Burgstaller und die rotierende Ideallösung?

Burgstaller und die rotierende Ideallösung?

Vor jedem Spieltag stelle ich mir die gleiche Frage: Wer stürmt am Wochenende wohl neben Guido Burgstaller für den FC St. Pauli? Denn während GB9 gesetzt ist, gibt es gleich vier Spieler, die um den Platz neben ihm konkurrieren. Versuchen durften sich alle mal daran, aber so richtig durchgesetzt hat sich noch niemand. Aber vielleicht ist genau das auch eine Stärke.
(Titelbild: Peter Böhmer)

15 Saisontore, absoluter Fixpunkt im Angriff und auch in der Außendarstellung das Gesicht mit der größten Strahlkraft: Nach einer schwierigen Anfangsphase kann nun, mehr als 18 Monate nach seiner Ankunft beim FC St. Pauli, festgehalten werden, dass der Transfer von Burgstaller das beste war, was dem FCSP passieren konnte. Die Vermutungen, dass er etwas in die Jahre gekommen und daher nicht mehr ganz zu Höchstleistungen fähig sei, zeigten sich als komplett unbegründet. Burgstaller hat im Jahr 2021 satte 27 Pflichtspieltore erzielt und damit einen Löwen-Anteil zum Erfolg des FC St. Pauli beigetragen.

Einen Vergleich der besten Torjäger der Liga haben wir am Dienstag veröffentlicht. Guido Burgstaller ist da natürlich ganz vorne mit dabei und führt aktuell mit 15 Saisontoren die Torschützenliste der 2. Bundesliga an. Was macht ihn so stark? Schauen wir mal kurz in die Statistik:

Radar-Grafik von Guido Burgstaller (Lila) im Vergleich zum Median der Top-Stürmer der 2. Bundesliga (Gelb).

Auffällig ist, dass Guido Burgstaller mehr Tore erzielt hat als nach xG wahrscheinlich wären. Er ist also sehr effizient. Ein Unterschied zu vielen seiner Sturm-Kollegen ist, dass Burgstaller sowohl Ziel-, als auch Mitspieler ist. Das bedeutet, dass er meist als Stürmer in Abschlusssituationen gesucht wird und sich dafür auch richtig bewegt. Aber Burgstaller lässt sich auch häufig auf die Außenbahn fallen oder bewegt sich etwas aus dem Sturmzentrum heraus und nimmt aktiv am Spiel des FCSP teil (daher auch überdurchschnittliche Werte bei „received passes„, „deep completions“ und „expected assists„). Das ist ein deutlicher Unterschied zum Beispiel zu Simon Terodde, der sich viel seltener aus der Box herausbewegt.

Was die Daten nicht abbilden, aber mindestens genauso wichtig wie die hohe Anzahl an Toren von Burgstaller ist: Seine Rolle als Führungsspieler. Guido Burgstaller ist eindeutig der Anführer des FCSP-Offensivspiels, leitet seine Mitspieler immer wieder an und ist auch derjenige, der das Pressing in vorderster Reihe dirigiert. Gerade beim Pressing bin ich beeindruckt, wie er auch noch spät in den Spielen seine Gegenspieler mit vollem Tempo anläuft und so voran geht.

Guido Burgstaller ist nicht nur bester Torschütze des FC St. Pauli, sondern auch klar der Chef der Offensiv-Abteilung.
(c) Peter Böhmer

Searching for Guidos Wingman

Keine Frage, Guido Burgstaller ist für das Team unfassbar wichtig, nicht nur aufgrund seiner Tore. Aber welcher Spieler passt eigentlich am besten an seine Seite in der Offensive? Im Kader des FC St. Pauli befinden sich mit Simon Makienok, Maximilian Dittgen, Igor Matanović und Etienne Amenyido gleich vier weitere Angreifer (denkbar wäre zudem auch, dass Daniel-Kofi Kyereh diese Position einnimmt).
Diese Spieler haben teils unterschiedliche Fähigkeiten. Die passen mal mehr, mal weniger mit denen von Burgstaller zusammen und alle Spieler haben zwar nachgewiesen, dass sie das Niveau der 2. Bundesliga halten können, aber noch hat sich niemand nachhaltig für den Job neben Burgstaller empfohlen.

