Endlich geht es los: Der FC St. Pauli startet mit dem Heimspiel gegen den 1. FC Heidenheim in die Bundesliga-Saison. Eine sehr ungemütliche Aufgabe.
(Titelbild: Peter Boehmer)
Im „Vor dem Spiel“-Gespräch hat sich Michael mit Luis unterhalten, der das Spiel für das FCH Fanradio reportieren wird. Dabei ging es natürlich um das (zur Zeit der Aufnahme noch bevorstehende) Europapokalspiel der Heidenheimer sowie die Erwartungen an die Saison.
Wer Lust darauf hat, sich ein wenig in Stimmung zu bringen: Ultrà Sankt Pauli organisiert am Sonntag einen Saisoneröffnungsmarsch. Treffpunkt ist ab 12:30 Uhr am Altonaer Balkon, um 15:00 Uhr startet der Marsch.
Natürlich ist es das erste Mal, dass beide Clubs in der Bundesliga aufeinandertreffen. In der zweiten Liga ist dieses Spiel aber so etwas wie ein echter Klassiker geworden, trafen Heidenheim und der FCSP doch seit 2014 insgesamt 18-mal aufeinander. Die Bilanz aus Sicht des FC St. Pauli: Acht Siege, drei Unentschieden, sieben Niederlagen. Dabei ist enorm wichtig, wo genau gespielt wird. In Heidenheim gab es für den FCSP nämlich sechs der sieben Niederlagen, wobei aber die letzten drei Partien gewonnen werden konnten. Am Millerntor gewann Heidenheim nur einmal: Bei ihrem ersten Auftritt im Herbst 2014, was gleichzeitig übrigens das letzte Spiel unter den alten Flutlichtmasten an der Nordkurve am Millerntor war. Seitdem gab es fünf Siege und drei Unentschieden für den FC St. Pauli.
FC St. Pauli: Wer kann spielen, wer fehlt?
Die personelle Situation beim FC St. Pauli könnte fast nicht besser sein: Alexander Blessin erklärte auf der Pressekonferenz vor dem Spiel, dass Manos Saliakas wieder einsatzbereit sei, Teil des Kaders sein werde. Für einen Startelfeinsatz langt es zwar noch nicht, aber Saliakas dürfte auch von der Bank ein sehr wichtiger Spieler sein. So oder so bedeutet es, dass zum Start in die Bundesliga-Saison alle Spieler im Kader des FC St. Pauli auch einsatzbereit sind. Perfekt!
1. FC Heidenheim: Wer kann spielen, wer fehlt?
Beim 1. FC Heidenheim müssen wir erst einmal schauen, wie sich der Kader über den Sommer verändert hat. Denn dieser Transfersommer ist schon ziemlich einschneidend gewesen, dass muss man so deutlich beschreiben. Zehn Spieler sind gegangen. Vier davon waren Stammspieler und mehr noch: Sie verkörperten die Offensive des FCH. Jan-Niklas Beste zog es zu Benfica Lissabon, Tim Kleindienst ist nach Gladbach gewechselt (und traf gestern Abend gegen Leverkusen). Eren Dinkci ist nach Ende der Leihe zurück zu Bremen und von dort nach Freiburg gewechselt und Kevin Sessa zog es (warum auch immer) in die 2. Liga zu Hertha BSC. Wie schwer diese Wechsel wiegen? Die Heidenheimer Spieler erzielten letzte Saison 46 Treffer (die vier Eigentore habe ich abgezogen). Satte 33 davon gehen auf das Konto der vier genannten Spieler. Überhaupt nur fünf Treffer erzielte Heidenheim ohne direkte Beteiligung des nun abgewanderten Quartetts. Diese Abgänge schmerzen also. Sehr.
