Gekommen, um zu bleiben

Gekommen, um zu bleiben

Am Sonntag startet der FC St. Pauli in seine neunte Bundesliga-Saison. Wie stehen die Möglichkeiten, dass das Team die Klasse halten kann?
(Titelbild: Stefan Groenveld)

Es ist völlig klar, dass der FC St. Pauli während dieser Bundesliga-Saison nur ein einziges Ziel hat: Eine weitere Bundesliga-Saison folgen zu lassen. Dieses Ziel kann erreicht werden. Allerdings nur, wenn die eigene Rechnung in Sachen Kaderstärke und Spielweise komplett aufgeht. Und selbst dann dürfte es weiterhin alles andere als einfach sein.

„Erwartungsmanagement“ ist das Wort, welches diesen Artikel umgibt. Denn es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass es nicht einfach so fluffig weitergehen wird wie in den letzten drei Jahren. Denn seit Anfang 2021 ist man beim FC St. Pauli Siege gewohnt. Eine Unterbrechung gab es im zweiten Halbjahr 2022, als man nach der Hinrunde mit 17 Zählern im Tabellenkeller stand.

Niederlagen einpreisen, aber nicht akzeptieren

Genau an diese schwere Phase sollte man sich erinnern, sie dürfte als Maßstab herhalten, ob der FC St. Pauli eine gute oder eine nicht so gute Hinrunde spielte. Alles, was über diesen 17 Punkten nach 17 Spielen liegt, am besten über 20 Punkten, ist gut. Alles, was darunter liegt, eben nicht. Man muss sich daran gewöhnen, dass es Spiele geben wird, in denen man feststellt, dass der Gegner einfach das bessere Team ist. Es wird also Niederlagen geben. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass man sie akzeptiert, aber sie müssen einberechnet werden.

Denn die Bundesliga ist anders. Die Diskrepanz zwischen den Top-Teams und jenen, die gegen den Abstieg spielen, ist unfassbar viel größer als in der 2. Bundesliga. Beim FC Bayern München gibt es gleich mehr als ein halbes Dutzend Spieler, die jeweils alleine mehr Geld als der gesamte Kader des FC St. Pauli in der Vorsaison verdient haben.
Jahrelang war man es gewohnt, dass der FCSP alles komplett selbst in der Hand hat. Dass der Kader stark genug ist, um jeden Gegner in der Liga zu schlagen. Nun dürfte es an einigen Tagen selbst dann nicht reichen, wenn man das Maximum aus sich herausholt. Es wird Spiele geben, da muss man hoffen, dass der Gegner nicht seinen besten Tag hat. Das ist etwas, was man beim FC St. Pauli wieder ein wenig erlernen muss.

Aufstiegseuphorie contra neuer Trainer

Nun wurde hier bereits Erwartungsmanagement betrieben und darauf vorbereitet, dass der FC St. Pauli eben keine 30 Punkte nach zehn Spielen gesammelt haben wird. Doch gerade der Saisonstart ist für Aufsteiger besonders wichtig. Denn diese Teams sind das Siegen gewohnt und machen oft besonders zu Beginn einer Spielzeit einfach da weiter, wo sie in der Vorsaison aufgehört haben. Erst Stück für Stück schwindet diese Euphorie und die Teams kommen im harten Liga-Alltag an.

Ob diese Aufstiegseuphorie auch dem FC St. Pauli helfen kann? Das ist eher fraglich, denn dafür ist (zu) viel passiert diesen Sommer. Der Wechsel auf der Trainerbank und die daran anschließende Umstellung hat doch zu einem recht harten Break geführt. Einfach da weitermachen, wo man aufgehört hat, ist nicht mehr möglich. Ein Nachteil ist das aber womöglich nicht. Denn vermutlich verlangt die Bundesliga einen anderen Fußball vom FC St. Pauli. Es ist nicht davon auszugehen, dass der dominante Ballbesitzfußball auch in der Bundesliga so gut funktionieren würde. Weil in dieser Liga noch intensiver gepresst wird, Fehler einfach härter bestraft werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein simples Fortführen der Spielidee zu einem richtig schnellen und harten Aufprall in der Bundesliga geführt hätte, ist ziemlich hoch. Die taktische Umstellung ist ein pragmatischer und legitimer Weg, um den Klassenerhalt zu schaffen.

