Der FC St. Pauli hat Hauke Wahl zur neuen Saison verpflichtet. Der 29-jährige Innenverteidiger kommt von Holstein Kiel und bringt besondere Fähigkeiten mit. Sein Spielerprofil.
(Titelbild: Peter Böhmer)
Mit Hauke Wahl hat der FC St. Pauli, nach der Verpflichtung von Rechtsverteidiger Philipp Treu, seinen zweiten Transfer des Sommers fix gemacht.
The story so far
Hauke Finn Wahl wurde 1994 in Hamburg geboren, zog aber bereits früh in den östlichen Speckgürtel und kickte dort für den Witzhaver SV und TSV Trittau. Mit 13 Jahren ging es in ein Sportinternat in Schwerin und mit Fußball im Verein bei Eintracht Schwerin weiter, ehe er 2010 in die Jugend von Dynamo Dresden wechselte. Nach rund 18 Monaten, Wahl hatte im letzten halben Jahr nur noch wenig dort gespielt, ging es wieder zurück in den Norden, in die U19 von Holstein Kiel.
In Kiel machte Hauke Wahl dann auch seine ersten Schritte im Profibereich (unterschrieben hat er den Profivertrag übrigens bei einem gewissen Andreas Bornemann, der damals in Kiel tätig war). Im Sommer 2013 debütierte er in der 3. Liga und etablierte sich sofort als Stammspieler in der Innenverteidigung, nachdem er in der Saison zuvor in der U19 zumeist im defensiven Mittelfeld zum Einsatz kam. (Bereits daraus lässt sich erkennen, dass Wahl etwas mehr als ein klassischer Verteidiger ist).
Mit Kiel konnte Wahl in seiner ersten Profisaison erst am letzten Spieltag den Klassenerhalt sichern, übrigens stiegen damals Heidenheim und Darmstadt aus der dritten Liga auf. In der Folgesaison verpasste Kiel nur knapp den direkten Aufstiegsplatz und scheiterte dann in der Relegation gegen 1860 München am Aufstieg.
Immer wieder: Zweite Liga!
Für Hauke Wahl war in der Saison 15/16 trotzdem Zweitligafußball angesagt: Kurz vor Ende der Transferphase wechselte er zum SC Paderborn und wurde auch dort auf Anhieb Stammspieler, konnte unter der Leitung von Markus Gellhaus und später Stefan Effenberg den Abstieg in die Drittklassigkeit aber nicht verhindern. Doch seine Leistungen brachten ihm persönlich keinen Ab- sondern sogar einen Aufstieg: Der FC Ingolstadt, damals Erstligist, verpflichtete Wahl, der dort dann aber ein halbes Jahr auf der Bank verbrachte und im Winter leihweise zurück in die 2. Bundesliga, zum 1. FC Heidenheim, wechselte.
Auch im Folgejahr gab es Zweitliga-Fußball mit Hauke Wahl, denn Ingolstadt stieg ab. Wahl absolvierte insgesamt 27 Saisonspiele, verlor aber zum Ende der Saison seinen Stammplatz. Zur Saison 18/19 ging es für ihn zurück zu Holstein Kiel, die sich inzwischen auch in der zweiten Liga eingefunden hatten. Und in dieser Saison ist mir und sicher vielen anderen Hauke Wahl zum ersten Mal aufgefallen.
Metamorphose unter Walter
Denn unter der Leitung eines gewissen Tim Walter spielte Holstein Kiel in der Saison 18/19 einen radikalen Fußball, mit Innenverteidigern, die ihre Positionen auflösten, etc. – also dem, was später als „Walter-Ball“ bezeichnet werden sollte. Der wohl wichtigste Baustein dieses Spielstils: Ein spielstarker Innenverteidiger, welches zufällig ziemlich gut zum Profil von Hauke Wahl passte.
