Fragezeichen vor dem Saisonstart

Fragezeichen vor dem Saisonstart

Die letzten Testspiele verliefen für den FC St. Pauli erfolgreich. Trotzdem umgeben das Team kurz vor dem Saisonstart noch eine Reihe von Fragezeichen.
(Titelbild: Stefan Groenveld)

Gerade einmal fünf Wochen ist es her, dass Alexander Blessin als neuer Cheftrainer des FC St. Pauli zum Trainingsauftakt bat. Und die Umstellung, die dieser Trainerwechsel mit sich brachte, war naturgemäß ziemlich groß. Genauso groß, wie es der Ligawechsel sein wird. Entsprechend ist es wenig verwunderlich, dass es rund um den Saisonstart des FCSP noch eine ganze Reihe von Unsicherheiten und Fragezeichen gibt, auf die es wohl erst im Laufe der ersten Pflichtspiele Antworten geben wird.

Positiver Trend bei Testspielen

Erkennbar ist aber bereits eine Entwicklung. Diese lässt sich ganz platt auch an Testspielergebnissen ablesen. Auf das eher krampfige und knappe 3:1 gegen den Bremer SV folgte eine verdiente 1:3-Niederlage gegen Fürth. Seitdem gab es drei Siege – gegen Lyon (1:0), Norwich (3:1) und zuletzt Bergamo (3:0). Jackson Irvine erklärte nach der Partie gegen den amtierenden Europa League-Sieger, dass die Siege selbst enorm wichtig seien, weil sie Selbstvertrauen geben, und sagte auch, dass das Team mit den Vorgaben von Blessin immer besser zurechtkommt.

Trotzdem haben auch die letzten Testspiele immer wieder aufgezeigt, in welchen Bereichen es beim FC St. Pauli noch Nachholbedarf gibt. Ein steter Begleiter der Vorbereitung ist die mal bessere, mal nicht optimale Absicherung der Tiefe im Defensivverhalten. Teilweise wurden dabei die eigenen Innenverteidiger überlaufen, was mehrere Gründe haben kann. Die Frage, die in diesem Zusammenhang aufkommt: Hat die Innenverteidigung des FC St. Pauli ein Geschwindigkeitsproblem?

Fehlt der Defensive das Tempo?

Die Antwort darauf ist recht komplex. Weil man alle FCSP-Innenverteidiger als schnell bezeichnen kann, wenngleich nicht immer auf Basis physischer Parameter. Hauke Wahl hat zum Beispiel keine hohe Endgeschwindigkeit (sein Top-Speed letzte Saison bedeutet Platz 56 unter allen Zweitliga-Innenverteidigern), konnte das aber immer wieder durch kluge Zweikampfführung ausgleichen. Eric Smith ist auch nicht schnell (Platz 41), antizipiert dafür aber oft überragend. Karol Mets kann Nachteile im Antritt auf Strecke wieder wettmachen, hat eine gute Endgeschwindigkeit (Platz 21). Der klar schnellste Innenverteidiger des FC St. Pauli ist übrigens Adam Dźwigała (Platz 11).

Fraglich ist, ob es den FCSP-Innenverteidigern auch in der kommenden Saison gelingen wird, die partiellen Nachteile in Sachen Geschwindigkeit auszugleichen, wie es in der 2. Bundesliga der Fall war. Das Tempo in der Bundesliga ist definitiv nochmal ein Stück höher, vor allem in Sachen Handlungsschnelligkeit, aber auch physischer Geschwindigkeit. Zudem presst das Team nun oft etwas höher, was den Raum hinter der eigenen Abwehrkette vergrößert und dieses mögliche Problem vielleicht noch unter das Brennglas legt. Auf der anderen Seite hat man zum Beispiel beim Test gegen Bergamo in der zweiten Halbzeit zeigen können, dass man trotz Geschwindigkeitsnachteilen blitzsauber das eigene Tor verteidigen kann. Es ist also völlig unklar, ob hier ein Problem vorliegt oder bereits eine Lösung gefunden wurde.

Hat der FCSP-Kader (schon) Bundesliga-Niveau?