Noch nicht ganz eingespielt

Doch der FCSP startet mit einer Baustelle unbekannter Größe in die Saison. Wie weit ist das Team bereits in Sachen Umsetzung der – vermutlich notwendigen – veränderten Spielweise unter der Leitung von Alexander Blessin? Weiter als man zwischendurch vermuten konnte, aber sicher nicht so weit, dass da jeder Ablauf sattelfest ist. Das Team des FC St. Pauli dürfte noch etwas Zeit und Matchhärte benötigen. Da die Saison aber bereits gestartet ist, ist das eine Art Operation am offenen Herzen. Gerade der Spielplan ist da nicht wirklich hilfreich. Die Duelle gegen Heidenheim, Union und Augsburg sind welche gegen möglicherweise direkte Konkurrenten. Hier wäre es schon gut, wenn man auch punktet.

Klar, chancenlos ist man nicht beim Projekt Nicht-Abstieg, auch wenn die bisherigen Absätze eher etwas düster daherkommen. Der Blick auf die Konkurrenz hat gezeigt, dass es relativ viele Teams gibt, die aktuell ihr eigenes kleineres oder größeres Päckchen mit sich herumtragen. Allerdings gibt es nur drei weitere Teams, bei denen die individuelle Qualität im Kader ähnlich ist wie beim FCSP (Bochum, Heidenheim, Kiel). Damit andere Teams der Liga zu Konkurrenten im Abstiegsklampf werden, müssten die Dinge dort auch etwas unglücklich laufen.

Modelle sehen FC St. Pauli auf Relegationsrang oder Platz 17

Gerade die Frage nach der individuellen Qualität im Kader des FC St. Pauli ist noch nicht wirklich zu beantworten. Es ist unklar, wie die Fähigkeiten von einzelnen Spielern in der Bundesliga funktionieren, ob sie mit mehr Gegnerdruck und weniger Zeit Probleme bekommen oder ob ihnen vielleicht einige Dinge sogar leichter fallen. Der Eindruck aus den Vorbereitungsspielen ist, dass es dem FCSP noch gut tun würde, wenn es Verstärkungen im zentralen Mittelfeld (ein eher offensiv denkender Achter mit Torgefahr) und in der Innenverteidigung gäbe.

Der Blick auf die Modelle zur Berechnung der Teamstärken listet den FC St. Pauli stets unter den letzten vier Teams der Bundesliga. Beim „Opta Power Ranking“ liegt man auf Platz 16 und die Abstiegswahrscheinlichkeit wird auf knapp ein Drittel beziffert. Das Global Soccer Network listet den FCSP auf Platz 17. Bei verschiedenen Wettanbietern hat der FC St. Pauli die zweitschlechteste Quote, wenn es um die Frage nach dem Abstieg geht. Bei „Total Football Analysis“ (basierend auf ELO-Daten) wird der FC St. Pauli ebenfalls auf Platz 16 geführt. Von „Absteiger Nummer 1“ kann also eher nicht die Rede sein.

Niemand hat gesagt, dass die Bundesliga leicht wird

Trotzdem wird es für den FC St. Pauli ein schweres Unterfangen, die Klasse zu halten. Aber kein unmögliches. Damit der Klassenerhalt gelingen kann, benötigt dieses Team Unterstützung von den Rängen. Es ist nicht die Zeit, sich von schönem Fußball auf dem Rasen anzünden zu lassen. Es ist eher die Zeit, in der aufopferungsvoller Einsatz gefordert ist, sowohl auf als auch neben dem Platz. Und dieser darf auch nicht nachlassen, wenn es sportlich nicht gut läuft. Wir alle haben uns die Bundesliga sehr gewünscht. Nun sollten wir mit aller Macht versuchen auch in dieser zu bleiben. Damit die Bundesliga keine Ausnahme, sondern heißgeliebter Alltag am Millerntor wird. Denn der FC St. Pauli ist gekommen, um zu bleiben.
// Tim

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8 thoughts on “Gekommen, um zu bleiben

  1. 17 Punkte nach der Hinrunde, das ist ein gutes Ziel. Es wird immer gesagt das ein Team 40 Punkte braucht um nicht abzusteigen. Aber die letzten 7 Jahre haben oder hätten 34 Punkte immer gereicht um 15. zu werden.

    23/24 war Bochum 16. mit 33 Punkten
    22/23 war Stuttgart 16. mit 33 Punkten
    21/22 war Hertha 16. mit 33 Punkten
    20/21 war Köln 16. mit 33 Punkten
    19/20 war Bremen 16. mit 31 Punkten
    18/19 war Stuttgart 16. mit 28 Punkten
    17/18 war Wolfsburg 16. mit 33 Punkten

    Das letzte Mal nicht genug war es Saison 16/17 Wolfsburg 16. mit 37 Punkten

  2. Ich persönlich freue mich darauf endlich mal wieder als Underdog in Spiele zu gehen und sich über ein hart erkämpftes Unentschieden zu freuen. Das war im Aufstiegsrennen ja nur selten möglich..

