Mit 3:0 gewinnt der FC St. Pauli das letzte Testspiel der Vorbereitung und zeigte sich dabei nach wackeliger erster Halbzeit enorm verbessert und effizient.
(Titelbild: Stefan Groenveld)
Na klar, drei Punkte oder ein Weiterkommen im Pokal gibt es für diesen Erfolg nicht. Testspiele bleiben Testspiele, egal, ob der Gegner aus der Champions League oder der Kreisliga Nordtufftinghausen kommt. Ein 3:0-Erfolg gegen Atalanta Bergamo, seines Zeichens amtierender Europapokalsieger, zum Abschluss der Vorbereitung, ist trotzdem alles andere als verkehrt, um selbstbewusst in die Saison zu starten.
Die Aufstellung
Die Anzeichen verdichten sich massiv, dass die Startelf des Bergamo-Spiels auch die Startelf des Pflichtspielauftakts sein wird. Denn dieselben elf Spieler fanden sich bereits beim erfolgreichen Test in Norwich zu Spielbeginn auf dem Platz ein. Damit kann man wohl hinter einige personelle Fragezeichen ein Ausrufezeichen setzen.
Startelf scheint gefunden
Angefangen beim Sturmduo, welches erneut aus Morgan Guilavogui und Johannes Eggestein bestand. Das zentrale Mittelfeld bildeten Robert Wagner, Connor Metcalfe und Jackson Irvine. Dahinter startete die bereits in der Vorsaison erfolgreiche Dreierkette mit Eric Smith, Karol Mets und Hauke Wahl. Die Außenpositionen besetzten Philipp Treu und Fin Stevens. Manolis Saliakas wurde nicht eingesetzt und dürfte mit einigem Rückstand gegenüber Stevens in die Saison starten.
Das vermeintlich größte Fragezeichen gab es wohl, neben der Besetzung der Stürmerpositionen, im Tor. Wobei man sich eingestehen muss, dass es die Torwartfrage eigentlich in jeder Sommervorbereitung gibt und am Ende dann eigentlich immer der Torhüter zwischen den Pfosten steht, den man zuvor auch die Rolle als Nummer Eins zugeschrieben hatte.
Ab durch die Mitte!
Als hätte es noch einer Bestätigung bedurft, dass Nikola Vasilj wirklich das Format hat, um auch in der Bundesliga das FCSP-Tor hervorragend zu verteidigen, wurde der 28-jährige in den ersten Minuten der Partie gleich mehrere Male herausgefordert. Und die These ist nicht sonderlich weit hergeholt, dass es ohne seine Paraden ein eher ernüchternder Abend für den FC St. Pauli hätte werden können. Aber der Reihe nach…
Mutig – defensiv wie offensiv
Der FC St. Pauli formierte sich in einem 3-5-2 mit Irvine als alleinigem Sechser, Metcalfe und Wagner agierten auf den Achter-Positionen. Diese Formation konnte man beim FCSP vor allem beim Spiel gegen den Ball beobachten. Allerdings – das ist ein großer Unterschied zur Spielweise unter Fabian Hürzeler – deutlich seltener in klarer Form. Denn die Arbeit gegen den Ball ist viel aktiver und aggressiver. Gegen Bergamo zog sich das Team eher selten in diese klare Formation zurück. Und wenn, dann nur, um wenige Momente später recht mutig die Gegenspieler zu attackieren.
Diese Arbeit gegen den Ball funktionierte ziemlich gut. Nur ganz selten gelang es Atalanta Bergamo, die Defensive des FC St. Pauli in Verlegenheit zu bringen, wenn diese aus ihrer Grundformation heraus gegen den Ball arbeiten konnte. Trotzdem kamen die Gäste vor allem in den ersten 30 Minuten zu einigen wirklich hochkarätigen Torabschlüssen. Ursächlich dafür waren teils haarsträubende Ballverluste im Spielaufbau des FCSP.
Klatschen lassen
Bei eigenem Ballbesitz veränderte der FC St. Pauli seine Grundformation. Smith schob in den Sechserraum und bildete dort mit Irvine eine Doppelsechs. Wagner und Metcalfe bewegten sich ein gutes Stück nach vorne und fanden sich in den offensiven Halbräumen wieder. Die Schienenspieler Stevens und Treu zog es auch nach vorne, den einen (Stevens) mehr, den anderen (Treu) weniger. Diese Vorwärtsbewegungen der Schienenspieler konnte man vor allem im ersten Abschnitt klar erkennen.