Nachdem es zu Beginn der Vorbereitung gleich eine Reihe von Spielern gab, die kürzere oder längere Zeit mit dem Training aussetzen mussten, fehlten zuletzt nur noch wenige Spieler. Der Großteil des Kaders konnte die Vorbereitung der letzten Wochen gut durchziehen, was insgesamt sehr positiv ist. Allerdings gibt es auf einer Position weiterhin Probleme, denn Manolis Saliakas musste nahezu die gesamte Vorbereitung aussetzen.
Was direkt zur nächsten Frage führt: Ist Fin Stevens schon bereit für die Bundesliga? Der 21-jährige Neuzugang aus England steht sinnbildlich für gleich eine Reihe von Spielern, bei denen nicht ganz klar ist, ob sie das Level Bundesliga erreichen können beziehungsweise wie schnell sie es erreichen werden.

Es ist der viel zitierte Sprung ins kalte Wasser, wenn man bedenkt, dass Fin Stevens erst vor knapp drei Wochen zum FC St. Pauli gewechselt ist. Der Sprung, den er dabei vollführen muss – von der dritten Liga Englands in die Bundesliga – ist seeeeehr, vielleicht sogar zu groß. In seinen ersten beiden Spielen für den FCSP ist ihm anzumerken gewesen, dass er eigentlich noch etwas Zeit braucht, um sich an Level und Spielstil zu gewöhnen (dass er das kann, ist ihm durchaus zuzutrauen). Nur genießt er, wie auch alle anderen Bundesliga-Neulinge beim FC St. Pauli, aktuell leider keinen Welpenschutz, keine Zeit zur Eingewöhnung. Es bleibt abzuwarten, wie dieser Sprung ins kalte Wasser verkraftet wird.

Hamburg, Deutschland, 09.08.2024, Millerntor-Stadion, FC St. Pauli - Atalanta Bergamo Fin Stevens (FC St. Pauli) wechselte aus der englichen dritten Liga zum FCSP und ist direkt, wie zum Beispiel im Test gegen Atalanta Bergamo, gefordert sich schnellstmöglich ans neue, höhere Level anzupassen. Copyright: Stefan Groenveld
Fin Stevens (FC St. Pauli) wechselte aus der englichen dritten Liga zum FCSP und ist direkt, wie zum Beispiel im Test gegen Atalanta Bergamo, gefordert, sich schnellstmöglich ans neue, höhere Level anzupassen. // (c) Stefan Groenveld

Fehlt die Torgefahr im zentralen Mittelfeld?

Im von Alexander Blessin offensichtlich favorisierten 3-5-2 System gibt es neben einem Sechser auch zwei Achter. In den letzten Testspielen spielten Robert Wagner und Connor Metcalfe auf diesen Positionen. Sollte es keine weiteren Neuverpflichtungen geben, dann dürften diese beiden Spieler auch zum Saisonauftakt in der Startelf stehen. Grundsätzlich zählen beide Spieler zu jenen, denen das Level Bundesliga auf jeden Fall zuzutrauen ist. Was ihnen aber womöglich fehlt, ist Torgefahr. Womit sich die Frage stellt: Besitzen Metcalfe und Wagner die Torgefahr, die der FC St. Pauli auf diesen Positionen benötigt?

Auch das ist alles andere als einfach zu beantworten. Denn zum einen drängt sich die Frage auf, ob Torgefahr aus dem zentralen Mittelfeld noch die gleiche Priorität besitzt, wenn man mit zwei Angreifern anstelle von nur einer Spitze (wie in der Vorsaison) agiert. Auf der anderen Seite fehlen eben die offensiven Außenbahnspieler im 3-5-2 und in den Testspielen war klar ersichtlich, dass die beiden Achter sehr offensive Rollen bei Ballbesitz einnehmen und sie somit eine zentrale Rolle auch bei der Torerzielung einnehmen sollen.

