Zum Jahresabschluss am Millerntor erwartet der FC St. Pauli den SV Werder Bremen. Es ist ein Highlight und zugleich eine große Herausforderung. Der Vorbericht.
(Titelfoto: Stefan Groenveld)
Wie die aktuelle Lage beim SV Werder Bremen ist, wie sich der Verein sportlich seit dem Wiederaufstieg in die Bundesliga entwickelt hat und welch große Rolle Cheftrainer Ole Werner dabei spielt, erfahrt ihr im „Vor dem Spiel“-Gespräch von Michael mit Lennart.
Zudem hat Nina einen ausführlichen Blick auf die Historie des Vereins und die Fanszene des SVW geworfen, den ich euch ebenfalls sehr ans Herz legen möchte.
Ein Blick zurück
Beim Gedanken an vergangene Spiele zwischen dem FC St. Pauli und dem SV Werder Bremen kommt vielen sicher direkt die Erinnerung an das legendäre Pokal-Viertelfinale, welches der FCSP mit 3:1 für sich entschied. Doch auch die beiden Spiele in der 2. Liga vor wenigen Jahren, sowie einige Aufeinandertreffen in der Bundesliga haben Geschichten geschrieben. Und wer könnte diese besser aufschreiben als Maik, der in jungen Jahren noch mit Leib und Seele dem SV Werder Bremen zugewandt gewesen ist: FC St. Pauli – Werder Bremen: The story so far
FCSP- und SVW-Doppelagenten
Als wäre das nicht alles schon genug, haben wir beim MillernTon auch nachgeschaut, welche Spieler im letzten Vierteljahrhundert sowohl das Trikot des FC St. Pauli, als auch jenes des SV Werder Bremen trugen oder sogar tragen. Namen wie Johannes Eggestein und Marvin Ducksch sind naheliegend. Erinnerungen an den leider trostlosen Aufstieg von Holger Wehlage, den „Fehler“ des Tom Trybull, „Mr. Regionalliga Nord“ Sebastian Wojcik undundund findet ihr hier: Von der Elbe an die Weser – und umgekehrt
FC St. Pauli: Wer kann spielen, wer fehlt?
Im Vergleich zum Spiel des FCSP in Leverkusen wird es eine Veränderung im Kader des FC St. Pauli geben: Morgan Guilavogui sah seine fünfte Gelbe Karte und fehlt gesperrt. Wer seinen Kaderplatz einnehmen wird, ist unklar. Ebenso, wer ihn in der Startelf ersetzt, was aber natürlich am Ende dieses Vorberichts ausführlich beleuchtet wird.
Karol Mets fehlt bis Jahrensende – Scott Banks könnte zurückkehren
Alexander Blessin gab auf der Pressekonferenz vor dem Spiel noch einen recht ausführlichen Blick auf die Situation bei den Spielern, die aktuell verletzt fehlen. Wirklich erbaulich ist der nicht gewesen, überraschend aber auch nicht. Blessin erklärte, dass Scott Banks am Donnerstag wieder voll mittrainieren konnte. Zwar müsse man noch abwarten, wie Banks Körper auf diese Belastung reagiert, doch bei einer positiven Rückmeldung ist er „für Stuttgart sicherlich ein Thema“, so Blessin.
Kein Thema für das letzte Heimspiel des Jahres und auch nicht für das Spiel in Stuttgart werden Simon Zoller und Elias Saad sein. Auch Connor Metcalfe fehlt weiterhin und bei ihm ist eine Prognose ziemlich schwierig (Blessin: „Wir wissen nicht, wie wir mit ihm planen können“). Auch Robert Wagner wird beide Spiele verpassen, ist aber immerhin wieder ins Lauftraining eingestiegen. So weit, so beschissen, aber auch so erwartbar. Neu ist, dass Karol Mets in diesem Jahr nicht mehr zum Einsatz kommen wird. Die anhaltenden Probleme an der Patellasehne verhindern seinen Einsatz. Blessin erklärte, dass man Mets nun die notwendige Pause geben wolle.
SV Werder Bremen: Wer kann spielen, wer fehlt?
Auch beim SV Werder Bremen gibt es einige wichtige Spieler, die erst im kommenden Jahr wieder zum Team stoßen werden: Außenverteidiger Felix Agu fällt mit einer Knieverletzung aus. Auch Leonardo Bittencourt wird den Bremern fehlen. Zudem gibt es zwei schwerwiegende Ausfälle in der Offensive: Keke Topp und Justin Njimah haben Sprunggelenksverletzungen und werden bis ins neue Jahr fehlen. Unter der Woche mussten bei Werder Bremen noch einige weitere Spieler mit dem Training aussetzen, aber da sind wohl alle einsatzbereit.
Was hat Werder zu bieten?