Im initialen Aufbau war es dann oft ein Pass durch das Zentrum, der für Bewegung beim FC St. Pauli sorgte. Meist Eggestein, seltener Guilavogui, bewegten sich dazu gen eigenes Tor und ließen die Anspiele von Vasilj oder aus der Innenverteidigung in Richtung von Smith oder Irvine klatschen, die dann im Idealfall mit Blickrichtung zum gegnerischen Tor im Zentrum den Ball erhielten. Gab es die Pass-Option zu einem der beiden Stürmer nicht, dann spielte man meist über den Sechser den Ball auf die Außenbahn, bildete so also ein Dreieck. Das primäre Ziel war aber klar der Passweg über die Stürmer.
Anschluss fehlt
FCSP-Trainer Alexander Blessin zeigte sich im Anschluss an die Partie zufrieden mit der Art und Weise, wie sein Team initial den Weg nach vorne suchte: „Der Matchplan, wie wir aufbauen wollten, ging ziemlich gut auf.“ Allerdings sah er zum einem „ein paar dumme Abspielfehler“ und vermisste oft die Anschlussaktionen, wenn es dem Team gelang, den ersten Pass nach vorne erfolgreich zu spielen. Denn Bergamo, so Blessin, stand sehr hoch, sodass es viele Möglichkeiten gegeben habe, mit Tiefenläufen hinter ihre letzte Kette zu kommen.
Klar, wo mutig agiert wird, passieren auch Fehler. Der FC St. Pauli hatte bei den Pässen nach vorne gleich mehrere Male Probleme, die eigenen Mitspieler zu finden. Es gab besonders zu Spielbeginn gleich eine Reihe von Fehlpässen, die Bergamo, Vasilj sei Dank, nicht zur Führung nutzen konnte. Das Aufbauspiel durch die Mitte eröffnete für den FCSP zwar theoretisch viele Optionen, weil Bergamo über den gesamten Platz mit mannorientierter Spielweise agierte. Allerdings ergaben sich aus dieser Spieleröffnung zu Beginn eher selten vielversprechende Offensivaktionen für den FC St. Pauli, stattdessen aber Gefahr für das eigene Tor.
Mit Nachschieben zum Erfolg
Beeindruckend war, wie es dem FCSP in der Folge gelang, diese Fehler besser zu kontrollieren und sich in diese Partie reinzuarbeiten. Jackson Irvine betonte nach Abpfiff, dass man bei diesem Spiel ganz hervorragend beobachten konnte, wie sich die Feinabstimmung der Spielidee verbesserte. Tatsächlich war es bereits gegen Ende des ersten Abschnitts so, dass die FCSP-Offensivaktionen häufiger wurden. Eine wirklich zwingende Torchance gab es zwar nicht, immerhin aber auch keine mehr für Bergamo, die in den ersten 30 Minuten mehrfach die Führung auf dem Fuß hatten.
Zu Beginn des zweiten Abschnitts gab es nur eine personelle Veränderung beim FC St. Pauli: Carlo Boukhalfa ersetzte Connor Metcalfe auf der linken Achter-Position. Eine kleine, aber wohl mitscheidende taktische Anpassung führte dann dazu, dass die Partie nun nicht nur ausgeglichener war, sondern irgendwann sogar in Richtung des FCSP ausschlug. Die Positionierung und das Verhalten der Innenverteidiger hatte sich verändert im Vergleich zum ersten Abschnitt. Insgesamt waren die Abstände zueinander dadurch nun etwas kürzer, sodass man auch bei Ballverlusten nicht mehr so direkt Gefahr lief, den Gegner zum Toreschießen einzuladen.
Dieses „Nachschieben“, das dem FC St. Pauli in der zweiten Halbzeit nach Meinung von Blessin nun besser gelang, war auch der Grund, warum nun die Offensivaktionen des FCSP zwingender wurden. Wer sich mal ein Bild davon machen möchte, was damit gemeint ist, kann sich gerne die Situation vor der Torchance von Irvine anschauen (hier ab 1:27:15).
Zwölf Minuten = Drei Tore
Der FC St. Pauli war nun also etwas zwingender, was sich dann auch in Form von Toren zeigte. Keine zwei Minuten nach der ersten richtigen Chance durch Irvine erzielte Johannes Eggestein das 1:0 nach einem Standard. Ein „Dosenöffner“, wie Blessin es nach Abpfiff nannte. Es folgten noch zwei weitere Treffer innerhalb der nächsten zwölf Minuten. Besonders das 3:0 durch Boukhalfa war dabei wirklich sehenswert herausgespielt.
