FC St. Pauli – Holstein Kiel 3:0 – früh in Hochform

FC St. Pauli – Holstein Kiel 3:0 – früh in Hochform

Der FC St. Pauli überzeugt auf allen Ebenen und feiert einen jederzeit ungefährdeten und hochverdienten 3:0-Erfolg gegen Holstein Kiel. Dabei gefiel die offensive Spielfreude, aber vor allem die defensive Stabilität. Denn Holstein Kiel, eigentlich ein spielstarkes Team, konnte erst spät zu nennenswerten Offensivaktionen kommen. Lohn der harten Arbeit, die ziemlich leicht aussah, ist der 1.Tabellenplatz.
(Titelbild: Peter Böhmer)

Hier findet ihr eine Spielanalyse. Einen Text von Maik zum Ablauf im Stadion findet ihr hinter diesem Link.

Die Aufstellung

Im Vergleich zum letzten Testspiel gegen Hertha BSC gab es keine Veränderungen bei den Feldspielern. Daniel-Kofi Kyereh war trotz leichter Blessuren unter der Woche einsatzbereit und das Trainer-Team entschied sich für die Doppelspitze Makienok/Burgstaller. Ich habe da ja Zweifel gehabt, ob das Sinn ergibt mit zwei Angreifern zu starten, die eher nicht die Kernkompetenz „Tempo“ mitbringen. Vermutlich deshalb, da das Duo Marmoush/Burgstaller im letzten Halbjahr so gut funktioniert hat. Nach dem Spiel ist man aber natürlich schlauer und ich kann sagen: Es war eine gute Idee mit diesem Duo zu starten (es war aber auch gut, als Dittgen dann später für Makienok eingewechselt wurde).

In Sachen Formationen musste ich im Vergleich zur Vorsaison nichts in meiner Grafik bei beiden Teams ändern. Der FC St. Pauli spielte natürlich mit Mittelfeldraute. Ein Abweichen davon wäre auch eine echte Überraschung gewesen. Zu gut hat es letzte Saison und in der Vorbereitung geklappt.
Auch Holstein Kiel änderte nichts an seiner Grundformation und setzt weiter auf eine Mischung aus 4-1-4-1 und 4-3-3. Allerdings, und das dürfte auch einer der Gründe sein, warum es gestern eine so deutliche Angelegenheit wurde, war den Kielern anzumerken, dass es aus personeller Sicht einige Änderungen gab. Mit Jonas Meffert (HSV), Jae-Sung Lee (Mainz 05) und Janni Serra (Arminia Bielefeld) hat den Klub eine doch sehr stabile Achse in der Offensive verlassen.

Alles beim Alten mit der Formation? – Nicht ganz

Wenn es also bei den Formationen keine nennenswerten Veränderungen gab, war es also nur die personelle Aufstellung, die den Ausschlag zu Gunsten des FCSP gab? Nicht ganz. Denn trotz gleicher Formation gibt es ein paar Dinge in den Abläufen und Prinzipien beim FC St. Pauli, die zur neuen Saison scheinbar etwas verändert wurden. Ich würde sogar so weit gehen und die Veränderungen als „Upgrades“ bezeichnen.

  • Auffällig ist die größere Tiefe der beiden Halbpositionen. Finn Ole Becker agierte sehr viel offensiver und interpretierte seine Rolle etwas zentraler als noch in der Vorsaison. Das kann er, da auf der anderen Seite der Raute nicht mehr das radikale Element namens Rodrigo Zalazar spielt sondern ein sich klug im Raum bewegender Rico Benatelli. Der hat vor allem zu Beginn des Spiels seine Rolle eher als eine Art Toni Kroos interpretiert und versuchte vermehrt aus tiefer linker Position aufzubauen (und wich damit der engen Bewachung durch Skrzybski aus). Das führte dann auch dazu, dass Leart Paqarada in den ersten Minuten enormen Zug nach vorne entwickeln konnte.
    Im weiteren Spielverlauf rückte aber auch Benatelli häufiger offensiv mit ein. Beispielhaft sind zwei Situationen, eine kurz vor und eine kurz nach der Halbzeit als sowohl Becker als auch Benatelli bei einem Angriff im gegnerischen Strafraum einen Querpass erwarteten.
  • Ebenfalls neu ist ein Element, welches ich als „Aufeinanderhocken“ bezeichnen möchte. Zu Beginn eines jeden Positionsangriffs des FC St. Pauli fanden sich Guido Burgstaller, Simon Makienok und Daniel-Kofi Kyereh vorne im Zentrum zusammen. Bei der ersten Sichtung deutete ich das noch als schlechte Raumaufteilung. Aber das ganze hatte System: Durch das Zusammenziehen der drei Spieler war auch die Defensive von Holstein Kiel, besonders auch Sechser Erras, dazu gezwungen sich eng zusammen zu finden. In der Folge, wenn der FCSP den Ball auf die Achter- oder Außenposition spielte (oder Ziereis/Medić direkt durchspielten, was ihnen mehrfach gelang), lösten sich ein oder zwei Spieler aus diesem Haufen. Meist ließ sich einer fallen, kam den Mitspielern also entgegen. Dadurch, dass die beiden Achter von Kiel relativ hoch standen (auf die Sechs oder Acht des FCSP fokussiert) und Erras mit in das Bündel gezogen wurde (und dort evtl. auch nicht weg konnte, da er der einzig gute Kopfballspieler gegen Simon war), war der Zehnerraum recht verwaist, sodass meist Kyereh (seltener Burgstaller) dort sehr häufig anspielbar waren, wenn sie sich in den Raum fallen ließen.
Aufbauspiel von Holstein Kiel (links) und vom FC St. Pauli (rechts).
Bemerkenswert auf Seiten des FCSP war das massive Zusammenziehen in vorderster Reihe.

