Vorbericht: Hertha BSC – FC St. Pauli (8. Spieltag, 23/24)

Vorbericht: Hertha BSC – FC St. Pauli (8. Spieltag, 23/24)

Der FC St. Pauli tritt am Samstagabend, begleitet von unzähligen Fans, bei Hertha BSC an. Das ist aktuell der denkbar schwerste Gegner – für beide Seiten. Der Vorbericht.
(Titelbild: Peter Böhmer)

Zur Vorbereitung empfehle ich das sehr gute „Vor dem Spiel“-Gespräch von Yannick mit Chris, der auch beim Podcast HerthaBASE aktiv ist.
Begleitet wird der FC St. Pauli von mindestens 11.700 Fans. So viele Tickets hat der FCSP verkauft. Eine Zahl von gut 13.000 Unterstützer*innen ist zu erwarten, da sich viele auch in den umgebenden Heimblöcken Tickets sicherten. Ohne es genau nachvollzogen zu haben, dürfte das für ein Auswärtsspiel des FCSP ein Rekord sein. Was genau so ein Auswärtsblock an einem guten Abend auf die Beine stellen kann, wissen alle, die anno 2007 im Weserstadion waren, um dem Team zum Sieg gegen die zweite Mannschaft von Werder Bremen zu verhelfen (damals waren knapp unter 10.000 Leute mit dabei).

FC St. Pauli: Wer kann spielen, wer fehlt?

Scott Banks – Das ist der einzige Spieler, der wirklich sicher ausfallen wird. Das bedeutet, dass Jackson Irvine und Simon Zoller in Berlin im Kader stehen könnten. Bei Irvine verläuft die Heilung ziemlich gut (und das ist stark untertrieben). Er stieg am Donnerstag bereits wieder ins Team-Training ein. Zoller ist da vielleicht sogar etwas hinten dran, aber auch er könnte in Berlin im Kader stehen, erklärte Fabian Hürzeler auf der Pressekonferenz vor dem Spiel.

Es ist also aktuell richtig voll auf dem Trainingsplatz. Allein die Situation in der Offensive (Eggestein, Albers, Maurides, Amenyido, Afolayan, Saad, Sinani, Zoller) zeigt, dass bereits bei der Auswahl des Spieltagskaders harte Entscheidungen getroffen werden müssen. Ob man daher Spieler mitnimmt, die unter der Woche nicht voll mittrainieren konnten? Damit ist eher nicht zu rechnen, zumal die Ergebnisse zuletzt auch ohne diese Spieler passten.

Hertha BSC: Wer kann spielen, wer fehlt?

Bei Hertha BSC ist die Liste der Ausfälle etwas länger. Eine Rückkehr von Torwart Marius Gersbeck ist noch nicht in Sicht. Zumindest hat sich Hertha BSC dazu noch nicht geäußert. Gersbeck wurde am Donnerstag zu einer Geldstrafe nach der Anklage aufgrund schwerer Körperverletzung verurteilt, bzw. das Verfahren aufgrund dieser Anklage endete mit einer „Diversion“, einer in Österreich durchaus üblichen Variante mit Zahlung einer Geldstrafe, die weder Verurteilung noch Freispruch ist. Der Bedarf im Tor ist aufgrund der guten Leistungen vom jungen Tjark Ernst aktuell aber auch nicht ganz so groß.

Drei weitere Spieler fallen gegen den FC St. Pauli sicher aus: Innenverteidiger Agustin Rogel hat aufgrund einer Knie-OP in dieser Saison noch gar nicht mitwirken können. Auch die talentierte Offensivkraft Ibrahim Maza fällt bereits länger aufgrund einer Knieverletzung aus. Zudem verletzte sich mit Palko Dardai einer der drei Trainersöhne im Kader der Hertha und wird auch gegen den FCSP nicht dabei sein können. Wieder einsatzbereit ist Smail Prevljak, der noch am Anfang der Woche aufgrund muskulärer Probleme mit dem Training aussetzen musste.

Was hat die Hertha zu bieten?

Nach einem unterirdischen Saisonstart mit drei Niederlagen und 0:5 Toren, hat sich Hertha BSC in den letzten Wochen in ganz anderer Form präsentiert: Drei Siege gab es aus den folgenden vier Spielen, verloren wurde einzig völlig wild mit 4:6 in Magdeburg. Satte 15 eigene Treffer erzielten die Berliner in diesen vier Spielen. Wie kommt dieser krasse Unterschied zwischen dem Saisonstart und den letzten Spielen zustande?

