FC St. Pauli vs. FC Schalke 04 3:1 – In der Ruhe liegt die Kraft

FC St. Pauli vs. FC Schalke 04 3:1 – In der Ruhe liegt die Kraft

Der FC St. Pauli gewinnt das Heimspiel gegen den FC Schalke 04 verdient mit 3:1, weil er sich nicht von der Hektik der Gegner hat anstecken lassen. Die Analyse.
(Titelbild: Peter Böhmer)

Vorweg:
Nach dem Spiel versuchten einige Personen aus dem Gästeblock in den Heimbereich der Nordkurve zu gelangen und schafften dies auch. Bei dieser unfassbar schäbigen Aktion wurden mindestens fünf Ordner*innen verletzt, wie der FC St. Pauli nach der Partie mitteilte.
Wir wünschen allen Betroffenen gute Genesung!

Die Aufstellung

Keine Überraschungen gab es in der Startelf des FC St. Pauli. Manolis Saliakas kehrte nach überstandener Erkrankung wieder in die Anfangsformation zurück und verdrängte Philipp Treu auf die Bank. Im Angriff durfte erneut Johannes Eggestein starten. Das Trainer-Team entschied sich auf dieser Position also für Agilität. Und es sollte damit die richtige Wahl getroffen haben, wie das Spiel zeigte. Simon Zoller fehlte im Kader aufgrund weiterer kleiner muskulärer Probleme.

Beim FC Schalke 04 gab es drei neue Spieler in der Startelf im Vergleich zum wilden 4:3-Heimerfolg gegen Magdeburg: Sechser Ron Schallenberg kehrte nach seiner Rotsperre zurück und ersetzte Assan Ouedraogo. Yusuf Kabadayi (für Tobias Mohr) feierte nach zuvor drei Einwechslungen sein Startelfdebüt auf der offensiven Außenbahn. Zudem ersetzte erwartungsgemäß Michael Langer den verletzten Marius Müller im Tor.

Aufstellung beim Spiel FC St. Pauli gegen FC Schalke 04

An die Wand gespielt

In den ersten rund 30 Minuten der Partie – also fast genau bis zum, zu diesem Zeitpunkt völlig unverdienten, Ausgleich der Schalker – spielte der FC St. Pauli ganz fantastischen Fußball. Der Blick in die Statistik zeigte nach 20 Spielminuten zwei Drittel Ballbesitz für den FCSP, 6-0 Torschüsse und 42-7 erfolgreiche Pässe in der gegnerischen Hälfte. Wie hat der FCSP es geschafft, die individuell so starken Schalker komplett an die Wand zu nageln?

Eigentlich hat sich da gar nicht so viel getan in Sachen Positionierung. Der FCSP baute weiter mit einem 2-4-4 initial auf, dieses Mal selten bis nie in einem 2-3-5. Auffällig war, wie synchron Eggestein und Hartel agierten, indem sie sich beide in den offensiven Halbraum bewegten. Der eine fiel dazu aus der Stürmerposition zurück, der andere rückte von der Sechs nach vorne vor. Da Schalke sehr mannorientiert agierte (S04-Trainer Reis betonte nach der Partie, dass das nicht immer der Fall gewesen sei), konnte der FCSP durch Rotationen einige Probleme bei den Gästen auslösen. Entsprechend der Mannorientierung agierte Schalke also in einem 4-4-2 in defensiver Grundordnung.

Hartel zieht Innenverteidiger raus

Diese Rotationen des FC St. Pauli sind so herrlich vielfältig gewesen, dass ich gar nicht alle aufschreiben kann und möchte. Eine Sache war aber sehr auffällig im Spielverlauf: Marcel Hartel wurde von Timo Baumgartl auch dann noch eng bewacht, wenn er sich aus seiner hohen Position wieder in den Achterraum fallen ließ. Dieses Verhalten nahm Hartel zum Anlass, um gegen Ende der ersten 45 Minuten auch mal im Sechserraum zu verbleiben oder auf die linke, teilweise sogar auf die rechte Seite zu schieben (Hürzeler erklärte hierzu nach der Partie: „Wir wollten damit den Innenverteidiger fordern, weite Wege zu gehen“). Das Verhalten von Hartel, das Rausziehen eines Innenverteidigers, sorgte dafür, dass sich für Eggestein und Elias Saad immer wieder tiefe Laufwege anboten.

