Nach dem 2:0-Erfolg gegen Kaiserslautern ist die Freude groß beim FC St. Pauli. Das Thema Chancenverwertung bleibt aber weiterhin bestehen.
(Titelbild: Peter Boehmer)
Angesichts der historischen Bestmarken, die der FC St. Pauli in der Hinrunde dieser Saison in den Defensivstatistiken aufgestellt hat, wirkte es kurz vor Weihnachten irgendwie befremdlich, dass Fabian Hürzeler ankündigte den Fokus in der Winterpause darauf legen zu wollen, wieder öfter zu Null zu spielen. Denn da das Ergebnis im Fußball zu einem signifikanten Anteil auch vom Zufall abhängt, kann einfach nicht jeder gegnerische Torschuss verhindert werden. „Man hat gesehen: Selbst wenn man alles verteidigt, kann irgendwie nach einem Standard was passieren,“ sagte Hauke Wahl nach Abpfiff und blies damit ins gleiche Horn. Jagt man also einer Utopie der völligen Gegentorfreiheit hinterher?
Fortschritte in der Defensivarbeit
Hauke Wahl betonte jedenfalls, dass sich die Arbeit in der Winterpause gelohnt habe. Er machte Fortschritte aus bei der Torverteidigung. Damit stimmte sein Trainer überein, der auch Fortschritte ausmachte. Und weil bei der Verteidigung von Standards eben immer etwas passieren kann, legte Fabian Hürzeler den Fokus auf die Entstehung, erklärte, dass die gefährlichen Standards des FCK „vermeidbar“ gewesen wären. Die Akribie in der Arbeit und den Ehrgeiz bei der Umsetzung – Eigenschaften, die Fabian Hürzeler oft nachgesagt werden – werden bei der Arbeit an der Defensive sehr, sehr deutlich. In jedem Fall hat das Spiel gegen den 1. FC Kaiserslautern gezeigt, warum Hürzeler die Null so wichtig ist: Weil vorne zwar (fast) immer was geht, aber vielleicht nicht genug.
Am Samstag sah sich der FC St. Pauli mal wieder einem neuen Verteidigungs-Ansatz gegenüber. FCK-Trainer Grammozis erklärte, man hat gewusst, dass der FCSP gerne über das Zentrum und per Kurzpass aufbaut. Entsprechend parkte das Team den Bus a.k.a. stellte sich im 5-4-1 auf, wenn sie nicht im Ballbesitz waren. Allerdings nicht, wie mit dieser passiven Spielweise üblich, kurz vor dem eigenen Tor, sondern in engen Abständen auf Höhe der Mittellinie. Das sorgte dafür, dass beim FCSP ein bisher eher selten genutztes Stilmittel in Mode kam und für einige offensive Höhepunkte sorgte: Der gute alte lange Ball.
Wieder Lösungen gefunden
Doch dieser Ansatz brauchte etwas, um richtig zu zünden. Zum einen, weil der FCK im ersten Abschnitt enorm risikoarm spielte und die Fünferkette es sehr gut verteidigte, wie Hürzeler nach dem Spiel anerkannte. Zum anderen, weil die Kreise von Eric Smith im ersten Abschnitt noch arg beschnitten waren. Der erklärte zu den ungewöhnlich vielen langen Bällen nach Abpfiff: „Wir versuchen unser Spiel zu variieren. Natürlich möchten wir den Ball hauptsächlich am Boden haben und uns so Chancen erspielen. Aber wenn Teams so hoch stehen, dann ist es wichtig zu wissen, dass wir diese Option haben. Da hatten wir heute eine gute Balance und uns so eine Menge Möglichkeiten erspielt.“
Doch erst als Smith sich dem gegnerischen Druck entziehen konnte (weil entweder Kemlein mit im Sechserraum war oder er zwischen den Innenverteidigern verblieb), wurden seine langen Bälle gefährlich, die er bekanntlich sowieso ziemlich gut behrrscht. Das ging mit dem höheren Risiko von Kaiserslautern einher, die im zweiten Abschnitt etwas höher und aktiver pressten. Und es gab eine weitere Veränderung beim FCSP, wie Fabian Hürzeler nach dem Spiel erklärte: „Wir haben die Laufwege angepasst in der Halbzeit.“ Daher ist gar nicht so genau zu erklären, warum der FC St. Pauli in der zweiten Halbzeit so erfolgreich mit langen Bällen gewesen ist.