FCSP unfassbar stabil oder Kiel schlecht abgestimmt?

Im Pressing veränderte der FC St. Pauli nur wenig im Vergleich zur Vorsaison. Die Dreierreihe aus Kyereh, Burgstaller und Makienok stellte den zentralen Raum zu. Das war gegen den spielfreudigen Hauke Wahl eine gute Idee. Die „Drecksarbeit“ mussten dann die Achter und Außenverteidiger machen. Hierbei waren es weiterhin die Achter, die die gegnerischen Außenverteidiger anliefen. Zander und Paqarada fokussierten sich auf die Achter von Holstein Kiel. Entsprechend versuchte Kiel vor allem Druck auf die Außenverteidiger auszuüben:
Es waren Überlagerungen auf den Außenbahnen, die zum Erfolg führen sollten. Besonders gern bewegte sich Achter Alexander Mühling auf die linke Seite und versuchte zusammen mit Fabian Reese, der sich dann immer fallen ließ, erst Luca Zander aus der Deckung zu locken und dann dort eine Überzahl zu erschaffen.
Diese Bewegungen, die meist von Mühling und sehr viel weniger vom zweiten Achter Skrzybski ausgingen waren für die Sechser des FC St. Pauli eine echte Herausforderung. Denn Smith und Aremu mussten immer entscheiden, ob sie den Weg auf die Außenbahn mitgehen oder die zentrale Position halten sollten. In der ersten Halbzeit gelang dies Eric Smith herausragend gut. Sieben abgefangene Bälle von ihm in einer Halbzeit zeigen das deutlich. Die gute Abstimmung auf Seiten des FCSP und die noch ausbaufähige auf Seiten von Holstein Kiel führte dazu, dass Kiel in der ersten Halbzeit offensiv kein einziges Mal ernsthaft in Erscheinung trat. Das ist für eine der besten Offensiven der Vorsaison schon bemerkenswert.

Ich würde es also als eine Mischung aus beidem bezeichnen: Holstein Kiel war durchaus anzumerken, dass es auf elementaren Positionen Veränderungen gab und darunter die Abstimmung leidet. Beim FC St. Pauli waren die Abläufe, die in der Vorsaison bereits häufig, aber nicht immer klappten, nun umso gefestigter.

Was passieren kann, wenn die Abstimmung nicht passt, zeigte sich in der 11.Spielminute. Da konnte Leart Paqarada völlig entspannt durch den linken Halbraum spazieren, weil Mühling und Skrzybski beide auf der anderen Seite tingelten und sich in dem Moment niemand so richtig für diesen Raum verantwortlich fühlte.
Aufgrund der massig vorhandenen Pass-Optionen und des Wissens um die Torwahrscheinlichkeit bei Schüssen aus solchen Positionen, hätte Paqarada eigentlich ein „Wie kannst du da nur auf das Tor schießen?!“ um die Ohren gepfeffert werden müssen. Seine Antwort hätte vermutlich „Weil ich’s kann!“ gelautet. Alter, was ne Fackel!

Leart, wie kannst Du aus der Position nur schießen?!
(c) Peter Böhmer

Spielkontrolle, Druckphase, 2:0 – Was willste mehr?!

Im Verlauf der ersten Halbzeit bestach der FC St. Pauli vor allem dadurch, dass Holstein Kiel nicht ansatzweise gefährlich wurde und mit seinen Ideen an der Defensive des FCSP scheiterte. Offensiv gefiel es ebenfalls in den ersten 45 Minuten, wenngleich viele potenzielle Hochkaräter durch eigene Ungenauigkeiten vernichtet wurden und die „Exit-Strategie“ namens Simon Makienok zu selten genutzt wurde.
In der zweiten Halbzeit war es dann genau umgekehrt: Holstein Kiel konnte sich auf den Außenbahnen und in den Halbräumen nun etwas häufiger durchsetzen (aber bei Flanken brauchen wir uns mit Vasilj im Tor anscheinend keine Sorgen mehr zu machen). Offensiv entwickelte der FC St. Pauli nun aber erheblich mehr Druck als noch in der ersten Halbzeit. Das 2:0 durch Kyereh war in seiner Entstehung durch den missglückten Schuss von Becker wohl etwas glücklich, aufgrund der Druckphase aber hochverdient.
Einmal mehr wurde in dieser Phase deutlich, was den FCSP so stark macht: Während viele Teams versuchen auf der Außenbahn direkte Duelle zu erzeugen und dann mit Tempo für sich zu entscheiden, hat der FC St. Pauli einen Haufen von Spielern beisammen, die sich alle gut im Raum bewegen und beim Passspiel enorm gut miteinander harmonieren. Der FC St. Pauli verkommt in solchen Phasen des Flows offensiv zu einer Art homogenen Masse, dessen Einzelteile scheinbar intuitiv eine gute Raumaufteilung haben. Die Abläufe scheinen einstudiert, aber sie sind so vielfältig, dass sie es eigentlich nicht sein können. Mir bleibt in solchen Phasen immer der Mund offen stehen und ich frage mich, wie zur Hölle gegnerische Teams so etwas verteidigen können. Holstein Kiel hatte keine Antwort darauf.