Werder Bremen hat trotz eines schwierigen Spielplans einen guten Saisonstart hingelegt. Fünf der 13 Spiele konnten gewonnen werden, nur vier verloren. Auffällig ist, dass Werder vier der fünf Siege auswärts holte. Das dürfte aber (Lennart hat das im VdS schön dargestellt) weniger daran liegen, dass die Bremer auswärts besser zurechtkommen, sondern eher an den Gegnern. Im Weser-Stadion waren diese Saison bisher Dortmund, Bayern, Freiburg, Leverkusen und Kiel zu Gast. Nur gegen Kiel konnte gewonnen werden. Auswärts hingegen gewann man in Bochum, Wolfsburg, Hoffenheim und Mainz – die bisherigen Auswärtsgegner sind in Sachen Qualität deutlich niedriger anzusiedeln als die Gäste an der Weser.
Herausragende Arbeit von SVW-Trainer Ole Werner
Zwei Auswärtsspiele gingen verloren: In Frankfurt und bei Mönchengladbach. Gerade das Gladbach-Spiel stellt einen Ausreißer dar, wenn es nach Alexander Blessin geht. Der erklärt nämlich: „Man muss ganz ehrlich sagen: Werder Bremen ist eine große Herausforderung“, weil das Team „bis auf das Gladbach-Spiel immer sehr gut organisiert“ gewesen und „mannschaftlich extrem geschlossen“ sei. Generell erkenne man eine klare Handschrift, was alles zusammen als ein klares Lob für die Arbeit von SVW-Cheftrainer Ole Werner zu verstehen ist.
Tatsächlich hat Ole Werner, der inzwischen seit fast genau drei Jahren Trainer an der Weser ist, aus den Bremern eine taktisch extrem flexible Mannschaft gemacht, die sich oft sehr gut auf den Gegner eingestellt zeigt und Lösungen für nahezu jede Spielweise des Gegners zu haben scheint. Blessin erklärte, dass die Bremer Spielweise „schwer auszurechnen und zu verteidigen“ sei. Sowohl mit als auch gegen den Ball hat man diese Saison bereits einige, teils völlig unterschiedliche Ansätze bei den Bremern gesehen, jeweils angepasst an die Spielweise des Gegners.
Werder im Stile eines Spitzenteams
Aus einer 3-4-2-1-Grundformation agiert das Team im Spielaufbau entweder mit drei oder vier Innenverteidigern, abhängig davon wie sich der linke Schienenspieler positioniert (rechts ist Mitchell Weiser eigentlich immer extrem weit nach vorne orientiert). Weiser ist auch oft Ziel des Aufbaus. Dazu versuchen die Bremer gerne, über das Mittelfeld-Duo Stage und Lynen aufzubauen, also über das Zentrum. Allein das finde ich schon bemerkenswert, weil der Aufbau über das Zentrum eigentlich nur absoluten Top-Teams überlassen wird. Werder Bremen versucht das trotzdem immer wieder.
Ihnen hilft dabei sicherlich, dass mit Stage und Lynen die besten Spieler des Kaders eben im Mittelfeld zu finden sind. Zudem gehört Torwart Michael Zetterer klar zu den besseren Torhütern der Liga mit dem Ball am Fuß, gleiches gilt für einige der Bremer Innenverteidiger. Der wichtigste Punkt ist aber wohl, dass Ole Werner drei Jahre Zeit hatte, um diese Aufbauweise mit großem Variantenreichtum zu füllen: Mal dient der Pass ins Zentrum nur dazu, den Ball nach außen zu Weiser prallen zu lassen, es wird also schnell verlagert. Mal zeigen Lynen und Stage gegenläufige Bewegungen (das ist sowieso ein Merkmal der Bremer, auch im letzten Drittel). Mal werden die beiden Sechser überspielt, um dann den abprallenden Ball von Marvin Ducksch aufzunehmen und mit viel grüner Wiese vor sich auf das gegnerische Tor zuzulaufen (Steil-Klatsch).
Defensiv anfällig
Im Aufbauspiel bieten die Bremer also viele Varianten an. Gegen den Ball wird es hingegen sehr einfach. Sehr oft, vor allem bei allen statischen Situationen (Abstöße, Einwürfe, Freistöße in der gegnerischen Hälfte), laufen die Bremer den Gegner hoch und mannorientiert an. Hier kommt es darauf an, die direkten Duelle zu gewinnen. Etwas abwartender kann auch agiert werden, dann versucht Werder mit einer Zweier-Spitze, den initialen Aufbau zu stören und das Zentrum mit drei Mittelfeldspielern zu kontrollieren (Romano Schmid fällt dazu gerne ins Mittelfeld). Die Schienenspieler schieben dann oft nur dann vor, wenn der Ball auf ihrer Seite ist (ballnah also). Die Probleme, die sich durch diese Spielweise gegen den Ball ergeben kann, kennt auch der FC St. Pauli: Wenn es nicht gelingt, die direkten Duelle zu gewinnen oder wenn der Abstand, besonders zwischen Mittelfeld und Innenverteidigung, zu groß ist, dann ergeben sich große Räume für den Gegner.