Viele Tore, noch mehr Chancen
Viel wichtiger als die genaue Auflösung der Gründe für erfolgreiche lange Bälle: Das Team zeigte erneut, dass Hürzeler völlig richtigerweise vor dem Spiel sagte: „Wir werden immer in der Lage sein vorne etwas zu kreieren.“ Chancen hat sich das Team auch am Ende der Hinrunde immer genügend erspielt. Gemessen an der Vielzahl guter Situationen fehlen aber die Tore. Wobei: Sie fehlen nicht. Der FCSP hat in den letzten 16 Spielen nur einmal keinen eigenen Treffer erzielt. Die Anzahl ist nur niedriger, als sie anhand der Chancengüte sein könnte. Womit wir beim immer wiederkehrenden Thema dieser Saison sind: Die Abschlusseffizienz
Angesprochen auf die Chancen des FCK, sagte Marcel Hartel nach Abpfiff: „Es wäre wieder so ein Standard-Prozedere der letzten Spiele gewesen, wenn wir da eins kassieren, weil wir einfach wieder nicht nachgelegt haben.“ Die Chancen zum Nachlegen waren da, in Hülle und Fülle. „Ich bin nicht so zufrieden mit meinem Spiel,“ sagte Elias Saad in der Mixed Zone und erklärte auch warum: „Wir hätten ein paar mehr Tore schießen können.“ Saad ging relativ hart mit sich selbst ins Gericht: „Ich habe im letzten Drittel wahrscheinlich ein paar Mal die falsche Entscheidung getroffen.“
Mal abgesehen davon, dass es schon eine sehr große (auch individuelle) Qualität ist, sich überhaupt die Chancen zu erspielen (Eric Smith bezeichnete das Herausspielen von Torgelegenheiten als „das Schwierigste im Fußball“) und Saad mit seiner Leistung vielleicht etwas überhart mit sich ist: Der 24-jährige trifft den Nagel auf den Kopf. Die Entscheidungsfindung im letzten Drittel ist ausbaufähig beim FC St. Pauli. Oder besser: War es?
Meiste Torschüsse der Liga…
Wenn man sich die Statistiken anschaut, dann ist die Diskrepanz zwischen erzielten Treffern und Torwahrscheinlichkeiten über die bisherige Saison gar nicht so groß. Der FC St. Pauli erzielte bisher 32 Treffer (was nach 18 Spielen ein sehr guter Wert ist), bei einem kumulierten xG-Wert von 33.2 (laut Wyscout). Andere Teams sind da deutlich effizienter. Fortuna Düsseldorf hat 39 Treffer erzielt, der xG-Wert liegt aber nur bei knapp über 30. Eine Regression zur Mitte ist also zu erwarten.
Wieso aber haben viele trotzdem das Gefühl, dass es dem FC St. Pauli an Effizienz im Abschluss mangelt? Unter anderem, weil das Verhältnis zwischen der Anzahl an Torschüssen und den erzielten Toren auffällig ist. 321 Torschüsse hat Bundesliga.de vom FCSP gezählt. Das ist Ligaspitze, deutlich vor dem HSV (285 Abschlüsse). 32 Treffer bei 321 Abschlüssen bedeuten, das jeder zehnte Torschuss des FCSP ein Treffer ist. Dieser Wert ist okay, mehr aber auch nicht. Legt man die xG-Werte darunter, dann hat ein Torschuss des FC St. Pauli eine durchschnittliche Torwahrscheinlichkeit von knapp über zehn Prozent. Das ist der zweitniedrigste Wert der Liga. Und wenn es ein Problem in der Offensive des FCSP gibt, dann ist es in genau dieser Statistik zu finden.
…aus nicht so guten Positionen
Zurück zu Elias Saad und seinem Satz: „Ich habe im letzten Drittel wahrscheinlich ein paar Mal die falsche Entscheidung getroffen.“ Ob das wirklich so ist, zeigt nur die individuelle Analyse jeder einzelnen Situation. Auffällig ist aber, dass der FC St. Pauli (zu) oft aus unvorteilhaften Positionen schießt. Die durchschnittliche Entfernung zum Tor pro Abschluss beträgt in dieser Saison bisher 18,60 Meter. Das ist der vierthöchste Wert der gesamten Liga.
Die Gründe für den recht großen Abstand zum Tor bei den eigenen Torabschlüssen können vielfältig sein. Wenn Gegner tiefer drinstehen, ist es wesentlich schwerer in den Strafraum zu kommen, sodass Fernschüsse eine sinnvoll erscheinendere Option darstellen als den Ball, sprichwörtlich, ins Tor zu tragen. Aber es sollte eben auch ganz genau hingeschaut werden, ob es in den einzelnen Momenten bessere Optionen gibt als einen Torschuss aus relativ großer Distanz abzufeuern.
xG-Wert steigt, Effizienz sinkt
Fabian Hürzeler hat nach seinem Amtsantritt zuerst das Spiel gegen den Ball umgekrempelt und stark verbessert. Es folgte spätestens seit Sommer eine merkliche Verbesserung im Spiel mit dem Ball. Dem FC St. Pauli gelang es nun häufiger in Abschlussposition zu kommen, egal, wie sich der Gegner dem entgegenstellt. Die Arbeit am Abschluss selbst bzw. der Entscheidungsfindung in unmittelbarer Nähe zum gegnerischen Tor, ist somit in logischer Abfolge das letzte Puzzleteil.