Nun haben aber weder Wagner noch Metcalfe in ihrer Karriere besondere Torgefahr nachgewiesen. Wagner kam letzte Saison auf vier Treffer und fünf Vorlagen, Metcalfe auf drei Treffer und fünf Vorlagen. Das sind gute Zahlen, aber eben keine, die mit jenen von Marcel Hartel (wettbewerbsübergreifend 21 Treffer, 15 Vorlagen) oder Jackson Irvine (sechs Treffer, neun Vorlagen) mithalten können. Basierend darauf könnte man schon das Gefühl haben, dass der FCSP in Sachen Torgefahr aus dem zentralen Mittelfeld nicht ganz so gut dasteht.

Weiter standardstark dank Smith?

Allerdings müssen besonders die tollen Zahlen von Marcel Hartel etwas eingeordnet werden. 36 Torbeteiligungen in Pokal und Liga sind mächtig, aber dabei muss beachtet werden, dass Hartel auch als Standard- und Elfmeterschütze aktiv war und so die Zahlen deutlich aufpolierte. Sechs Treffer (alle per Elfmeter) und neun Vorlagen sind aus Standardsituationen entstanden. Ohne diese würde Hartel „nur“ noch auf 21 Scorerpunkte kommen (15 Treffer, sechs Vorlagen). Das sind immer noch tolle Zahlen, aber sie ragen nicht mehr ganz so stark heraus.

In den Testspielen zeigte sich, dass nun wohl Eric Smith für die Ausführung der Standards verantwortlich ist. Mit Erfolg, wie die Treffer nach Ecken gegen Norwich und Bergamo zeigten. Bleibt allerdings noch die Torgefahr aus dem Spiel heraus. Da kann Smith allein schon aufgrund seiner Position ganz sicher nicht als Ersatz für Hartel taugen. Alexander Blessin erklärte kurz nach Dienstantritt auf die Frage, wie man den Abgang von Hartel kompensieren könnte: „Das funktioniert durch mannschaftliche Geschlossenheit und zehn Prozent mehr von jedem Einzelnen. Gleichzeitig ist es eine Chance für andere Spieler, in den Fokus zu rücken.“

Andere Spieler, die in den Fokus rücken – genau das passiert gerade mit Metcalfe und Wagner. Die beiden haben bisher zwar nicht wirklich mit Torgefahr glänzen können, aber ich hätte auch nie erwartet, dass man mal davon schreibt, dass Marcel Hartel ausgerechnet aufgrund seiner Torgefahr vermisst werden wird. Diese hat er sich erst letzte Saison beim FC St. Pauli erarbeitet. Genauso, wie es nun hoffentlich weitere Spieler im Trikot des FC St. Pauli im zentralen Mittelfeld tun werden.

Hat die offensive Außenbahn eine Zukunft?

Mehr Torgefahr als in der Vorsaison auf der offensiven Außenbahn wird es beim FC St. Pauli nun wohl nicht geben. Denn die Position, auf der Dapo Afolayan, Elias Saad und teils auch Connor Metcalfe in der 2. Liga überzeugen konnten, ist etwas auf das Abstellgleis geraten. Was zu der Frage führt: Wie steht es um die Zukunft aller FCSP-Spieler, die vornehmlich genau dort zum Einsatz gekommen sind?

Die Antwort darauf lieferte Alexander Blessin höchstselbst. Nach dem Test gegen Bergamo erklärte er, dass er Afolayan und Saad durchaus die Rolle als zweiter Stürmer zutraue, der um einen Zielspieler „schwimmt“, wie Blessin es nennt, also mit vielen Bewegungen für massiv Unruhe beim Gegner sorgt. Auch die Vergangenheit hat gezeigt, dass sowohl Afolayan als auch Saad diese Position spielen können, was sie bei den Bolton Wanderers beziehungsweise Eintracht Norderstedt gezeigt haben. Nun ist aber natürlich fraglich, ob das auch in der Bundesliga gelingen kann.

