Erfahrung statt Breite

Erfahrung statt Breite

Sieben neue Spieler hat der FC St. Pauli diesen Sommer verpflichtet. Ihre Erfahrung zeigt, dass die Ambitionen beim FCSP gestiegen sind.
(Titelbild: Stefan Groenveld)

Der FC St. Pauli ist sehr selbstbewusst in die Saison gestartet. Anfang Juli sagte Andreas Bornemann im kicker-Interview: „Wir sehen die Rückserie nicht als Bürde, sondern als Verpflichtung“ und erklärte: „Wir wollen ausdrücklich nicht großspurig wahrgenommen werden, aber es geht schon darum, dass wir uns nicht kleinmachen. Wir machen kein Hehl daraus, dass wir sehr ambitioniert sind.“
Wie groß diese Ambitionen sind, zeigt sich auch an der Zusammenstellung des Kaders, bei der spätestens seit diesem Sommer ein anderer Weg gegangen wurde.

Kader verkleinert

Fünf Spieler hat der FC St. Pauli diesen Transfersommer neu verpflichtet: Hauke Wahl (aktueller GSN-Index: 64.0 – alle Werte über 60 bedeutet Bundesliga-Niveau; alle über 70 internationale Klasse), Philipp Treu (57.3), Andreas Albers (57.7), Danel Sinani (64.1), Scott Banks (56.6) und zuletzt Simon Zoller (61.8). Dazu wurde bei Karol Mets (60.5) die Kaufoption gezogen und Luca Günther erspielte sich aus der U23 kommend mit einer guten Vorbereitung Kaderplatz und Profivertrag. Macht also sieben Spieler, die neu mit dabei sind.

Sieben Neuzugänge, zwölf Abgänge

Auf der Gegenseite haben Jakov Medic, Betim Fazliji, Afeez Aremu, Lukas Daschner, Leart Paqarada, Jannes Wieckhoff, Marcel Beifus, Luca Zander, Dennis Smarsch, Franz Roggow, David Otto und Igor Matanovic den FC St. Pauli verlassen. Das sind insgesamt zwölf Spieler, die den Kader verlassen haben (Christopher Avevor trainierte bereits seit November 2020 nicht mehr bei den Profis mit – ihn habe ich daher nicht dazugezählt). Der Kader wurde also erheblich verkleinert, selbst unter Hinzuziehung von U23-Spielern, die teilweise nun teilweise mittrainieren.

So zählt der aktuelle Kader dann insgesamt 25 Spieler, ohne die zumeist in der U23 eingesetzten (und oft auch dort trainierenden) Lennart Appe, Bennet Winter und Max Marie. Das ist im Ligavergleich ein kleiner Kader. Nur in Fürth und Düsseldorf, die durch Zoller-Transfer mit dem FCSP hätten gleichziehen können, haben weniger Spieler in ihren Reihen. Da drängt sich natürlich sofort die Frage auf, ob dieser Kader vielleicht etwas zu klein ist. Später mehr dazu.

Paradigmen-Wechsel in Transferpolitik?

Denn auffällig ist noch eine andere Sache. Eine, die nicht viel weniger als ein Paradigmen-Wechsel in der Kader-Entwicklung und Transferpolitik des FC St. Pauli zu sein scheint. Lange Zeit galt der Fokus des FC St. Pauli auf dem Transfermarkt Spielern, denen die Attribute „jung“ und „entwicklungsfähig“ zuzuschreiben waren. Nun möchte ich keine Altersdiskriminierung betreiben und man lernt ja auch nie aus. Aber mit Spielern wie Albers (33 Jahre), Wahl (29) und zuletzt Zoller (32) hat der Kader viel Erfahrung hinzubekommen. Auch Danel Sinani ist mit 26 Jahren bereits in einem Alter, in denen Marktwerte eher nicht mehr erheblich steigen. Vor einem halben Jahr in der Winterpause galt dies auch für Karol Mets (30) und Maurides (29). Diese Spieler sind sicher noch nicht am Ende ihrer Entwicklungsfähigkeit, aber für Fußball-Profis auch alles andere als jung.

Ältester FCSP-Kader seit…?

So hat der Kader des FC St. Pauli nun ein Durchschnittalter von 26,2 Jahren. Nie, seit der FCSP wieder in der 2. Bundesliga spielt (also seit der Saison 11/12), war der Kader älter. Das bedeutet auch, dass sich viele Spieler leistungsmäßig aktuell auf ihrem Karrierehoch befinden. Und in genau diesen Kader hinein wurden weitere erfahrene Spieler verpflichtet. Spieler, die nicht innerhalb des Vereins entwickelt werden sollen, um in ein oder zwei Jahren zu helfen, sondern die sofort am Wochenende auf dem Platz helfen sollen. Das unterstreicht die Ambitionen, mit denen der FCSP unterwegs ist.

