jemals in einem Casino gewesen zu sein, behaupte ich mal, daß dort zumindest tendenziell weniger Möglichkeit gegeben ist, sich in einer Session zu ruinieren…“
Setze Haus und Hof auf die 9. Dauert ungefähr 60 Sekunden bis zum Ruin (mit einer Wahrscheinlichkeit von 37:1).
Ja, nee – is klar.
Du gehst also in die Spielbank Hamburg und legst den Schlüssel zu deinem Haus auf den Roulette-Tisch?
Ganz ehrlich, wenn das nicht eine komplette Hinterzimmer-Geschichte ist, dann wirst du so einfach nicht dein Hab und Gut los.
Natürllich kannst du das loswerden, was du z.B. in bar dabei hast (oder was deine Kreditkarte an Limit hat), aber Haus und Hof verlierst du nicht in einer Nacht.
Und ganz wichtig: um deinen Besitz komplett zu verzocken, mußt du auch anfällig dafür sein.
Es soll ja auch Leute geben, die einfach mal das Glück an einem Abend herausfordern wollen und mit einem Limit von 100, 200 oder 500 Euro in ein Casino gehen.
Ansonsten kannst du auch gleich am besten zuhause bleiben und gar nichts machen, weil fast alles Potential hat, dich zu ruinieren. Im ersten Beitrag kam das Beispiel Kneipe auf – da kannst du dich auch ruinieren und noch süchtig werden.
Ich denke, es wäre vielleicht eine gute Option, wenn man seitens des Vereins auch einen Tag/eine Woche zur Suchtprävention machen würde, um auf die Gefahren hinzuweisen.
Das ist nach Under Amour schon die zweite sehr umstrittene Partnerschaft, die hier geschlossen wurde. Wer trifft solche Entscheidungen und gibt es hier keine Kontrollgremien? Die Rolle von Oke Göttlich, der sich ja gern brüstet mit hohen moralischen Werten, scheint zumindest in diesem Fall doch sehr fragwürdig! Letztlich ist die Diskrepanz aus Reden und Handeln vereinsschädigend für unseren FC St.Pauli!
Ach der liebe Oke, zwischen unserem FC, der DFL und dem DFB ist es wohl nicht ganz so einfach der Gutmensch zu sein als der er so gern gesehen werden möchte.
Immer wieder diese kleinen Unwahrheiten, überraschenden (Personal) Entscheidungen die eigentlich Machtmenschen auszeichnen – oder sollte er am Ende einer sein?
Ist als Funktionär natürlich auch nicht immer einfach aber ein wenig mehr Transparenz würde ihm keinen Zacken aus der Krone brechen und (bei mir jedenfalls) das Vertrauen in seine Person stärken bzw. wiederherstellen…
Moralische Werte sollen also laut Göttlich eine Rolle spielen.
Manchmal ja, meistens nein…
Moin,
für mich als Spielsüchtiger im Hinblick auf Sportwetten bin ich sehr froh darüber gewesen, als vor ein paar Wochen die Meldung kam, dass mit bwin nicht verlängert worden ist. Keine Werbung mehr für Sportwetten im Millerntor. Find ich super. Jetzt zu lesen, dass mit der Spielbank eine neue Partnerschaft eingegangen worden ist, hat für mich leider definitiv ein Geschmäckle.
Es wird also weiterhin Werbung für Glücksspiel gemacht. Dabei ist es egal, ob für Sportwetten oder ein Casino. Es gibt zwar mittlerweile seit ca. 2 Jahren gewisse Regularien, z. B. dass man als in Deutschland lizenziertes Casino bzw. Sportwettenanbieter sich einer Datenbank anschließen muss, womit gewährleistet wird, dass man bei allen Anbietern zusammen maximal 1000€ pro Monat einzahlen kann. Trotzdem kann man sich damit in den Ruin treiben. Zu meinen Spielzeiten gab es sowas noch nicht, wodurch ich leider immernoch Schulden im mittleren fünfstelligen Bereich habe. Sowas kann also ganz schnell in die Hose gehen und ich kann nur jedem davon abraten. Dass jetzt wieder Werbung für Glücksspiel im Millerntor gemacht wird finde ich überhaupt nicht toll.
Thank you Tim for this piece. It says a lot.
Vielen Dank für diesen Artikel! Wie beschrieben, dass es keinen vereinsinternen Mechanismus gab, welcher dies verhinderte ist problematisch! Und daher umso wichtiger, dass ihr Eure Reichweite nutzt, um darauf hinzuweisen.
„Der FC St. Pauli will zukünftig trotz damit verbundener finanzieller Einbußen auf Partner aus dem Sportwettenbereich verzichten – ein wichtiger und richtiger Schritt mit eigentlich starkem Signal. Doch die Umstände liefern eine Steilvorlage für Kritiker*innen, die jetzt höhnisch mit dem „Doppelmoral!“-Schild wedeln.“
Vorab – auch dieser Millernton-Beitrag reiht sich einmal mehr in eine Vielzahl hervorragender Artikel ein: Viele (Hintergrund)Informationen und natürlich auch ein bisschen Meinung. Ich als Spielsuchtbetroffener, der vor dreißig Jahren in der Tat innerhalb von zwei Jahren „Haus und Hof“ in der scheinbar so seriösen Spielbank Hamburg verzockt hat, habe natürlich bei diesem Thema fast alles gelesen, was in letzter Zeit zu diesem Sponsoren-Coup veröffentlicht wurde. Es gab sehr viele kritische Statements, die sich inhaltlich fundiert mit dieser dubiosen Vereins-Entscheidung auseinandergesetzt haben – Häme und Hohn sind mir dabei nicht über den Weg gelaufen – jedoch massenhaft Unverständnis, Entsetzen, Fassungslosigkeit und Kopfschütteln darüber, wie ein Verein, der auf dem besten Wege war, entscheidende Pflöcke im Suchtbereich einzurammen, es schafft, das gerade Aufgebaute mit dem Hintern wieder einzureißen. Meine Hoffnung: Die massiv,geäußerte Kritik an dieser neuen Partnerschaft könnte dazu führen, dass mensch einsieht, hier einen Fehler begangen zu haben. Falsches Abbiegen auf dem ursprünglich richtig eingeschlagenen Weg kann man korrigieren. Man muss nur auf die Bremse treten, kurz über eine elegante Ausweichstrecke nachdenken und dann mit Vollgas wieder in die Spur kommen. Unsere Führungsetage verfügt über derartige Fähigkeiten – wir sollten sie dazu ermutigen, sich daran zu erinnern.
Traurig einfach und ein Tritt in die Magengrube jedes Fans: der FCSP glänzte als Vorbild und nun das mit der Spielbank – Schande