Wie für Absteiger üblich, dürfte es daran liegen, dass es im Hertha-Kader einen apokalyptischen Umbruch gegeben hat. Doch während andere Abstiegskader bereits zum Trainingsauftakt üppig zusammengestellt sind, hat Hertha aufgrund der argen Finanzlücken erst einmal Spieler verkaufen müssen, ehe neue Spieler verpflichtet werden konnten. Das führte dazu, dass viele wichtige Neuzugänge erst kamen, als die neue Saison bereits lief. Diese Neuzugänge haben sich inzwischen aber akklimatisiert und nun ist Hertha BSC aktuell neben dem FC St. Pauli sicher das heißeste Eisen in der 2. Bundesliga (Hürzeler: „Mit Hertha BSC erwartet uns eine Mannschaft, die enorme individuelle Qualität hat und sich jetzt gefunden hat.“).

BERLIN, GERMANY - SEPTEMBER 17: Haris Tabakovic of Hertha BSC celebrates with team mates after scoring the team's second goal during the Second Bundesliga match between Hertha BSC and Eintracht Braunschweig at Olympiastadion on September 17, 2023 in Berlin, Germany. (Photo by Maja Hitij/Getty Images)
Hertha BSC hatte, nach schwachem Saisonstart, zuletzt ordentlich was zu feiern.
(Maja Hitij/Getty Images/via OneFootball)

Defensiv anfällig oder kompakt?

Der Blick in die Statistiken ist gar nicht mal so erhellend, wie man sich das wünscht. Hürzeler betonte, dass Hertha wisse, „wie man verteidigt“ und „sehr kompakt“ stehe. Das Team agiert dabei punktuell im hohen Pressing, oft aber auch in einem tiefen 4-4-2 (flach), also mit zwei Viererketten. Zeitweise versuchte es die Hertha mit einem 4-3-3, aber spätestens mit der Verletzung von Palko Dardai wurde diese Formation verworfen.

Wie kompakt das alles ist? Das ist ganz schwer zu sagen. Hertha hat jedenfalls die meisten Torschüsse aller Zweitligaclubs zugelassen (mehr als 14 pro Spiel) und einen mehr als doppelt so hohen gegnerischen xG-Wert vorzuweisen wie der FCSP. An diesen Zahlen hat sich auch in den zuletzt erfolgreichen Spielen nichts verändert. Die Wahrscheinlichkeit ist also hoch, dass der FC St. Pauli in der Offensive zu seinen Chancen kommen wird. Genauso wahrscheinlich ist es, dass auch die Hertha offensiv präsent sein wird.

Denn zwar stellt der FC St. Pauli nach allen relevanten Parametern die beste Defensive der Liga, doch die Hertha ist nach ihrem torlosen Auftakt in den ersten drei Ligaspielen ein ziemliches Offensivmonster geworden (Hürzeler: „Hertha ist immer in der Lage, ein Tor zu schießen.“). Das Team zeichnet sich durch die beste Dribblingquote, den zweithöchsten xG-Wert pro Abschluss und die meisten Schnittstellenpässe der Liga aus – die Statistiken zeigen in diesem Fall recht deutlich, was die Hertha offensiv so stark macht.

Tempo über Außen, Ziel im Zentrum

Während das Team auf den Außenverteidigerpositionen zwei Spieler hat, die mit spielerischen Qualitäten überzeugen (Karbownik und ja… Dudziak), sind es auf den offensiven Außenpositionen das enorme Tempo und die Dribbelstärke von Fabian Reese und Marten Winkler, die momentan allen Gegnern Probleme bereiteten. Fabian Hürzeler erklärt: „Beide haben ein sehr gutes 1-gegen-1, können immer wieder Tiefgang auslösen.“ – Reese sticht dabei mit den drittmeisten Flanken und dem zweithöchsten xA-Wert (expected assists – ja, sowas gibt es auch) der Liga hervor. Klar ist, dass die Geschwindigkeit von Reese gegen Hauke Wahl schon ein Mismatch wäre. Wahl gelang es aber auch gegen Schalkes Murkin, das fehlende Tempo durch gutes Stellungsspiel und Zweikampfstärke wettzumachen.

Im Angriffszentrum befindet sich dann wohl der aktuell angesagteste Spieler der Liga: Haris Tabakovic kam Anfang August nach Berlin und hat sich nach kurzer Abtastphase zum absoluten Fixpunkt der Offensive entwickelt. Aufgrund seiner Körpergröße von 1,94 m und ordentlicher Präsenz in der Luft, kann die Hertha auch auf lange und zweite Bälle spielen, erklärt Hürzeler, besonders, weil sie zusätzlich auch noch das Tempo über die Außenbahnen haben. Tabakovic selbst ist einfach in bemerkenswerter Form: 85 % seiner Abschlüsse gingen bisher auch auf das Tor, sieben Treffer hat er bereits erzielt. Weitere werden in dieser Saison sicher folgen.

Umschaltspiel erneut ein Problem?

Hertha BSC hat also dank Reese, Winkler und Tabakovic jederzeit die Möglichkeit, das Offensivspiel über lange Bälle anzutreiben. Aber inzwischen schaffen sie es auch immer besser, sich nach vorne zu kombinieren. Dafür ist ein weiterer später Neuzugang mitverantwortlich: Sechser Andreas Bouchalakis ist recht pressingresistent und weiß auf dieser Position etwas mit dem Ball anzufangen. Dazu wird er von spielstarken Außenverteidigern flankiert und hat mit Marton Dardai (oder Bilal Hussein?) einen stabilen Partner neben sich.