Und so wurde aus Hauke Wahl, der vorher recht solide in Zweitligateams spielte, aber nie groß durch Stärken im Aufbau auffiel, plötzlich einer der angesagtesten Kicker, dem Expert*innen ein enorm hohes Maß an Spielintelligenz zuschrieben, welches es in dieser Form selten in der zweiten Liga gibt. Sehr detailliert hatte das damals ein gewisser Eduard Schmidt für den Spielverlagerung.de-Adventskalender aufgeschrieben. Schmidt arbeitet inzwischen für den SC Paderborn als Analyst und war auch schon bei uns im VdS zu Gast.
Dauerbrenner in Kiel
Der Blick auf seine Karriere zeigt auch, dass Hauke Wahl selten verletzt ist. In der Saison 18/19 verpasste er ein Spiel aufgrund einer Gelbsperre und wurde zweimal spät ausgewechselt. Zwischen Sommer 2019 und Ende des Jahres 2021 verpasste er dann keine einzige Minute (!) und absolvierte die maximal mögliche Anzahl von 85 Zweitligaspielen. Dann folgte allerdings eine längere Pause, denn Wahl erkrankte an Pfeifferschem Drüsenfieber, welches ihn bis zum Saisonbeginn 22/23 außer Gefecht setzte. Trotzdem: Hauke Wahl ist definitiv kein Spieler, dem eine Verletzungsanfälligkeit nachgesagt werden kann.
Nachsagen kann man Hauke Wahl aber durchaus eine Schwäche für Trikots US-amerikanischer Sportklubs, wenn man sein Profil bei Instagram durchscrollt. Ein langes und gutes, aber schon etwas älteres Interview findet ihr bei 90Plus. Was ihr nicht findet, sind ein Twitter- oder Facebook-Profil.
Das sagt der Experte
Damit wir Hauke Wahl etwas besser kennenlernen können, habe ich ein paar Fragen an Matthias stellen können, der Holstein Kiel auch als Journalist begleitet, für CalcioCulinaria bloggt und den wir schon oft in unserem VdS/NdS-Format zu Gast hatten.
Moin Matthias, Hauke Wahl wechselt zum FC St. Pauli. Was sind die Stärken von Wahl auf dem Platz?
Auf jeden Fall, dass er ein sehr moderner Innenverteidiger ist und auch sehr variabel von den Trainern eingesetzt werden kann. Bereits von Kalle Neitzel wurde er in Kiel relativ offensiv für die Spieleröffnung eingesetzt. Bei Tim Walter war es ja teilweise so, dass die Spieler aus dem defensiven und zentralen Mittelfeld aufgerückt sind und Hauke dann auf die Sechser-Position nach vorne gezogen ist. Teilweise stand er sogar als Anspielstation am gegnerischen Strafraum zur Verfügung. Er macht diese Ausflüge als Innenverteidiger immer wieder und das ist auch die Aufgabe, die er von den Trainern bekommt.
Und in welchen Bereichen kann er sich noch verbessern?
Im ganz klassischen Innenverteidiger-Spiel hat er seine Schwächen. Bei der Schnelligkeit und Kopfballstärke ist er vielleicht nicht Ligaspitze, das ist aber alles sehr ordentlich. Seine Stärken sind aber klar die Spieleröffnung und seine Bewegungen nach vorne.
Übrigens glaube ich, dass man Hauke Wahl auch auf der Sechs einsetzen kann. Das hat er in den Spielen gegen Heidenheim und Darmstadt in dieser Saison auch gespielt und das sah teilweise ziemlich gut aus.
Hauke Wahl ist Kapitän von Holstein Kiel – was zeichnet ihn für dieses Amt aus?
Ich habe ihn als Kapitän immer gemocht, er ist ein feiner Kerl. Allerdings könnte er meiner Meinung nach auf dem Platz ein bisschen lauter sein (er ist auch gegenüber Journalisten ein bisschen redefaul). Daher kann er es ganz gut gebrauchen, einen Torhüter hinter sich zu haben, der auch ein Lautsprecher ist. Aber er hat sehr gute Führungsqualitäten. Wenn ein Spiel nicht gut läuft oder ein Gegentor gefallen ist, dann holt er ein Team auch gerne nochmal zum Mannschaftskreis zusammen.