Nach dem hochverdienten zweiten Tor übernahm Holstein Kiel für knapp zehn Minuten so etwas wie Spielkontrolle. Der FC St. Pauli ließ sich etwas tiefer reindrängen. Es war in dieser Phase nicht nur Nikola Vasilj, der dafür sorgte, dass Flanken keine Gefahr darstellten. Philipp Ziereis hat gestern 7 von 8 Kopfballduellen gewonnen. Ja, die Gegenspieler sind nicht unbedingt als Kopfballmonster bekannt. Aber womöglich hat das im Training genutzte Kopfballpendel in der Vorbereitung seinen Zweck erfüllt. Eine Entwicklung ist jedenfalls erkennbar. Und was Ziereis in der Luft zeigte, zeigte der ganz starke Jakov Medić am Boden (über 70% gewonnener Duelle). Ich denke, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass viele Stürmer Medić als einen der unangenehmsten Gegenspieler empfinden dürften. Eine beeindruckende faire Härte, die er da an den Tag legt.

Etwa mit der Einwechslung von Maximilian Dittgen (wohl dem, der soviel Tempo und Spielfreude einwechseln kann) endete die leichte Kieler Druckphase wieder. Dittgen kam für Simon Makienok ins Spiel, der eigentlich als so etwas wie ein Neuzugang bezeichnet werden muss. Es war bereits in den Testspielen absehbar, dass Makienok in allen Belangen ein nahezu anderer Spieler ist. Jemand, der nicht nur in der Luft die Bälle gewinnt sondern auch einen guten Pass spielen kann. Davon war in der Vorsaion eher wenig bis gar nichts zu sehen. Menschlich passt es sowieso richtig gut. Ich wünsche mir sehr, dass der jetzige Trend mehr ist als nur ein Sommermärchen.

In den Testspielen regelmäßig erfolgreich, gestern (nur) Gratulant: Simon Makienok
(c) Peter Böhmer

Es folgte das vermutlich schönste Nicht-Tor der Saison: Daniel-Kofi Kyereh traf nach Flanke von Dittgen per Fallrückzieher hammermäßig zum 3:0. Das Problem: Er stand hauchdünn im Abseits. Und so verflog die Freude über eines der schönsten Tore ever nach gut einer Minute wieder. Fakt ist: Wenn es wirklich einen Fußballgott gäbe, er hätte für eine Bildstörung im Kölner Keller gesorgt.
Stattdessen konnten wir dann auch noch aus genau umgekehrter Sicht den Torjubel erleben: Guido Burgstaller versenkte in der Nachspielzeit den Ball zum 3:0, wähnte aber eine Abseitsstellung und freute sich, wenn überhaupt, nur gedämpft. Alle Gegner des VAR dürften in diesen Minuten weiteres Futter gefunden haben.

Wenden wir uns schnell wieder den schönen Dingen zu: Der FC St. Pauli ist Spitzenreiter. Und das ist nach der überzeugenden Vorstellung gegen Holstein Kiel hochverdient. Mag sein, dass sich in Kiel die Neuzugänge noch etwas einfinden müssen und daher die Abläufe noch nicht so gut sitzen. Mag sein, dass der FCSP einen wirklich richtig guten Tag erwischte und dass das 1:0 auch voll in die Karten spielte. Die Frühform und auch die Selbstverständlichkeit mit der der letztjährige Drittplatzierte auseinandergespielt und kontrolliert wurde sind trotzdem schlicht fantastisch.

Immer weiter vor!
// Tim

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3 thoughts on “FC St. Pauli – Holstein Kiel 3:0 – früh in Hochform

  1. Das erste Spiel nach Ewigkeiten live im Stadion und ausnahmsweise mal Sitzplatz mit guter Nähe zum Spielfeld.
    Unglaublich wie Burgstaller die Offensive coacht! Selbst wenn er ein „schlechtes“ Spiel machen sollte ist er mit seinem Coaching der wichtigste Spieler vorne drin.
    In Medić bin ich schockverliebt. Was für eine Kante! Super Zweikämpfe und versucht immer den Weg spielerisch zu lösen einfach bärenstark gestern!
    Paqarada der wahrscheinlich beste Fussballer als LV den wir in Braun Weiß bisher hatten.
    Smith auch ein geiler Kicker.

    Gutes Gerüst haben wir da.

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