Makienoks Werk und Dittgens Beitrag

Zum Saisonstart gab es neben Burgstaller im Kader nur zwei fitte Angreifer, die sich dann auch gleich in der Startelf abwechselten. Simon Makienok hatte nach guter Sommer-Vorbereitung die Nase leicht vorn und nach zwei Toren im Derby schien sein Platz vorerst sicher.
Doch nur wenige Wochen danach war es Maximilian Dittgen, der mit guten Leistungen in Heidenheim und zuhause gegen Ingolstadt auf sich aufmerksam machte. So richtig festspielen konnte sich jedoch keiner der beiden.
Auf dem Platz füllen Dittgen und Makienok gänzlich unterschiedliche Rollen aus, wie die Statistiken zeigen:

Radar-Grafik von Simon Makienok (links, rot) und Maximilian Dittgen (rechts, türkis) im Vergleich zum Median der Top-Stürmer der 2. Bundesliga.

Simon Makienok ist allein schon aufgrund seiner Physis viel eher ein Strafraumspieler als Maximilian Dittgen. Kein Top-Stürmer der 2. Liga wird häufiger mit langen Pässen gesucht als Makienok. Nur drei Stürmer haben mehr Ballkontakte im gegnerischen Strafraum als er. Dittgen hingegen weicht von der Position vorne im Zentrum viel eher ab und versucht sein enormes Tempo auszuspielen. Entsprechend ist die Anzahl seiner „progressive runs“ und allgemein der Dribblings und Offensivduelle viel höher als die von Makienok. Es ist klar erkennbar, dass Dittgen eigentlich ein Spieler für die Offensive Außenbahn ist.

Beide Spieler sind so dermaßen unterschiedlich, dass sich das Spiel des FC St. Pauli signifikant unterscheidet, wenn der eine oder der andere auf dem Platz steht. Ein gutes Beispiel dafür ist das Auswärtsspiel bei Werder Bremen aus der Hinrunde. In der ersten Halbzeit versuchte Dittgen häufig über die Außenbahn tiefe Läufe zu ziehen, also genau seine Stärke auszuspielen, die zum Beispiel beim Auswärtssieg in Heidenheim perfekt zum Tragen gekommen ist.
Das klappte jedoch nur mäßig. Zur Halbzeit kam daher Simon Makienok für ihn ins Spiel. Der FC St. Pauli konnte in der Folge immer hoch auf Makienok passen und so das massive Pressing der Bremer umgehen. Die Spielweise des FCSP unterschied sich massiv zwischen den Halbzeiten, möglich nur aufgrund des Wechsels auf dieser einen Position.

Simon Makienok – Ein Mann für gewisse Fälle (bzw. Spielsituationen)
(c) Peter Böhmer

So richtig passte es aber irgendwie mit keinem der beiden. Mitte der Hinrunde war es weder Makienok noch Dittgen, die neben Burgstaller starteten, sondern Daniel-Kofi Kyereh. Dessen Position hinter den Spitzen nahm Christopher Buchtmann ein. Und gerade als Makienok wieder zum ersten Mal starten durfte (gegen Sandhausen) zwang ihn sein Knie dazu, etwas reduzierter zu arbeiten.

Burgstaller und Marmoush 2.0?

Genau in diese Phase rückte aber ein anderer Stürmer aus dem Kader des FC St. Pauli in den Fokus: Igor Matanović war lange Zeit verletzt und verpasste große Teile der Sommer-Vorbereitung. Ende des Jahres war er aber wieder fit, zeigte sich sehr spielfreudig bei seiner Einwechslung gegen Sandhausen (für den verletzten Makienok) und durfte in den folgenden vier Spielen neben Burgstaller starten.
Seine Spielweise ist dabei für einen Stürmer bemerkenswert, wie die Statistik zeigt:

Radar-Grafik von Etienne Amenyido (links, grün) und Igor Matanović (rechts, schwarz) im Vergleich zum Median der Top-Stürmer der 2. Bundesliga.

Denn Igor Matanović fiel vor allem durch sein Zusammenspiel auf, weniger durch eigene Abschlussaktionen. Er ließ sich meist etwas weiter weg vom Tor fallen, um Verbindungen zu schaffen oder bewegte sich nach außen. Während es z.B. Burgstaller und Dittgen trotz dieser Bewegungen nach außen immer wieder schafften in die Box zu kommen, fehlt es Matanović hier an Ballaktionen. Ein einziger Torschuss in mehr als 300 Minuten Spielzeit sind für einen Stürmer dürftig (0.28 Torschüsse pro 90 Minuten sind der niedrigste Wert aller Angreifer der 2. Liga). Timo Schultz hebt zwar immer wieder seine große Stärke im Abschluss hervor, aber bisher ist davon noch nicht viel zu sehen gewesen.