Sehenswert war auch, dass der FCSP rund 20 Minuten vor dem Ende seine Grundformation noch einmal anpasste. Aus einem 3-5-2 wurde mit der Einwechslung von Elias Saad und Andreas Albers ein 3-4-3. Blessin erklärte, dass er auch weiterhin „nichts in Stein meißeln“ möchte, sondern die Wahl der Formation davon abhängig machen wolle, wie die Spieler gerade drauf seien und was zum Gegner passe. Die Positionen auf den offensiven Außenbahnen nahmen dabei Afolayan und Saad ein, die beide dabei einen guten Eindruck hinterließen. Diesen hinterließ auch etwas überraschend Carlo Boukhalfa, dem viele vor Beginn der Vorbereitung sicher nicht zugetraut hätten, dass er im letzten Vorbereitungsspiel vor dem Bundesliga-Start die erste Wechseloption auf der Achterposition sein würde.
EUROPAPOK… Testspiele nicht überbewerten!
Wichtig ist, dass man bei aller Freude darüber, dass der FC St. Pauli den amtierenden Europapokalsieger mit 3:0 geschlagen hat, diesen Erfolg richtig einordnet. Zwar machte Bergamo gerade in der ersten Halbzeit nicht den Eindruck, dass sie ans Millerntor gereist sind, um sich als Sparringspartner des FCSP 90 Minuten verkloppen zu lassen. Das zeigte allein schon die Aufstellung, die durchaus mit hochkarätigen Namen besetzt war. Spätestens mit dem 1:0 des FCSP könnte aber sicher auch das Spiel am kommenden Mittwoch (Europäischer Supercup gegen Real Madrid) in den Hinterköpfen der Bergamo-Spieler einen größeren Platz eingenommen haben.
Entsprechend darf nach diesem Sieg keiner erwarten, dass beim FC St. Pauli nun die Bäume in den Himmel wachsen. Denn basierend auf der Anzahl an eigenen und gegnerischen Torchancen (vor allem in der ersten Halbzeit), ist ein 3:0-Erfolg als deutlich zu hoch einzustufen. Umso angenehmer ist, dass das Team in dieser Hinsicht bei Alexander Blessin in guten Händen zu sein scheint. Denn der FCSP-Coach erklärte deutlich, dass man durchaus glücklich sein konnte, kein Gegentor zu Beginn kassiert zu haben und dass er mit einigen Spielphasen, teilweise notwendigen Pausen der eigenen Spielidee (aufgrund der hohen Intensität), alles andere als zufrieden ist.
Aber natürlich gibt dieser Erfolg großes Selbstvertrauen. Denn den Spielverlauf dieser Partie bestimmte der FC St. Pauli. Bergamo profitierte zu Beginn von Fehlern seines Gegners. Als diese abgestellt waren, kam da nicht mehr wirklich viel Gefahr vonseiten der Gäste auf. Das ist vielleicht die wichtigste Erkenntnis, die man aus diesem Spiel mitnehmen kann: Der FC St. Pauli hielt in diesem Spiel die Zügel selbst in der Hand – und es gelingt auch gegen Teams aus einem viel höheren Regal als der 2. Bundesliga, Lösungen zu finden.
Immer weiter vor!
// Tim
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Danke für die gewohnt präzise und fachkundige Analyse. Ich kam erst gut 30 Minuten nach Anpfiff in die Gegengerade und hatte wohl die gröbsten Patzer im Aufbauspiel von St. Pauli schlicht verpasst. Eine Frage zum Rasen: Der war ja zumindest auf Seiten der Gegengerade am Ende der Partie übelst zerpflügt. Die Greenkeeper haben sich das ja dann auch eher besorgt angeschaut und haben ganze Grassoden aufgehoben und entsorgt. Kann das noch eine Folge des massiven Regens am Vortag gewesen sein? Oder taugt der zur EM neuverlegte Rasen nix? Hab mich schon gefragt, ob der alte Pitch trotz Platzsturm gegen Osnabrück nicht doch besser gewesen wäre als der EM-Turf.
I am finding impressive that the team is able to shake off mistakes and tactical difficulties that appear at the beginnig of each match (Lyon, Norwich and Bergamo) even *before* half time, which means the whole team is able to react collectively.