Und so passt auch der letzte Transfer dieses Sommers für den FCSP: Mit dem 32-jährigen Simon Zoller wurde dann doch der mögliche „Knaller, Kracher, Knipser“ und „Star“ verpflichtet, dessen aktive Suche vor wenigen Wochen noch verneint wurde (Abendblatt (€)). Es könnte nun aber wohl genau der Spieler für das Sturmzentrum gekommen sein, den das Team benötigt, um seinen Ambitionen gerecht werden zu können. Andreas Bornemann sagte nach dem Spiel in Braunschweig über Zoller: „Vielleicht ist er das Puzzleteil, das noch gefehlt hat.“

Mit durchschnittlich 26,2 Jahren hat der FC St. Pauli den ältesten Kader seit… ja, seit wann eigentlich?
(c) Stefan Groenveld

Kein Plan B zu Zoller

Nach Ansicht vieler Fans des FC St. Pauli war dieser Transfer zwingend notwendig. Weil es, und das zeigt sich unter anderem klar am aktuellen Torverhältnis, einen Leistungsunterschied zwischen Offensive und Defensive zu geben scheint. Der FCSP ist auf vielen Kader-Positionen so stark besetzt, dass man dem Club Aufstiegsreife attestieren möchte. Nur ganz vorne gab es nach Ansicht vieler einen Leistungsabfall. Ob dieser einzig mit der Verpflichtung von Simon Zoller ausgeglichen werden kann, muss zwar abgewartet werden, doch er passt ziemlich gut ins Anforderungsprofil (Bornemann: „Simon ist ein zu unserer Spielweise passender mobiler Stürmer“).

Interessant ist, dass anstelle von Zoller kein anderer Stürmer zum FC St. Pauli gekommen wäre. Auch nicht Igor Zlatanovic, der in den Tagen zuvor gehandelt wurde (GSN-Index: 63.2, Prognose: 71.2 – die Zahlen wollte ich unbedingt unterbringen, weil ich sie bereits eingeholt hatte – und ja, auch für uns waren die letzten Tage der Transferperiode hektisch…). Andreas Bornemann erklärte jedenfalls, dass es keinen Plan B zum Zoller-Transfer gegeben habe und verwies in dem Zusammenhang auf „die Verteilung der Torlast auf mehrere Schultern“, welches auch in der erfolgreichen Rückrunde wichtig gewesen sei.

Kadergröße erfährt Belastungstest

Mit der Verpflichtung Zollers war dann am Freitag noch eine weitere Kaderveränderung wahrscheinlich: Johannes Eggestein hatte im Sommer-Trainingslager gesagt, dass er seine Position im Kader neu bewerten würde, wenn noch ein weiterer Stürmer hinzukommt. Nun schloss das Transferfenster und Eggestein ist weiterhin beim FC St. Pauli, sammelte auch gegen Braunschweig keine Spielminute. Andreas Bornemann erklärte hierzu, dass es im Kader „immer wieder Härtefälle“ gäbe, aber angesichts der Kadergröße „alle Spieler gebraucht werden“, auch Johannes Eggestein.

Kreuzbandriss bei Banks

Die verhältnismäßig geringe Kadergröße dürfte nun einem ersten kleinen, dafür aber länger andauernden Belastungstest unterzogen werden. Scott Banks, der in seinen kurzen Einsätzen für den FC St. Pauli einen sehr guten Eindruck hinterließ, hat sich am Freitag in Braunschweig (kurz nach Schließung des Transferfensters) das Kreuzband gerissen und wird lange Zeit ausfallen. Es ist nicht auszuschließen, dass die Leihgabe von Crystal Palace keine einzige Minute mehr für den FCSP spielen wird. Er wird dem Team auf der offensiven Außenbahn fehlen.

Möglich ist, dass sich im Winter auf dieser Position ein noch größeres Loch auftun wird. Denn Elias Saad hat sich mit guten Leistungen eine Nominierung für die tunesische Nationalmannschaft verdient, wird die nächsten Tage im Kreise dieser verbringen. Da im Winter der Africa-Cup ansteht, ist nicht auszuschließen, dass Saad für diesen auch nominiert wird und dem FC St. Pauli dann entsprechend fehlt. Allerdings ist zu diesem Zeitpunkt das Transferfenster schon wieder geöffnet. Eine weitere Verletzung auf der offensiven Außenbahn vor dem Winter würde aber bereits mehr Sorgenfalten erzeugen.

Erfahren genug um aufzusteigen?

Wie ist diese Transferphase nun zu bewerten? Die getätigten Transfers, mit denen vornehmlich viel Erfahrung in den Kader geholt wurde, unterstreichen auf jeden Fall, dass der FCSP wohl genau jetzt sehr ambitionierte Ziele verfolgt, den Fokus weniger auf die langfristige Entwicklung von Spielern, sondern auf schnelle Erfolge legt. Ob sich der Kader des FC St. Pauli verbessert hat? Das wird natürlich erst die Hinrunde zeigen (und wir werden da auch noch einen daten-basierten Blick drauf werfen).

Nur zwei Gegentreffer aus fünf Spielen zeigen aber bereits, dass der Kader in der Defensive aktuell aufstiegsreif ist. Und die kurzfristige Verpflichtung eines Erstliga-erfahrenen Stürmers zeigt, dass der FCSP dies auch in der Offensive sein möchte. Ach, das bin ich Euch noch schuldig, wann war der Kader des FC St. Pauli (edit: in der 2. Liga) eigentlich zuletzt älter als der jetzige? Diese Antwort könnte Gefallen finden: Es war der Aufstiegskader der Saison 09/10 mit durchschnittlich 26,5 Jahren.
// Tim

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2 thoughts on “Erfahrung statt Breite

  1. Der sehr hohe GSN Wert bei Zlatanovic überrascht etwas. Schließlich ist er mit 25 auch nicht mehr jung und hat bisher in eher drittklassigen Ligen überzeugt.

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