Allein das Torverhältnis zeigt, was den Bremern aktuell etwas besser liegt: Nur eine handvoll Teams haben mehr als 24 Gegentreffer, also mehr als Bremen. Auf der anderen Seite sind 20 erzielte Treffer ordentlich. Gemessen an ihrem Aufwand und dem starken Vorspielen in Abschlusspositionen (nur Bayern und Leverkusen haben mehr Ballkontakte im gegnerischen Strafraum als Werder!), ist die Anzahl an Torschüssen (Platz elf) und Toren sogar zu niedrig. Auffällig ist eine große Stärke bei Flanken: Fast 40 Prozent aller Flanken landen beim Mitspieler – ein Ligabestwert, aus dem das Team bereits sieben Treffer generieren konnte.
Mögliche Aufstellung
Im Vergleich zum letzten Spiel (1:0-Erfolg in Bochum) muss Werder Bremen den verletzten Justin Njinmah ersetzen. Ein herber Verlust, weil Njinmah dem Team mit seinem Tempo eine Komponente gab, die ansonsten in der Offensive nicht so vorhanden ist. Er wird wohl durch Marco Grüll ersetzt werden, der in der Bundesliga allerdings noch nicht so richtig Fuß fassen konnte.
Beim FC St. Pauli stellt sich einzig die Frage, wer den gelb-gesperrten Morgan Guilavogui ersetzen wird. Ansonsten ist die personelle Aufstellung völlig klar (was auch am aktuell eher dünnen Kader liegt). Dafür ist die Frage nach dem Guilavogui-Ersatz aber eine knifflige. Blessin selbst erklärte auf der PK ganz offen: „Ich bin noch nicht klar, wie wir es machen.“ Der FCSP-Cheftrainer deutete an, dass es einige Varianten gibt. Genau genommen gibt es zwei: Guilavogui positionsgetreu ersetzen oder das System etwas anpassen.
Manos Saliakas als verkappter Guilavogui-Ersatz?
Entscheidet sich Alexander Blessin für einen positionsgetreuen Ersatz von Guilavogui, dürfte Erik Ahlstrand am Samstag in der Startelf stehen. Der 23-jährige ist schneller und auch kopfballstärker als Danel Sinani, kommt damit den Eigenschaften von Guilavogui näher. Der FC St. Pauli könnte die Position auf der offensiven Außenbahn also direkt besetzen.
Entscheidet man sich für Sinani, dann dürfte das mit einer taktischen Umstellung einhergehen. „Mit Danel haben wir mehr Ballkontrolle, das Pässchen in die Tiefe“, beschrieb Blessin, was dem Profil eines zentralen offensiven Mittelfeldspielers näherkommt als einem temporeichen Außen.
So dürfte bei einer Aufstellung von Danel Sinani der Platz rechts vorne von jemand anderem eingenommen werden: Manos Saliakas. Zumindest in Aufbausituationen ist es denkbar, dass der Rechtsverteidiger konsequent mit hochschiebt und so eine Position besetzt und spielt, die eher schlecht als recht zu den Eigenschaften von Sinani passt. Das könnte sich dann zu einem asymmetrischen 3-5-2 entwickeln, wenn auch Dapo Afolayan etwas mehr in die Mitte zieht (was zu ihm passt). Durch diese Bewegung würde auch Philipp Treu weiter vorschieben als sonst. Der FC St. Pauli würde dann also mit zwei schwimmenden Zehnern agieren – und beide Außenverteidiger weiter hochschieben als sonst. Blessin deutete auf der PK an, dass sich die Rolle von Treu etwas verändern könnte. Vielleicht hat er damit genau das gemeint.
Für welche Variante man sich beim FC St. Pauli entscheiden wird? Keine Ahnung, wirklich gar keine. Vielleicht kommt ja sogar alles ganz anders, Blessin betonte, dass er die Bremer auch etwas überraschen möchte.
Das letzte Heimspiel des Jahres 2024 steht für den FC St. Pauli an. Was mit einem überzeugenden Heimsieg gegen den 1. FC Kaiserslautern startete, samt Sprung an die Tabellenspitze, endet nun mit einem Highlight gegen Werder Bremen. Hoffentlich wird es ein Fest. Das wäre für dieses außergewöhnliche Jahr des FC St. Pauli angemessen.
Forza!
// Tim
Alle Beiträge beim MillernTon sind gratis. Wir freuen uns aber sehr, wenn Du uns unterstützt.
MillernTon auf BlueSky // Mastodon // Facebook // Instagram // Threads // WhatsApp // YouTube
Zwei schwimmende Zehner! Was wir können! Ich freu mich auf morgen, wird super.
War es auch etwa 23 Minuten lang. Meh.