Mit freiem Kopf zum Aufstieg

Mit freiem Kopf zum Aufstieg

Zwar hat man beim FC St. Pauli den Bundesliga-Aufstieg fest im Blick, man muss aber aufpassen, dass sich man sich dadurch nicht ablenken lässt.
(Titelbild: Stefan Groenveld)

Gegen den FC Schalke 04 sah sich der FC St. Pauli mit einer ungewohnten Situation konfrontiert. Fabian Hürzeler erklärte nach Abpfiff, man habe die Schalker nicht mit einer solch mannorientierten Spielweise erwartet. Auch das könnte zur Leistung des FCSP beigetragen haben. Nicht, weil das Team für Mannorientierung grundsätzlich keine Lösungen parat hat (das Gegenteil ist der Fall), sondern weil sich die Spieler in einer neuen, in einer ungewohnten Situation befanden.

Die Suche nach dem „Flow“

Solch ungewohnte Situationen wie die auf Schalke können Stress auslösen, weiß Stefan Westbrock. Der Diplom-Psychologe arbeitet als Mentaltrainer in verschiedenen Sportarten und gründete mit „deepvelop“ ein Institut für Sport und Psychologie (unter anderem zusammen mit Dr. Christian Spreckels, der ja mal als Mentaltrainer beim FC St. Pauli arbeitete). Westbrock erklärt: „Wenn jemand nicht weiß, wie es weitergeht, dann ist die Person erstmal mit inneren Suchprozessen beschäftigt. Wenn diese inneren Fragen noch keine Antwort haben, dann kann das vom Moment ablenken und Stress auslösen. Weil die Person mit etwas anderem beschäftigt ist.“
Was genau diese offenen Fragen sind, ist natürlich situationsbedingt völlig unterschiedlich. Das kann etwas Ungewohntes auf dem Platz sein oder etwas, das man von außerhalb des Platzes mitnimmt.

Aufsteigen – aber nicht daran denken

Ob nun die direkte Situation im Schalke-Spiel oder die allgemeine Situation im Aufstiegskampf, es komme grundsätzlich auf das gleiche an. Westbrock: „Es ist zwar schon fast eine Plattitüde, aber es ist einfach enorm wichtig, dass man von Spiel zu Spiel denkt. Dann kann man in den Flow kommen und am besten performen.“
Der „Flow“ ist dabei so etwas wie der bestmögliche Zustand, um Leistung abzurufen. Erlebt haben das sicher schon viele, wenn die Dinge im Sport einfach von allein funktionieren und man nicht darüber nachdenken muss, wie genau man einen Ball treffen muss, sondern ihn einfach perfekt trifft. Dieser „Flow“ ist im Sport ein wirklich wichtiger Faktor für Erfolg.

Fabian Hürzeler nutzt in diesem Zusammenhang übrigens immer den Begriff „Momentum“ und spricht ebenfalls gebetsmühlenartig davon, dass man von Spiel zu Spiel denken müsse. Er greift damit genau die Elemente auf, die Westbrock anspricht und deren konsequente Umsetzung er als „eine der wichtigeren Herausforderungen“ bezeichnet. Denn dieser Fokus auf den Moment wird quasi kontinuierlich von allen Seiten unter Beschuss genommen. Weil Fußballspiele nicht im luftleeren Raum stattfinden. Im Fall des FC St. Pauli sorgen sie gerade dafür, dass man von einem Aufstieg in die Bundesliga träumt.

Träumen erlaubt, Erinnerungen auch

Ist es also verboten, als Team das Ziel eines gemeinsamen Aufstiegs zu haben? Weil man sonst Gefahr läuft, nicht mehr im Moment zu bleiben, sich nicht mehr auf das zu konzentrieren, was man direkt beeinflussen kann? Westbrock nutzt ein anschauliches Bild: „Natürlich sind solche Träume und Visionen gut, wenn sich die Gruppe auf ein ‚Wir wollen alles dafür tun!‘ versammelt. Aber wenn diese Träume zu konkret sind, wenn man nur auf das Ziel und nicht auf den Weg dorthin blickt, dann kann es Probleme geben, weil man Hindernisse übersehen könnte.“

Dass es im Kader rund ein halbes Dutzend Spieler gibt, die in einer ähnlichen Situation (Saison 21/22), den Aufstieg nicht geschafft haben, könnte sogar hilfreich sein: „Diese Erfahrung kann man sicher nutzen, wenn man sie richtig verarbeitet. Wenn man sich zum Ziel setzt, dass man es besser machen möchte als damals.“

Hamburg, Deutschland, 12.02.2023 - Fabian Hürzeler, Cheftrainer des FC St. Pauli, gibt Anweisungen beim Spiel gegen den 1. FC Kaiserslautern - Copyright: Stefan Groenveld
Fabian Hürzeler versucht das Momentum zu erarbeiten, indem er vorlebt, „von Spiel zu Spiel“ zu denken. Klingt abgedroschen, ist aber sinnvoll. // (c) Stefan Groenveld