    Und @Tim: die Frequenz in der diese Woche Artikel rauskommen ist ja der Wahnsinn! 😀

  3. Lieber Tim, Du kannst es gerne in jeden Artikel schreiben, aber dadurch wird es nicht automatisch wahr: Nein, nicht *jeder* will den FC in der ersten Liga sehen. Manche von uns können sogar klar denken und sind sich dessen bewusst, dass der Verein die Aufstiegsperspektive und gelegentliche Erstliga-Saison braucht. Aber das heißt nicht, dass wir es uns wünschen.

    Hmm. Das kam jetzt viel schärfer raus, als es gemeint ist. Ich gönne es jedem, der sich über die erste Liga freut!

    1. Lieber Ingo
      danke für den Hinweis! Werde ich zukünftig drauf achten. Magst Du auch ausführen, warum Du den FCSP nicht in der ersten Liga sehen willst?

      1. „Darauf achten“ wäre nun übertrieben. Mir ist ja klar, dass es eine Minderheitenmeinung ist. Ich bin bloß angesprungen, weil Du Dir das jetzt mindestens dreimal anscheinend nicht vorstellen konntest, dass es diese Meinung gibt.

        Die Gründe, warum ich die erste Liga nicht mag, sind nicht neu. Der erste: Der Wettbewerb da ist einfach kaputt. Du schreibst es ja selbst; Mehrere Bayern-Spieler verdienen pro Nase mehr als unsere erste 11. Auf den ersten 5 oder 6 Plätzen dürfte es in jeder Mannschaft so einen Spieler geben. Was die gezahlten Ablösen angeht, ist der Unterschied noch krasser.

        Der zweite Grund liegt in dem Fußball, den wir da oben spielen müssen. Auch das hast Du selbst mehrmals geschrieben – das war schon sehr, sehr ansehnlich in den letzten eineinhalb Jahren. Das erwarte ich in dieser Saison nicht, selbst wenn das, was Blessin jetzt spielen lässt, erfolgreich sein sollte. Ja, alle drei Tore in Halle waren lecker. Aber die fielen in insgesamt nicht einmal einer Spielminute von über 120. Dazwischen: Pässe, die wegen der großen Abstände und des Tempos der Gegenstöße gar nicht ankommen oder so ungenau, dass der Schwung des angespielten Spielers flöten geht. Ballverluste am laufenden Band. Flanken ins Niemandsland.

        Natürlich sehe ich ein, dass der Verein gelegentliche Aufstiege und in der zweiten Liga eine ständige Aufstiegsperspektive braucht, damit wir die Spieler und Trainer bekommen, die den Fußball möglich machen, der mir in der zweiten Liga mehr Spaß macht. Aber toll finden muss ich die erste Liga und die vielen Niederlagen, die wir kassieren werden, deswegen nicht.

        Und ich fände es sehr schade, wenn wir nach einem möglichen Abstieg auch in der zweiten Liga Überfallfußball spielen sollten.

        Und nicht zuletzt finde ich es persönlich wesentlich prickelnder, wenn wir drei Plätze statt eine ganze Liga vor dem HSV stehen 😉

        1. Mir fallen auch aus Fan-Sicht noch ein paar Punkte ein:

          Es wird noch schwerer an Tickets zu kommen. Wenn man trotzdem alle Spiele gucken will, weil man anders nicht leben kann, benötigt man zwei Abos (Alter! 100€ im Monat für maximal 4 Spiele, das ist schon krass…)

          Und , und , und…

          Trotzdem feiere ich die 1. Ligs und auch dafür gibt es 1000 Gründe. Der Wichtigste ist: Wenn wir wieder absteigen ist das schade, aber es ist kein Weltuntergang. Die ganzen Jahre die wir in der 2. Liga gegen den Abstieg gespielt haben waren schon sehr nervenaufreibend und da habe ich überhaupt keinen Bock mehr drauf.

          Ich verliere lieber wieder 8:1 gegen die Bayern wie 2011, als nochmal so eine Scheiße zu erleben wie damals am Böllenfalltor.

          Denn das is nämlich auch ein Teil der Wahrheit: Klar, die 2. Liga ist schön spannend, weil die Teams enger beieinander liegen und jeder jeden schlagen kann, aber wir wissen alle, dass da nur ein zwei Sachen doof laufen müssen, ein, zwei wichtige Spieler sich verletzen, dann bist du plötzlich ganz unten drin in der Verlosung und das ist in der 2. Liga blanker Horror.

          Und was den HSV angeht, da zitiere ich gerne einen der größten Trainer unserer Zeit:

          „2. Liga guck ich nicht!“

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