Eine Stärke vom zweifelsohne hochtalentierten Matanović ist sicher, dass er mit seinen Läufen Unruhe in gegnerische Abwehrreihen bringen kann und er ziemlich viele Aktionen in direkten Duellen hat. Allerdings gibt es da einen Spieler, der noch wesentlich häufiger das direkte Duell sucht und dies auch fast jedes zweite Mal gewinnt: Etienne Amenyido.

Es waren schon große Fußstapfen, die Omar Marmoush aus sportlicher Sicht beim FC St. Pauli hinterließ. In der 2. Bundesliga gab es in der Vorsaison nur einen einzigen Spieler, der ihm vom Spielstil her ähnelte. So war es dann auch wenig verwunderlich, dass Amenyido als eine Art Ersatz für Marmoush ans Millerntor kam.

Allerdings musste beim FC St. Pauli lange auf die Künste von Amenyido gewartet werden. Eine Achillessehnen-Verletzung in der Vorbereitung zwang ihn zu einer langen Pause. Nun zeigt sich aber, dass die Verantwortlichen ganz gut gelegen haben, denn Amenyido macht genau da weiter, wo Omar Marmoush aufgehört hat. Die Datenlage ist aufgrund der wenigen Spielzeit zwar noch gering, aber erste Trends sind schon klar erkennbar: Kein Stürmer in der 2. Bundesliga führt mehr Offensiv-Duelle. Und kein Stürmer, das ist ein wichtiger Unterschied zu Marmoush, hat eine bessere Quote in direkten Duellen als Amenyido. Allerdings ist in den Spielen auch deutlich erkennbar, dass Amenyido der beeindruckende Zug zum Tor wie ihn Marmoush hat (noch) fehlt, weshalb er zuletzt im Test auch tiefer in der Raute spielte und dort ein wenig wie Zalazar in der letzten Saison spielte. Die Datenlage ist dünn, aber die Richtung ist beeindruckend. So scheint Etienne Amenyido momentan die Nase im Duell um den Platz neben Guido Burgstaller ein wenig vorn zu haben.

Etienne Amenyido hat noch nicht viel für den FC St. Pauli gespielt. Aber die ersten Eindrücke sind wirklich vielversprechend.
(Stuart Franklin/Getty Images/via OneFootball)

Nicht eine, sondern vier Ideallösungen

Der FC St. Pauli startete mit Simon Makienok neben Burgstaller in die Saison. Es folgte Maximilian Dittgen. Beide konnten teilweise überzeugen, aber nur, wenn der Spielstil zu ihren Eigenschaften passte. Über den Umweg mit Daniel-Kofi Kyereh kam Igor Matanović in die Startelf. Er konnte in den Spielen zwar immer wieder zeigen welch großes Talent in ihm steckt, aber vor allem an Torgefährlichkeit mangelte es ihm in dieser Phase. Nun ist Etienne Amenyido an der Reihe und darf sich an der Seite von Guido Burgstaller versuchen. Die Daten deuten darauf hin, dass die Grundlage für ein ähnlich erfolgreiches Duo wie Burgstaller/Marmoush es war, vorhanden ist. Da darf man gespannt auf mehr sein.

Was wie eine nicht zufriedenstellende Suche nach der Idealbesetzung neben Burgstaller klingt, ist vielleicht selbst eine Art Ideallösung. Denn der FC St. Pauli hat eigentlich für jeden Spielstil einen Spieler im Kader, der hierfür die perfekten Voraussetzungen mitbringt, ist also enorm flexibel im Offensivspiel. Es ist also davon auszugehen, dass die Position neben Burgstaller auch weiterhin eine sein wird, auf der viel Rotation stattfindet.

//Tim

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2 thoughts on “Burgstaller und die rotierende Ideallösung?

  1. Sehe auch Amenyido momentan vorn, wenn der seine Form findet ist deer den anderen weit überlegen, sogar unabhängig vom System. Kann ebenso tempodribblings wie dittgen, Zielspieler wie makienok und Spielmacher wie matanovic. Zwar mit kleineren Abstrichen, aber alle 3 Fähigkeiten in einer Person, da wird’s für die anderen schwer dran vorbei zu kommen.

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