Es gab aber, wie gesagt, noch viele weitere Rotationen vom FC St. Pauli, welche die Schalker Defensive immer wieder vor schwierige Entscheidungen stellten. Dem FCSP gelang es so, allein durch sich verändernde Positionierungen ungünstige Staffelungen in der Schalker Hintermannschaft zu erzeugen. Die Schwäche im Defensivverhalten mit einer starken Mannorientierung wurde also gekonnt und schonungslos offengelegt. Hürzeler erklärte bereits vor der Partie, dass sein Team Lösungen gegen diese Spielweise habe und diese auch schon im Saisonverlauf gezeigt habe. In der ersten halben Stunde der Partie wurde deutlich, wie gut der FCSP mit so einer gegnerischen Spielweise klarkommen kann.

Aufbauspiel des FC St. Pauli
links: Marcel Hartel und Johannes Eggestein bilden im Aufbau eine Doppel-10, dahinter agiert der FCSP mit einem 2-4-Aufbau. Schalke 04 reagierte mit extremer Mannorientierung und entsprechend in einem 4-4-2.
rechts: Die mannorientierte Spielweise der Schalker war so extrem, dass Innenverteidiger Timo Baumgartl Gegenspieler Hartel auch teilweise bis in den gegnerischen Sechserraum folgt – und so Platz für FCSP-Angriffe schuf.

Es kracht bei S04

Schalkes Innenverteidiger Timo Baumgartl sagte im Anschluss an die Partie im Sky-Interview, dass die eigene Verteidigungsweise ein „Spiel mit dem Feuer“ sei und man sich nicht hätte beschweren dürfen, wenn es nach 30 Minuten 0:3 aus Sicht der Schalker steht. Das waren ziemlich klare Worte in Bezug auf die gewählte Taktik. S04-Trainer Thomas Reis erklärte auf der Pressekonferenz, angesprochen auf die deutlichen Worte von Baumgartl, dass sich „jeder an die eigene Nase fassen“ müsse und dass die Mannorientierung seines Teams funktioniert habe, sobald das Team aktiv gewesen sei. Das wird sicher eine gemütliche Rückfahrt nach Gelsenkirchen gewesen sein. Aus der Ferne betrachtet kann man eigentlich nur froh sein, dass man das aus der Ferne betrachtet und so eine Baustelle nicht beim eigenen Club hat (die Worte und die Situation auf Schalke hat der kicker ganz gut zusammengefasst).

Von der Hektik anstecken lassen

Was nach diesem Rausch folgte, war ein Lehrbucheintrag für eine „Nimm Du ihn, ich hab ihn sicher“-Aktion. Manolis Saliakas und Hauke Wahl waren sich beide sicher, dass sie zum Ball kommen – und haben ihn dann freundlicherweise Thomas Ouwejan überlassen. Die Schalker zeigten dann mal ganz kurz, warum sie als das individuell beste Team der Liga gelten: Ouwejan spielt einen punktgenauen Pass an den Fünfmeterraum und Sebastian Polter machte völlig aus dem Nichts den Ausgleich.