Und dort zeigt die Entwicklung in die richtige Richtung: Hatte man zu Saisonbeginn in den Spielen oft zwar eine optische Dominanz, erzeugte aus dieser aber zu wenig Torgefahr, ist diese vor der Winterpause und nun auch danach, klar angestiegen. Der durchschnittliche xG-Wert der ersten neun Ligaspiele liegt knapp unter 1,7 – in den letzten neun Ligaspielen liegt dieser Wert bei 2,0, ist also ein gutes Stück höher. Damit einher geht eine Verbesserung der Abschlussposition, denn die durchschnittliche Anzahl an Torschüssen hat sogar nachgelassen, sank von 17,3 pro Partie auf 16,7. Es ist also ein Trend erkennbar. Allerdings: Die tatsächlich erzielten Tore können nicht mithalten. Trotz durchschnittlich höherer xG-Werte, erzielte der FCSP in den letzten neun Ligaspielen 14 Treffer, während es 18 in den neun vorherigen Spielen waren. Die Verbesserung bei der Abschlussposition wird also durch einen ineffizienteren Abschluss konterkariert.
Ist das nun also ein Problem? Nein, 32 eigene Treffer nach 18 Ligaspielen sind eigentlich kein Problem, selbst wenn die Anzahl an Torschüssen für mehr Tore reichen müsste und besonders in den letzten Spielen die Ausbeute zu wünschen übrig ließ. Es ist vor allem Jammern auf ganz, ganz hohem Niveau. Aber wenn man hoch hinauswill, dann muss man eben auch solche Themen angehen. Weil sich, Akribie in der Defensivarbeit hin oder her, eben nicht alles verhindern lässt. Daher sollte im Offensivspiel weiter jeder Stein umgedreht werden.
// Tim
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Ich glaube, ein wesentlicher Faktor für die relativ große Distanz bei Abschlüssen dürfte auch der Umstand sein, dass wir tendenziell sehr wenig mit Flanken arbeiten.
Chancen, die sich aus Flanken ergeben, dürfte deutlich näher am Tor liegen als 18,60m.
Die Torausbeute wäre besser wenn die Aussenstürmer weniger eigensinniger wären und den besser positionierten Nebenmann sehen.
das sehe ich ähnlich so ins besonders beim Saad der hat so unglaublich viele Torschüsse wobei oft Eggestein oder Härtel für ein offenes Tor laufen. so ich Sehen sein Selbstkritik angemessen und hoffen die Arbeiten da jetzt daran.
ich hoffe auch dass wir das lange bal spielen weiterhin einmischen das bringt mehr Druck und Gefahr weil men man nur ständig Ruhe hält und zu oft zurück spielt würde wir berechenbar.
Ich kann mit den ganzen Zahlen nichts anfangen. Entscheidend ist auf‘m Platz. Und da haben in dieser Saison Hartel, Irvine, Saad, Eggestein usw. so viele 100-prozentige liegenlassen, da gibt’s nichts zu beschönigen. Auch beim 2-0 am Samstag durch Hartel darf man nicht vergessen, dass Eggestein ja in der Szene zunächst freistehend nicht das Tor trifft.
Wenn man mal das Kiel Spiel rausnimmt, nähern wir uns schon eher der Realität.
Aber ist es nicht so, dass wir mit zwei inversen Aussenstürmern das Problem haben, dass wir in der Mitte eh ein Spieler Übergewicht (reinziehende AV, vorrückende 6, Hartel und Jojo) haben. und die Stärke des „Reinziehens“ somit eher eine Verengung am 16er darstellt, die der Qualität der Chance nicht zuträglich ist.
Die Statistik, dass die Anzahl der Tore zurück geht würde ich anzweifeln. Meiner Meinung nach muss man hier die Extreme rausrechnen.
In den ersten 9 Spielen haben wir alleine gegen Kiel und Nürnberg jeweils 5 Tore geschossen.
Insbesondere das Spiel gegen Kiel hatte für mich nichts damit zutun, dass wir besser positioniert waren oder sonstwas.
An dem Tag war ganz egal von wo wir geschossen haben und wie wir geschossen haben und mit welchem Körperteil. Der Ball landete immer oben rechts im Winkel.
Klar war das mega Effizient, aber sowas sollte man als Sahne-Tag und damit als statistischen Ausreißer abhaken.
In den ersten neun Spielen gab es nämlich auch einige, in denen wir super ineffizient waren. Eigentlich waren in Sachen Effizienz nur die vier Spiele zwischen dem 6. und dem 9. Spieltag wirklich gut.