Viele neue Gesichter in Heidenheim
So musste der 1. FC Heidenheim diesen Sommer sehr aktiv werden auf dem Transfermarkt. Mikkel Kaufmann (war mal bei einem Hamburger Zweitligisten) und Maximilian Breunig (von Freiburg II) kamen als Kleindienst-Ersatz. Paul Wanner (ausgeliehen vom FCB) soll die zentrale Offensive abdecken. Sirlord Conteh (mit FCSP-Vergangenheit), Léo Scienza (schoss Ulm in die 2. Liga) und Mathias Honsak (Bundesligaerfahrung mit Darmstadt) sind für die Außenbahnen gekommen. Dazu kamen mit Luca Kerber (eines der vielversprechendsten Talente der 3. Liga) und Julian Niehues (vom FCK) zwei Spieler für das zentrale Mittelfeld. Aus der Ferne bewertet sind das allesamt sehr spannende Transfers und es ist nicht zwingend zu erwarten, dass der 1. FC Heidenheim nun individuell schlechter ist als in der Vorsaison, wenngleich sich das sicher alles noch etwas einruckeln muss.
Für die Partie am Sonntag beim FC St. Pauli ist mit einer erneuten Rotation zu rechnen. Die Startelf der Heidenheimer veränderte sich zwischen dem erfolgreichen Pokalspiel gegen Villingen und dem Play-off-Spiel zur Conference League gegen BK Häcken auf gleich neun Positionen. Wie die Spieler die Belastung in Schweden verkraftet haben? Ziemlich gut, erklärte Heidenheim-Trainer Frank Schmidt am Freitag. Das Team muss nur auf die bereits länger verletzten Julian Niehues und Thomas Keller verzichten, kann sonst aus den Vollen schöpfen.
Was hat Heidenheim zu bieten?
Erfolgreicher Aufsteiger
Der 1. FC Heidenheim erfüllt eine Vorbildfunktion für alle Bundesliga-Aufsteiger, das sieht auch FCSP-Cheftrainer Alexander Blessin so: „Wenn man sieht, was sie,“ und damit meinte er Trainer Schmidt und die seit langer Zeit im Hintergrund arbeitetenden Leute in Heidenheim „aus diesem Verein gemacht haben, da muss man nur Chapeau sagen.“ Diese warmen Worte sind mehr als verdient, denn der 1. FC Heidenheim hat auch vergangene Saison bewiesen, dass es durch kluge und ruhige Arbeit gelingen kann, auch mit sehr geringen finanziellen Möglichkeiten Großes zu erreichen. Platz Acht und damit das Erreichen der Qualifikation zu den Play-offs der Conference League ist für einen Aufsteiger ein Riesenerfolg.
Die Basis für diesen Erfolg, dieses seit Jahren stete Hieven auf das nächsthöhere Level in Heidenheim, bildet nicht nur gutes Scouting, sondern auch eine markante und intensive Spielweise. Der 1. FC Heidenheim ist nicht nur in den Vorjahren in der 2. Liga, sondern auch letzte Saison in der Bundesliga das sprintstärkste Team gewesen. Die vielen Sprints sind ein Ausdruck des ausgeprägten Pressing- und Umschaltverhaltens.
Hohe Intensität
Diese Spielweise ist absolut unangenehm für den Gegner. Besonders dadurch, weil sie so extrem verfeinert wurde von Frank Schmidt, der nun seit unfassbaren 17 Jahren Trainer in Heidenheim ist. Und die Hoffnung, dass diese Klarheit und Feinabstimmung in den Abläufen im Verhalten gegen den Ball nun wegen der vielen Ab- und Zugänge erstmal wieder aufgebaut werden muss, wurde beim Anschauen des Auftritts auf internationaler Bühne an die Wand geklatscht. Gegner BK Häcken hatte sicher auch nicht seinen besten Tag und stellte zum ersten Mal in der Geschichte des Vereins fest, wie scheiße es ist, gegen den 1. FC Heidenheim zu spielen – trotzdem zeigte das Schmidt-Team, wie gefährlich es auch mit neuen Spielern mit seinem Pressing- und Umschaltverhalten sein kann.
Mit dieser unangenehmen, dieser dreckigen Spielweise, erfüllen die Heidenheimer noch so eine Vorbildfunktion für Aufsteiger. Blessin möchte das beim FCSP auch sehen: „Wir müssen ‚ugly‘ sein. Wir bekommen keinen Preis für Schönspielen oder sonst irgendwas.“ Diese dreckige Spielweise ist dem FCSP auch zuzutrauen, denn dafür gibt es die Spieler, betonte auch Blessin. Man darf von dieser Bundesliga-Saison durchaus erwarten, dass sie unangenehm wird, nicht nur für die Gegner des 1. FC Heidenheim, auch für jene des FC St. Pauli.
