Nach 8 Punkten aus den letzten 4 Spielen ist so etwas wie leichte Euphorie eingekehrt beim FC St. Pauli. Die letzten Erfolge sind zwar angesichts der Tabellensituation noch lange kein Grund, um einer entspannten Rückrunde entgegen zu blicken. Aber es sieht eben auch nicht mehr ganz so düster aus wie noch vor einigen Tagen. Womit ist die gute Ausbeute der letzten Spiele erklärbar?
(Titelbild: Peter Boehmer)
Vorweg: So richtig ne Erklärung wird dieser Text nicht liefern. Denn die Erklärung ist einfach, dass der FCSP nun Spiele gewinnt bzw. punktet, selbst wenn sie recht ausgeglichen sind. Das war im zweiten Halbjahr 2020 nahezu ausnahmslos nicht der Fall. Aber es gibt Gründe dafür, dass enge Spiele zuletzt eher Richtung FCSP gekippt sind.
Der Kühne
Es gibt Spieler bei denen es keine Expert:innen braucht, um das Ausnahmekönnen zu erkennen. Omar Marmoush ist so jemand. Direkt sein erster Kurzeinsatz in Würzburg ließ viele bereits auf mehr von ihm hoffen. Spätestens beim folgenden Spiel gegen Holstein Kiel war dann für alle ersichtlich, dass der FC St. Pauli mit diesem Winterzugang einen ganz dicken Fisch an Land gezogen hat.
Was Omar Marmoush für Verteidiger zum Albtraum werden lässt ist sein fast unglaubliches Tempo: Ich kann mich nicht erinnern, je einen Spieler im Dress des FCSP gesehen zu haben, der so eine wahnsinnige Beschleunigung auf den ersten Metern hat. Ja, Max Dittgen ist richtig schnell, Ryō Miyaichi auch, aber wie sich Marmoush mit dem Ball am Fuß mit zwei-drei Schritten von seinen Gegenspielern absetzt ist einfach krass.
Mit diesem Attribut lässt sich offensiv vor allem eines anfangen: Dribblings. Mit knapp mehr als 12 Dribblings pro Spiel geht Omar Marmoush im Schnitt am häufigsten pro Spiel in 1-gegen-1-Duelle in der gesamten Liga. Seine Erfolgsquote ist dabei mit 43% zwar eher Mittelmaß, aber im Zusammenspiel mit dem Tempo, dass Marmoush nach einem erfolgreichen Dribbling meist draufhat und der Feldposition, wird es häufig sehr gefährlich. Zwar verliert Omar Marmoush im Schnitt 17 Bälle pro Spiel (die meisten aller FCSP-Spieler), aber das Risiko ist es wert (zumal z.B. Simon Makienok 16 Ballverluste pro Spiel in seiner Saison-Statisitk stehen hat).
Auch dank dieser Zahlen, ist Omar Marmoush einer der produktivsten Stürmer der Liga. Die Anzahl der Spiele ist zwar noch sehr gering, aber die Richtung ist bereits klar: Mit 3.3 Torschüssen pro Spiel ist Marmoush auf Platz zwei der Liga (hiner Branimir Hrgota).
Und mit einer Quote von 60% der Schüsse, die dann letztlich auch auf das Tor gehen, wäre er ebenfalls auf Platz 2 in der Liga. Kann er diese Quoten halten, dürfte der FC St. Pauli im Angriff auch weiterhin konstant gefährlich sein.
Das liegt natürlich auch daran, dass der FC St. Pauli aktuell quasi mit drei Stürmern spielt, die alle als Unterschiedsspieler bezeichnet werden können. Denn nur ganz hartgesottene Traditionalisten würden Daniel-Kofi Kyereh ernsthaft als offensiven Mittelfeldspieler bezeichnen (das ist genaugenommen nämlich Rodrigo Zalazar). Und von der Wichtigkeit eines Guido Burgstaller muss nach den letzten drei Spielen wohl niemand mehr überzeugt werden.
Der Kühle
„Kämpfen & Rennen bis zum Umfallen“ – Das ist so ungefähr das, was ich mir von allen Spielern, die das FCSP-Trikot tragen, in jedem Spiel als Grundvoraussetzung wünsche. Sebastian Ohlsson musste gegen das Spiel gegen Regensburg mit Krämpfen vorzeitig beenden. Den Feierabend hatte er sich nach 11 von 13 gewonnenen Defensiv-Zweikämpfen redlich verdient.
Sebastian Ohlsson ist kein Lautsprecher, wirkt auf dem Platz auf den ersten Blick eher unterkühlt und leise. Aber Ohlsson geht auf dem Platz keinem Duell aus dem Weg: Mit beeindruckenden 169 Defensiv-Zweikämpfen diese Saison hat Ohlsson mit Abstand die meisten Duelle der ganzen Liga bestritten und davon sehr gute 65% gewonnen. Zusätzlich liegt er mit knapp sieben „Interceptions“ pro Spiel in den Top20 der Liga (und hat mit insgesamt 110 diese Saison fast 40 mehr auf dem Konto als seine besten Mitspieler (Ziereis hat bei weniger Spielen noch einen etwas besseren Schnitt, aber Ohlsson ist klar der beste Außenverteidiger der Liga in dieser Kategorie)).