Dieser Ausgleich war so etwas wie der Auftakt in eine ganz schwierige Phase für den FC St. Pauli. Hürzeler sagte, dass die Schalker in dieser Phase sehr konsequent in den persönlichen Duellen agiert hätten und erklärte weiter: „Nach dem Gegentor haben wir den Faden verloren, nicht mehr die Klarheit gehabt im Spiel mit dem Ball und wurden zu hektisch nach Ballgewinnen. Dann war es wirklich kein gutes Spiel mehr.“

Dann aber kam der FC St. Pauli seinerseits etwas aus dem Nichts zurück und ging während der wohl stärksten Phase der Schalker erneut in Führung. Wieder erzielte Marcel Hartel den Treffer, bereits seinen vierten in dieser Saison. Dem Tor ging insgesamt ein wirklich gelungener Spielzug voraus. Entscheidend ist dann der Ableger von Johannes Eggestein gewesen, der über die 60 Minuten Spielzeit zeigte, dass man nicht 1,90m groß sein muss, um für das eigene Team eine Art Wandspieler zu sein. Sehr oft versuchte er, mit einem Kontakt seine Mitspieler zu bedienen und agierte damit als eine klassische „Relais-Station“ für nachrückende Spieler. Ein Tor war ihm, trotz großer Doppelchance vor dem Elfmeter, aber nicht vergönnt. Und so wartet der FC St. Pauli auch nach sieben Spieltagen immer noch auf den ersten Treffer eines Mittelstürmers, kann sich dafür aber wieder an der Torgefahr des eigenen Mittelfelds erfreuen.

Mit mutigem Aufbau das Spiel beruhigt

Das Tor sorgte zwar dafür, dass der FC St. Pauli im Ballbesitz wieder etwas sicherer wurde. Von Ruhe im Spiel konnte aber keine Rede sein. Weil Schalke sie nicht wollte. Das Team von Thomas Reis agierte dabei viel zu oft brutal einfach: Etwas Gegnerdruck reichte bereits aus, um den langen Ball zu forcieren, der dann zielsicher auf Sebastian Polter flog. Dieser Fokus auf die zweiten Bälle ist und bleibt schwierig, sowohl aus ästhetischer Sicht, aber auch für die Defensivarbeit. Denn wenn ein gegnerisches Team nicht nur lange Bälle spielt, sondern auch noch einen richtigen Turm wie Polter vorne drin hat und dazu technisch versierte nachrückende Spieler, dann kannst Du diese Situationen nicht alle sauber wegverteidigen. Entsprechend wurde es mehrfach gerfährlich für das FCSP-Tor.

Es gibt zwei Möglichkeiten, um gegen diese Spielweise erfolgreich zu sein: Zum einen kannst Du versuchen, den langen Ball zu verhindern oder besser gesagt die Genauigkeit des langen Balls zu verringern, indem Du die gegnerische Abwehrreihe massiv störst, wenn sie den Ball hat. Hierzu wurde nach rund einer Stunde Andreas Albers eingewechselt, wie Fabian Hürzeler nach der Partie erklärte.
Noch eleganter ist es aber, wenn man das Spiel auf zweite Bälle des Gegners verhindert, indem der Gegner den Ball gar nicht hat. Auch das gelang dem FC St. Pauli im Verlauf der zweiten Halbzeit wieder besser, wenngleich Hürzeler deutlich sagte, dass sein Team zwischenzeitlich Glück gehabt und teilweise „schlecht verteidigt“ habe.

Hamburg, Deutschland, 23.09.2023, 2. Bundesliga, Fussball - Marcel Hartel feiert seinen Treffer zum 1:0 für den FC St. Pauli im Spiel gegen den FC Schalke 04. - Copyright: Peter Boehmer DFL regulations prohibit any use of photographs as image sequences and/or quasi-video.
Marcel Hartel erzielte im Spiel gegen Schalke 04 bereits seine Saisontreffer drei und vier.
(c) Peter Boehmer

…und dann kam Boukhalfa!