Heidenheimer Pressingverhalten schwer zu knacken
Wie aber genau der FC St. Pauli gegen den 1. FC Heidenheim spielen möchte, da wollte sich der FCSP-Trainer nicht so wirklich in die Karten schauen lassen. Blessin erklärte zwar, dass man dem eigenen Team ein paar „Lösungen“ präsentiert habe, wollte diese aber nicht spezifizieren (was natürlich völlig verständlich ist). Sicher wird es dabei einen starken Fokus auf Umschaltmomente geben, allerdings ist auch das Pressingverhalten von Heidenheim nicht unanfällig. Gegen Häcken zum Beispiel schoben die Innenverteidiger immer wieder weit nach vorne, um die Gegenspieler zu pressen. Hierbei entstehen natürlich Räume, die ein Gegner nutzen kann, sofern es ihm gelingt, das mannorientierte Pressing zum Beispiel durch gewonnene direkte Duelle zu überwinden.
Das Aufbauspiel des 1. FC Heidenheim gegen Häcken war sehr einfach in der Struktur: Es wurde ein langer und hoher Ball in Richtung Sturmspitze geschlagen. Dafür ist der Kader auch ausgelegt. Ein Spieler wie Breunig bringt vieles mit, um als Zielspieler zu agieren. Das Tempo von Conteh sollten alle beim FCSP inzwischen kennen. Und selbst wenn der Ball nach langen Bällen nicht in den eigenen Reihen bleibt, so kann Heidenheim direkt hoch ins Pressing einsteigen. Das ist eine Spielweise, die unter Taktik-Liebhaber*innen nicht sonderlich hoch im Kurs steht, aber von der aufgrund ihrer sehr konsequenten Umsetzung eine gewisse Faszination ausgeht.
Druck auf den Ball oder Tiefe sichern? Am besten Beides!
Für Alexander Blessin und den FC St. Pauli bedeutet diese Spielweise, dass die richtige Balance gefunden werden muss. Dazu „müssen wir Varianten reinbringen“, erklärte der FCSP-Cheftrainer. Es wird also nicht nur hohes Pressing vom FCSP zu sehen sein, stattdessen wird man „auch mal ein bisschen tiefer stehen und schauen, was sie (Heidenheim, A.d.R.) mit dem Ball machen.“ Dabei gilt die Regel, dass man entweder Druck auf den Passgeber erzeugt (also hoch presst) oder aber die Tiefe absichert (wenn man nicht hoch presst). Beides wäre wünschenswert, ist aber schwer umsetzbar. Keines von beiden wäre fatal und Blessin betonte, dass diese nicht ganz saubere Absicherung der Tiefe ein Thema im Test gegen Norwich war und worauf es ankommt, damit es gelingen kann: „Die Kommunikation wird wichtig sein, denn wenn wir es machen, dann im Schwarmverhalten.“
Mögliche Aufstellung
Heidenheimer Rotation zu erwarten
Es ist wirklich völlig unklar, wie Frank Schmidt nun rotieren wird. Auch bei der Formation gibt es mehrere Optionen. Die einzige Konstante von Schmidt ist eine Viererkette und das seit vielen Jahren. Im Pokal gegen Villingen war es eher ein 4-3-3, gegen Häcken ein 4-2-3-1, also entweder mit zwei Sechsern oder zwei Achtern. Gegen den FC St. Pauli ist von zwei Sechsern auszugehen und ich orientiere mich mal hauptsächlich an der Startelf aus dem Pokalspiel gegen Villingen.
Blessin lässt sich nichts entlocken
Alexander Blessin erklärte, dass man eine Vermutung zur Startelf des 1. FC Heidenheim habe. Und dass es Ideen gebe, wie man gegen das Heidenheimer Pressing agieren und die Umschaltmomente bestmöglich kontrollieren kann. Und es gibt wohl auch ganz konkrete Ideen, wie man die Heidenheimer Viererkette in Verlegenheit bringen kann. Zumindest hätte er sich bei der Frage auf der PK, ob eine Formation mit offensiven Außen oder zwei Angreifern besser gegen die Heidenheimer Viererkette passt, fast verplappert, ließ dann aber doch nicht durchblicken, wie er zu spielen plant. So müssen wir also selbst ein wenig herleiten, wie man eine Viererkette knacken kann.