Aufgrund dieser Leistungen, aber auch aufgrund der doch ziemlich prekären Personalsituation in Sachen Rechtsverteidiger im FCSP-Kader, ist Sebastian Ohlsson für den FC St. Pauli absolut unverzichtbar. Ein unscheinbarer Riese. Immer unauffällig, selten mit Ausreißern, aber eben konstant auf hohem Niveau. Richtig stark, Seb! Ich hoffe sehr, dass wir im nächsten halben Jahr die Worte „Vertragsverlängerung um 1910 Jahre“ in Verbindung mit dem Namen Sebastian Ohlsson lesen.
Die Kontinuität
Die folgende Auflistung ist sicher alles andere als übersichtlich. Aber man kann eben schon einmal durcheinanderkommen, bei den ganzen Veränderungen, die im Laufe der bisherigen Saison im Vergleich zu den vorherigen Spielen vollzogen wurden:
- 4-2-3-1 – 1 Änderung: Sieg
- 3-4-1-2 – 4 Änderungen: Niederlage
- 3-4-1-2 – 3 Änderungen: Unentscheiden
- 3-5-2 – 3 Änderungen: Unentschieden
- 3-4-2-1 – 2 Änderungen: Unentschieden
- 3-4-1-2 – 1 Änderung: Niederlage
- 4-4-2 – 4 Änderungen: Niederlage
- 4-2-3-1 – 3 Änderungen: Niederlage
- 4-2-3-1 – 3 Änderungen: Niederlage
- 4-2-3-1 – 5 Änderungen: Unentschieden
- 4-2-3-1 – 4 Änderungen: Niederlage
- 4-2-3-1 – 5 Änderungen: Niederlage
- 4-5-1 – 5 Änderungen: Unentschieden
- 4-3-1-2 – 6 Änderungen: Unentschieden
- 4-3-1-2 – 1 Änderung: Sieg
- 4-3-1-2 – 0 Änderung – Sieg
Sowohl in der Formation als auch in der personellen Aufstellung war der FCSP immer wieder zu veränderungen gezwungen. Das lag an Verletzungen, einer nicht funktionierenden Dreierkette oder schwachen Leistungen.
Nun scheint das Trainer-Team eine zufriedenstellende Formation, das 4-3-1-2, mit einem sehr rautenartigen Mittelfeld, gefunden zu haben. Und da sich auch endlich mal niemand mehr verletzt hat im Laufe der letzten drei Wochen, scheint jetzt endlich mal sowas wie Kontinuität auf dem Platz zu sein. Wie wichtig das ist, muss nicht erklärt werden. Es ist aktuell auf dem Platz ersichtlich.
Es ist ersichtlich, dass die Abstimmung zwischen Zalazar, Becker und Benatelli immer besser passt. Es ist ersichtlich, dass Leart Paqarada immer mehr der Linksverteidiger wird, den man sich erhofft hat. Es ist ersichtlich, dass mehr Spielzeit Philipp Ziereis immer besser werden lässt. Stück für Stück scheint momentan ein Rad ins andere zu greifen und der Plan immer besser aufzugehen.
Trotzdem bleibt es mit 16 Punkten nach der Hinrunde noch ein weiter Weg zum Klassenerhalt. Ein-zwei schwerere Verletzungen, zwei Spiele in Folge in denen das Pendel eben nicht in Richtung FCSP ausschlägt, und schon kann das ganze Konstrukt wieder auf eine harte Probe gestellt werden. Aber es wirkt aktuell nicht so, dass das Konstrukt schnell und komplett zusammenfallen würde. Das gesamte Team scheint relativ gefestigt und mit ein wenig Euphorie meinerseits schreibe ich: Das wird gut, denn es wird alles noch viel besser.
Ab jetzt gewinnen immer wir!
// Tim
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@der Kühne: Michael Mason….der war auch sehr schnell, konnte aber weniger mit dem Ball anfange…
Super Analyse. Danke!
Hoffe auch auf schnelle Vertragsverlaengerung von Seb.
Eine einzige Sache wuerde ich hinzufuegen: Fuehrungsspieler.
Und da ist Burgi der Unterschiedsspieler, der sich gegen Niederlagen (oder unproduktive Unentschieden) stemmt und andere mitzieht–dazu zaehle ich auch Dejan, fuer die Abwehr.
Forza FCSP
Zet
Ich würde sogar noch James Lawrence dazuzählen, wenn er denn endlich wieder fit ist.
Yep.