„Diese Umschaltgeschichte, da sind wir gut,“ sagte Hertha-Trainer Pal Dardai vor der Partie (und ich finde diesen Satz großartig). Sicher wohlwissend, dass die Verteidigung des gegnerischen Umschaltspiels zuletzt nicht die große Stärke des FC St. Pauli gewesen ist. Vielmehr war das genau das Problem gegen Kiel und Schalke, wie Hürzeler erklärte: „Was mir in den beiden Spielen nicht gefallen hat, war der gegnerische Tiefgang, also das, was auch Hertha gut macht.“ Dabei nahm Hürzeler das gesamte Team in die Pflicht, weil es in einigen Situationen nicht gelungen war, vorne Balldruck zu erzeugen oder sich hinten, wenn der Balldruck vorne fehlte, tiefer fallen zu lassen.

Mögliche Aufstellung

Bei der Hertha gehe ich mal von keinen personellen Wechseln aus. Denkbar wäre am ehesten, dass Bilal Hussein Marton Dardai im zentralen Mittelfeld ersetzt. Ansonsten dürfte das Team unverändert in einem 4-2-3-1 antreten. Die Formation hat sich im Vergleich zum Saisonstart schon verändert, weil es nun einen klaren Zehner (vielleicht sogar zweiten Stürmer) mit Smail Prevljak gibt und eine Doppelsechs (vorher: Ein Sechser und zwei Achter – ein 4-3-3)

Erwartete Aufstellung beim Spiel Hertha BSC gegen den FC St. Pauli
Erwartete Aufstellung beim Spiel Hertha BSC gegen den FC St. Pauli

Auch beim FC St. Pauli ist nicht davon auszugehen, dass es personelle Veränderungen geben wird. Ähnlich wie Holstein Kiel, ist auch Hertha BSC sehr kopfballstark auf der Sechs und in der Innenverteidigung. Da dürfte erneut Johannes Eggestein versuchen, die Gegenspieler mit seiner Agilität vor Probleme zu stellen. Wenn man gegen diese Kopfballstärke etwas unternehmen wollen würde, dann dürften am ehesten die Namen Irvine und Maurides fallen. Ob beide aber nach kurzer beziehungsweise langer Verletzungspause überhaupt wieder Teil des Aufgebots sind, ist angesichts des ansonsten pickepackevollen Kaders eher unwahrscheinlich.

King Kong vs. Godzilla

Puuuuh… ich sag es, wie es ist: Nächstes Mal fange ich erstmal mit den Stärken des Gegners an und arbeite mich dann zu deren Schwächen vor. Das ist ja sonst maximal frustrierend hier, wenn man erst Hoffnung liest und dann die Worte zur „offensiven Power der Hertha, blablabla“ um die Ohren geballert bekommt. Aber nun ja, so ist es halt auch einfach: Hertha BSC stellt für die Defensive des FC St. Pauli ganz sicher eine echte Feuertaufe dar. Umso besser, dass so viele FCSP-Fans den Weg nach Berlin antreten werden. Zu verstecken braucht man sich nicht mit so vielen Fans im Rücken. Und sowieso muss sich der FCSP vor niemandem in dieser Liga verstecken.

Denn man darf bei all der Lobhudelei für die Hertha nicht vergessen, dass es dem FC St. Pauli in dieser Saison bisher immer gelungen ist, auch sehr spielstarke Teams (Hallo Magdeburg) offensiv kaltzustellen und stattdessen selbst Lösungen zu finden. Darauf darf man zu Recht auch in Berlin hoffen.
Sicher ist: Sowohl aufgrund der Atmosphäre, aber auch aufgrund der Spielstärke beider Teams wird dieses Spiel dem Titel einen Top-Spiels gerecht werden.

Forza!
// Tim

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Sofern nicht anders markiert, stammen sämtliche Statistiken von Wyscout.

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5 thoughts on “Vorbericht: Hertha BSC – FC St. Pauli (8. Spieltag, 23/24)

  1. Wie schön, dass ein echtes Spitzenspiel auf uns wartet
    Die Vorzeichen sind auf beiden Seiten hervorragend und wenn dann auch noch unser Kapitän Irvine
    wieder dabei sein sollte: WOW
    Der DFB hat auch reagiert und schickt sein „bestes Pferd im Stall“ Deniz Aytekin auf den Rasen
    Samstag-Abend, beide Teams zuletzt in Höchstform, über 60.000 Zuschauer, davon ca 13.000 St-Pauli-Anhänger…..!!!
    Ganz Deutschland wird auf dieses Spiel gucken
    Was für eine Vorrfeude !!
    Forza FCSP

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