Schlecht verteidigt passt dann aber auch noch viel besser zu dem, was Schalke 04 anbot. Dem FC St. Pauli gelang es im Aufbauspiel mehrere Male, mit einem flachen Pass durch das Zentrum in die Spitze zu eröffnen. Auch wenn es sich im Stadion in vielen dieser Situationen nicht so anfühlte, war das Spiel nahe am eigenen Tor unter großem Gegnerdruck einer der wichtigsten Faktoren, um wieder Stabilität ins eigene Spiel zu bekommen. Denn dadurch konnten die Schalker so weit gelockt werden, dass dann eben Räume für Offensivaktionen vorhanden waren. Dass es dabei oft möglich war, per Flachpass durch das Zentrum in die Spitze zu spielen, ist ein Zeugnis der hohen spielerischen Qualität des FCSP, der Sicherheit in den eigenen Abläufen und dem Selbstbewusstsein des Teams – aber es ist auch ein desaströses Zeugnis für das Defensivverhalten von Schalke 04. Und ich denke, dass dies das Spiel und den Spielverlauf recht gut zusammenfasst.

Und dann kommt da ganz kurz vor Abpfiff noch Carlo Boukhalfa um die Ecke! Meine Güte, der muss den Ball eigentlich zu Marcel Hartel rüberschieben, der mutterseelenallein im Zentrum stand. Doch Boukhalfa, der erneut eingewechselt wurde und alles andere als eine leichte Zeit hatte, entschied sich für einen eigenen Abschluss. Mit gütiger Mithilfe eines S04-Körpers ging der Ball ins Tor – und wie sich das gesamte Team im Anschluss mit ihm freute und sich auf ihn schmiss, da dürfte vielen das braun-weiße Herz aufgegangen sein.
(Was Boukhalfa dazu zu sagen hat, welche passenden Worte Hauke Wahl nach dem Spiel zur aktuellen Situation des FCSP fand und wer das Vorbild von Eric Smith ist – all das folgt im Stimmen-Artikel zur Partie.)

Spitzenteam!

Nach zwei Siegen in Folge wurde nun, zumindest für eine Nacht, mit dem Tabellenführer aus Düsseldorf gleichgezogen, geradewegs vorbei am HSV. Acht Tore erzielte der FCSP in diesen beiden Spielen. Überlegt mal, wie die Gemütslage vor der Länderspielpause, nach dem enttäuschenden 1:1 in Braunschweig war – diese Stimmung von vor wenigen Wochen fühlt sich gerade ganz schön weit weg an. Und das – dieses Hochgefühl aufgrund der Erkenntnis, dass der FC St. Pauli gerade wie ein Spitzenteam spielt – fühlt sich ganz schön gut an.

Immer weiter vor!
// Tim

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5 thoughts on “FC St. Pauli vs. FC Schalke 04 3:1 – In der Ruhe liegt die Kraft

  1. Klar, dass Baumgartl nach dem Spiel gefrustet ist, wenn seine Aufgabe ist Hartel über den ganzen Platz zu folgen 😀 Das kann vermutlich nur Eliud Kipchoge..
    Und wie Smith als Quarterback die Bälle verteilt ist einfach Weltklasse!
    Auch sehr nice für Eggestein und Boukhalfa! Das die auf einmal wieder ne Rolle spielen hätte ich nicht erwartet und die wahrscheinlich selber auch nicht..

  2. Eine unfassbare Woche. Die Geschlossenheit und der Zusammenhalt im gesamten Kader ist ein riesiges Plus. Und wer ist eigentlich Herr Irvine? Die Abwehr war gestern schwach, aber das Team ist so unglaublich zuversichtlich und diszipliniert. Danke für den Bericht!

  3. Riesen-Geschichte, wie unsere Mannschaft sich auch nach dem blöden und unnötigen Ausgleich
    nicht hat aus der Ruhe bringen lassen…..großartiger Sieg und schön nachgelegt….nach dem 5:1
    vom Vorwochenende…..
    Dann sehe ich es genauso wie Yannick und freue mich riesig für die lange in der 2. + 3. Reihe
    stehenden Eggestein und Boukhalfa !! Herzlichen Glückwunsch zu diesen Comebacks 🙂
    Mit Irvine + Zoller haben wir jetzt zudem noch jede Menge Qualität inpetto,da wird mir nicht bange
    Forza FCSP

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