Aber vielleicht muss es auch nicht unbedingt gelingen, denn „das System“, so erklärt es Blessin, „ist nicht in Stein gemeißelt.“ Immer wieder ließ der neue Cheftrainer neben dem 3-5-2 das Team in einem 3-4-3 agieren, also einer Formation, in der zwei offensive Außenbahnspieler etwas besser ihren Platz finden. Das wäre dann sicherlich auch wieder eine Chance für Scott Banks. Der jüngst erst verpflichtete Offensivspieler kam zuletzt als rechter Schienenspieler zum Einsatz, was vermutlich nicht unbedingt seinen Erwartungen entspricht. Wie sich die Rollen von Afolayan, Saad und Banks im Trikot des FC St. Pauli entwickeln, ist sicher eines der spannendsten Dinge, die es aus sportlicher Sicht aktuell im Team gibt.

Hamburg, Deutschland, 09.08.2024, Millerntor-Stadion, FC St. Pauli - Atalanta Bergamo Dapo Afolayan (FC St. Pauli) traf beim Testspiel gegen Atalanta Bergamo zum zwischenzeitlichen 2:0 für den FCSP. Copyright: Stefan Groenveld
Dapo Afolayan traf beim Testspiel gegen Atalanta Bergamo zum zwischenzeitlichen 2:0 für den FC St. Pauli und hinterließ insgesamt einen sehr guten Eindruck. // (c) Stefan Groenveld

Kommen noch neue Spieler?

Eine Formation mit nur einer zentralen Spitze würde vor allem dann Sinn ergeben, wenn dabei ein Stürmer auf dem Platz steht, der genau diese Rolle auch einnehmen kann. Blessin benannte direkt nach seinem Dienstantritt relativ klar, dass er gerne einen Stürmer „mit Gardemaß“ in seinem Team hätte. Bisher wurde mit Morgan Guilavogui ein eher agilerer Spielertyp für die Offensive verpflichtet. So gesehen steht noch eine Verpflichtung aus. Was zur Frage überleitet: Wird der FC St. Pauli noch weitere Spieler verpflichten?

Der Stürmer „mit Gardemaß“ fehlt gar nicht so richtig. Andreas Albers und Maurides verkörpern diesen Spielertyp. Allerdings ist hier fraglich, inwiefern beide das Format für einen Stammspieler in der Bundesliga mitbringen. Möglich, dass im Angriffszentrum erst dann etwas passiert, wenn noch Kaderplätze frei werden. Das aber werden sich dann sicher auch die Außenbahnspieler genau anschauen. Es bleibt also sehr spannend. Quasi verbrieft ist das Interesse des FC St. Pauli an einer weiteren Zusammenarbeit mit Aljoscha Kemlein. Dieser Platz im Kader im zentralen Mittelfeld ist auch noch frei, sodass man davon ausgehen darf, dass in diesem Bereich noch etwas passieren wird.

Passieren wird auch noch etwas mit dem gesamten Team, nämlich im körperlichen Bereich. Alexander Blessin erklärte nach dem Bergamo-Spiel, dass für ihn die nächsten drei Spiele noch zur Vorbereitungszeit zählen, weil man noch nicht so weit sei, um über 90 Minuten das geforderte Tempo zu gehen. So wird es also vermutlich noch ein bisschen dauern, bis sich alles eingeruckelt hat und auch, bis man Antworten auf die Fragen beim FC St. Pauli vor dem Saisonstart bekommen wird.
// Tim

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3 thoughts on “Fragezeichen vor dem Saisonstart

  1. Deine Analyse bringt die (möglichen)Schwächen des Kaders auf den Punkt… bedauerlicherweise können dies die kommenden Gegner auch lesen.

  2. irgendwie fänd ich es schade, wenn unsere Außenbahnspieler jetzt in die Röhre schauen, weil es ihre Position nicht mehr gibt. Gerade Dapo und Saad haben für mich einen riesigen Anteil daran, dass wir aufgestiegen sind. Als hängende Spitze sehe ich die beiden und Banks ehrlich gesagt nicht. Ich würde lieber noch einen schnellen IV sehen und im 343 bleiben.

  3. Hältst Du es für eine Option, dass JoJo eine Position zurück geht und neben Connor oder Wagner auf der 8 spielt und Dapo oder Saad dann vorne seine Position neben Guilovagui übernehmen?

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