Erfolg kann hemmen, muss aber nicht

Konkreter werden Träume natürlich, je näher man dem Ziel kommt. Und laut Pep Guardiola wird die Sache dadurch nicht einfacher. Er beschrieb eine ähnliche Situation, wie die des FC St. Pauli. Angesprochen auf die Leistungen von Bayer Leverkusen – für die, die es nicht wissen: Leverkusen liegt in der Bundesliga ungeschlagen an der Tabellenspitze und hat aktuell zehn Punkte Vorsprung – erklärte er: „Jetzt steht ihnen der kniffligste Teil der Saison bevor. Jetzt sind sie in der Lage, die Bundesliga nicht nur zu gewinnen, sondern auch zu verlieren. Aber alle denken, es sei erledigt. Aber es ist erst geschafft, wenn es geschafft ist.“

Es ist völlig logisch: Wenn man vom Aufstieg träumt und plötzlich sieben Punkte Vorsprung auf den Relegationsrang hat, dann dürfte das Ziel klarer am Horizont erscheinen, als wenn man sieben Punkte Rückstand hat. Das kann die Leistung natürlich beeinflussen, sagt auch Westbrock. Er betont aber, dass es fast egal ist, was genau ein Team und Spieler davon ablenkt, im Moment zu bleiben und dass sich die aktuelle Tabellensituation auch positiv auf ein Team auswirken kann.

Einen Schritt mehr machen

Fabian Hürzeler hat bei seinem Team schon Dinge und Situationen ausgemacht, in denen sich das Team doch schon sehr direkt hat ablenken lassen. Von der Kulisse in Rostock und in Kiel etwa, als es jeweils nach komfortabler Führung noch ziemlich knapp wurde. Gegen Kiel habe sein Team aufgrund der Führung „einen Schritt weniger gemacht“. Umgekehrt sei es gegen Braunschweig gewesen, als man mit Beginn der eigenen Unterzahl plötzlich einen Schritt mehr machte, um sich gegenseitig zu helfen. Das, so Westbrock, sei so etwas wie der Idealzustand für ein Team: „Wenn man sich darum streitet, wer dem Teamkollegen helfen darf.“

Erfolg führt zu Erfolg

Der Zustand des „Flows“, in dem einem Team oder Sportler*innen alles ganz leicht von der Hand geht, vieles intuitiv richtig gemacht wird, ist natürlich nicht einfach an- oder auszuschalten (Stefan Westbrock spricht übrigens in diesem Podcast ausführlich darüber). Aber man kann die bestmöglichen Rahmenbedingungen schaffen, damit sich ein Team wie der FC St. Pauli plötzlich im „Flow“ wiederfindet, erklärt Westbrock. Die größte Triebfeder hierfür ist der Erfolg selbst. Das bedeutet aber nicht unbedingt die Bestätigung des „Siege sind durch nichts zu ersetzen“-Spruchs von Ewald Lienen. Laut Westbrock kann zum Beispiel auch das positive Herausheben von Situationen im Training die Bedingungen für ein Entstehen des „Flows“ verbessern.

Wenn man die Worte von Westbrock liest und zeitgleich jene von Fabian Hürzeler im Ohr hat, dann sind gewisse Parallelen nicht von der Hand zu weisen. Denn Hürzeler benutzt fast genau die gleichen Worte zu diesem Thema. Vor dem Schalke-Spiel sagte er: „Du hast immer Visionen, immer Träume, die Dir eine Orientierung geben und es ist wichtig, diese zu haben“, aber es vergeht auch kaum eine PK ohne seine Erklärung, dass man von „Spiel zu Spiel denken“ und man sich „das Momentum im Spiel und im Training erarbeiten“ müsse. Das dürfte kein Zufall sein. Eher ein weiterer Beweis dafür, dass Fabian Hürzeler auch in diesem Arbeitsbereich seine Hausaufgaben gemacht hat.

Das Ziel für den FC St. Pauli sollte also sein, das Team ungestört arbeiten zu lassen, möglichst ohne den Fokus vom nächsten Spiel, vom nächsten Moment abzulenken. Inwiefern da nun die deutliche Niederlage auf Schalke reinwirkt? Grundsätzlich nicht gut, ist klar. Damit so ein Erlebnis nicht nachhängt, darf es nicht an Akzeptanz fehlen. Ziel sollte daher sein, dass „die Spieler diese Niederlage bestmöglich akzeptieren, um in Ruhe weiterzuarbeiten.“ Nur dann könne man beim FC St. Pauli das Ziel erreichen – welches natürlich der Aufstieg ist. Und das am besten mit freiem Kopf.

// Tim

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One thought on “Mit freiem Kopf zum Aufstieg

  1. Guten Tag ,
    da ich mit Herz und Seele St.Paulianer bin ist sehr deutlich. Ich hoffe für alle die es genauso empfinden, das wir solche schmerzliche Niederlage in Postive Kraft umsetzen! Ich finde es Klasse , wie die Spieler und zwar igal wer von Ihnen sich zu 100 Prozent für die Ziele des Vereins einsetzen. Weiter so.

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