Einige Stimmen sind zu hören, dass Hauke Wahl mit 29 Jahren seine beste Zeit als Spieler vielleicht schon etwas überschritten hat, er vor drei-vier Jahren deutlich stärker war. Würdest Du dem zustimmen?
Er war zu Anfang der Saison krank. Einige sagen, dass er danach schwächer wiedergekommen ist. Ich glaube aber nicht, dass das Alterserscheinungen sind. Ich glaube ein neuer Verein könnte ihm da auch gut tun, da für ihn ein gewisser Trott dann vorbei ist und ein neues Umfeld kann da nicht verkehrt sein. Und ich glaube auch, dass er mit dem Spielstil Eures Trainers ganz gut kann.
Danke für Deine Einschätzung, Matthias!
Das sagen die Zahlen
Durchschnittlich in direkten Duellen…
Die Einschätzung von Matthias zeigt sich in dieser Form auch in den Statistiken: Hauke Wahl kommt auf eher unterdurchschnittliche Werte in den klassischen Defensiv-Kategorien. Am Boden bedeutet das Zweikampfwerte im Liga-Durchschnitt, aber besonders in der Luft kann er, trotz seiner Körpergröße (1,89m), nicht mit den Besten mithalten – genauer gesagt zählt er diese Saison zu den schwächsten Innenverteidigern der Liga in Sachen Kopfbälle. Ebenso fehlt ihm ein wenig das Tempo in den Beinen. Doch das Beispiel Eric Smith zeigt, dass man diese körperlichen Nachteile durch Spielintelligenz ausgleichen kann. Auch das zeigt sich in den Statistiken.
… aber sehr spielintelligent
Denn Hauke Wahl liegt immer weit vorne, wenn es um die Anzahl an abgefangenen Pässen geht, er kann die Spielsituationen also ziemlich gut antizipieren. Mit mehr als acht abgefangenen Pässen pro Spiel (ballbesitz-bereinigt) zählt er auch diese Saison zu den Top10 der Liga. Zudem ist er ein sehr fairer Spieler. Mit weniger als 0.6 Fouls pro 90 Minuten passt er ziemlich gut zum FCSP (und liegt damit auch in den Top10). Interessant: Auch Fouls nutzt er oft taktisch, hat trotz geringer Foulanzahl bereits zehn Gelbe Karten diese Saison gesehen.
Richtig stark wird Hauke Wahl dann, wenn sein Team den Ball hat. Ich möchte ihn zusammen mit Sebastian Schonlau und Eric Smith zu den spielstärksten Innenverteidigern der Liga zählen. Wahl sucht dabei auch oft selbst den Weg nach vorne (meiste progressive Läufe aller Innenverteidiger) und zeigt sich üblicherweise sehr passsicher trotz kreativem Risiko im Aufbauspiel (in der Saison 18/19 hatte er die beste Passquote ins letzte Drittel aller IV’s der Liga).
Bundesliga-Niveau
So ist Hauke Wahl trotz der kleinen oder etwas größeren Nachteile in den klassischen Innenverteidiger-Anforderungen ein Spieler, der sicher auch von dem ein oder anderen Erstligisten genauer angeschaut wurde. Sein GSN-Index liegt aktuell bei 64.00 und potenziell bei 65.41 – Indices zwischen 60 und 70 bedeuten Bundesliga-Niveau. Der FC St. Pauli erfährt durch den Wahl-Transfer laut dem Global Soccer Network also eine Aufwertung, vor allem in Sachen Aufbauspiel.
Signal und Dominostein
Ganz sicher haben sich alle ambitionierten Zweitligisten mit dem auslaufenden Vertrag von Hauke Wahl beschäftigt. Dass der FC St. Pauli den Zuschlag erhält, hat entsprechende Signalwirkung. Vielleicht ist es auch ein Signal für weitere anstehende Aktivitäten im Kader des FCSP. Denn in der Innenverteidigung herrscht nun ein Überangebot: Mit Smith, Medic, Nemeth, Dzwigala, Mets, Beifus, Fazliji und nun Wahl stünden acht Spieler für drei Positionen im Kader. Es wäre sehr verwunderlich, wenn dieser Neuzugang nicht auch mit einem Abgang einhergeht. Basierend auf den Skills ist er sicher am ehesten Ersatz für Eric Smith, aber diesen Gedanken führe ich einfach nicht fort.