Grundsätzlich geht es beim Spiel gegen Viererketten darum, bei ihnen Zuständigkeitsprobleme zu erzeugen oder sie in die Breite zu ziehen. Bewegen sich Gegenspieler genau im Raum zwischen Innen- und Außenverteidiger, dann ist nicht immer klar, wer für diesen zuständig ist. Und wenn es nur zwei (anstelle von drei Innenverteidigern in einer Fünferkette) Spieler im Zentrum gibt, dann kann man auch dort Probleme erschaffen, wenn unklar ist, ob ein Innenverteidiger in den Zwischenraum vorschieben muss oder ob der defensive Mittelfeldspieler die Situation löst. Zudem können vier Spieler auf einer Linie einfach nicht die gesamte Spielfeldbreite abdecken, was eine Viererkette generell anfällig für Verlagerungen macht. Der Abstand zwischen Innen- und Außenverteidiger, besonders bei Verschiebeaktionen, ist damit so etwas wie ein ‚weak spot‘ von Viererketten. Ist der Abstand zwischen beiden Spielern zu groß, kann dieser vom Gegner belaufen und bespielt werden.
Keine personellen Wechsel beim FC St. Pauli zu erwarten
Fragt sich, ob man diese Zuständigkeitsprobleme oder schnellen Verlagerungen am besten in einer Formation mit zwei offensiven Außen oder zwei Angreifern umsetzt. Beides hat seine Vorteile. Mit offensiven Außen würde man konstant Druck auf den ‚weak spot‘ erzeugen. Dazu ergäbe sich mit dieser Formation eine Art Zuständigkeitsproblem beim Gegner im 4-2-3-1, weil sie selbst eine (unnötige) Überzahl im Zentrum haben, die Breite aber gar nicht abdecken.
Mit zwei Angreifern bindet man beide Innenverteidiger direkt im Zentrum (die man zum Beispiel auch aus ihrer Position herausziehen kann) und könnte mit Tiefenläufen der Schienenspieler und Achter die Räume öffnen. Sowieso wird die Rolle der Schienenspieler wichtig. Ihr erinnert Euch an die vielen Verlagerungen in Richtung Fin Stevens gegen Halle? Sehr gut möglich, dass man sowas auch gegen Heidenheim probiert. Denn das 4-2-3-1 des FCH bietet im Zentrum sehr wenig Räume, auf den Außenbahnen dafür umso mehr. Es ist also alles möglich und denkbar beim FC St. Pauli, wobei es schon sehr stark nach einem 3-5-2 riecht.
Vorfreude!
Der Start in die Bundesliga-Saison steht nun also unmittelbar bevor. Keine Frage, die Aufregung und Vorfreude steigt. Alexander Blessin erklärte, dass bei den Spielern natürlich langsam Nervosität aufkomme. Auch für ihn ist es die Bundesliga-Premiere. Als Spieler hat er bereits auf dem Platz gestanden, als Trainer ist es sein Debüt. Entsprechend steige auch bei ihm persönlich der Puls: „Warum sollte es bei mir anders sein? Der Bundesliga-Start ist schon was ganz Besonderes.“ Für uns auch, Alex! Das Abenteuer beginnt!
Forza!
// Tim
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Ich könnte mir auch vorstellen, dass Treu auf die rechte Seite wechselt und Ritzka für den gegen halle doch recht schwachen Stevens auf die linke Seite geht
Was ist eigentlich mit Zoller?
Wegen der Unterschiede zwischen der 1. und 2. Liga, sollten wir ja in der 1. Liga nicht so weiterspielen wollen, wie wir es letzte Saison taten. Galt das eigentlich auch für Heidenheim? Haben sie in ihrer erfolgreichen Saison nach dem Aufstieg anders gespielt als zuvor in der 2. Liga?
So wie ich das in Erinnerung habe spielt Heidenheim seinen Stil schon länger, auch in Liga 2 so ähnlich.
Aber das passt ja auch sehr gut in diese Bundesliga und ist ja nicht zu vergleichen mit dem was St Pauli letzte Saison gespielt hat.
Ich hätte zwar gerne gesehen wie das funktioniert hätte, kann aber nachvollziehen, dass einige damit Bauchschmerzen gehabt hätten.