I also like the general game plan. It shows that it is improving very rapidly, which is promising. It is ambitous, yes, and we will probably lose many Bundesliga matches, but I do believe we will also win some.
My only concern, but this is a big one, is the speed of our central defenders. It simply does not fit the game plan.
Gibt es schon DeutscherMeisterSiegerBesieger Shirts (wahlweise Europaleaguesiegerbesieger) ?
sind schon ausverkauft, alle beiden varianten. kommen auch keine mehr nach… versuch’s doch einfach mal über den second hand markt… oder selber eins malen…
Moin Tim,
mich würde mal interessieren wie Du die Situation von Dapo und Elias siehst. Werden die Beiden Opfer der Systemumstellung und im Winter wechseln oder siehst Du da Optionen?
Das habe ich mich auch gefragt, als ich das gelesen habe. Ich hatte das Spiel nicht gesehen.
Das fragen sich bestimmt so einige (mich eingeschlossen).
Das hat echt Spaß gemacht am Freitag!
War ich anfangs noch ein wenig genervt von den „Touristen“, die teilweise orientierungslos im Weg standen und jegliche Gänge blockiert haben oder als Herr ins Damenklo abgebogen sind (Woher sollen sie es auch wissen, wenn sie noch nie da waren, und die ganze Tür vollgestickert ist?), hatte man dann nach Einnehmen der Plätze das Gefühl, dass viel frischer Wind durchs Stadion ging. Ich fand die Mitmachquote für ein Testspiel schon bemerkenswert. So viele Hände an den Ränden der Süd sieht man selbst in der Liga nicht oft. So viele Leute, die aufstehen und mitsingen auf der Haupt habe ich seit Jahren nicht gesehen. Lag das daran, dass hungrige Fans dabei waren, die sonst nie die Chance haben dabei zu sein oder ist die Euphorie so groß, dass wir uns daran gewöhnen können?
Das Spiel war für uns komplett nebensächlich, viel mehr haben wir uns gefreut, die Leute um uns herum wiederzusehen, sich auszutauschen und ein Bierchen zu trinken, daher auch gerne phasenweise mal mit Rücken zu Spielfeld und jetzt umso dankbarer auch zu verstehen, was da aufm Platz los war. 🙂
Lieber Tim,
ich weiß, das ist das 934igste Mal, dass Du für deine Arbeit gelobt wirst, aber es muss einfach raus:
Ich werde nie ein Spiel so schauen können wie Du es tust. Und ganz ehrlich, das will ich auch gar nicht. Ich will meinen Bierbecher festhalten, singen, schreien, gröhlen,..
… das ganze unsachliche, emotionale Programm, das Leute wie ich so am Fußball lieben.
Und dennoch genieße ich es sehr das Spiel über Deine Beiträge nochmal durch eine ganz andere Brille zu sehen und ganz neu zu erleben.
Und ganz ehrlich: Es macht immer mehr Spaß, weil ich immer mehr von dem was du schreibst wirklich nachvollziehen kann.
Jetzt kann das natürlich daran liegen, dass durch die regelmäßigen Studien Deiner Beiträge selbst jemand wie ich etwas dazu gelernt hat, seit Du Deinen Job als Dozent beim Millernton angetreten bist. Aber ich glaube es liegt auch daran, dass Deine Beiträge immer besser, immer verständlicher geschrieben sind.
Schade, dass es die Bundesliga-Spiele nicht auf YouTube geben wird. Ich habe es sehr genossen die Szene ab 1:27:15 noch einmal durch Deine Augen zu sehen.
Ich persönlich habe vorm Fernseher weder nachschiebende Innenverteidiger, noch eine veränderte Positionierung feststellen können. Mich riss die Szene einfach nur aus dem Sessel und wurde akustisch von einem lautstarken „Alter Vatter, was spielen die denn da??? Das ist nicht mehr mein St. Pauli!!!“ untermalt.
In einem Punkt muss ich Dir allerdings widersprechen:
Es heißt nicht „Europapok…“, es heißt:
„🎵🎶 Europapokal, Europapokal, 🎶🎵 FC St. Pauli Europapokal! 🎶🎵“
In diesem Sinne: Dickes Lob und vielen Dank für den tollen Beitrag. Mach weiter so. Es macht sehr viel Freude Dich zu lesen.
Definitiv keine B-11 von Bergamo. Nur ein anderer Spieler wegen Umstellung auf 5-3-2, falls man das am Videotext so erkennen kann. 🙂