Offensiv: Verstärkung! Defensiv: ?
Hauke Wahl ist ein sehr guter Innenverteidiger, der dem Aufbauspiel des FC St. Pauli ganz sicher guttun wird. Schwächen in der klassischen Defensivarbeit kann er oft durch Spielintelligenz ausgleichen, aber sicher nicht immer. Es ist zu hoffen, dass der FCSP bei der Verpflichtung genau die Gründe analysiert hat, warum Holstein Kiel in vier der fünf Saisons mit Wahl als Stammspieler jeweils mehr als 50 Gegentreffer in der Liga gefangen hat.
Da Wahl nach seiner Erkrankung nicht mehr ganz an seine Bestform anknüpfen konnte und bereits 29 Jahre alt ist, gibt es ein Fragezeichen, ob er diese Form erneut erreichen kann. Ich persönlich denke übrigens, dass die einzige „Alterserscheinung“ seines Spiels eine Verbesserung sein wird. Denn sein Agieren bei Ballbesitz ist nicht abhängig von physischen Eigenschaften, sondern eher von Spielintelligenz und die steigt ja mit mehr Erfahrung sogar noch an. Wenn er es also schafft an das Level in Kiel anzuknüpfen, ein paar neue Reize, Ansätze und Ideen bekommt und Smith zudem bleibt, dann wird das Aufbauspiel des FCSP auf ein neues Level, vermutlich das höchstmögliche in der 2. Bundesliga, gehoben werden.
Herzlich Willkommen am Millerntor, Hauke Wahl!
// Tim
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Sofern nicht anders markiert, stammen sämtliche Statistiken von Wyscout.
Dürfen wir gespannt sein, wie unsere IV kommende Saison aussehen wird oder gar unser System. Aus deiner Aufzählung würde ich persönlich Medic gegen eine hohe Ablöse ziehen lassen und Fazliji dürfte gehen, da er kein einziges Mal annähernd seine Vorschusslorbeeren bestätigen konnte und eher durch eine dumme rote Karte auffiel.
Herzlich willkommen lieber Hauke!
Eine Frage hätte ich: Warum Finn Wa(h)l? Was haben sich deine Eltern dabei gedacht?
😀
Die Verpflichtung deutete sich ja bereits länger an – 100 % hat sich mir der Sinn noch nicht erschlossen. Denn er ist meiner Meinung nach kein RIV für eine Dreierkette, weil es ihm dafür schlicht an Tempo fehlt. Zudem halte ich viel von Nemeth, der wahrscheinlich dort auch eingeplant ist. Es bleibt eigentlich nur die Smith Position – und da hoffe ich doch auch stark, dass dieser uns erhalten bleibt (er ist übrigens mit einer Endgeschwindigkeit von über 34 km/h gar nicht so langsam…). Wahl dürfte aber sicherlich nicht mit der Aussicht auf einen Bankplatz geködert worden sein. Soll Smith (oder Wahl) also ins MF? – und wenn: bedeutet dies eine Systemumstellung, womöglich hin zu 3-4-3 Raute? Oder die Rückkehr zur Viererkette?
Selbst in dem Fall, dass Medic – wie es zu erwarten ist – den Verein verlassen wird, bleiben bei mir eine Menge Fragezeichen, nicht nur im Hinblick auf sein Leistungsvermögen, sondern ganz grundsätzlicher Natur. Klar ist aber: Als BU für den ja doch öfters von Wehwechen geplagten Smith wäre Wahl eine extrem starke Besetzung. Mit Nemeth, Smith, Wahl, Mets und Dzwigala hätten wir eine Vorzeige-IV für Zweitligaverhältnisse.